Dossier
zur Privatisierung
1.
ÖPP – die neue Broschüre Gerlinde
Schermer, Berlin gibt einen guten Überblick, wie ÖPP / PPP eingeführt wird und
wie der Prozeß abläuft. 31.10.2005
2.
Verdienen an leeren Kassen Gerlinde
Schermer, vor allem am Beispiel Berliner Politikfelder, 12.6.2005
3. Nicht alle geben grünes
Licht, Berlin hat seine Ampelanlagen privatisiert - ein Vorbild für Kassel?
HNA 2. 3.
2006
4.
Eine neue Form der öffentlichen Verschuldung
Oberhessische Zeitung vom 25.02.2006 (Gescannt)
5.
Schadenersatz an Gemeinde, Karlsruher
Urteil gegen einen Landkreis wegen Amtspflichtverletzung könnte Präzedenzfall
werden von Werner Rügemer
6.
Eckpunkte eines ÖPP-Beschleunigungsgesetzes Ludwig
Stiegler, MdB, Klaus Brandner, MdB, Uwe Beckmeyer, MdB, Michael Bürsch, MdB,21.
April 2005
7.
Fernstraßenbau Privat Finanzierungsgesetz (Auszug)
Gewinnabsicherung per Gesetz
8.
Kritik an PPP-Modell für kreiseigene Schulen
Kritik der Handwerkskammer Köln, 13. 2. 2006
9.
Das ÖPP-Beschleunigungsgesetz, Hans-Georg
Bodien
Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die beteiligten Akteure
10. Der Staat
und seine Kernaufgaben: Grenzen der Privatisierung
Ernst Ulrich von Weizsäcker MdB
Kurzer Überblick über die internationalen Privatisierungstendenzen und ihre
Entwicklung
Zusammengestellt
von Delf Schnappauf, Homberg 24.April 2006
1
Donnerstagskreis
Erkennen und Gestalten - Nr. 32
Motto: Rerum cognoscere causas - der Dinge Wesen
ergründen – Vergil/J.W.Goethe
1. Die
wahren Heuschrecken
Der Staat
ist weitgehend ausgeraubt. Alles, was sich für Private lohnte, wurde
privatisiert: Wasser, Energie, öffentliches Verkehrswesen, Wohnen – kurz alles
das, was Menschen kaufen müssen, um
zu überleben, befindet sich weitgehend in den
Händen Privater. Die Kommunen sind dessen ungeachtet immer ärmer geworden. Sie
reduzieren ihre Ausgaben. Öffentliche Aufträge sind kaum noch zu erlangen.
Seit einigen
Jahren hat sich eine neue „Branche“ etabliert: Die Beraterindustrie. Sie ist
ein Wirtschaftsfaktor geworden, der 400.000 gut dotierte Arbeitsplätze bietet.
Hier arbeiten gut ausgebildete Menschen: Juristen, Steuerberater, Wirtschaftswissenschaftler
usw. – und viele ehemalige, aber auch noch aktive Politikerinnen und Politiker.
Wissen, Beziehungen und Klienten mit viel Geld machen diese Branche gerade auch
in einer Demokratie einflussreich und gefährlich. Alle wollen viel Geld machen
– und viele haben das auch schon seit Jahren getan! Da sie aber nichts
produzieren, sondern nur „vermitteln“, spähen sie gierig nach profitabler
Beschäftigung. Und sie suchen vor allem dort, wo nach Ihrer Erfahrung immer
leicht etwas zu holen ist: beim Staat.
Ihr Erfolg
ist überall sichtbar! Der öffentliche Dienst beschäftigt eine große Zahl
hochqualifizierter Beamter und Angestellter. Dennoch stößt man überall, wo
Entscheidungen von Bedeutung gefällt werden, auf die Beraterfirmen mit den
bekannten Namen.
Ihr Erfolg
beruht darauf, dass die öffentliche Verwaltung gezielt in Verruf gebracht
wurde. Viele Bürgerinnen und Bürger wurden überredet zu glauben, dass der Staat
nicht in der Lage sei, seine Aufgaben mit seinen Beschäftigten selbst zu
bewältigen.
Nun wollen
die Berater erkannt haben, dass die öffentliche Verwaltung nicht in der Lage
sei, Schulen, Universitäten, öffentliche Gebäude, Haftanstalten, Krankenhäuser
und Gerichte rentabel – wie sie sagen: „lebenszyklisch“(!) - zu planen, zu
bauen und zu betreiben. Das alles könnten Private besser und billiger machen –
verkünden sie. Und sie
empfehlen sich mit ihrem Wissen und sehr einflussreichen Klienten, die vor
allem haben, was dem Staat fehlt: Geld!
Nun haben
Private nichts weniger im Sinn, als etwas zu verschenken.
Im
Gegenteil: Sie wollen mit ihrem Kapital möglichst viel verdienen. Der freie
Markt ist risikobehaftet, deshalb suchen sie weltweit nach langfristig sicheren
Kapitalrenditen für ihre Geldgeber.
Das Mittel,
dem nackten Mann „Staat“ in die Tasche zu fassen, nennen die Berater listig „ÖPP“ oder (original englisch) „PPP“.
Beide
Bezeichnungen gaukeln vor, dass es eine „Partnerschaft“ von öffentlichen und
privaten Interessen gäbe. Privaten geht es aber immer nur um einen möglichst hohen Gewinn – und
um nichts anderes. Das hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom
11.01.2005 (EuGH C – 26/03) unemotional, schlicht und zutreffend klargestellt.
Nur Bundestagsabgeordnete behaupten, es nicht zu wissen!
2. Was
macht ÖPP reizvoll?
ÖPP oder PPP
ist – nach Eigendefinition der Berater – eine „Beschaffungsvariante“. Dem Staat
wird Geld angedient, das er teuer zurückzahlen muss.
Gegenstand
des Kreditgeschäfts ist immer die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, deren
profitabler Teil in verschleiernden, komplizierten Verträgen - mit bis zu
17.000 Seiten – für bis zu 30 Jahre privatisiert wird.
Geldmangel
hat der Staat bislang durch schlichte Kreditaufnahme bei Banken behoben. Und da
der Staat ein sicherer Schuldner ist, bekommt er Kredite immer zu günstigsten
Konditionen.
An einer solchen Kreditaufnahme verdienen
zwar die Banken – nicht besonders gut, aber sicher – und niemand sonst.
Insbesondere verdienen die „Berater“:
nichts.
Aber unter
direkter Kreditaufnahme leidet auch eine andere Klasse: Die Politiker.
Ihnen wird
vorgehalten, durch immer neue Schulden die Zukunft unserer Kinder zu
verspielen. Andererseits gibt es öffentliche Aufgaben, die keinen Verzug
dulden. Die Politik befindet sich in der Zwickmühle. Da Kreditaufnahmen sehr
leicht nachzuweisen sind – sie ergeben sich aus dem Haushalt – versuchen
Politiker, sie zu vermeiden.
Das wissen
auch die Beraterfirmen. Sie haben diese Zwickmühle des Staates in den von der
Industrie finanzierten „Think- Tanks“ selbst entwickelt und über die Medien die
Öffentlichkeit „überzeugt“.
Da viele Berater selbst in der Politik tätig waren
oder noch sind, wissen sie noch weiteres über Politiker: Die denken in sehr
engen Zeiträumen, sie denken vor allem an sich - und die meisten sind
unqualifiziert.
Wenn die
Folgen einer Entscheidung erst in 10 oder gar 20 Jahren über die Bürger
hereinbricht, interessieren diese Folgen die
aktiven Politiker meist überhaupt nicht. Dann sind sie schon nicht mehr in der
aktiven Politik, jedenfalls nicht mehr dort, wo sie diese Entscheidungen gefällt
haben – oder niemand erinnert sich an die unselige Rolle, die sie vor 20 Jahren
gespielt haben.
Die Erfahrung gibt ihnen leider Recht: Alle ÖPP-
Projekte und Großprivatisierungen in Berlin haben den Berlinerinnen und
Berlinern nur geschadet: Der Verkauf der Bewag an Southern Energy (USA), der
Verkauf der Gasag an Gaz de France, die Bankgesellschaft Berlin, das ÖPP-Modell
„Teilprivatisierung der Wasserbetriebe“ an die Konzerne Vivendi und RWE. Und
außer Landowsky und Diepgen(CDU) tummeln sich noch alle Verantwortlichen in
Politik oder Beraterbranche: Staffelt (SPD), Ernst (CDU), Kern,
Fugmann-Heesing, Böger, Dzembritzki, Strieder und Benneter(SPD). Die „Berater“
selbst blieben anonym, die Verträge geheim.
Der arm
gewordene Staat steht vor gewaltigen Aufgaben. Gierige Geldgeber wollen diese
zu seinen Lasten gegen die Interessen der Bürger an sich ziehen.
Eine Beraterkaste, im Durchschnitt 32 Jahre alt,
ohne Lebenserfahrung und ohne soziale Kompetenz, getrieben von einem
Elitebewusstsein, das sich aus Universitätsabschlüssen und hohen Gehältern
speist, dienen ihnen. Und diejenigen, die gewählt sind, den Staat und seine
Bürger vor Ausbeutung zu schützen, die Politiker, versagen an entscheidender
Stelle, weil Main-Stream und fehlgeleitete Öffentlichkeit sie zur kurzsichtigen
Entscheidung treiben.
Und natürlich gibt es Politiker, die selbst in der
Beraterbranche verdienen – korrumpiert (um nicht zu sagen: korrupt) sind.
Es fehlt an kritischer Öffentlichkeit, die
diejenigen unterstützen, die kritisch hinterfragen. Selbst da, wo das
ureigenste Interesse der Presse angesprochen ist, nämlich umfassend zu
informieren, stehen die Kritischen zumeist allein.
3.
Welchen Zielen dient ÖPP?
Die
Beraterfirmen stehen also vor der Aufgabe, ein System zu entwickeln, das _ riesige
Summen Geldes mobilisiert,
_ ihnen
möglichst umfassende Geschäftsbeteiligung eröffnet,
_ ihnen und
ihrer Klientel möglichst hohe Gewinne bringt
_ und
Politikern kurzfristige Erfolge garantiert
_ und das
„dicke Ende“ herauszögert, das kommen muss,
wenn so viel
Gewinn für so viele Interessenten herausspringen soll.
Und genau
diesen Erfordernissen wird ÖPP gerecht.
Um zu
verschleiern, dass diese Bedingungen nichts weiter sind als die teuerste
Variante einer Kreditaufnahme, schreien alle Befürworter von ÖPP auf, wenn dies
klar gestellt wird. Es handele sich nicht um Geldbeschaffung, behaupten sie.
Vielmehr ginge es um eine „Delegation der Erbringung bestimmter öffentlicher
Leistungen an den privaten Sektor, wo dieser eine kosteneffektivere Lösung
anbieten“ könne.
Das ist – um
es freundlich zu umschreiben - nur verschleiernde „Philosophie“. Das sieht –
mit uns – auch der Rechnungshof anders und erklärt ÖPP zum kreditähnlichen
Rechtsgeschäft, das im Haushalt als solches nachgewiesen werden muss.
Es geht – klar gesagt - um ein verdecktes
Kreditgeschäft.
Für
kurzsichtige Politiker ist das Schöne, dass die hohen und langfristigen
Schulden, die der Staat nun doch macht, im
Haushalt nur verschleiert auftauchen sollen, wie das schon bei der „kriminellen
Berliner Wohnungsbauförderung“ (Ex- Bausenator Riebschläger) der Fall war.
Und noch
schöner ist: Das Positive (z.B. die renovierte Schule) gibt´s gleich, das dicke
Ende kommt erst nach vielen Jahren!
4. Wie
funktioniert ÖPP?
