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Gescannter Auszug aus der Spiegel 2/2008 vom 07.01.2008, Seiten 78 - 80


SPIEGEL-GESPRÄCH

„Fristlos, formlos, fruchtlos"

DGB-Chef Michael Sommer, 55, über den Vorschlag, die Einkommen der Manager zu begrenzen, das Versagen der Tarifautonomie beim Aushandeln sozialpolitisch erträglicher Löhne und seine Fundamentalkritik an den Agenda-Reformen

SPIEGEL: Herr Sommer, ist es gerechtfertigt, dass der Chef eines Dax-Konzerns mit fast drei Millionen Euro im Jahr das Hundertfache eines Facharbeiters verdient?

Sommer: Natürlich versteht ein normaler Mensch nicht, warum ein Manager so viel verdient und er selbst so wenig. Niemand ist loo- oder 200-mal so viel wert wie ein anderer. Dabei liegen drei Millionen bei weitem noch nicht an der oberen Grenze dessen, was Manager in Deutschland verdienen.

SPIEGEL: Das .entsprechende Gehalt bekommt Telekom-Chef Rene Obermann, den Sie als Aufsichtsrat kontrollieren. Warum haben Sie nicht widersprochen, als sein Gehalt festgesetzt wurde?

Sommer: Das ist eine Unterstellung und keine Frage, denn Sie wissen nicht, was ich im Aufsichtsrat gemacht habe. Nach dem Aktienrecht unterliege ich der Verschwiegenheitspflicht. Deswegen ist auch das Schwarze-Peter-Spiel etwas schwierig. Sie können aber davon ausgehen, dass wir uns die Vorstandsgehälter ähnlich genau ansehen wie die Nebenleistungen, die Vertragsdauer, Pensionen oder die Abfindungen. Aber der entscheidende Punkt ist doch ein anderer.

SPIEGEL: Und zwar?

Sommer: Dass die Große Koalition eine Debatte angestoßen hat, die geradezu widersinnig und verlogen ist. Vor kurzem noch haben die gleichen Politiker den Spitzensteuersatz gesenkt und gesagt, das sei die Beglückung der Menschen in Deutschland. Jetzt stellen sie sich hin und wollen die Managergehälter nach oben begrenzen. Ich sage ihnen: Wenn sie dafür sorgen würden, dass Manager in Deutschland wieder anständige Spitzensteuersätze zahlen, wäre schon viel geholfen. Dann wäre auch manches an der Diskussion ehrlicher.

SPIEGEL: Was wäre für Sie ein anständiger Spitzensteuersatz?

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Gewerkschafter Sommer: „Verlogene Debatte" (Bild)
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Sommer: Wir könnten ja wieder auf den alten Satz von 53 Prozent hochgehen oder die Reichensteuer entsprechend erhöhen. Jetzt liegt der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent. Dazu kommen noch einmal drei Prozent Reichensteuer. Das ist immerhin schon ein Stück Einsicht gewesen. Die Politiker, die jetzt so lautstark nach Grenzen für Managergehälter rufen, sollten endlich Ernst auf dem Feld machen, wo sie wirklich handeln können. Und das ist die Steuerpolitik.

SPIEGEL: Sie verweisen immer auf die Politik. Warum sorgen nicht auch die Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten dafür, dass die Managergehälter nicht aus dem Ruder laufen?

Sommer: Das ist schon wieder eine Unterstellung. Ich weiß nicht, was meine Kollegen in den Aufsichtsräten machen. Das unterliegt der Vertraulichkeit. Mal abgesehen davon, dass wir dort nicht die Mehrheit haben. Im Zweifelsfan zieht der Vorsitzende die Doppelstimme.

SPIEGEL: Sie erwecken den Eindruck, als gäbe es in der Gehaltsfrage ständig Kampfabstimmungen.

 
Sommer: Welchen Eindruck Sie von mir haben, kann ich ohnehin nicht ändern. Aber natürlich habe ich eine politische und gesellschaftspolitische Meinung zu dem Thema. Die Managergehälter sind aus dem Ruder gelaufen, weil dieses Land akzeptiert hat, dass sich im Zuge der Shareholder-Value-Debatte das Wirtschaftsleben nach amerikanischen Normen ausrichtet. Aktienoptionen und alles, was daran hängt, sind schließlich amerikanische Bezahlungs-Systeme.

SPIEGEL: Und die wollen Sie abschaffen?

