Zurueck zur Homepage
Frieden mit der Natur machen

Nach dem Hochwasser muss die ökologische Modernisierung zu einem nationalen Kraftakt werden / Von Ludwig Stiegler und Michael Müller

Die Hochwasser-Katastrophe in Tschechien und Ostdeutschland hat die Umweltpolitik in der Rangliste der Bundestagswahlkampf-Themen nach oben befördert und klar gemacht, wie wichtig nachhaltiges Wirtschaften in Zukunft ist. Wie diese Konsequenzen im Einzelnen aussehen müssten, fassen Ludwig Stiegler, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, und Michael Müller, Vize-Fraktionschef der Sozialdemokraten und Bundesvorsitzender der deutschen NaturFreunde, zusammen. Wir dokumentieren das Papier.

Natur präsentiert ihre Rechnung

Unwetter, extreme Trockenheit, Überschwemmungen - die große Klimamaschine spielt verrückt, weil der Mensch zunehmend in ihr Räderwerk eingreift. Zwar gab es Naturkatastrophen immer wieder, durch die industriellen Anreicherungen in den ökologischen Kreisläufen nehmen sie jedoch an Gewalt, Intensität und Häufigkeit zu. Wurden in den sechziger Jahren 14 große Naturkatastrophen registriert, waren es im letzten Jahrzehnt schon über 70, Tendenz weiter steigend. Nach den Angaben der weltgrößten Rückversicherung, der Münchener Rück, nahmen die Elementarschäden seit den fünfziger Jahren um 1450 Prozent zu.

Mit der Jahrtausendflut, die in Deutschland, Österreich und Tschechien zu verheerenden Überschwemmungen geführt hat, haben auch uns die Folgen des globalen Klimawandels in bisher nicht gekannter Form eingeholt. Vorboten waren schon im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen: Am Anfang der neunziger Jahre erlebten wir gewaltige Frühjahrsstürme, dann kamen immer neue Rekordhöhen beim Rheinhochwasser, Orkane mit großflächigen Waldschäden in den Mittelgebirgen und zuletzt die Oderflut. Durch die erhöhte Verdunstung und die starke Energiezufuhr in die Atmosphäre gerät der Wasserkreislauf durcheinander, beschleunigt sich das Abflussregime vieler Flüsse, nehmen Stürme zu. Die Natur schlägt zurück und zeigt, was mit dem globalen Klimawandel zu erwarten ist. Auch bei uns werden das keine angenehmen Mittelmeertemperaturen sein.

In anderen Erdregionen sind die Alarmsignale schon viel länger und deutlicher sichtbar. Der El Nino, das "Weihnachtskind", hinterlässt immer häufiger seine zerstörerische Spur, wenn vor der peruanischen Küste warmes, nährstoffarmes Wasser in großen Mengen hochgespült wird, wodurch von Lateinamerika über Asien bis nach Afrika sowohl Sturmfluten und Orkane als auch Dürreperioden ausgelöst werden. Der Anteil der Meeresregionen, in denen die kritische Erwärmung auf über 27 Grad Celsius in den ozeanischen Deckschichten ansteigt, ist heute um rund 20 Prozent größer als in den sechziger Jahren. In China drohen die Dämme zu brechen, fast 10 Millionen Menschen sind davon bedroht. Australien erlebte die schlimmste Trockenheit seit 200 Jahren. In Afrika breitet sich die Sahel-Zone seit 50 Jahren stetig aus. Mit Tuvala versinkt der erste Südseestaat im Ozean. 11 000 Einwohner müssen ihre Heimat verlassen, weil die mittlere Flutwelle bei Vollmond bis zu 3,20 Meter erreicht. Dann stehen rund 80 Prozent der Insel unter Wasser.

Drei zentrale Beweisführungen sprechen dafür, dass diese Extreme immer stärker auf menschliche Aktivitäten zurückgehen. Die klimageschichtlichen Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre und dem Wettergeschehen, die Computermodelle, die das künftige Klimageschehen modellieren, sowie die Daten aus der direkten Wettermessung der letzten 150 Jahre, aus denen sich zahlreiche Hinweise ergeben. Sie reichen von der Halbierung der Alpengletscher im 20. Jahrhundert über die Ausdünnung der arktischen Eisschichten um rund zwei Meter in den letzten zwei Jahrzehnten bis zur Ausbreitung der Wüstenzonen. Jährlich gehen weltweit 5 bis 6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Anbaufläche durch Bodendegradation verloren, auch das wirkt sich massiv auf das Klimageschehen aus.