Um zu
verstehen, wie trickreich geplant wird, müssen wir in das System einsteigen.
Es wird in
Schritten umgesetzt, die von den Beratern - und willigen Helfern in der Politik
- auch ganz offen dargestellt werden.
So sicher ist man sich der korrumpierenden Wirkung
des Systems auf die politischen „Entscheidungsträger“!
4.1
Die Botschaft verkünden
Zunächst
muss den Politikern eine „Botschaft“ vermittelt werden. Sie muss auf ein
wirkliches Bedürfnis gründen. Dieses Bedürfnis muss im Bewusstsein der
Öffentlichkeit - Betroffene und Interessierte – als drückendes Problem
eingeprägt werden.
Die „Lösung“
des Problems muss in einem „großen Projekt“ vorgestellt werden können, das
angeblich alle Not auf lange Zeit beendet.
Ein Beispiel: In Berlin
sind sehr viele Schulen sanierungsbedürftig.
Der Putz
rieselt von den Wänden, Dächer sind undicht, Schulräume sind mit PVC verseucht,
der Brandschutz ist nicht ausreichend. Aufgrund dieser zutreffenden Tatsachen,
behaupten die Beraterfirmen einen „Sanierungsstau“ an 840 Schulen, dessen
Behebung rund 1.600.000.000,- € erfordere.
Wie hoch der
Sanierungsbedarf an den Berliner Schulen wirklich ist, weiß niemand. Was an den
einzelnen Schulen notwendig, was wünschenswert, was ökologisch oder finanziell
sinnvoll ist, kann keine Beraterfirma sagen. Niemand hat die 840 Schulen im
Einzelnen untersucht. Das würde die „Botschaft“ der Berater auch zerfasern
lassen und ihr die Durchschlagskraft rauben.
Denn dazu
müsste für jede Schule ermittelt werden:
_ Welches
sind die unabweisbaren Bedürfnisse (z.B. defekte Dächer, Brandschutz, sanitäre
Anlagen, usw.)?
_ Welchen
Maßnahmen sind aufgrund der pädagogische Bedürfnisse der Schule sinnvoll und
notwendig?
_ Welche
Maßnahmen – so sinnvoll sie auch aktuell sein mögen verbieten sich aufgrund der
zeitlichen Perspektive der jeweiligen Schule? (Viele Schulen werden wegen
Schülermangels geschlossen oder umgewidmet und umgebaut werden müssen.)
_ Welche
Maßnahmen sind unter derartigen Perspektiven ökologisch oder finanziell
sinnvoll? (Kosteneinsparungen durch Wärmedämmung rechnet sich erst nach Jahren.
Auch gibt es hier einen enormen technologischen Fortschritt: vieles, was jetzt
noch unrentabel ist, wird angesichts steigender Öl- und Gaskosten und durch
Massenherstellung rentabel; und ob Computer an jedem Schülerarbeitsplatz
tatsächlich erhebliche bauliche Maßnahmen erfordern, dürfte angesichts der
Entwicklung von wireless-lan zu verneinen sein. Dass in 25 Jahren diese
Anschlüsse noch mit gleichmäßig hohen Raten und einem Facility-Management zu
deren Wartung bezahlt werden müssen, macht den Irrsinn dieser Planungen
deutlich.)
Dies alles
verbietet es, einen ÖPP-Vertrag, der die Sanierung von 840 Schulen auf einen
Schlag zum Gegenstand hat, abzuschließen!
Aber
natürlich schmückt sich ein Schulsenator gern damit, innerhalb von fünf Jahren alle Berliner Schulen auf einen Schlag zu
modernisieren, sodass alle Schülerinnen
und Schüler „in modernen, lichten Gebäuden lernen und studieren“ können.
Der
„Lebenszyklus“ eines Senators beträgt erfahrungsgemäß durchschnittlich 5 Jahre.
Der „Lebenszyklus des ÖPPVertrages“ beträgt 25 bis 30 Jahre. Wenn sich am Ende
des Vertrags die angebliche „Wirtschaftlichkeit“ als Trugschluss erweist, deckt
den Urheber bereits der grüne Rasen.
ÖPP
verspricht allen - den Politikern, den Eltern und Schülern - die Sanierung sofort!
Das macht
einen enormen Druck auf. Und der wird über die Berater und alle, die daran
verdienen, vermehrt. Dem angeblich profitierende Mittelstand und dem
Bauhandwerk wird der Mund wässrig gemacht. Schüler und Eltern, natürlich nur an
der aktuellen Situation und nicht an der in sieben Jahren interessiert,
verlangen nach Sofortmaßnahmen. Und da Politiker nicht weiter als sieben Jahre
denken, ist man sich einig: Es muss etwas geschehen! Und zwar ein großer
Befreiungsschlag!
Und damit
ist für die Beraterfirmen die erste wichtige Schlacht gewonnen!
4.2
Die Grundsatzentscheidung
Nun kommt
die schwierigste Phase für die Berater. Sie müssen die Wirtschaftlichkeit des
ÖPP-Modells auch den – wenigen - kritischen Entscheidungsträgern vorgaukeln.
Dazu gehört,
dass man – wie es die Berater
selbst öffentlich bekennen – „den Bock zum Gärtner macht“. Der
Bock, das sind die Finanzer in der öffentlichen Verwaltung. Die müssen gewonnen
werden. Ihre Sicht ist auf die finanziellen Aspekte gerichtet. Und sie
betrachten – zum Beispiel Schulrenovierungen – ohne Blick auf die pädagogische
Bedürfnisse. Ihnen kann die Renovierung aller Schulen unter fiskalischen
Aspekten auch dann attraktiv erscheinen, wenn sie in Wahrheit an den
tatsächlichen Bedürfnissen der Schulen weit vorbeigeht.
Aber auch
unter rein fiskalischen Aspekten ist z. B. die Instandsetzung von Schulen im
Rahmen eine ÖPP-Projekts keineswegs einleuchtend.
In dieser
“Implementierungsphase“, sei es „notwendig“ so die Berater, dass ÖPP eine
starke Unterstützung durch die politische Führung erfährt. Dadurch werden
kritische Beamte und Angestellte isoliert, die diese „ungewöhnlichen Wege der
Beschaffung“ rechtzeitig und breit kritisieren könnten.
Die Berater
behaupten frech, dass das Projekt den Staat 20 % weniger kostet als die
konventionelle Beschaffung und Bewirtschaftung. Dies ist eine erstaunliche
Feststellung, wenn man bedenkt, dass die Privaten, die diese Sanierungen
übernehmen, ihre Kredite erheblich teurer aufnehmen müssen, die Banken also
mehr verdienen.
An ÖPP profitieren
aber nicht nur die Banken. Viele andere wollen an die „Staatsknete“:
_ Der
Generalunternehmer,
_ die
Beraterfirmen,
_ die
zahlreichen Rechtsanwälte,
_ die vielen
Steuerberater,
_ die
Wirtschaftsprüfer,
_ die
Architekten,
_ die
Versicherungen,
_ die
Vergabeverfahrenexperten für gemischtwirtschaftliche Gesellschaften
_ und die
Immobilienberater
bringen in
einer multidisziplinären Zusammenarbeit ihr Knowhow ein – und lassen sich „die
Transaktionskosten“gut bezahlen.
Erforderlich
ist dies, weil die rechtliche Konstruktion eines ÖPP-Vorhaben kompliziert ist.
Das kann man sich leicht vorstellen, wenn man die vertragliche Erfassung der
Renovierung von 840 Berliner Schulen betrachtet. Jede Leistung muss erfasst,
jedes Risiko „eingepreist“ werden. Die Berechtigung individueller Forderungen
der Schulen muss erfasst, geprüft und berechnet werden. Mehr dazu unten.
Wo sollen
diese zusätzlichen enormen Kosten eingespart werden?
Wodurch
werden dann noch darüber hinaus die
versprochenen zusätzlichen weiteren 20 %
Kostenersparnis herkommen?
_ Bei den
kleinen Handwerkern und deren Mitarbeitern, die durch private Firmen als
Subunternehmer besser erpresst werden können als durch staatliche Bauämter.
_ Durch
effizientere Bewirtschaftung sollen ebenfalls Kosten „eingespart“ werden. Dass
allerdings das private „Faciliy- Management“ effizienter ist als ein
staatliches, hat die Berliner SPD-Fraktion durch eine Arbeitsgruppe untersucht
und als Fehlurteil entlarvt und daher abgelehnt.
Weitere
konkrete Aussagen, warum ÖPP-Projekte ungeachtet der sehr viel höheren Kosten
für Kredit und Projektbeteiligte „am Schluss des Lebenszyklus des Projekts“ 10
bis 20 % billiger sein sollen, bleibt das Geheimnis der Berater.
Das haben
auch die Berater erkannt und verwenden auf diese Phase sehr viel List. Um die
Grundsatzentscheidung für das ÖPP-Projekt zu bekommen, wird die Kommune
zunächst unter Zugzwang gesetzt. Man schafft bei den politischen
Entscheidungsträgern und der Aufsichtsbehörde (in Berlin den Mitgliedern des
Unterausschusses „Beteiligungsmanagement und Controlling“, also den „wichtigen“
Parlamentariern und den Spitzen der Regierung) sogenanntes Herrschaftswissen.
Die Verwaltung selbst wird unter Druck gesetzt und soll die Rahmendaten in
kurzen Fristen bereitstellen:
_ Eckpunkte
der (sich an den Bedürfnissen ändernden) Schulentwicklungsplanung,
_
Voraussichtliche Entwicklung der Schülerzahlen ( die maximal auf sechs Jahre
absehbar ist und regionale Veränderungen durch die Entwicklung der Quartiere
nicht vorhersehen kann)
_ baulicher
Handlungsbedarf
_ die Höhe
der Bewirtschaftungskosten
_
„Instandhaltungsstau“ (ein Bekenntnis zur bisherigen Vernachlässigung
öffentlicher Aufgaben)
_
„Vermögensbilanz“ (Hier werden die Eckdaten – Alter der Schule, damalige
Baukosten, Höhe der Abschreibung und Wertverzehr der Immobilie – aufgeliefert.)
Daraus
„erarbeiten“ die Berater „die grundsätzlichen Projektziele und die wesentlichen
Informationen und Daten zum Handlungsrahmen, um diesen der Kommune (gemeint
sind die oben genannten Kreise) aufzubereiten, denn- so die Berater:“ in diesem
Stadium sind kritische Fragen zu erwarten!“ Mit den oben genannten Daten wird
dann ein über 25 bis 30 Jahre währender „Lebenszyklus“
über die einbezogenen Gebäude konstruiert. Dieser virtuelle gesamte Lebenszyklus
soll dann – auf der Grundlage einer Berechnung mit der Barwertmethode -
angeblich 10-20% billiger sein.
In 30 Jahren
kann das dann verifiziert werden. Die Politiker, die das Projekt abgenickt
haben, dürften dann überwiegend das Zeitliche gesegnet haben oder ihren
„verdienten Ruhestand genießen.“ Die
grundsätzliche Kritik an diesen Modellen muss von der Erkenntnis ausgehen, dass
hier nichts anderes als Planwirtschaft betrieben wird.
Diesmal
plant allerdings nicht der Staat, diesmal plant die Privatwirtschaft.
Der Staat
ist bereits mit Fünf-Jahres-Plänen gescheitert.
Auf der
Grundlage gleicher Datenerhebungen maßt sich jetzt die private Wirtschaft an,
Dreißig-Jahres-Pläne zu erstellen. Was die Interessen der Privatwirtschaft
selbst betrifft, steht diese freilich auf der sicheren Seite. Sie hat für 30
Jahre sichere Einkünfte und Gewinne.
Und wer sind die Gewinner?
