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Erst das Trinkwasser, dann unsere Atemluft?
Private Kommerzialisierung von öffentlichen Dienstleistungen
Von Claus Kittsteiner, „Berliner Wassertisch“, 2006
Die Verschuldung der öffentlichen Hand in Berlin und weltweit hat
immer mehr zur Folge, dass Betriebe der öffentlichen
Daseinsfürsorge (z.B. Wasserbetriebe und anderes "Tafelsilber")
von Regierungen (1999 vom Berliner Senat mit Hilfe der meisten
Abgeordneten) aus Kurzzeitdenken an global agierende, lediglich
gewinnorientierte private Firmen verschleudert werden (Berlin: RWE und
Veolia haben mit ihren 49,9% Anteilen an den Berliner Wasserbetrieben
fast 100% Bestimmungsrecht!).
Von den privaten Energie- und Wasserkonzernen wird gegen alle
Versprechungen bei Vertragsabschluss der Begriff
"Effektivität" sehr schnell reduziert auf Kosteneinsparung jeder
Art zur Gewinnoptimierung für den neuen Besitzer, zur
Renditensteigerung für die Aktionäre und für das
Konzern-Image an der Börse in der Logik von "shareholder value".
Entlassungen (2000 Mitarbeiter der Berliner Wasserbetriebe),
Vernachlässigung von Wartung und Infrastruktur, Wasserpreisanstieg
für die Verbraucher (in Berlin ca.30%), Einbußen von
Steuergeldern wegen Absicherung der vom Senat garantierten (!) Rendite
(8%) sind u.a. die Folgen. Sinken die Renditen, werden die
heruntergesparten, dann oft maroden Betriebe wieder der
öffentlichen Hand (d.h. den Steuerzahlern) teuer
zurückverkauft. So beabsichtigt RWE (angestrebte Rendite 18%)
wegen zu hoher laufender Instandsetzungskosten und enttäuschter
Gewinnerwartungen des Konzerns aus dem Wassergeschäft in London
wieder auszusteigen mit entsprechenden Folgekosten für die
Londoner Bürger und Steuerzahler.
Ein aus Bolivien wegen unbezahlbarer Wasserpreissteigerung nach
heftigen Volksaufständen hinweggekündigter Wasserkonzern
verklagte den Staat auf 25 Mio. Dollar wegen entgangener Gewinne durch
Wassergeschäfte. In Manila (Philippinen) sterben
Wasserverbraucher an Cholera wegen kostensparender mangelnder Wartung
des Wassernetzes in den Armenvierteln. In Indien saugt Coca-Cola
täglich 600.000 Liter Grundwasser aus dem bislang
landwirtschaftlich genutzten Boden, Bauern verlieren ihre Existenz
mangels Ernten. Trotz zahlreicher drastischer Beispiele dieser Art
weltweit drängen die EU in Brüssel,
Entwicklungshilfeinstitutionen (GTZ) und die Weltbank Hand in Hand mit
den transnationalen Wasserkonzernen auf die private Kommerzialisierung
der Wasserversorgung in über 70 Ländern der Welt. Wer dort
arm ist, wer bei z.T. 1 Dollar Tagesverdienst kein Geld für den
Wasseranschluss und die Kommerzpreise hat, hat kein Wasser. Wer
protestiert, bekommt es mit der Staatsmacht zu tun wie im Jahr 2000 in
Cochabamba, Bolivien (mehrere Tote bei Protestaktionen).
In Hamburg wurde durch den Druck einer erfolgreichen Volksinitiative
der Verkauf der Hamburger Wasserbetriebe gesetzlich verboten. Die Stadt
Herten im Ruhrgebiet vergab zum Ärger der privaten Wasserkonzerne
Fondsanteile der Stadtwerke an die eigenen Bürger mit positiver
Rückwirkung für die nun mehr selbstbestimmte öffentliche
Versorgung der Menschen. In einigen deutschen Städten haben
Bürger und Mitarbeiter den Verkauf von Betrieben der
öffentlichen Daseinsfürsorge an rein kommerziell
interessierte private Träger durch Bürgeraktionen und Streiks
verhindert.
Was bedeuten diese Beispiele für die Berliner? Folgt nach London
bald Berlin, d.h. der Ausstieg von RWE und Veolia? Es gibt in Berlin
und überall Menschen, die u.a. im globalisierungskritischen
Zusammenhang (GATS) diese und weitere Vorgänge verfolgen und
versuchen, mehr Bewusstsein über die Folgen neoliberaler Politik
zu schaffen, Öffentlichkeit herzustellen und an den Menschen
orientierte Handlungsstrategien durchzusetzen nach dem Motto
"Global denken, lokal handeln".
Wasser – nach dem Öl das Geschäft der Zukunft! Der Unwille
bei der Bevölkerung wächst, Forderungen werden lauter:
"Wasser gehört uns allen – Wasser in Bürgerhand!". Die
natürliche, unverzichtbare Ressource Wasser ist Menschenrecht und
darf nicht als Geschäftsobjekt missbraucht werden. Hier und
weltweit. Wird womöglich zukünftig nach dem lebensnotwendigen
Grundversorgungsmittel Trinkwasser auch unsere Atemluft als Eigentum
von Konzernen wie RWE zur Quelle hoher Renditen? Von der Ironie zur
Geschäftsidee ist es nicht weit...
„Akzeptiert man die Privatisierung des Wassers, akzeptiert man die
Vermarktung des Lebens“ (Riccardo Petrella)
Aktuelle Informationen: http://www.berliner-wassertisch.net/;
http://www.attacberlin.de/(AG Argumente);
Brot für die Welt (Materialien, Broschüren,
Newsletter) http://www.menschen-recht-wasser.de/;
Film: „Wasser unterm Hammer“von L. Franke u.a.,2005,
http://www.kernfilmproduktion.de/ (DVD 15 Euro)
Quellennachweis bei Claus.Kittsteiner@gmx.de