Das Treibhaus Erde wird aufgeheizt. Der Klimaforscher Klaus Hasselmann spricht von einer "95-prozentigen Wahrscheinlichkeit" eines vom Menschen verursachten Klimawandels. Verantwortlich für dieses "Schließen der Atmosphärenfenster" ist zu rund 50 Prozent die Freisetzung von Kohlendioxid durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl. Die andere Hälfte entfällt auf Kohlenstoff aus der Zerstörung von Wäldern und Böden, auf Ozonbildung durch den Verkehrssektor, Distickstoffoxid aus der Landwirtschaft, Methan aus Abfall, Energie und Landwirtschaft sowie auf bestimmte Chlorverbindungen.

Werden diese wärmestauenden Gase insgesamt auf den Leitindikator Kohlendioxid umgerechnet, so hat sich seit 1850 dessen Konzentration vom natürlichen Wert, der bei rund 280 ppm CO2 lag, auf bereits rund 440 ppm erhöht. Das geht überwiegend und mit zunehmender Geschwindigkeit auf das Konto der letzten Jahrzehnte. Eine Verdoppelung der Konzentration auf 560 ppm, die ohne massives Gegensteuern in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts erwartet wird, führt zu einer mittleren Erwärmung um zwei Grad Celsius. Die gerade noch tolerable Grenze einer Erwärmung in diesem Jahrhundert wird bei 1,5 Grad Celsius angesetzt. Doch nach den Prognosen der UN-Klimakommission wird die Temperatur voraussichtlich um 2,5 Grad Celsius ansteigen.

Der lange Bremsweg der Natur

Zudem müssen die langen Anpassungsfristen des Klimasystems gesehen wer-den. Der heutige Schadstoffgehalt wird sich erst in rund vier Jahrzehnten voll auf das Wettergeschehen ausgewirkt haben. Eine globale Erwärmung um mehr als ein Grad Celsius ist demnach nicht mehr zu verhindern, denn der Bremsweg der Natur ist lang. Dabei verursachen bisher allein die 30 OECD-Staaten rund 75 Prozent der anthropogenen Klimaänderungen. Ohne tief greifende soziale und ökologische Reformen im Norden der Erde wird der nachholende Prozess der Industrialisierung in den Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen das Bevölkerungswachstum rund 90 Millionen Menschen pro Jahr beträgt, schnell in einen Klimakollaps münden. Schließlich existieren Unsicherheiten über eventuelle Beschleunigungs- und Verstärkungsmechanismen im Klimasystem, so dass die Vereinten Nationen im Extremfall sogar eine Erwärmung um 5,8 Grad Celsius nicht ausschließen können. Das wäre das Vierfache dessen, was die Menschheit verkraften könnte.

Das Projekt der Nachhaltigkeit

Seit der UN-Klimakonferenz von Toronto im Jahr 1988 sind die Klimagefahren im Grundsatz bekannt. Dennoch überwiegt bis heute eine Haltung, die der Naturphilosoph Klaus Michael Meyer Abich mit folgendem Dreisatz beschrieben hat: (1) Wir wissen, dass es wie bisher nicht weitergehen kann. (2) Was zu geschehen hat, ist im Wesentlichen bekannt und in dem Konzept der Nachhaltigkeit beschrieben. (3) Dennoch geschieht, wenn es konkret wird, nur wenig. Das gilt besonders für die USA, denn auf den größten Klimasünder der Erde entfällt rund ein Viertel aller anthropogenen Treibhausgase. Dabei sind die Folgen des Klimawandels auch in den Vereinigten Staaten schon zu spüren, wobei global allerdings in erster Linie die ärmsten Länder betroffen sind.