Die Gewinner
sind zunächst die Berater, die sich innerhalb weniger Jahre aus dem Staub
machen werden. Gewinner sind dann noch die Großunternehmer wie Hochtief oder
SKE, ein französisches Unternehmen. Dieses „Unternehmen“ war es übrigens, das
(ohne die oben erwähnte Datenerhebung) schon jetzt weiß, dass Berlin für die
Renovierung seiner Schule 1,6 Milliarden € bereitstellen muss.
Verlierer
dieser Planwirtschaft kann nur der Staat sein, der über eine Zeit von 30 Jahren
an Leistungen gebunden ist, die er zum größten Teil mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht mehr gebrauchen kann.
Vor dreißig
Jahren hat Berlin in einem ähnlichen Gewaltakt die Mittelstufenzentren gebaut –
und niemand würde dies wiederholen.
Nun soll
dieser Fehler wiederholt werden, nur, dass man dieses Mal nicht „bar bezahlt“,
sondern über 25 Jahre die Fehler einer Gewaltaktion - finanziell gefesselt -
auslöffeln muss.
Die Berater drücken dies charmant so aus: Der
Staat verliert seine Freiheit, seine Gebäude vernachlässigen zu können.
Was man
nicht sagt: der Verlust dieser „Freiheit“ bedeutet, dass er für andere Aufgaben
kein Geld mehr hat und diese vernachlässigen muss. Dabei handelte es sich dann
allerdings nicht mehr um Gebäude, sondern um Menschen.
Aber: Um die geht es den Beratern aber nun
wirklich nicht!
Am Ende
dieser Phase steht ein Grundsatzbeschluss.
Er lautet,
dass „Untersuchung und Verfolgung von Alternativen“ eingeleitet werden.
„Weitere Daten sind zu beschaffen und die bereits verhandelnde zum Beispiel
durch Heranziehung von Vergleichsdaten und Standards“ zu überprüfen, „um die
angestrebte Entscheidung besser fundieren zu können“.
Diese Phase
wird dann für die Kommune bereits teuer.
Der Grundsatzbeschluss ist ein Kuckucksei. Er
gaukelt vor, dass Alternativen geprüft werden und man sich noch nicht
festgelegt habe. Damit macht man die Politiker glauben, sie hätten noch
Entscheidungsfreiheiten.
In Wahrheit
ist dies nicht der Fall: Was jetzt folgt ist ein hochkomplizierter Vorgang. Es
hat noch kein ÖPP-Projekt gegeben, in dem der Staat die Handlungsherrschaft
auch nur über die Vertragsgestaltung behalten hätte: Weder bei der LKW-Maut
(Toll-Collect), dem Warnow-Tunnel und nicht einmal bei dem vergleichsweise
überschaubaren Wasserbetrieb Berlin, dem zwar größten ÖPP-Projekt Europas, das
aber nur die Beteiligung Privater an einem unveränderten Betrieb zum Gegenstand
hatte.
4.3
Die Vorbereitungs- und Ausschreibungsphase
Von nun an
wird ein Heer von Beratern tätig – und zwar mit Honorar. Die Berater müssen
schon in dieser Phase von der Kommune beauftragt werden. Das durchschnittliche
Entgelt für diese Leistungen liegt bei 300.- € die Stunde.
Die Berater
führen zunächst Daten zusammen. Diese Daten sind – wenn wir bei unserem
Beispiel „Berliner Schulen“ bleiben - nicht ohne gewaltigen Aufwand der
Betroffenen – Lehrer, Schüler, Schulverwaltung – zu ermitteln. Gesichtet und
geordnet werden diese Daten von den Beratern, die sie freilich nach klaren,
interessengeleiteten Kriterien aufstellen: Es werden „Überlegungen zur
Risikoanalyse und –verteilung angestellt, die später für die Ausschreibung noch
vertieft werden müssen“. Denn so die Befürworter: „die Risikoverteilung
beeinflusst in hohem Maße die Beurteilung, ob eine ÖPP für den privaten Sektor
interessant ist und wie die ÖPP durch den privaten Sektor bepreist wird.“
Damit ist
beschrieben, worum es geht:
_ Die
Privaten wollen – natürlich – nur die profitablen Teile der Wahrnehmung einer
öffentlichen Aufgabe übernehmen. Das kann man ihnen nicht verübeln, denn sie
beteiligen sich ja nicht aus Gemeinsinn, sondern wegen eines möglichst hohen
Profits an der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe.
_ Die
Privaten wollen keine Risiken übernehmen. Wenn sie es doch tun, muss das hoch
bezahlt werden: „Die Risikoübertragung von der öffentlichen Hand auf die
Privaten ist Gegenstand des Vertragsabschlusses und wird monetär bewertet und
findet in dem zu zahlenden Entgeld ihren Niederschlag.“
Der Staat
kann einen Teil der Zuschläge vermeiden, wenn der Staat „Kreditbürgschaften
stellt oder bezüglich Forderungen der Bank auf das Recht der Einrede
verzichtet.“
Damit
gibt die Kommune aber auch ihre Rechte ab!
_ Aus den
Daten soll dann ein „Wirtschaftlichkeitsvergleich“ erstellt werden, der über 30
Jahren läuft. Das ist auch erforder lich, denn
zunächst kann ein privater eine Aufgabe gar nicht billiger gestalten als der
Staat. Der „Lebenszyklus des Gebäudes“ ist der Maßstab – der sich dann aber
jeder empirischen Nachprüfung entzieht. An Ende steht dann die Entscheidung,
„dass bei Erreichung des funktional beschriebenen Soll-Zustandes und der in den
Vertragsentwürfen vertraglich festgelegten Risikoverteilung der finanzielle
Maßstab aus dem Wirtschaftlichkeitsvergleich ausschlaggebend sein soll.“
_ „Auf
dieser Grundlage berät der Rat der Stadt erneut, ob der Stand der
Vorbereitungen und das erwartete Ergebnis insbesondere im Blick auf die
Haushaltsbelastung den Start eines Vergabeverfahrens rechtfertigen. Nach teils
auch kontroverser Diskussion beschließt der Rat die Durchführung eines
formellen Vergabeverfahrens für die Sanierung und den Betrieb der 10 Schulen.“
So die Berater! In Berlin wären es dann über 800 Schulen.
Mit diesem
Beschluss ist dann alles gelaufen.
Es ist fast unmöglich, dass ein solcher Beschluss
gegen die Einführung eines ÖPP-Modells gefasst wird. Die Berater haben bereits
zweistellige Millionenbeträge für ihre Vorarbeiten erhalten. Ein Politiker, der
jetzt noch Nein sagt, würde als unverantwortlich niedergemacht – insbesondere,
wenn er sich gegen den „Expertenrat“ stellt, der vorgibt objektiv zu sein.
Das ändert
nichts daran, dass niemand ernsthaft behaupten kann, er kenne die pädagogischen
Bedürfnisse der Schule in 20 Jahren und wisse, welche baulichen Voraussetzungen
zur Erfüllung dieser Erfordernisse nötig sind. Wer jetzt beschließt, dass man
dann immer noch an Verträge gebunden sein soll, die die finanziellen Spielräume
der Kommune extrem einengen, handelt unverantwortlich.
Auch die Beteiligung noch so vieler Experten -
Lehrer, Schulleiter, Schulräte, Pädagogikprofessoren, Schulpolitiker - kann an
dieser Tatsache nichts ändern.
Kein Mensch kann so konkret auch nur 10 Jahre
vorausdenken – insbesondere nicht angesichts einer rasanten technischen
Entwicklung. Planwirtschaft ist immer schlecht - eine Planwirtschaft, die nur
die langfristigen finanziellen Interessen des Kapitals befriedigen soll aber
besonders.
4.4
Die Vertragsphase
In allen
Verträgen, die bislang in ÖPP-Modellen aufgelegt wurden, war der Staat der
Dumme.
Das liegt
nicht daran, dass der Staat schlechte Mitarbeiter hätte. Vielmehr ist es gar
nicht möglich, einen Privaten wirklich „über den Tisch zu ziehen“. Der hat
nämlich nur eine einzige Vorgabe, auf die er achten muss: Seinen Vorteil.
Und selbst
dann, wenn es gelänge, die Risiken zu Ungunsten des Privaten zu verteilen, ist
dem Staat nicht geholfen: Dann macht der Private nämlich eine Pleite. Und die
kann bekanntlich – für ihn – „sehr gesund sein“.
Und das
trifft nicht nur auf Klein- und Mittelbetriebe zu. Wir erinnern uns an
Holzmann. Dagegen hilft nicht einmal der Einsatz eines Bundeskanzlers.
Wie
kompliziert die Verträge – es sind mindestens fünf- sind, zeigt die „typische
ÖPP- Projektstruktur – Alles aus einer Hand.“
Wir zitieren das Beraterpapier der
SPD-Bundestagsfraktion
(Quelle: International Financial Services London)
1. „Der
Konzessionsvertrag: Er regelt die Lieferung von Dienstleistungen durch die
Projektgesellschaft und enthält in der Regel Vereinbarungen zur Qualität der zu
erbringenden Dienstleistungen und den Zahlungsmodalitäten.
2. Der
Bauvertrag: In der Regel ist er eine Festpreisvereinbarung für ein
schlüsselfertiges Projekt, das vor Ablauf einer bestimmten Frist betriebsbereit
fertig gestellt sein muss. Die Projektgesellschaft übernimmt alle Baurisiken.
3. Der
Vertrag für die Gebäudebewirtschaftung: Dieser Vertrag enthält die Betriebs -
und Instandhaltungsleistungen, die häufig an ein Tochterunternehmen der
Gesellschafter der Projektgesellschaft vergeben werden. Dabei übernimmt der
private Partner den Großteil der Risiken aus der Bereitstellung der
Dienstleistungen.
4. Aktionärs
-, Kredit - und Finanzierungsverträge: Sie beziehen sich auf die Finanzierung,
die durch Eigenkapital und Kredite aufgebracht wird. Die Deckung der
versicherbaren Risiken erfolgt durch den Versicherungsmarkt.
5. Der
Direktvertrag: Er reguliert die Beziehungen zwischen der öffentlichen Hand und
den Kreditgebern, da der Kreditvertrag aus dem Kapitalflüssen, die durch die
Erbringung der Dienstleistungen erwirtschaftet werden, finanziert wird.“
Fehlt nur noch die Renditegarantie! Auch an die
hat der Bundestagsabgeordnete Dr. Michael Bürsch, „Leiter der
Projektarbeitsgruppe ÖPP der SPD-Bundestagsfraktion“ und selbst Berater
gedacht:
„ Nach dem
derzeit geltenden § 3 Absatz 4 FStrPrivFinG gilt als angemessene
kalkulatorische Verzinsung des vom Privaten eingesetzten Eigenkapitals die
durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem
Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen Kalkulationsperiode vorausgehen,
zuzüglich eines dem jeweiligen unternehmerischen Risiko angemessenen
Risikozuschlages. Der Risikozuschlag darf nicht zu einer unverhältnismäßigen
Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals führen. Es ist klarzustellen, dass
für die angemessene Verzinsung des Eigenkapitals einschließlich eines
angemessenen Risikozuschlag eine Betrachtung über den gesamten
Konzessionszeitraum möglich sein soll, um Unsicherheiten für privaten Betreiber zu
vermeiden. Dies entspricht auch der bereits heute ausgeübten Praxis.“
Das ist
wahr. Wir kennen diese „Formel“ aus dem ÖPP-Vertrag für Teilprivatisierung der
Berliner Wasserbetriebe. Das Berliner Verfassungsgericht erklärte diese Renditegarantie
1999 für verfassungswidrig, dennoch wurde sie im geheimen Vertrag zugesichert.
