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Wie "express" das teilweise Schweigen zum "Emmely" Fall erklärt
Auszug von den
Seiten 7 und 8 aus "express" Zeitung für sozialistische Betriebs-
und Gewrkschaftsarbeit Nr.3/2009, 47.Jahrgang (Gescannt, da
entsprechende Fehler)
Erklärungsbedürftig
Oder : exemplarisch verpasste Chancen im "Fall" Emmely
Wichtiger ist manchmal nicht, was
gesagt wird, sondern was nicht gesagt und mit wem nicht gesprochen wird.
Nachdem im vergangenen Jahr mehrfach über die Kündigung der
Kassiererin »Emmely« durch Kaiser's/Tengelmann im express
berichtet wurde und dabei Mitglieder des
»Solidaritätskomitees Emmely« viel Platz hatten,
über den Fall, die Arbeit des Komitees und ihre kritischen
Einschätzungen zur Rolle von ver.di zu berichten, gab es in den
vergangenen Ausgaben keine Veröffentlichungen mehr. Und das,
während selbst einschlägige Hetzblätter, für ihre
Unternehmerfreundlichkeit bekannte Wirtschaftsmagazine, der
ausgewogenen Demagogie verpflichtete »Talk«-Shows (und die
linke Presse sowieso) nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts,
die Kündigung sei rechtmäßig, berichtet und dabei
deutlich Partei bezogen hatten - pro Emmely. Im express stand nicht nur
nichts -es lagen für Dezember, und Januar sogar zwei Artikel vor,
die beide in der vorliegenden Form abgelehnt bzw. mit Diskussions- und
Überarbeitungsbedarf zurück gegeben wurden. Das bleibt bei
einer engen Leser-Blatt-Bindung natürlich nicht lange verborgen
und hat einige erstaunte Nachfragen und kritische Leserbriefe
produziert.
Da das, was wir mit den Autoren Gregor Zattler und Willi Hajek - beides
Mitglieder des Soli-Komitees und häufig mit Beiträgen im
express vertreten - Ende vergangenen Jahres diskutiert und als
Artikel-Grundlage verabredet hatten, sich aus ihrer Sicht
schließlich nicht umsetzen bzw. darstellen ließ,
müssen wir es nun selber machen. Im Folgenden soll also eine
Erklärung und Antwort an die Leserinnen versucht werden, die
zugleich eine Perspektive auf die Auseinandersetzung mit und um Emmely
andeutet, die wir nicht nur in den beiden von uns abgelehnten Artikeln,
sondern in der gesamten Begleitung und Aufarbeitung dieses
Arbeitskampfes bislang ver-misst haben. Sie lässt sich
zunächst festmachen an einer scheinbar banalen Frage, nämlich
der nach den Gründen, die den Kaisers-Betriebsrat dazu bewogen
haben, jenen Brief an die betreuende Gewerkschaft ver.di-Han-del zu
schreiben, der - kommentarlos - auch auf der Homepage von ver.di
eingestellt ist und den wir in dieser Ausgabe dokumentiert haben. Wie
ist zu erklären, dass der Betriebsrat ein so deutlich
distanziertes Verhältnis nicht nur zu den Aktionen des
Soli-Komitees, sondern auch zu den Aktivitäten der Gewerkschaft
formuliert? Und darüber hinaus: dass Emmely in allen
Darstellungen, egal von welcher Seite, immer als Einzelperson
erscheint? Dass es keine Kolleginnen aus ihrer Filiale zu geben
scheint, die sie unterstützen? Gerade angesichts der
Pressewirksamkeit dieses Falls und der bundesweiten Solidarisierungen
wäre doch ein offeneres und offensiveres Agieren unter dem Schutz
der medialen Aufmerksamkeit denkbar gewesen. Auch wenn Kaiser's also
unter Gewerkschaftskolleginnen im Unterschied zu Discountern noch als
vergleichsweise »sozialer Arbeitgeber« gilt, sind Pfandbons
und Verdachtskündigungen sicher kein Problem, das Kaiser's nicht
kennt bzw. exklusiv für Emmely reserviert hätte. Was also ist
hier schief gelaufen?