Der "dicke feuchte Kuss aus Hawaii" saugt warme, wasserreiche Luft und schleudert sie gegen die südkalifornische Küste. Durch die Erwärmung lädt sich der Kona-Sturm mit Energie auf und trägt mehrere Milliarden Kubikmeter Wasser mit sich, was der Hälfte der Niederschlagsmenge entspricht, die dort sonst im Jahresdurchschnitt niedergeht. "In Los Angeles, einst der Garten Eden im Land des ewigen Sonnenscheins, macht sich Angst breit: In den letzten Jahrzehnten, vor allem den neunziger Jahren, wurde die Stadt von einer alttestamentarisch anmutenden Abfolge von Katastrophen heimgesucht. Sturmfluten, Tornados, Erdbeben, Dürre . . ." So beschreibt Mike Davies die verheerenden Wetterereignisse, die dort mittlerweile so etwas wie Alltagserscheinungen geworden sind.

Obwohl der Aufstand der Natur unübersehbar geworden ist, kommt die ökologische Modernisierung, wenn sie überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wird, nur mühsam voran. In vielen Bereichen haben sich die Daten seit dem Erdgipfel 1992 von Rio weiter verschlechtert. Statt der im Kyoto-Protokoll vorgesehenen Reduktion um fünf Prozent werden sich in den USA die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 wahrscheinlich um 18 Prozent erhöht haben. Die größte Industrienation der Welt betreibt einen ökologischen Kolonialismus. 50 Prozent der neu zugelassenen Pkw schlucken 20 und mehr Liter auf 100 Kilometer. Der Stromverbrauch erreicht gigantische Höhen. Die von den Gesetzen des Marktes dominierte Gesellschaft missachtet die soziale und ökologische Vernunft, die auf einen einfachen Nenner zu bringen ist: Nicht der Markt ist das Maß aller Dinge, sondern der Umgang mit dem, was mit uns ist, macht die Qualität unserer Zivilisation aus.

Diese Erkenntnis verlangt ein Umsteuern hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Seit 30 Jahren wissen wir, dass die heutige Form der Konsumzivilisation global nicht lebbar ist. Wenn die "Party" auf Kosten von Natur, Dritter Welt und Zukunft nicht beendet wird, wird es keinen Frieden geben, nicht nach innen, nicht nach außen und auch nicht mit der Natur. Eine Klimakatastrophe folgt zwar den Naturgesetzen, aber sie ist nicht naturgesetzlich, vorausgesetzt, es kommt zu einer sozialverträglichen Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, von Arbeit und Umwelt. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen mit den Grenzen umzugehen lernen, die von der Natur gesetzt werden. Das katastrophale Hochwasser in Bayern und entlang von Elbe und Mulde hat schlagartig deutlich gemacht, wie existenziell wichtig Nachhaltigkeit für eine gute Zukunft ist.

Unter diesem Dach wollen wir unsere Politik bündeln - der Umbau der Sozialsysteme für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt; Innovationen zur ökologischen Modernisierung und zum Ausbau der Solarwirtschaft; eine Weltinnenpolitik zur Übernahme globaler Verantwortung. Dieser Dreiklang macht unser Land zukunftsfähig und hat eine hohe strategische Bedeutung nicht nur für die Neuordnung unserer Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch für die weitere Entwicklung der Europäischen Union und für die Gestaltung der Globalisierung.

SPD und Bündnisgrüne haben mit der ökologischen Modernisierung begonnen - mit der Ausrichtung der Energiepolitik auf Effizienzrevolution und Solarwirtschaft, der Neuordnung der Mobilität, der Agrarwende, die Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz miteinander verbindet, der ökologischen Finanzreform und mit mehr Klima- und Naturschutz. Darin hat die Bundesrepublik, wie dies der Sachverständigenrat für Umweltfragen bescheinigt hat, eine Vorreiterrolle eingenommen, die über unser Land weit hinausstrahlt. Unsere Gesellschaft verfügt wie kaum eine andere über die Möglichkeiten, dieser Herausforderung gerecht zu werden: Das Umweltbewusstsein der Bevölkerung ist hoch, es gibt eine wachsende Zahl von Unternehmen, die ökologische Innovationen vorantreiben. Und die Flutkatastrophe hat - was auch für die ökologische Modernisierung von zentraler Bedeutung ist - gezeigt, dass unsere Gesellschaft zu großer Solidarität fähig ist. Richtig ist aber: Eine Legislaturperiode reicht nicht aus, denn vor uns liegt ein langer Weg der Modernisierung in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.