Die
zwischenzeitlich 30 prozentige Erhöhung der Wasserpreise in Berlin, geht allein auf diese Gewinnbeteilung der
Privaten zurück, da die sogenannte „Effizienzsteigerung“ (Personalabbau,
Halbierung der Instandhaltungsleistungen) nicht ausreicht, die garantierte
Rendite zu bezahlen.
5.
Resümee
Die
Bundestagsfraktion der SPD hat am 1.Juli 2005 das „ÖPPBeschleunigungsgesetz“
ohne parlamentarische Beratung durch den Bundestag gepeitscht. Daran hat der
Wahlkampf nicht gehindert. Der Bundesrat hat am 8.Juli 2005 zugestimmt.
Im Rahmen
dieses Gesetzes hat man nun sogar offene Immobilienfonds und anderen
„Heuschrecken“ den Markt für dieses 20-Milliarden-Euro-Geschäft geöffnet.
Wer verhindern will, dass dieses Modell angewendet
wird, muss daher vor Ort - in den Ländern, Städten und Gemeinde - dafür sorgen,
dass dieses Modell abgelehnt wird. Das wird schwer genug und erfordert
die Aufmerksamkeit aller Kommunalpolitiker und Bürger.
Und allen muss klar sein: Ein ÖPP-Projekt ist nur in
der Anfangsphase zu stoppen. Wer sich auf einen
Grundsatzbeschluss einlässt, ist verloren. Dann wird die Beraterkaste gnadenlos
zuschlagen!
Den
Schwerpunkt ihres Geschäfts (80%) sehen die Berater in den Kommunen. Dort
glauben sie genügend Opfer zu finden, die sich durch ihre Titel, ihre
angebliche Sachkunde, durch ihr Auftreten und durch ihre Klientel, die großen
Firmen, beeindrucken lassen.
Berlin hat
seine Fehler schon früh gemacht. Sie fortzusetzen, hieße, die Dummheit auf die
Spitze zu treiben. Ein alter lateinische Spruch sollte, dass der Dumme nur
durch Erfahrung gelernt.
Wie dumm
muss sein, wen nicht einmal die Erfahrung lehrt.
Berlin, den
31.10.2005
Gerlinde
Schermer - Hans-Georg Lorenz
2
Gerlinde
Schermer
http://www.splitter-und-balken.de/autoren.php?topic=55
Verdienen an leeren Kassen oder:
öpp und die (Berater-) Frösche
Die
Berliner SPD kann stolz sein: Franz Müntefering und die Bundestagsfraktion
haben sich bei Anette Fugmann-Heesing bedankt - schriftlich. Die hatte
"dienstlich" als Vertreterin der Berliner Beratungsdienste Stobbe,
Sachs, Nymoen GbR der Bundestagsfraktion geholfen, die Voraussetzungen für ein
neues Finanzierungsmodell zu erarbeiten. Es soll den notleidenden Kommunen
helfen, ihre verfallenden Bildungseinrichtungen zu erneuern und zu pflegen.
Das Modell firmiert unter dem Begriff
ppp oder öpp.
Was ist öpp? Der Begriff der "öffentlich-privaten Partnerschaft" -
englisch: Public Privat Partnership (ppp) - meint die verschiedenen Formen
privater Kapitalbeteiligung an der Finanzierung und Verwaltung von
Infrastrukturen und Leistungen des öffentlichen Sektors.
Und wie dies in der Wirklichkeit aussieht, erfahren wir aus einem Modell, das -
mit Dietrich Stobbes Ratschlag - in Offenbach (Hessen) umgesetzt wurde. Der
dortige Landrat Peter Walter erklärt stolz, dass ab 1.1.05 alle 90 Schulen im
Kreis Offenbach von zwei privaten Unternehmen bewirtschaftet und saniert
werden. Im Gegenzug hat sich die Gemeinde vertraglich verpflichtet, im Laufe
von 15 Jahren 780 Millionen Euro an die Privatfirmen Hochtief AG (49 Schulen
für 410 Millionen Euro) und die facility management Firma SKE (41 Schulen für
370 Mill. Euro) zu zahlen. Dafür verspricht Hochtief der Gemeinde alle Schulen
innerhalb von 5 Jahren zu sanieren.
Nun könnte man meinen, dass es sich um nichts anderes handelt, als um eine
besonders teuere Vorfinanzierung:
Denn natürlich strecken die Bau- und Facility -Firmen das Geld, das sie für das
Bauen, Renovieren und Verwalten der Gebäude brauchen, nicht selbst vor. Das
Geld kommt vielmehr aus dem "Kapitalmarkt". Und da Geld nicht
verschenkt wird, entstehen hohe Kosten!
Hochtiefgeschäftsführer Bernward Kulle: " Für die Sanierung der 49 Schulen
nehmen wir eigenes Geld und das der uns finanzierenden Banken in die Hand, ca.
100 - 130 Millionen Euro in den ersten Jahren."
Man darf ruhig nachrechnen. 100 - 130 Millionen Euro "nehmen die Firmen in
den ersten teuren Jahren der Renovierung "in die Hand". 410 Millionen
Euro bekommen sie in 15 Jahren. Da wird man neugierig! Jedenfalls wundert nicht
mehr, dass Banker und Wirtschaftswissenschaftler "öpp" als den
Wachstumsmarkt der Zukunft für Banken und Versicherungen bezeichnen. Sie
erwirtschaften sich ihre Gewinne durch weitere unnötig hohe Verschuldung des
Staates, also der Allgemeinheit. Und da sich der Vorgang sehr kompliziert
gestaltet, braucht man auch viele Berater: Anwälte, Steuerberater,
Betriebswirte vereint in der Boom-Branche der Consulting-Firmen, wie
Bilfinger-Berger und Freshfields-Bruckhaus-Deringer oder BBD.
Fazit:
Es gibt also auf der Banker-Seite und auf der Beraterseite und auf der Seite
der großen Baukonzerne ein gemeinsames Interesse: Geld vom Staat!
Offenbach konkret:
Auf 30 Millionen Euro beziffert Landrat Peter Walter die Beratungskosten. Das
geheime Vertragswerk hat mehrere Tausend Seiten.
Hauptgeschäftsführer Herr Kulle von Hochtief über den Verhandlungspartner:
"Sie müssen wissen, Herr Walter hat ja in seiner Karriere vorher die Kripo
in Frankfurt geleitet, einschließlich des Glücksspielreferates und er war ein
gewiefter und professioneller Verhandlungsführer."
Uns macht dieses Lob von Herrn Kulle misstrauisch.
Noch einmal: 30 Millionen Euro haben allein die Berater in Offenbach kassiert!
Wichtig für diese Beraterfirmen sind Politiker, die für sie den sachunkundigen
und juristisch nicht vorgebildeten Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen
erklären, wie günstig der 40 Aktenordner umfassende, geheime Vertrag, den auch
sie nicht kennen, gerade für ihre Gemeinde ist.
Diese Aufgabe haben in Hessen Dietrich Stobbe und Anette Fugmann-Heesing
übernommen - Hessen ist die politische Heimat von Anette Fugmann-Heesing.
Aber auch Berlin ist bereits in ihrem Visier:
Im "Leitantrag" des Landesvorstandes zum "arbeitsmarktpolitischen
Landesparteitag der Berliner SPD" am 04.12.2004 wurde der folgenden Satz
untergebracht: "Hier sind auch neue Modelle zu entwickeln und zu erproben,
die einen Ausgleich zwischen Investitionsnotwendigkeiten und Investitionsmöglichkeiten
des Landes Berlins schaffen, wie beispielsweise bei der Schulsanierung,
Parkpflege oder anderer vergleichbarer Bereiche."
Außer dem Donnerstagskreis fiel das in seiner scheinbaren Harmlosigkeit
niemandem auf. Wir wissen allerdings aus Offenbach, dass durch solche
"harmlosen Beschlüsse" die Weichen gestellt werden. Am Ende beruft
man sich dann auf "einmütige Parteitagsbeschlüsse".
Schwer hatte es das Duo Stobbe/Fugmann-Heesing nicht, das öpp-Modell zur
Sanierung hessischer Schulen zu erarbeiten. Denn beide hatten in Berlin ein
sehr ähnliches Modell kennen - und offenbar lieben - gelernt:
Das Berliner Modell der Wohnungsbauförderung.
Berlin (West) befand sich in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in
einer schwierigen Situation. Die Stadt litt unter Wohnungsnot. Mit den
klassischen Modellen der Förderung war - wie heute - angesichts knapper Kassen
die erforderliche Zahl von Wohnungen nicht zu bauen, ohne in sehr ernste
Probleme mit dem Landeshaushalt zu kommen. Da kam "man" auf die Idee:
"Jetzt bauen und später bezahlen."
Zusatzeffekt für die Berliner Politik: Die wahren Investitionssummen wurden im
jährlichen Haushalt nicht ausgewiesen, galten also auch nicht als Verschuldung!
Und so geschah es. Die Privaten bauten. Bald zu Wahnsinnspreisen! Die
Finanzierung holten sie sich auf dem Kapitalmarkt - damals noch über normale
Bankkredite. Und das Land Berlin übernahm die volle Finanzierung für 15 Jahre -
und dann später für weitere 15 Jahre im Rahmen einer
"Anschlussförderung". Im jeweiligen Landeshaushalt stehen
"nur" die Jahresraten zur Tilgung der eingegangenen Verpflichtungen.
Der Donnerstagskreis hat dieses Modell am 23.12.2002 wie folgt gewürdigt:
"Mehr als jede andere politische Maßnahme ruiniert die Förderung des
Berliner Wohnungsbaus den Berliner Haushalt. Selbst die Zahlungen zu Gunsten
der Bankgesellschaft Berlin in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich nehmen sich
gegen die fortlaufenden "Schuldendiensthilfen" als Folge der
Förderung des Berliner Wohnungsbaus in Höhe von rund 1.271 Millionen Euro (2,5
Milliarden DM) pro Jahr fast mager aus."
Andere haben noch härtere Worte gefunden: Das System habe er - so Klaus
Riebschläger in der Berliner Zeitung vom 30.Juli 2003 - schon vor zwanzig
Jahren als "kriminell" bezeichnet. Und der damalige Vorsitzende der
ÖTV, Dr. Kurt Lange, sprach in einem Artikel vom März 1986 von "legaler
Wirtschaftskriminalität".
Die furchtbaren Folgen trägt Berlin noch heute und ist für viele weitere Jahre
an die milliardenschweren Verpflichtungsermächtigungen gebunden, die Politiker
vor 15 Jahren gaben. Diese Milliarden würde das Land weitere Jahrzehnte tragen,
wenn der Donnerstagskreis hierin unterstützt von Senator Sarrazin nicht in
einem Kraftakt - gegen den erbitterten Widerstand des (damaligen) Bausenators
und SPD - Landesvorsitzenden, Peter Strieder - die SPD-Fraktion hätte davon
überzeugen können, wie verbrecherisch die Fortsetzung dieses Systems gewesen
wäre. Die Klagen der "Partner" von damals, auf Fortsetzung der
Zahlungen des Landes mussten vor Gericht abgewehrt werden.
Alle Parteien von PDS bis FDP begrüßten schließlich im Parlament den Stopp
dieses "Vorfinanzierungsmodells". Ob sie sich daran auch heute noch
erinnern?!
Das Schema der "Berliner Wohnungsbauförderung" und das der
"öpp"-Modelle ist gleich, die Ausgangssituation fast identisch:
·
Die Finanznot der Kommunen,
·
die Forderungen der Bürger nach Behebung eines unbestreitbaren und akuten
Mangels,
·
das Dilemma der Bauindustrie - damals in der eingemauerten Stadt, heute
angesichts der investitionshemmenden sogenannten "Sparpolitik" in
ganz Deutschland,
·
das Beziehungsgeflecht von Politik und "Wirtschaft".