Sommer: Wir müssen dafür  sorgen, dass wieder kontinentaleuropäische Weltmaßstäbe bei der Bezahlung gelten. Denn wenn Sie heute mit Managern über die Höhe der Gehälter reden, dann sagen die immer: Ja, aber mein US-Kollege bekommt viel mehr, und wenn ich nach Amerika gehe, bekomme ich auch so viel.
SPIEGEL: Vielleicht haben Ihre Gesprächspartner ja recht.

Sommer: Wenn sie tatsächlich so gut sind, dann sollen sie doch in die USA gehen, um besser zu verdienen. Dort sind sie aber offenbar wenig gefragt. Zudem gibt es große deutsche Unternehmen, die in zehn Jahren l? oder 18 Vorstände auswechseln, weil die Qualität von deutschen Managern so furchtbar hoch dann doch nicht ist. Das Normalmaß gilt offenbar auch in diesem Bereich, nur bei ihrer Bezahlung wollen das viele Manager nicht für sich akzeptieren.

SPIEGEL: Der Betriebsratsvorsitzende von BASF findet die Vorstandsgehälter im Vergleich zur Bezahlung des Bayern-Managers Uli Hoeneß eher moderat.

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DGB-Werbung für Mindestlohn (in Berlin), Manager Zumwinkel (Post), Obermann (Telekom): „Dieses Land hat die Maßstäbe verloren" (Bild)
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Sommer: Letztlich geht es um die Wertmaßstäbe einer Gesellschaft, und da ist vieles nicht mehr in Ordnung - auch bei manchen Talkmastern, Bundesliga-Profis, Journalisten und Künstlern. Dieses Land hat über die Amerikanisierung des Wirtschaftslebens die Maßstäbe verloren. Dazu gehört auch, dass die Bezahlung sehr viel stärker an den vordergründigen Erfolg gekoppelt ist, der sich vor allem am Aktienkurs bemisst.

SPIEGEL: Was haben Sie daran auszusetzen?

Sommer: Wir haben die bekanntermaßen perverse Situation, dass der Aktienkurs steigt, wenn Beschäftigte rausgeschmissen werden. Das heißt, wenn jemand rechtzeitig die Leute feuert, kann er seine Aktienoptionen zu einem besseren Kurs verscheuern. Das alles sind Auswüchse. Die Managergehälter sind jenseits von Gut und Böse, weil sie durch die Umstellung auf sogenannte erfolgsorientierte Zahlungen nicht mehr kontrolliert werden können.

SPIEGEL: Erfolg soll also keine Rolle mehr spielen?

Sommer: Die Frage stellt sich doch: Was ist denn eigentlich ein Erfolg? Ist es ein Erfolg, wenn ich kurzfristig den Aktienkurs hochboxe? Oder ist es ein Erfolg, wenn ich über fünf Jahre ein Unternehmen stabil halte und seine Weltmarktposition ausbaue ...

SPIEGEL: ...oder die Produktivität steigere ...

Sommer: ... oder meinetwegen bestimmte Klimaziele erreiche. Um der Kanzlerin mal einen Gefallen zu tun.

SPIEGEL: Was halten Sie von dem Vorschlag, Gehälter gesetzlich zu deckein?

Sommer: Sie meinen als Pendant zum Mindestlohn das Höchsteinkommen?

SPIEGEL: Die SPD prüft diesen Vorschlag in einer Arbeitsgruppe.

Sommer: Das ist eine typische Drei-F-Debatte: fristlos, formlos, fruchtlos. Was meinen Sie wohl, was da herauskommt? Das geht aus wie das Hornberger Schießen. Nein, viel ehrlicher wäre es, den Weg über den Spitzensteuersatz oder die Reichensteuer zu gehen.

SPIEGEL: Vieles deutet daraufhin, dass es in Deutschland demnächst einen gesetzlichen Mindestlohn geben wird. Wäre das ein Erfolg für Sie?

Sommer: Wenn er mindestens 7,50 Euro beträgt, ist es ein Erfolg, sonst nicht. Es geht schließlich um ein menschenwürdiges Einkommen, von dem man einigermaßen leben kann, und von 7,50 kann man das auch nur, wenn man Single ist.

SPIEGEL: Ihre Forderung ist schon einige Jahre alt. Wollen Sie inzwischen einen höheren Mindestlohn?

Sommer: Ich bleibe bei den 7,50 Euro, weil es eine politische Zahl ist. Aber sie hat natürlich keine Ewigkeitsdauer. Je länger wir warten müssen, desto höher muss die Forderung werden. Und wenn er kommt, brauchen wir natürlich Angleichungsmechanismen wie die Royal Commission in England, die den Mindestlohn übrigens stets nach oben und nie nach unten anpasst.