Aus der Negativen Dialektik von Theodor Adorno wissen wir, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Die heutige Form der Globalisierung mit ihrem Diktat der Kurzfrist-Ökonomie führt nicht zu sozialem Fortschritt und auch nicht zu mehr Umweltschutz. Statt uns an die heftig wankenden Stützen alter Gewohnheiten zu klammern, müssen wir den Kurs der Nachhaltigkeit politisch vorantreiben. Unser Land hat in Europa eine Schlüsselrolle bei dieser Aufgabe, durch eine neue Balance zwischen Innovationen und Gerechtigkeit zu einer dauerhaften Qualität von Wachstum zu kommen.

Diesem großen Reformprojekt ist die SPD verpflichtet, denn die Programmatik der nachhaltigen Entwicklung, die große Idee des Erdgipfels von Rio, geht auf die Sozialdemokraten Olof Palme, Willy Brandt und Gro Harlem Brundtland zu-rück. Willy Brandt sah hierin das Fundament für einen neuen Fortschritt. Die Europäische Union hat die geistigen wie die materiellen Mittel, um zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen. Gestützt auf einen Markt mit rund 400 Millionen Verbrauchern, hat sie nicht weniger Möglichkeiten als die USA, die globale Epoche zu gestalten. Sie kann mit Erfolg die ökologischen Zukunftsmärkte erschließen, soziale Standards durchsetzen und mehr Demokratie und Teilhabe möglich machen. Von daher ist Nachhaltigkeit ein Konzept, das der Globalisierung eine europäische Perspektive gibt.

Eine doppelte Kraftanstrengung

Das Leitziel der Nachhaltigkeit muss sich auch in den Hochwasserregionen bewähren, um Wiederaufbau und ökologische Modernisierung miteinander zu verbinden. Das erfordert, mit Entschlossenheit eine doppelte nationale Kraftanstrengung anzugehen, die der Bundeskanzler gefordert hat. Deshalb werden auch die Maßnahmen, die dem Klimaschutz dienen, von der Haushaltssperre ausgenommen. Aus dieser Verbindung ergibt sich eine gemeinsame Perspektive und die Kontinuität, die für die Bewältigung dieser großen Aufgaben notwendig sind. Über 50 000 Helfer von Bundeswehr, THW und Polizei, Feuerwehr und Bundesgrenzschutz, viele freiwillige Helfer aus privaten Organisationen, unzählige Menschen, die selbstlos geholfen haben, und schon über 50 Millionen Euro privater Spenden - es war eine beeindruckende Welle der Solidarität, die unser Land in den letzten Wochen erlebt. Das macht Mut.

Weit über 800 Kilometer von Donau, Elbe und Mulde führten Hochwasser. In insgesamt 49 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten bestand Katastrophenalarm. Rund 180 000 Häuser und Gebäude wurden geschädigt. Über 100 000 Bürgerin-nen und Bürger mussten evakuiert werden, darunter Hunderte aus Krankenhäusern und Pflegeheimen. Durch die Überschwemmungen ist es in Sachsen zu den schwersten Verwüstungen in der Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Die Strom-, Gas- und Trinkwasserversorgung ist in einigen Regionen noch immer unterbrochen, ebenso die Telefonverbindungen. Auch Kläranlagen sind nicht nutzbar.

In Sachsen wurden 180 Brücken und 740 Kilometer Straße beschädigt. Die Bahn beklagt den Total- oder Teilverlust von über 700 Kilometer Schiene, das ist ein Fünftel des sächsischen Netzes. Manche Strecken werden für mehrere Monate gesperrt bleiben. In über 80 Gemeinden wurden die Ortszentren oder ganze Ortsteile weitgehend zerstört. Rund 6000 Firmen wurden direkt oder indirekt Opfer der Fluten. Zwei Drittel der Landesfläche waren vom Hochwasser betroffen, allein in Dresden standen 15 Prozent des Stadtgebietes unter Wasser. In Sachsen-Anhalt wurden 60 000 Menschen evakuiert, allein im Landkreis Wittenberg 38 Orte mit über 40 000 Einwohnern. In Brandenburg waren in Breese zeitweise 3000 Menschen eingeschlossen.

Viele Folgen und Gefahren werden erst in der nächsten Zeit sichtbar werden. Viele Schäden sind nicht versichert. Bei den 18 Millionen Versicherungspolicen für Wohngebäude in Deutschland sind nur 550 000, also 3 Prozent, gegen Elementarschäden versichert. Bei den Hausratversicherungen haben 9 Prozent diesen Zusatz. Das gibt einen Hinweis darauf, wie existenziell die Folgen für die betroffenen Menschen und Firmen sind. Deshalb ist es durchaus realistisch, von einem Schaden von mindestens 15 Milliarden Euro zu sprechen.

Die Bundesregierung hat in dem 12-Punkte-Programm eine Soforthilfe eingeleitet und zugleich das Flutopfersolidaritätsgesetz in den Bundestag eingebracht. In der Soforthilfe sind 385 Millionen Euro für die schnelle Behebung erster Schäden in der Infrastruktur und zur sozialen Absicherung vorgesehen. Allein durch die Kredithilfen werden rund 700 Millionen Euro mobilisiert. Im Aufbaufonds sind durch die Verschiebung der Steuerentlastung um 12 Monate rund 7,1 Milliarden Euro vorgesehen, davon zahlt der Bund 3,5 und Länder und Gemeinden 3,6 Milliarden Euro ein. Hinzu kommen über 1 Milliarde durch Umschichtungen im Etat des Verkehrsministers und der Landwirtschaftsministerin, zahlreiche Sondermittel vom Denkmalschutz bis zu Maßnahmen zur Ausbildungssicherung sowie eine Haushaltssperre, die 500 Millionen Euro bringt. Zudem werden aus dem EU-Strukturfonds 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dabei wird unbürokratisch gehandelt, denn die EU hat für die Mittelvergabe die freihändige Vergabe zugelassen und das Beihilfenregime außer Kraft gesetzt. Insgesamt werden damit rund 10 Milliarden Euro bereitgestellt.

Die Hochwasserkatastrophe hat aber auch deutlich gemacht, dass wir das Tempo bei der ökologischen Modernisierung beschleunigen müssen. Friede mit der Natur ist nur zu schließen, wenn durch mehr Öko-Effizienz beim Energie- und Ressourceneinsatz Arbeit und Umwelt dauerhaft miteinander verbunden werden. Der Wiederaufbau ist die große Chance, ihn mit dem Umbau zu verbinden. Die Möglichkeiten dafür sind vorhanden, denn heute liegt menschliche Arbeit brach, während die natürlichen Ressourcen verschwendet werden. Zwischen 1960 und 1998 stieg die Arbeitsproduktivität etwa um 260 Prozent an, während die Energieproduktivität lediglich um knapp 60 Prozent und die Ressourcenproduktivität um rund 79 Prozent zunahm. Mehr Öko-Effizienz heißt, den hohen Energie- und Ressourceneinsatz durch mehr Technik und Beschäftigung zu ersetzen.

Das Exportland Bundesrepublik ist auf eine hohe Produktivität und auf Innovationen angewiesen. Die Strategie der Energie- und Ressourcenproduktivität weist hier einen Weg. Denn obwohl ihre Möglichkeiten unter der Regierung Kohl kaum genutzt wurden, entstanden allein in den letzten beiden Jahrzehnten als Folge der Energieeinsparung rund 400 000 neue Arbeitsplätze. Grob geschätzt, kommt es pro eingesparter Petajoule zu rund 100 neuen Arbeitsplätzen. Hoher Energie- und Materialeinsatz ist nicht zwingend, sondern ein teurer, ineffizienter und verschwenderischer Weg, um Nachfragebedürfnisse zu erfüllen. Wichtige Möglichkeiten für eine Steigerung der Öko-Effizienz liegen in Produktgestaltung, Dienstleistungen und Finanzierungsformen. Durch Rot-Grün konnte in den letzten beiden Jahren die Energieproduktivität deutlich gesteigert werden. Dies passiert nicht von selbst, obwohl der Energie- und Materialaufwand den weitaus größten Kostenfaktor ausmacht. Auf die physische Seite der Produktion entfallen fast doppelt so hohe Kosten wie auf den Faktor Arbeit.