Auch die handelnden "Personen" gleichen einander:
·
Kurzsichtige Politiker, die zur Sicherung der Wiederwahl die Zukunft verkaufen,
·
die Bauindustrie und ihre Interessenvertreter,
·
die finanzierenden und am Geschäft verdienenden Banken,
·
die enge Zusammenarbeit von Politik und Geld, um durch Beziehungen an die
Geldtöpfe zu kommen,
·
die Risikoverteilung zu Lasten der Kommunen,
· die Verschleierung der Verschuldung im
aktuellen Haushalt der Kommunen - nun auch wegen der Maastricht-Kriterien. Die
Finanzierung, die über die Jahre ausschließlich die Kommune zu tragen hat, wird
nämlich nicht der öffentlichen Hand zugeschrieben, sondern der privaten
Projektgesellschaft! Ein Buchungstrick mit dem Ziel der Verschleierung!
Geändert haben sich einige Rahmenbedingungen, die freilich das Grundschema
nicht berühren: Die Botschaften des ideologischen Überbaus - langfristig von
der Bertelsmannstiftung, der Körberstiftung, der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung
und anderen Stiftungen der Deutschen Industrie erarbeitet und mit viel Geld
immer wieder "verkauft" - sind kritiklos verbreitetes
"Allgemeingut" der politischen Eliten geworden, obgleich sie
ersichtlich falsch sind:
·
Private machen alles besser und billiger.
·
Steuern senken schafft Arbeitsplätze.
·
Das Verfälschen und Verwässern klarer - und teilweise grundgesetzlich
geschützter - Werte und Begriffe: Aus Gleichheit wird "Chancengleichheit"
(die jede Lotterie erfüllt), aus dem grundgesetzlichen Sozialstaatsgebot wird
der "Gewährleistungsstaat", aus dem "Recht auf Bildung"
wird das (käufliche) "Produkt Bildung", dessen Wert an der
Verwertbarkeit der Menschen gemessen wird.
So verwirtschaftet sich Politik.
Auch die Dimension ist neu: Es geht um Geschäfte in ganz Deutschland. Die
Beteiligten sind mächtiger als sie es in der eingemauerten Stadt waren. Es sind
nur große Firmen, die auf diese Aufträge spekulieren, es sind Banken und
Versicherer, die einsteigen wollen. Und natürlich stehen die Beraterindustrie
und die "think-tanks" der Privatindustrie hinter solchen Kampagnen.
Für Neoliberale geht es um den Kern ihrer Botschaft, viel Geld!
Aber die Not ist real - und damit das "Erpressungspotential"
gegenüber den Kommunen.
·
Ein tatsächliches und begründetes Bedürfnis nach Verbesserung der Situation in
den Schulen, den Jugendeinrichtungen, der sozialen Infrastruktur- gemäß dem
Verfassungsauftrag ist so offenbar, dass man sich für Deutschland schämen muss,
·
eine Bauindustrie, in der nunmehr seit Jahren mangels selbsttragenden Wachstums
und als Folge der rigorosen Sparpolitik der Kommunen, die Aufträge fehlen, so
dass große Firmen wie Holzmann oder Walter Bau, trotz Lohndumping Pleite gehen,
·
über 5 Millionen Arbeitslose, darunter viele Bauarbeiter,
·
die Verlockungen der "Haushaltsgestaltung" für die Finanzpolitiker
angesichts eingeschränkter Möglichkeiten,
·
die vielen gewerbsmäßigen "Berater", darunter viele Politiker, die
ihren ehemaligen - manchmal auch aktuellen - Kollegen mit ihren Geschäften in
den Ohren liegen.
Daneben gibt es Sorgen durch die geplante Novellierung des Deutschen
Vergaberechts nach den Richtlinien der EU: Alle Liefer- und
Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge ab 5,9 Millionen Euro sollen europaweit
ausgeschrieben werden. Dies greift massiv in die Möglichkeiten der Kommunen
ein, selbstbestimmt die Leistungen der Daseinsvorsorge an kommunale oder
regionale Unternehmen zu übertragen.
Der Investitionsbedarf allein bei den Schulen wird bis 2009 in Deutschland auf
79,3 Mrd. Euro beziffert. Das ist ein Riesengeschäft.
Könnten die Kommunen diese Aufträge an die regionalen Handwerksbetriebe
vergeben, würden tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen und den Gemeinden
geholfen. Das wäre auch eine echte Förderung des Mittelstands, von der die
Parteien sonst immer nur reden.
Eine Aufgabe für den Bundeskanzler: Seine Initiative gemeinsam mit anderen
Nationen, die Maastricht - Kriterien neu zu gewichten, zielt auf einen
richtigen Weg.
Fazit: Es gibt einen akuten Bedarf, der auch befriedigt werden muss, will
Deutschland in der Bildungspolitik nicht den Kontakt zur Weltspitze verlieren,
den es auch für seine Wirtschaft braucht.
Wäre da nicht öpp doch ein vertretbarer Weg, um die Aufgaben zu erfüllen und zu
finanzieren?
Um die günstigste Finanzierung dieser Investitionen geht es den Befürwortern
für ÖPP, wie sie selbst erklären, gar nicht - kann es auch nicht gehen. Denn
der Zins, den eine Kommune für Kredite zahlt, wird immer günstiger sein als der
Zins für ein privates Unternehmen - schon wegen der erhöhten Bonitäts- und
Projektrisiken der Privaten.
Da offensichtlich ist, dass jedes öpp-Modell erschreckend viel teurer ist als
die Kreditaufnahme, bemühen sich seine Befürworter neben der Ideologie von der
Überlegenheit des privaten Wirtschaftens auf die Kosten zu drücken:
Damit die Konditionen der Banken für die Kredite privater Konzerne wie HochTief
billiger werden, wird von den ÖPP -Befürworten in der SPD verlangt:
1. Die Kommune soll Kreditbürgschaften stellen!
2. Die Kommune soll bezüglich der Forderungen der Bank auf das Recht der
Einrede verzichten!
3. Die KFW soll öffentliche Fördermittel für Private geben.
"Alles wurde beim Pilotprojekt in Offenbach genutzt", beteuert Dr.
Michael Bürsch MdB und Vorsitzender der Projektarbeitsgruppe ÖPP der SPD
Bundestagsfraktion.
Dieses Modell kennen wir. Es heißt Bankenskandal!
Das Land muss alles bezahlen und übernimmt alle Risiken, hat aber keinen
Einfluss auf das Geschäft und seine Erledigung.
Etwas anderes bedeutet der Verzicht auf Einreden nämlich nicht. So schlecht die
Renovierung auch sein mag, so jämmerlich das Facility-Management auch arbeiten
mag, die Kommune zahlt, zahlt selbst dann, wenn sie die Einrichtung gar nicht
mehr benötigt.
Wochenlang wurde in Offenbach um die "Risikoverteilung" gefeilscht.
Nicht umsonst hat der Vertrag in Offenbach mehrere tausend Seiten. Das Ergebnis
bleibt geheim. Öffentlich wird nur die "Meinung" der Vertragspartner,
dass durch die "Effizienzgewinne" alles viel günstiger ist, als es
wäre, wenn die Kommune Bauherr bliebe.
Berlin weiß, dass diese "Zusicherungen" das Papier nicht wert sind,
auf das sie geschrieben werden. Es gab diese Zusicherung bei dem Verkauf der
Wasserbetriebe, der Bewag, der Gasag, es gab das Versprechen von
"Riesengewinnen" der Bankgesellschaft. Und bezahlt haben die Bürger
den "Glauben" der Politiker mit Milliarden-Zuschüssen!
Wir stellen fest: "öpp" kostet immer mehr als ein Kredit, den die
Kommune aufnimmt, um ihre Aufgaben selbst zu erledigen. Etwas erträglicher
werden die zusätzlichen Kosten, wenn die Kommune auf alles verzichtet, was sie
gegen schlechte Arbeit, unnötigen Aufwand und weggefallene Aufgaben geltend
machen könnte. Dieser Verzicht kostet am Ende aber noch mehr als das dadurch
ersparte Geld. Auch das wissen wir.
Und worin liegt dann der Reiz von "öpp"?
Ganz wichtig sei der Vorteil einer "öpp Lösung" bei der Finanzierung:
"Die Finanzierung wird überwiegend der privaten Projektgesellschaft, nicht
der öffentlichen Hand zugeschrieben. Das ist für öffentliche Investoren, deren
Kreditspielraum ausgeschöpft ist, ein beachtliches Aspekt"! Die
Verschleierung der Verschuldung ist der einzige Vorteil der Kommunen und ihrer
Politiker. Diesem scheinbaren Vorteil steht aber nicht nur entgegen, dass hier
eine teure Lösung gewählt wird.
Vielmehr drohen auch andere Gefahren und Nachteile:
·
ÖPP wird immer von großen Konzernen vorangetrieben, denn das Portfolio muss
mindestens 30-50 Mio. Euro betragen. Sonst lohnen sich auch die Berater nicht
mehr. Die Einbindung des Mittelstandes erfolgt bei diesen Projekten - wenn
überhaupt - nur durch Submissionsverträge. Das bedeutet für die regionalen
Handwerker mit Arbeitsplätzen vor Ort, dass sie von den Großunternehmen total
abhängig und damit erpressbar werden. Am Ende wundern sich dann die Politiker
über die vielen ausländischen Arbeitskräfte, die legal oder illegal in den
Einrichtungen der öffentlichen Hand arbeiten. Dabei haben sie das alles selbst
veranlasst!
·
Die großen Unternehmen wie HochTief werden die Forderungen an die Kommune von
15 Jahren mittels Asset-Backed-Securities (ABS) zu Geld machen. Dazu gründet
man - wie in Offenbach - eine sogenannte "Zweckgesellschaft". Banken
kaufen dieser rechtlich selbständigen Zweckgesellschaft die Forderungen ab, die
diese gegen die Kommune vertragsgemäß besitzt. Die Betreiberfirmen (hier
HochTief) achten dann darauf, dass diese Zweckgesellschaft nicht mehr zu ihrem
Konsolidierungskreis gehört. Damit haftet der Verkäufer nur noch für den rechtlichen
Bestand und nicht mehr für die Einbringbarkeit der Forderungen. Es wird eine
Trennung zwischen Verkäufer und den zu verkaufenden Bilanzaktiva erreicht. Im
Gegenzug zum Verkauf der Forderungen erhalten die Unternehmer vom
Finanzdienstleister (Banken) die ausstehenden Rechnungssummen. Die
Finanzdienstleister ihrerseits bündeln diese Forderungen und machen marktfähige
Papiere daraus, die als Anleihen am Kapitalmarkt angeboten werden.
Dies klingt nicht nur undurchsichtig - es ist auch gefährlich, wie wir aus
allen solchen Geschäften wissen.
Unsere Erfahrungen haben uns gelehrt, dass Privatisierung stets zu einer
Verschlechterung der Leistungen geführt hat und zu einer Entmachtung der
Politik. Und wer glaubte, sich damit aus der Verantwortung schleichen zu
können, wurde enttäuscht. Die Bürger machen die Politik zu Recht verantwortlich
- und die hat nicht einmal mehr die Möglichkeit, Fehler zu korrigieren.
Das kommunale Handwerk wird ausgeschaltet und häufig in die Pleite getrieben.
Die Arbeitslosigkeit wächst. Die langfristige Verschuldung knebelt ganze
künftige Generationen.
Nachwort
Damit wir uns richtig verstehen: öpp-Vorhaben besitzen für viele, die daran
verdienen, viel Charme. Jedes Projekt ist einmalig. Chancen und Risiken müssen
jedes Mal neu definiert werden. Und das erfordert viele Berater. Neben Banken
und Baufirmen sind hier die Nutznießer dieses Finanzierungsmodells zu finden.