SPIEGEL: Ihre Forderung ist im Gewerkschaftslager umstritten, weil es dann nicht mehr in erster Linie die Gewerkschaften sind, die den Lohn erkämpfen, sondern der Staat.

Sommer: Mein Gegenargument ist folgendes: Erstens haben wir auch beim Urlaub oder bei der Arbeitszeit gesetzliche Mindestregelungen, die alle durch Tarifverträge verbessert worden sind.
 
SPIEGEL: Und zweitens?

Sommer: Sind 7,50 Euro das absolute Minimum, das zugegebenermaßen heute durch einige Tarifverträge unterschritten wird. Über dem Mindestlohn würde dann die Tarifautonomie einsetzen, so wie in Frankreich, wo es trotz eines Mindestlohns eine höhere Tarifbindung als bei uns gibt. Ich weiß, dass diese Haltung auch bei uns umstritten ist, weil für manche Kollegen die Tarifautonomie absoluten Vorrang hat, aber ich glaube, man kann und muss das miteinander verbinden.

SPIEGEL: Aber was haben die Gewerkschaften davon, wenn es der Staat ist, der den Mindestlohn festsetzt?

Sommer: Die Frage der Lohnfindung ist in der Tat eine der zentralen Aufgaben der Gewerkschaften. Das Problem ist nur: Wir haben in vielen Branchen gar nicht mehr die Möglichkeit, für die Betroffenen tariflich etwas durchzusetzen, was sozialpolitisch erträglich ist.

SPIEGEL: Warum?

Sommer: Weil es entweder gar keine Arbeitgeberverbände mehr gibt oder die Gewerkschaften nicht stark genug sind. Dann stehen Sie als Gewerkschaft vor der Frage, wegzusehen oder nicht.

SPIEGEL: Das heißt, ein gesetzlicher Mindestlohn ist eigentlich ein Zeichen gewerkschaftlicher Schwäche?

Sommer: Er ist ein Zeichen dafür, dass die Tarifautonomie in bestimmten Bereichen in Deutschland versagt, teilweise, weil wir die Arbeitgeberstruktur nicht mehr haben, teilweise, weil die Beschäftigten schwach organisiert sind.

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Proteste gegen Hartz IV (am 13. Oktober 2007 in Berlin): „Ich will, dass die Menschen in Würde leben und arbeiten können" (Bild)
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Dann stehen Sie vor der Frage, ob Sie trotzdem einen Tarifvertrag abschließen sollen. Ich habe als junger Gewerkschaftsfunktionär gelernt, dass jeder Tarifvertrag besser ist als keiner, weil man zumindest den Fuß in der Tür hat, zum Beispiel auch bei Urlaubsanspruch und Arbeitszeit. Und dann kommen manchmal Verträge heraus, die bei den Entgelten unter 7,50 Büro liegen. Wie für die Friseurin in Thüringen und die Floristin in Mecklenburg-Vorpommern.

SPIEGEL: Was passiert mit diesen Abkommen, wenn der Mindestlohn kommt? Sommer: Das wäre das Ende für solche Tarifentgelte...

SPIEGEL; ...und würde vermutlich dazu führen, dass die Floristin und die Friseurin arbeitslos werden, weil sich ihre Arbeitsplätze für 7,50 Büro die Stunde für ihre Arbeitgeber nicht mehr rechnen.

Sommer: Falsch, denn beide stehen ja nicht im globalen Wettbewerb. Richtig ist, dass dann die Frisur und der Blumenstrauß minimal teurer werden würden. Aber das kostet keine Arbeitsplätze. Auch die Mehrwertsteuererhöhung um drei Prozentpunkte haben die Konsumenten ohne Kaufboykott hingenommen.

SPIEGEL: Ist es Ihnen lieber, wenn Menschen von Hartz IV leben statt einer schlecht bezahlten Arbeit nachzugehen?

Sommer: Diese Alternative stellt sich nicht. Ich wünsche mir, dass jeder von seiner Hände Arbeit leben kann, ohne als Vollzeitbeschäftigter zusätzlich Hartz IV als staatliche Fürsorge beantragen zu müssen. Der eigentliche Skandal ist doch, dass dies derzeit schon Hunderttausende tun müssen. Auch deswegen brauchen wir den Mindestlohn.

SPIEGEL: Es gibt auch Gewerkschafter, die befürchten, ein Mindestlohn könne bei Löhnen, die über 7,50 Büro liegen, einen Sog nach unten auslösen.