Das ist keine Frage, die nur diesen »Fall« betrifft, sie
stellt sich grundsätzlicher in all den Bereichen, in denen nicht
(mehr) davon auszugehen ist, dass Beschäftigte untereinander und
mit ihren betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen
sowie Unterstützerinnen >von außen<
gewissermaßen naturwüchsig verbunden sind und, sei es
über Tradition, Betriebsformen, hohe Organisationsgrade,
Arbeitsorganisation, gemeinsame Gegner, Ziele, Erfolge, Erfahrungen
usw., ein hohes Maß an Bewusstsein für den Sinn von
kollektiven Aktions-, Widerstands- und Protestformen, von
»Solidarität statt Konkurrenz« entwickelt haben und
mit sich bringen. Genau das ist in vielen Bereichen nicht mehr gegeben.
Insofern geht es also gerade um die Frage, wie sich aus vereinzeltem
und vielleicht auch isoliertem Unmut, aus Ungerechtigkeits- und
Repres-sionserfahrungen in alltäglichen
Arbeitsauseinandersetzungen, kurz: aus dem einzelnen »Fall«
Kämpfe mit einer weiteren Perspektive entwickeln und wie diese
unterstützt werden können. Dies ist ein zentrales Problem
aller Organizing-Kampagnen, und dabei ist inner-wie außerhalb der
»Apparate« viel zu lernen, z.B. über die dringende
Notwendigkeit, mit den >Betroffenen< zu reden, nicht über
sie hinweg. Und das gilt für alle Beteiligten.
In den beiden Artikeln der Mitglieder des Soli-Komitees, aus denen im
Folgenden zitiert wird, ist die Antwort auf die Frage, was _schief
gelaufen ist, klar: Der Betriebsrat habe, indem er auf die
Streikbeteiligung von Emmely als möglichen Kündigungsgrund
verwiesen habe, »gelogen«: »Entweder in seinem
Widerspruch gegen die Kündigung oder in der Stellungnahme gegen
die Solidaritätsarbeit für Emmely.« Und: »Mit
diesem Brief soll Emmely von ihren Kolleginnen und in der
Öffentlichkeit isoliert werden.« Insofern sei es
»[n]ach dieser Blutgrätsche gegen Emmely ... nur konsequent,
dass der Betriebsrat am Ende seines Schreibens zur Beendigung der
Postkartenaktion mit dem Boykottaufruf auffordert. Er begründet
dies damit, der Boykott schade mehr den Beschäftigten als dem
Unternehmen.«
Die Rolle von ver.di wiederum - selbst vom Betriebsrat kritisiert -
wird ebenfalls eindeutig interpretiert. Mit dem Rat der
Fachsekretärin Erika Ritter an Emmely nach dem ersten verlorenen
Urteil, sie solle das Angebot einet Abfindung nehmen, »solange
Dein Marktwert noch hoch ist«, habe ver.di »die Sache
>Emmely< vom Tisch haben wollen«. »So einfach ist
das! Abfindung und raus!« Diese Interpretation allerdings passt
nicht dazu, dass ver.di noch nach diesem Gespräch von Erika Ritter
mit Emmely, und das heißt auch: nach deren Ablehnung des
Abfindungsangebots, zum Boykott von Kai-ser's aufruft und damit Emmely
in ihrem Anliegen, wieder bei Kaiser's arbeiten zu wollen,
unterstützt.
Und wenn es ver.di tatsächlich darum gegangen sein sollte, die
»Kontrolle über die Aktivitäten der aus der Situation
entstehenden Komitees und der Akteure« zu behalten - warum
riskiert die Gewerkschaft es dann, ausgerechnet einen Akteur wie den
Betriebsrat, in dem auch eine Reihe ver.di-Mitgliedern vertreten sind,
mit dieser Boykottaktion offenbar dermaßen vor den Kopf zu
stoßen, dass dieser sich hinterher gegen seine eigene
Gewerkschaft positioniert?
Unsere Versuche, Interviews mit der BR-Vorsitzenden Christel Laubisch
und der Fachbereichssekretärin Erika Ritter zu bekommen, um
Aufschluss hierüber zu erhalten, sind trotz durchaus freundlicher
Telephonate daran gescheitert, dass von beiden Seiten jeweils
überhaupt kein Interesse mehr an irgendeiner Form von
Öffentlichkeit besteht - auch hier also ein gestörtes
Vertrauensverhältnis als Resultat der Auseinandersetzung,
fatalerweise allerdings als Erfahrung aus einem vielversprechenden und
exemplarischen Arbeitskampf.
Insofern bleiben nur fragende Überlegungen zu den möglichen
Gründen des >wundersamen Scheiterns einer langen Freundschaft,
die an der These anknüpfen, es handele sich um einen klassischen
Fall gewerkschaftlichen Kontrollwahns. Viel eher stellt sich
nämlich anhand der veröffentlichten Dokumente der Eindruck
eines weitgehend unabgesprochenen und unkoordinierten Vorgehens, d.h.
nicht kooperierender Parallel-Universen ein.
* Bsp. Boykott-Postkarte:
Boykottandrohungen als Mittel in einem Arbeitskampf (Konsumentinnen
können natürlich boykottieren, wen oder was sie wollen, wenn
es ihnen lediglich um ihren eigenen Konsum geht) haben nur dann eine
solidarisierende Wirkung, wenn die Beschäftigten sie nicht als
Angriff auf >ihre< Arbeitsplätze empfinden, wenn sie also
mit entsprechenden Drohungen der Unternehmer hinsichtlich der
Umsatzeinbußen, des Imageschadens und Arbeitsplatzabbaus umgehen
und diese einschätzen können. Doch wurde diese Strategie
abgesprochen und in der Belegschaft darüber diskutiert?
* Bsp. Soli-Aktionen in
Kaiser's-Filialen:
Was soll mit »Flash-Mobs« erreicht, wer soll angesprochen
werden? Kundinnen? Oder Beschäftigte? Oder soll das Unternehmen
geschädigt werden? Auch hier scheint zwischen den Beteiligten im
Vorfeld wenig Verständigung stattgefunden zu haben, und auch hier
ergeben sich völlig andere Perspektiven je nachdem, ob Flash-Mobs
Teil eines Arbeitskampfes oder Skandalisierung >von außen<
sein sollen.
* Bsp. Annahme des Abfindung-Angebots:
Die Abwägung, ob es angesichts der herrschenden
Arbeitsrechtssprechung und bekannter Arbeitsmarktperspektiven klug ist,
mit diesem Fall den Instanzenweg zu gehen oder eine Abfindung zum
»höheren Marktwert* mitzunehmen und auf die juristische
Klärung zu verzichten, kann nur von den Betroffenen selbst
entschieden und verantwortet werden. Sie ist nicht an sich irrational,
moralisch oder politisch verwerflich. Die Implikationen dieser
Abwägung deutlich zu machen, gehört zum Job jeder guten
Gewerkschaftssekretärin, alles andere wäre eine
Instrumentalisierung von Menschen zu »Fällen«, in der
um der rechtspolitäschen Bedeutung der Auseinandersetzung willen
über die Person hinweggesehen würde. Doch weder sind gute
Gewerkschaftssekretärinnen und gute Medienaktivistinnen
automatisch auch guce Juristinnen, noch haben Juristen nota-bene ein
Verständnis für soziale und politische Dimensionen ihrer
>Fälle< etc. In jedem Fall ist also eine kollektive Beratung
mit Heranziehung aller Kompetenzen unter den Unterstützerinnen
sinnvoll - wenn man sich nicht nur wechselseitig realexistierende
Klischees bestätigen will.
Dass Emmely mit ihrem Anwalt Benno Hopmann nun Beschwerde gegen die
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das die :Revision vor dem
Bundesarbeitsgericht nicht zuließ, einlegen und zugleich
Verfassungsbeschwerde wegen der
»Unverhältnismäßigkeit« der Kündigung
erheben will, ist mutig und unterstützenswert. Wie zu hören
ist, will der ver.di-Rechtsschutz die Klagekosten übernehmen.
Zugleich will Emmely wieder als Verkäuferin arbeiten. In ihrer
Filiale wird sie wohl keinen Job mehr erhalten (und wollen?), doch auch
andere Arbeitsplätze wird sie nur mit Rückendeckung und
Solidarität unter Kolleginnen (und Filialleitern?) bekommen. Und
darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die rechtspolitische
Bewegung für eine Änderung des Kündigungsschutzgesetzes
voran gebracht werden kann. Auch hier ist also die Frage, wer wie mit
wem über die notwendige Rückendeckung für Emmely und
über die anstehende juristische Auseinandersetzung, die viele
betrifft, redet.
(K.H.)