Und wie ihre wirklichen Auftraggeber haben sie die Feinde ihrer Projekte
ausgemacht. Landrat Walter, wir erinnern uns an ihn als Glücksspielexperten,
benennt die Feinde: Absurde Widerstände gäbe es dort, wo ein hoher
gewerkschaftlicher Organisationsgrad vorhanden sei. Dort würden, so Walter,
Begriffe wie "privat" und "Markt" stigmatisiert. Sozialdemokraten,
die auf die Ziele ihrer Partei pochen, hat Herr Walter offenbar schon gar nicht
mehr erlebt.
Damit kommen wir zu den Zielen von öpp jenseits der Zahlen.
Berlins ehemaliger Bürgermeister und Schulsenator Walter Rasch (FDP), nennt öpp
den Königsweg zur "Entstaatlichung". Hat er Recht? Oder drängt öpp
mit seinen jahrzehntelangen Festlegungen Parlamente auf allen Ebenen über viele
Wahlperioden hinweg aus der Verantwortung für Haushalt und Kontrolle der
Verwaltung? Wird damit nicht die Demokratie in Bund, Ländern und Gemeinden
ausgehöhlt und letztlich aufgehoben?
Berlin hat Erfahrung mit öpp. Die Errichtung des "Steglitzer
Kreisels" war so ein Modell! Viele Sozialdemokraten sind darüber gestürzt!
Nun würde der "Kreisel" nachträglich zu einem "Aufbruch zu neuen
Ufern". Wolf Jobst Siedler war dies eine Betrachtung unter der Überschrift
"Korrupt im Kopf" wert - in der FAZ vom 17.11.1986. an kann wohl auch
das Tempodrom - Desaster in diese Reihe stellen - und natürlich den
Bankenskandal.
Das Publikum vergisst schnell, denken die immergleichen Akteure.
"Der Erfolg ist der Lehrmeister der Dummen", sagt Livius. Der
Misserfolg soll - auch auf die Dummen - angeblich die gleiche Wirkung haben.
Zweifel daran sind angebracht. Um zu erkennen, dass man abermals für dumm
verkauft werden soll, bedarf es eines Restes an Urteilskraft.
Wir können nur an Erfahrungen erinnern und die Gefahren aufzeigen. Die
Schlussfolgerungen muss jeder selbst ziehen - wenn er dazu in der Lage ist.
Sonst gilt, was Kant in dem als Motto für diese Broschüre gewählten Zitat sagt.
Ein anderes vielzitiertes Wort für das Überwinden von Hindernissen heißt: Wer
den Sumpf trocken legen will, darf nicht die Frösche fragen. Das gilt auch,
wenn die Frösche als Berater auftreten. Der Sumpf, der hier trocken gelegt
werden soll, ist den Berlinern bekannt.
Man kann sich leicht vorstellen, wie öpp in Berlin auftritt, wenn auf oder nach
dem Bildungsparteitag die Fata Morgana der Sanierung der Berliner Schulen aus
dem Nichts leerer Haushaltskassen aufsteigt.
Wir ahnen die Retter und Propheten. Und wir werden sie im Auge behalten und
ihre Botschaften genau betrachten.
Beitrag
eingestellt am 12.6.2005
3
Berlin
hat seine Ampelanlagen privatisiert -
ein Vorbild für Kassel?
Von
Florian Hagemann
Kassel.
Ingeborg Junge-Reyer ist Senatorin für Stadtentwicklung in Berlin. Sie - so
steht es in der Berliner Morgenpost - soll frohlockt haben: "Jetzt schauen
andere Städte auf Berlin." Das tun sie womöglich des Öfteren, schließlich
ist Berlin die Hauptstadt. Doch es gibt ein Thema, auf das Ingeborg Junge-Reyer
ihre Aussage stützte: die Privatisierung von Ampelanlagen. Seit dem 1. Januar
dieses Jahres läuft der Vertrag mit der Stadtlicht GmbH: Für zehn Jahre ist
diese Firma nun für die Wartung, Instandhaltung und Modernisierung der 2000
Berliner Ampelanlagen zuständig. Berlin erhofft sich von dem Vertrag eine
Ersparnis von mindestens zehn Millionen Euro. Und Ingeborg Junge-Reyer spricht
von "Personal- und Kostenreduzierung durch intelligente Kooperation mit
privaten Unternehmen". Deshalb also der Blick anderer Städte auf Berlin.
Kassel
blickt da mit - insbesondere die Kasseler FDP, die eine Privatisierung der
Kasseler Ampelanlagen zur Diskussion stellt - mit Verweis auf die desolate Haushaltslage
der Stadt, die etwas mehr als 400 Millionen Euro Schulden hat. Die FDP führt
Berlin und Braunschweig als Vorbild an. Auch die Stadt in Niedersachsen hat
sich an die Privatisierung gemacht. Das gefällt auch dem Bund der Steuerzahler.
Der hat bereits für Braunschweig errechnet: "Dadurch, dass künftig ein
Privater für die Straßenbeleuchtung zuständig ist und die Ampelanlagen wartet,
spart die Stadt unter dem Strich eine Million Euro." Die Summe bezieht
sich auf ein Jahr.
Auch
die Kasseler CDU steht dem Thema offen gegenüber: "Man muss sich das genau
anschauen", sagt Eva Kühne-Hörmann, die CDU-Fraktionsvorsitzende in der
Stadtverordnetenversammlung. Skeptischer ist ihr Kollege Uwe Frankenberger von
der SPD: "Wir haben hierzu eine sehr distanzierte Haltung." Andere
lehnen den Vorschlag gänzlich ab: die Grünen, Siegfried Rudolf vom Bündnis für
Kassel und AUF-Kassel. Auch die Kasseler Linke hat sich immer wieder gegen
Privatisierungen ausgesprochen.
Und
die Stadt? Stadtbaurat Norbert Witte (CDU) bezweifelt, ob sich die Stadt
finanziell besser stellt, wenn sie die Ampeln privatisiert. Bernd Noll,
Sachgebietsleiter des Bereichs Verkehrssteuerung in Wittes Dezernat, spricht
davon, dass er und seine Kollegen sehr wirtschaftlich arbeiteten und die
Effizienz in den vergangenen Jahren um 35 Prozent gesteigert hätten. Wie viel
Geld der Bereich verschlingt, verrät Noll aber nicht.
Den
Neuwert sämtlicher Ampeln in Kassel beziffert Noll auf 19 Millionen Euro, den
Zeitwert auf sieben Millionen. Viele der insgesamt 203 Anlagen, die jeweils von
einem Steuergerät abhängen, sind veraltet. Manche sind älter als 30 Jahre. Ein
weiteres Problem ist die immer weiter zunehmende Anzahl von Ampeln in Kassel.
Ein Experte sagt: "Jeder ist sich sicher, dass es zu viele sind."
Doch es werden auch künftig eher mehr als weniger. Aber das ist ein Problem,
das nichts mit der Privatisierung zu tun hat.
05.03.2006
4
Oberhessische
Zeitung vom 25.02.2006 (Gescannt)
Eine neue Form der öffentlichen Verschuldung
Kölner
Publizist Werner Rügemer auf Einladung von Attac, ver.di und GEW in
Alsfeld - Widersinn der öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP)"
ALSFELD
(pcf). Sind öffentlich-private Partnerschaften ein gangbarer Weg
oder ein Irrweg?, fragte Michael Riese von Attac Alsfeld am
Donnerstagabend. Die Antwort des Publizisten Werner Rügemer war
unmissverständlich: Gerade wenn eine Kommune sparen muss, darf sie solchen
Projekten nicht zustimmen. Undurchsichtige Verträge, Korruption,
überforderte Stadträte, versteckte Kosten - Rügemers Kritikliste
war lang.
Auf
Einladung der Globalisierungskritiker von Attac und der Gewerkschaften GEW und
ver.di berichtete der Kölner Politikwissenschaftler im Hotel „Zur
Erholung" über die wachsende Zahl von öffentlich-privaten Partnerschaften
(PPP). Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Rügemer mit dem Thema und ist
inzwischen vom „Widersinn dieser Modelle" überzeugt: In den meisten Fällen
würden die Gemeinden draufzahlen, sagte er am Donnerstag.
Die Idee
hinter PPP: Sind die öffentlichen Kassen so leer, dass Neubauten oder
Sanierungen nicht mehr bezahlt werden können, treten private Investoren auf den
Plan und führen die Arbeiten aus; der Staat mietet sich anschließend bei ihnen
ein. Immer mehr Kommunen stimmen solchen Projekten zu, weil sie keine andere
Möglichkeit sehen, geplante Investitionen umzusetzen. Die
Kommunalaufsicht verbietet den verschuldeten Gemeinden, neue
Kredite aufzunehmen", sagte der Publizist. Deshalb entscheiden sich viele
Kommunen für PPP -und die privaten Investoren reiben sich die Hände.
Die
Allianzen mit Wirtschaftsunternehmen seien eine neue, zusätzliche Form der
öffentlichen Verschuldung", kritisierte Rügemer. In den meisten Fällen
käme die Gemeinden ein normaler Kredit und der Bau in Eigenregie günstiger zu
stehen: Der Effekt von PPP ist also das Gegenteil von dem, was immer
behauptet wird." Im Kleingedruckten der Verträge zwischen
öffentlicher Hand und privatem Investor gebe es folgenschwere Regelungen, die
der Öffentlichkeit vorenthalten blieben: Wie sich zeigt, kommen die
Pferdefüße dieser langfristigen Verträge erst später zutage. So werde den
Investoren häufig eine Gewinngarantie samt Risikoprämie eingeräumt.
Mit
Beispielen aus bereits umgesetzten Projekten wollte Rügemer deutlich machen,
dass PPP einen Nährboden für Korruption und Klüngel bietet: Kommunalaufsicht
und Justiz sind nicht in der Lage, die mit der Privatisierung
routinemäßig entstehenden Praktiken zu unterbinden", klagte der
Politikwissenschaftler. In den verschlafenen Amtsstuben der deutschen
Kommunalaufsicht" fehle es an Kompetenz, um gegen die Übermacht der
Privaten zu bestehen". Mit Vertragsabschluss lasse sich die öffentliche
Verwaltung auf ein ständiges Gerangel mit den privaten Investoren ein: Um jede
Kleinigkeit, um jedes undichte Fenster müssen Sie eine Auseinandersetzung mit
deren amerikanischen echtsanwälten führen."
In der
anschließenden Diskussion wurde vor allem der Einfluss der Kommunalpolitiker
auf PPP-Verträge lebhaft diskutiert. Rügemer berichtete, dass viele Entscheidungsträger
nur Teile des Vertragstextes zu Gesicht bekämen und überdies hilflos
seien: Da muss man ja Volljurist sein, um zu verstehen, worüber man eigentlich
abstimmt, hieß es aus dem Publikum, nachdem Rügemer
Rechtskonstruktionen wie die „Forfeitierung mit Einredeverzicht"
vorgestellt hatte. Von einer Entmachtung der Parlamente sprach
Attac-Mitglied Hans-Georg Bodien: „Gute Nacht, Demokratie!" rief
er.
Auf
die Erfahrungen mit PPP im Vogelsberg zielte der Alsfelder Architekt
Herbod Gans ab, als er den Erweiterungsbau der Max-Eyth-Schule in der
Krebsbach kritisierte. Bei diesem Neubau, der in öffentlich-privater
Partnerschaft entstanden ist, habe es keinerlei Wettbewerb gegeben: Ob
die Baukosten, mit denen argumentiert wurde, realistisch waren, wurde in
keiner Weise geprüft. Das örtliche Handwerk sei kaum beschäftigt
worden und auch die Qualität der Planung sei ausgesprochen
schlecht: Wenn ein Investor dahintersteht, wird unter der Prämisse geplant,
eine wirtschaftliche Baracke zu bauen.