Sommer: Das macht mir auch Sorgen. Wir wollen die 7,50 Euro, um den Lohntrend nach oben hinzukriegen, aber auch hier gilt, was man mir als jungem Gewerkschaftsfunktionär beigebracht hat: Jeder Tarifvertrag muss zweimal durchgesetzt werden. Einmal, wenn er abgeschlossen wird, und einmal, wenn er zur Anwendung kommen soll. Die Gefahr, dass Arbeitgeber Tarifentgelte drücken wollen, ist sicher da. Daran werden wir sie hindern müssen. Das Leben eines Gewerkschafters ist und bleibt nun mal Kampf.

SPIEGEL: Sie führen gerade eine aktive Kampagne für Mindestlöhne und leisten damit aktive Wahlkampfhilfe für die SPD.,.

Sommer: ...mitnichten!

SPIEGEL: Wie passt das zur parteipolitischen Neutralität des DGB, die Sie selbst verkündet haben?

Sommer: Der DGB ist parteipolitisch unabhängig. Das gilt für die kommenden Landtagswahlen und die Bundestags- und Europawahl 2009. Darauf können Sie Gift nehmen. SPIEGEL: Aber?

Sommer: Das heißt nicht, dass der DGB politisch neutral wäre. Wir treiben unsere Themen nach vorn, unabhängig davon, ob sie irgendeiner Partei passen oder nicht.

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Sommer, SPIEGEL-Redakteure* „Der DGB ist parteipolitisch unabhängig" (Bild)
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Dazu gehört auch die Frage der Mindestlöhne. Ich nehme an, dass das Teilen der Union nicht passt. Allerdings scheine ich so weit nun auch wieder nicht von dieser Partei entfernt zu sein, denn immerhin sind 67 Prozent der Unionsanhänger für einen Mindestlohn. 75 Prozent der Bevölkerung übrigens auch, obwohl ihnen immer wieder eingeredet wird, dieses Land fahre gut mit Niedriglöhnen. Ganz offensichtlich glauben die Menschen das nicht mehr.

SPIEGEL: Mit welchen Wahlkampfinterventionen dürfen wir noch rechnen?

Sommer: Wir werden auch Dinge ansprechen, die der anderen großen Regierungspartei nicht schmecken.

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Konstantin von Hammerstein und Michael Sauga in der DGB-Zentrale in Berlin (Anmerkung)
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Das Thema Altersarmut etwa oder Rente mit 67. Wir machen unseren Frieden mit der Rente mit 67 nicht, und wir brauchen auch nachhaltige Korrekturen bei Hartz IV, um es ganz deutlich zu sagen.

SPIEGEL: Wir hatten gehofft, zum Thema Hartz IV sei bereits alles von Ihnen gesagt worden.

Sommer: Wenn Karlsruhe gerade entschieden hat, dass der Kern der Reform - nämlich die Verwaltungskonstruktion - verfassungswidrig ist, sollte man gleich auch die anderen Konstruktionsfehler beseitigen. Man muss an die Frage des Schonvermögens ran. Das ist, was die Alterseinkünfte betrifft, viel zu niedrig. Der Kinderzuschlag ist viel zu niedrig. Ich glaube auch, dass wir einen speziellen Schülerzuschlag brauchen, sogar einen Zuschlag für Schulspeisung, damit die Kinder der armen Leute etwas davon haben. Ich bin dafür, dass die Regelsätze erhöht werden müssen, und schließlich muss es noch einmal um die Frage gehen, welche Arbeit für Langzeitarbeitslose zumutbar sein soll und welche nicht. Dazu gehört auch, dass sie keine Angst vor Armut haben müssen. Heute ist Hartz IV aber Armut; das wissen die Menschen.

SPIEGEL: Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Anteil der rot-grünen Arbeitsmarktreformen an dem Umstand, dass die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist?

Sommer: Er tendiert gegen null. Der Einfluss der Weltwirtschaft oder der Investitionstätigkeit ist sehr viel größer. Es ist die völlig falsche These, dass die Beschäftigung steigt, wenn man Sozialleistungen abbaut und die Rechte der Menschen verschlechtert ..,

SPIEGEL: ...die aber von schätzungsweise 80 Prozent des derzeitigen wirtschaftlichen Sachverstands der Republik vertreten wird.

Sommer: Die herrschende deutsche Wirtschaftswissenschaft zeichnet sich doch dadurch aus, dass ihre Prognosen sehr selten eingetreten sind. Sie ist vor allem ideologiebeladen, aber dafür empirisch nicht sonderlich beleckt und deshalb auch kaum Nobelpreis-verdächtig.

SPIEGEL: Herr Sommer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch,