Zurueck zur Homepage
Überlandleitung darf nicht mehr brummen

Energiekonzern EnBW verpflichtet sich vor Oberlandesgericht Stuttgart, das Knistern eines Kabels zu beseitigen

Weil es über ihren Köpfen seit Jahren brummt und knistert, haben sich die Einwohner von Grünkraut mit einem mächtigen Gegner angelegt - der Firma Energie Baden-Württemberg (EnBW). Die Berufung endete mit einem Vergleich: Der Stromkonzern muss die Geräusche beseitigen.

VON GABRIELE RENZ

Stuttgart · 20. Januar · Die Medizinerin Ursula Bellut ist eine routinierte Schilderin des alltäglichen Leidens. Denn zur Ärztin im 3028-Einwohner-Ort Grünkraut kommen sie alle, wenn die Geräusche von der Überlandleitung der EnBW wieder einmal zu laut werden. Sie haben Herzkreislauf- und Gefäßerkrankungen, leiden unter verstärkter Ausschüttung von Stresshormonen, sind infektanfällig. "Ich schlafe maximal vier Stunden", sagt Horst Pirkl, "bei uns klirren die Gläser im Schrank." Im Umkreis von etwa hundert Metern, so Bellut, sei ein tieffrequenter Brummton zu hören, der in die Häuser dringe. Sie selbst schläft neben einem blubbernden Zimmerbrunnen, um das Brummen zu übertönen. Andere liegen nurmehr in bestimmten Ecken des Hauses. Im Sommer überwiegt hochfrequentes Knistern. Im Winter brummt es, bei Regen prasselt es an der Leitung wie ein Wasserfall. 48 bis 50 Dezibel wurden schon gemessen. Seit sieben Jahren geht das so. Seit die EnBW ihre Leitungen um ein Seil verstärkt und statt 220 Kilovolt 380 Kilovolt durch die Leitungen jagt.

Bürger aus Grünkraut klagten dagegen. In erster Instanz gab ihnen das Landgericht Ravensburg Recht. Die Masten samt Leitungen seien alt, urteilte das Gericht. Die EnBW müsse etwas tun. Der Stromkonzern legte Revision ein. Zugleich rüstete die EnBW im Jahr 2000 nach den Protesten ein wenig nach, doch die alten Masten blieben und damit der Brummton. Die Anwältin des Stromriesen argumentierte zudem, dass es im ländlichen Grünkraut zu leise sei, so dass jeder Pieps hörbar werde. Doch Messungen ermittelten hohe Dezibelwerte.

Das Phänomen gilt der EnBW als unerklärlich. Sogar eine Forschungsgruppe der Züricher Universität befasst sich damit. Doch auf die Ergebnisse wollen die Grünkrauter nicht warten. Anwalt Otmar Elser glaubt ohnehin nicht an das "Phänomen". Er sieht die Masten mit den eng nebeneinander liegenden Leitungen als Ursache. Die Grünkrauter glauben zu wissen, was hilft: Ein neuer, höherer Mast mit breiteren "Traversen", also Querstangen, die einen größeren Abstand zwischen den Seilen erlauben. Dann könnte die Spannung auf den Wassertropfen nicht mehr so ausgiebig hüpfen und den Bewohnern auf die Nerven gehen.

----------------------------------------
Tönende StromKabel

Lagern sich Wassertropfen oder Tau auf Hochspannungsleitungen ab, hat die Elektrizität ihrer Oberflächenspannung die Tendenz, überzuspringen. Dies ist in Form von Brummen und Knistern zu hören. Wenn die Seile eng beieinander liegen, entsteht ein Magnetfeld, das durch mehr Platz zwischen den Seilen verhindert werden kann. Das minderte die Geräusche. gar
--------------------------------------

Der Richter des Oberlandesgerichts Stuttgart sah dies ebenso. Eine Sanierung des 1,7 Kilometer langen Leitungsabschnittes kostet die EnBW rund 1,5 Millionen Euro. Per Vergleich verpflichtete der Vorsitzende Richter den Stromriesen, bis 1. Januar 2009 "Geräuschemissionen" zu verhindern. Je nach Nähe zur Leitung wurden Grenzwerte zwischen 37 und 42 Dezibel festgeschrieben. Schafft es der Konzern nicht, das Brummen und Knistern auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, können die Grünkrauter Zwangsmaßnahmen einleiten - elf Jahre nachdem es zum ersten Mal so lärmte.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 20.01.2005 um 17:20:18 Uhr
Erscheinungsdatum 21.01.2005