Peter
Zielinski, der Mitte März für die Grünen als Landrat kandidiert, wollte in
PPP-Vorhaben kein Allheilmittel sehen. Seine Konkurrenten Karl-Heinz Krug
(SPD) und Rudolf Marx (CDU) würden öffentlich-private Partnerschaften
begrüßen, dem Kreis damit aber keinen Gefallen tun: Man verschiebt die
Verschuldung im Haushalt einfach nur so, dass die Kommunalaufsicht sie
nicht mehr beanstandet. Über die Motive der Investoren dürfe
man sich keine Illusionen machen: Ein Privater steckt sein Geld nicht in ein
Projekt, weil er so lieb und nett ist, sondern weil er Gewinn machen
will."
Simone
Wißmer, die für die Linksparte in den Kreistag einrücken will,
kündigte an: Wir werden PPP aus Prinzip nicht zustimmen.
5
Karlsruher
Urteil gegen einen Landkreis wegen Amtspflichtverletzung könnte Präzedenzfall
werden
von
Werner Rügemer
Günther
Jautze, Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Oderwitz, erinnert sich lebhaft
an den 12. Dezember 2002. Erwartungsvoll hatte er mit seinem Rechtsanwalt im
Saal des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe gesessen. Unruhig sei er
gewesen, aber nicht unsicher, sagt er: »Wir müssen eigentlich recht bekommen,
habe ich gedacht«. Nach zwei Jahren aufreibender gerichtlicher Auseinandersetzungen
hat der BGH die Sicht der Gemeinde bestätigt, die gegen die übergeordnete
Kommunalaufsicht, den Landkreis Löbau-Zittau, geklagt hatte. Das Urteil ist für
Jautze das wichtigste Ereignis seiner Amtszeit. »Mit diesem Urteil konnte
erreicht werden, daß die Gemeinde Oderwitz mit 6400 Einwohnern aus einer
äußerst schwierigen Finanzlage geführt wird.«
Aber
worum ging es bei der Klage in Karlsruhe? Oderwitz, das aus drei früher
selbständigen Teilgemeinden besteht, ist hoch verschuldet. An der sozialen
Infrastruktur wird schon lange gespart. Eine Schuldenursache ist die
Sporthalle.
Der
frühere Bürgermeister der Teilgemeinde Niederoderwitz schloß 1995 einen
Leasingvertrag mit einem Berliner Investor. Der errichtete die Sporthalle und
vermietete sie für 30 Jahre an die Gemeinde. Im Jahre 2025 kann die Gemeinde
die Halle für 0,8 Millionen Euro kaufen. Bis dahin müßte sie aber insgesamt 4,5
Millionen Euro Miete bezahlen, außerdem die Betriebskosten. Das sah anfangs
wegen der Staffelmiete scheinbar günstig aus: Die erste Jahresmiete betrug
50000 Euro. Mittlerweile beträgt sie aber schon 100000, und im letzten Jahr
wären es 400 000 Euro.
Der
Sächsische Rechnungshof stellte bei einer stichprobenartigen Prüfung fest, daß
ein Kommunalkredit wesentlich günstiger gewesen wäre als das Investorenmodell.
Auch sei der Gemeinderat nicht ordentlich informiert worden. Der Landkreis
Löbau- Zittau als Kommunalaufsicht hätte den Vertrag nie genehmigen dürfen.
Daraufhin verlangte Bürgermeister Jautze vom Landkreis Schadenersatz wegen
Amtspflichtverletzung. Nach erfolgloser Klage vor dem Amtsgericht Görlitz gab
das Oberlandesgericht Dresden der Gemeinde Oderwitz recht. Der Landkreis ging
daraufhin in Berufung.
Doch
der BGH bestätigte in seiner aktuellen Entscheidung den Anspruch der Gemeinde
und damit erstmalig die Schadenersatzpflicht der Kommunalaufsicht wegen
Amtspflichtverletzung. Das Urteil bedeutet, daß Regierungspräsidenten und
Landräte ungünstige und schuldentreibende Verträge verhindern müssen, bei
Strafe eines Schadenersatzes.
Langfristige
Leasingverträge werden in deutschen Kommunen immer häufiger abgeschlossen.
Dabei geht es nicht nur um Sporthallen wie in Oderwitz, sondern auch um größere
Projekte wie Kongreßzentren, Rathäuser und Kläranlagen. Die Verträge sollen die
Gemeindehaushalte entlasten, aber sie erweisen sich immer mehr als eine
zusätzliche Schuldenfalle. So wurde etwa von der Stadt Köln für das neue
Rathaus ein 30jährige Mietvertrag mit einem Investor abgeschlossen, der
den kommunalen Schuldenstand weiter in die Höhe treibt. Denn die Stadt
hat sich verpflichtet, als Mieter alle Reparaturen zu tragen und für die Miete
von 2 500 Parkplätzen aufzukommen, die häufig leer stehen.
Das
Landratsamt Löbau-Zittau akzeptierte das Urteil. Die finanziellen Verpflichtungen
werden vom Kommunalen Schadensausgleich übernommen, einer Art kommunaler
Haftpflichtversicherung. Letztlich wird also der Steuerzahler zur
Kasse gebeten. Ansonsten möchte Amtsleiter Karl Ilg möglichst wenig Aufsehen
erregen. Er gehe davon aus, »daß aus der früheren Zeit keine vergleichbaren
Fälle mehr vorliegen«. Ilg könnte sich täuschen. Sein Amt war in Berufung
gegangen, obwohl es sein Fehlverhalten nicht bestreitet. Es wollte aber einen
Präzedenzfall verhindern. Zum Urteilsspruch waren zahlreiche Ministerialbeamte,
der Präsident des Sächsischen Landesrechnungshofs und Vertreter des Kommunalen
Schadenausgleichs nach Karlsruhe gekommen. Die Atmosphäre war gespannt. Günther
Jautze: »Der Anwalt der Gegenseite hat dargelegt, warum wir eigentlich kein Recht
bekommen können: Weil damit eine Lawine losgetreten werden könne.«
In der
Tat: Jautze erwägt, in einem weiteren Fall gegen den Landkreis vorzugehen. Ein
viel größerer Anteil der Oderwitzer Schulden resultiert nämlich aus einem
weiteren kreditähnlichen Rechtsgeschäft mit einem zweiten Investor Der hat die
überdimensionierte Kläranlage gebaut. Der Amtsleiter, der dies genehmigte, war
derselbe, der den Leasingvertrag für die Sporthalle zu verantworten hat. Nun
sind Verhandlungen mit der sächsischen Landesregierung im Gange, die den
Vertrag als Modellprojekt ansah. Sollte der Freistaat Sachsen keine Zuschüsse
zahlen, könne es sein, »daß auch hier der Rechtsweg auf der Basis dieses
Urteils beschritten wird«, sagt Jautze.
junge
Welt vom 11.02.2003
Auswirkungen
des Bundesgerichtshofs-Urteils vom 12. Dezember 2002 auf die Amtshaftung der
Rechtsaufsichtsbehörden
("Oderwitz-Urteil")
Der
Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 12. Dezember 2002 entschieden,
dass die Kommunalaufsicht Amtspflichten gegenüber der beaufsichtigten Kommune
begründen kann, und hat demzufolge einen Amtshaftungsanspruch einer Gemeinde
gegenüber dem Landratsamt wegen einer fehlerhaft erteilten Genehmigung bejaht.
Damit wurde ein Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden im Ergebnis
bestätigt. Diese Entscheidung hat in der öffentlichen Diskussion über die
Grenzen Sachsens hinaus eine große Resonanz gefunden. Aus diesem Grund hat sich
der "Unterausschuss Kommunalverfassungsrecht und kommunale
Personalangelegenheiten" des Arbeitskreises III der ständigen Konferenz
der Innenminister und -senatoren der Länder mit den Auswirkungen dieser
Entscheidung befasst.
Das
Ergebnis ist ein umfassender Bericht dieses Ländergremiums, der aus der
Gesamtschau der Länder die Entscheidungen des BGH und des OLG darstellt,
bewertet und mögliche Konsequenzen für die Verwaltungspraxis der Kommunen
untersucht. Einheitliche Schlussfolgerungen für alle Länder kann dieser Bericht
jedoch aufgrund der unterschiedlichen Sach- und Rechtslagen in den Ländern
nicht geben. Daher hat das Sächsische Staatsministerium des Innern zusätzliche
Handlungsempfehlungen erarbeitet, die den Kommunen im Freistaat Sachsen
konkrete Hinweise geben, damit Haftungsrisiken, wie sie der Entscheidung des
BGH zu Grunde lagen, zukünftig weitestgehend vermieden werden
können.
6
Ludwig
Stiegler, MdB
Klaus Brandner, MdB
Uwe Beckmeyer, MdB
Michael Bürsch, MdB
21.
April 2005
Eckpunkte eines ÖPP-Beschleunigungsgesetzes
http://www.wasser-in-buergerhand.de/recht/oepp-eckpunkte.htm
Die
Grundüberlegung:
Die
Finanzierungsprobleme öffentlicher Haushalte, die erheblichen Vorbelastungen
aus Schuldendiensten, das hohe Leistungsniveau des Staates und der erhebliche
Bedarf an öffentlichen Infrastrukturen zwingen dazu, über die derzeitige
Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu nachzudenken.
Eine Antwort auf diese Problemlage bieten Öffentlich Private Partnerschaften
(ÖPP).
Was
sind ÖPP?
Im Unterschied zur Privatisierung von öffentlichen
Vermögenswerten gehen ÖPP einen anderen, einen dritten Weg.
Ö PP heißt Kooperation von öffentlicher Hand und
privater Wirtschaft beim Entwerfen, bei der Planung, Erstellung, Finanzierung,
dem Management, dem Betreiben und dem Verwerten von bislang in staatlicher
Verantwortung erbrachten öffentlichen Leistungen. Dabei treten die öffentlichen
Hände nur noch als Nachfrager von Dienstleistungen auf. Die Privatwirtschaft
erbringt diese Dienstleistung und wird dafür von den öffentlichen Händen mit
einem jährlichen Entgelt bezahlt.
Für den Erfolg von ÖPP ist Voraussetzung, dass alle Beteiligten
profitieren: die Bürger, die Politik, die Verwaltung, der private Investor, der
private Betreiber.
Wo
können ÖPP
eingesetzt werden?
Beim
Bau oder der Sanierung von Schulen, Universitäten, von Justizvollzugsanstalten,
von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, beim Ausbau der Telekommunikation,
bei der Energieversorgung, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, bei Straßen
und Öffentlichem Personennahverkehr, aber auch im Verteidigungsbereich, der
Entwicklungszusammenarbeit, im Kultur- und Medienbereich können Öffentlich
Private Partnerschaften zum Einsatz kommen.
Die
Legitimation von ÖPP
Die
entscheidende Legitimation für ÖPP ist das Erzielen von Effizienzgewinnen und
damit Kosteneinsparungen für die öffentlichen Hände gegenüber den traditionellen
Beschaffungsmethoden und der Eigenrealisierung des Staates.
Finanzierungs- und Liquiditätsengpässe des Staates sind dagegen zweitrangig.
Einzelfallprüfung
und Wirtschaftlichkeitsvergleich
Es gibt keinen Automatismus zugunsten von ÖPP, es darf
aber auch keinen Automatismus mehr für die Eigenrealisierung der öffentlichen
Hände geben. Beide Beschaffungsvarianten sind zu hinterfragen, beide haben sich
zu legitimieren.