Mit der konkreten Vision einer 25-prozentigen Reduktion beim Energie- und Ressourceneinsatz könnten Wirtschaft und Verbraucher um mindestens 80 Milliarden Euro entlastet werden. Dies hätte auch einen hohen Nutzen für die Erschließung neuer Märkte, Produkte und Verfahren, die weltweit gebraucht werden. Handwerk, Dienstleistungen und Mittelstand werden gestärkt, die Umwelt entlastet, die Kosten für teure Rohstoffe verringert. Der Energie- und Ressourcenverbrauch wird durch menschliche Arbeit und technische Innovationen ersetzt. Die Impulse dieser ökologischen Modernisierung würden die der Informationstechnologien sogar noch übertreffen. Schätzungen reichen bis zu einer Million neuer, qualifizierter Arbeitsplätze.

Wir werden die Anstrengungen für eine Steigerung der Öko-Effizienz über alle Stufen der Wertschöpfung fortsetzen, hin in ein Zeitalter der Energie- und Ressourcenproduktivität und der Solarwirtschaft, die sich durch eine Güterproduktion von hoher Qualität auszeichnet. So werden drei zentrale Zukunftsaufgaben miteinander verbunden: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und ein wirtschaftliches Wachstum, das den globalen Herausforderungen gerecht wird. Das ist ein großer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und damit in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Arbeit und Umwelt verbinden

Wir wollen nicht die Not der Menschen in den Hochwassergebieten für den Wahlkampf instrumentalisieren. Aber wir wollen deutlich machen, dass es bei der ökologischen Modernisierung einen klaren Unterschied zwischen Rot-Grün und CDU/CSU und FDP gibt. Bei den 18 größeren Maßnahmen zum Klimaschutz, die seit 1998 im Bundestag beschlossen wurden, stimmte die Union gegen 16 und die Wirtschaftsliberalen sogar gegen alle Initiativen: Nein zur ökologischen Finanzreform, Nein zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz, Nein zum neuen Naturschutzgesetz, Nein zur Agrarwende, Nein zum Stopp des Donauausbaus. Anders als die rot-grüne Opposition in den neunziger Jahren wollen beide Fraktionen nicht etwa mehr Umwelt- und Energiepolitik, sondern haben sogar angekündigt, im Falle eines Wahlerfolgs das Erreichte wieder zurückzudrehen.

Rot-Grün hat mit der ökologischen Steuerreform den Strukturwandel angestoßen. Die Novellierung des Naturschutzgesetzes findet viel Anerkennung. Der Ausstieg aus der Atomenergie wurde gesetzlich festgelegt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz gilt weltweit als vorbildlich. Mit der Energiesparverordnung werden die Sparpotenziale im Alt- und Neubau um rund 30 Prozent besser genutzt. Die Kraft-Wärme-Kopplung wird modernisiert und ausgebaut. Die Mittel für die Umwelt- und Energieforschung wurden massiv erhöht. Allein im Bereich der erneuerbaren Energien sind rund 120 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Diese Ansätze der ökologischen Modernisierung müssen ausgeweitet und fortgeführt werden. Die beiden hauptbetroffenen Länder Sachsen, mit seiner Tradition als Land von Mittelstand und Handwerk, und Sachsen-Anhalt, wo ein hohes Potenzial an qualifizierten Arbeitnehmern vorhanden sind, können hierbei zu Vorreitern werden.

Die systematische Steigerung der Öko-Produktivität löst grundlegende Innovationen aus. Die Aufwertung der Zukunft durch eine Politik der Nachhaltigkeit gibt unserem Land eine gute Perspektive. Das ist - wenn man so will - das Leitbild der Sozialdemokratie für einen neuen Fortschritt im globalen Jahrhundert.

Siehe auch das FR-Spezial Treibhaus Erde

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 12.09.2002 um 21:07:14 Uhr
Erscheinungsdatum 12.09.2002