Wesentliches Instrument der Entscheidungsfindung für
den Staat ist der Wirtschaftlichkeitsvergleich mit den in Betracht kommenden
Handlungsoptionen. Dem Teilen und dem Bewerten von Risiken und Chancen kommt
dabei eine zentrale Rolle zu.
Grundlage einer ÖPP ist dann eine interessengerechte
und faire Vertragsgestaltung.
Gute
internationale Erfahrungen mit ÖPP
Internationale
Erfahrungen bestätigen: Mit ÖPP können Effizienzgewinne und damit
Kosteneinsparungen in Höhe von 10 bis 20 Prozent gegenüber der herkömmlichen
Eigenrealisierung erzielt werden. Kein Wunder, dass immer mehr europäische Regierungen
bei der Bereitstellung öffentlicher Infrastrukturleistungen auf ÖPP setzen. So
werden in Großbritannien ca. 20 Prozent aller öffentlichen Beschaffungen mit
ÖPP abgewickelt.
Eckpunkte
eines ÖPP-Beschleunigungsgesetzes
Neben
steuerrechtlichen Fragestellungen bestehen gebühren-, vergabe- und
haushaltsrechtliche Hemmnisse, die die Umsetzung von ÖPP in Deutschland
behindern. Um mit ÖPP in Deutschland schneller voranzukommen, brauchen wir
gesetzliche Rahmenbedingungen, die diese Hemmnisse abbauen und damit die
Umsetzung von ÖPP erleichtern.
Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hin wird ein Gesetz vorbereitet, das
die Rahmenbedingungen für ÖPP deutlich verbessern wird. Es sollte unserer
Auffassung nach Änderungen in den nachstehenden Bereichen umfassen:
I.
Gebührenrecht
1. Schaffen einer Wahlmöglichkeit zwischen
öffentlich-rechtlicher Gebühr und privatrechtlichem Entgelt im Rahmen des
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes (FstrPrivFinG),
2. Zulassung einer Tarifgenehmigung statt
einer Mautverordnung, d.h. die Maut kann unabhängig davon, ob sie als „Gebühr“
oder „Entgelt“ erhoben wird, auch mittels eines Genehmigungsbescheides
(Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz) auf Antrag des
privaten Betreibers festgesetzt werden,
3. die Maßstäbe für die Berechnung der
öffentlich-rechtlichen Gebühr im FstrPrivFinG werden auf die privaten
Entgeltregelungen übertragen,
4. die obersten Landesstraßenbaubehörden
sind mit Zustimmung des BMVBW für den Erlass der Tarifgenehmigung zuständig,
5. hinzukommt eine klarstellende Regelung
zur Eigenkapitalverzinsung.
II.
Vergaberecht
1. Abgrenzung von Bau-/Dienstleistung nach
der Schwerpunkttheorie und Bestimmung des jeweils anwendbaren
Ausschreibungsregimes durch Novellierung des § 99 Abs. 6 Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB),
2. Ausschreibung auf der „zweiten Ebene“
(Weitervergabe von Bauleistungen an Nachunternehmer) durch Klarstellung von § 4
Nr. 8 Verdingungsordnung für Bauleistungen/Teil B (VOB/B), nach der bei der
Weitervergabe von Bauleistungen an Nachunternehmer allein die VOB/B zugrunde zu
legen ist,
3. Verzicht auf gesetzliche
Eigenleistungsquoten durch den Auftragnehmer durch Änderung von § 8 Nr. 2 Abs.
1, Abs. 3 VOB/A bzw. § 7 Nr. 2 Abs. 1, § 4 Nr. 8 Abs. 1 Verdingungsordnung für
Leistungen/Teil A (VOL/A),
4. Einfügung eines Abs. 4 in § 42 der
Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV), wonach
Bietergemeinschaften in ihren Angeboten die Mitglieder zu benennen haben, die
für den Abschluss und die Durchführung des Vertrages bevollmächtigt sind,
5. Einführung der Auftragsvergabe im Wege
des „wettbewerblichen Dialogs“ durch Änderung von § 101 Abs. 1 und 5 GWB i. V.
m. § 9 Abs. 3-5 VgV,
6. Einführung der Pflicht zur Festlegung
der Projektgesellschaft auf eine bestimmte Rechtsform erst nach
Zuschlagerteilung durch Ergänzung von § 5 Abs. 2 S. 2 VgV,
7. Erweiterung des Umfangs der Pflicht zur
Vorabinformation nach § 101 a GWB und
§ 13 VgV für diejenigen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt wurden,
8. Klärung zur sogenannten
Projektantenproblematik durch Ergänzung des § 5 VgV.
III.
Investmentgesetz
1. Einbeziehung des Nießbrauchrecht an
Grundstücken durch Änderung des § 67 Abs. 1 Nr. 4 Investmentgesetz,
2. Beimischung von
ÖPP-Projektgesellschaften (in der Betreiberphase) von bis zu 20 Prozent in
Portfolios offener Immobilienfonds durch Änderung des § 67 Abs. 1 Nr. 2 und 3
Investmentgesetz,
3. Bildung eines neuen Fondstyps
"Infrastrukturfonds" im Investmentgesetz.
IV.
Haushaltsrecht
1. Abmilderung des Veräußerungsverbots in
§ 63 Abs. 2 BHO, wonach Vermögensgegenstände nur veräußert werden dürfen, wenn
sie zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes in absehbarer Zeit nicht benötigt
werden,
2. Konkretisierung der Maßstäbe für den
Wirtschaftlichkeitsvergleich in § 7 Abs.2 BHO, in dem klargestellt wird, dass
bei einem Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen Eigenerstellung und ÖPP der
finanzielle Wert des Risikotransfers auf einen privaten Partner zu ermitteln
und zu berücksichtigen ist.
V.
Steuerrecht
1. Ausweitung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
Grundsteuergesetz auf ÖPP, nach dem Grundbesitz, der von einer inländischen
Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzt
wird, von der Grundsteuer befreit ist.
2. Befreiung von der Grunderwerbsteuer für
an ÖPP Projektgesellschaften übertragene Grundstücke solange sie für
hoheitliche Zwecke genutzt und sofern eine Rückübertragung des Grundstücks an
die öffentliche Hand innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorgesehen wird.
6
Fernstraßenbau Privat Finanzierungsgesetz (Auszug)
§ 3
Mautgebühren
(4) Als
angemessene kalkulatorische Verzinsung des von dem Privaten eingesetzten
Eigenkapitals gilt die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher
Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen
Kalkulationsperiode vorausgehen, zuzüglich eines dem jeweiligen
unternehmerischen Risiko angemessenen Risikozuschlags. Der Risikozuschlag darf
nicht zu einer unverhältnismäßigen Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals
führen. Der Private kann in den jeweiligen Kalkulationsperioden
unterschiedliche Zinssätze für das von ihm eingesetzte Eigenkapital in Ansatz
bringen, soweit über die gesamte Konzessionslaufzeit die den Sätzen 1 und 2
entsprechende durchschnittliche Verzinsung eingehalten wird.
(5)
Unverhältnismäßige Kostenunter- oder Kostenüberdeckungen sind rechtzeitig und
angemessen auszugleichen. Der Ausgleich einer Kostenunterdeckung ist ausgeschlossen,
wenn sich der Private durch Vereinbarung im Konzessionsvertrag verpflichtet,
Bau, Erhaltung und Betrieb der Strecke zu einem Festpreis durchzuführen, der
dann zu gleichen Teilen auf die Konzessionslaufzeit aufgeteilt wird. Die
Kalkulation des Festpreises ist im Konzessionsvertrag offen zu legen und im
Rahmen der Berechnung der konkreten Mautgebührenhöhe unter Beachtung der
Absätze 2 und 3 und der Rechtsverordnung nach § 4 sowie der Rechtsverordnung
nach § 5 oder der Genehmigung nach § 6 nachzuprüfen. Auch für die Kosten des
Betriebs der jeweiligen Strecke und für die Kosten des Betriebs der
Mautgebührenerhebungseinrichtungen können Festpreisvereinbarungen getroffen
werden, die dann entsprechend zu behandeln sind.
7
Kritik
an PPP-Modell für kreiseigene Schulen
ERSTELLT
13.02.06, 07:15h
RHEIN-ERFT-KREIS.
„Gravierende Nachteile“ für das regionale Handwerk sieht die Handwerkskammer zu Köln in dem vom
Kreisausschuss beschlossenen PPP-Modell für die Schulen im Rhein-Erft-Kreis.
Die Public-Private-Partnership-Konstruktion sieht vor, dass ein privater
Investor über rund 25 Jahre die notwendigen Sanierungsmaßnahmen und den Betrieb
der Lehrstätten übernimmt. Dr. Ortwin Weltrich, stellvertretender
Hauptgeschäftsführer der Kammer, befürchtet, dass dadurch den ortsansässigen
Unternehmen Arbeit entgeht. Der Auftrag habe, wie Dezernent Anton-Josef Cremer
bestätigte, ein Gesamtvolumen von rund 135 Millionen Euro - zu groß für ein
Handwerksunternehmen.
Weltrich
betont: „Einen Bedarf für dieses PPP-Projekt gibt es nicht“. Und sollte dies
doch im Kreistag beschlossen werden, drängt Weltrich auf eine
mittelstandsgerechte Ausrichtung. Abschreckendes Beispiel ist für ihn der
Neubau der Paul-Kraemer-Schule im vergangenen Jahr. Hier habe kein Unternehmen
aus der Region mitgewirkt, unter den Subunternehmern hätten sich lediglich zwei
aus dem Kreis befunden.
Dass
Weltrichs Anliegen einen „besonders hohen Stellenwert genießt“, versichern die
Kreistagsfraktionen einhellig in ihrer Stellungnahme. Sie hätten es jedoch
begrüßt, wenn die Handwerkskammer früher das Gespräch gesucht hätte. Der
Beschlussvorschlag, der am 16. Februar im Kreistag verabschiedet werde,
dokumentiere die Einbindung der mittelständischen Wirtschaft. (gri)
(KR)
http://www.rundschau-online.de/jkr/artikel.jsp?id=1138725829618
8
(„Gesetz
zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und
zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private
Partnerschaften“)
oder:
Wie
in parteiübergreifendem Konsens die politische Elite das Tempo der von der
Wirtschaft geforderten >Entstaatlichung< erhöht, damit die
Staatstätigkeit als Instrument zur Steuerung des gesamtgesellschaftlichen
Gemeinwohls verrät und eigentlich originäre Aufgaben der öffentlichen Hand der
profitorientierten Privatwirtschaft überlässt
Hans-Georg
Bodien
Einleitung
Unser
Staat ruht auf vier, nach unserem Grundgesetz gleichrangigen Säulen:
Demokratie.
Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Bundesstaatlichkeit.
Seit
drei Jahrzehnten sind jetzt neoliberal berauschte Eliten aus Wirtschaft und
Politik dabei – ihrem fanatischen Credo > mehr Markt, weniger Staat,
Privatisierung, Flexibilisierung und Deregulierung folgend< - , die Säulen
Sozialstaatlichkeit und Demokratie mit dem Presslufthammer zu traktieren. Die
Konsequenzen sind auf der einen Seite schmerzhafte Einschnitte in die
Sozialversicherungen, massive Einschnitte in Arbeitnehmerrechte und
Massenarbeitslosigkeit, verbunden mit einem steilen Anstieg der Armut, und auf
der anderen Seite eine rasante Vermehrung des Reichtums weniger. Weiter ist als
Folge dieser Politik ein dramatisches Einbrechen der Steuereinnahmen und damit
verbunden ein gigantisches Anwachsen der Staatsverschuldung zu verzeichnen
(1,46 Billionen EURO, die daraus resultierende Zinslast beträgt ca. 67,6
Milliarden EURO. Nutznießer dieser Situation sind besonders die vermögenden
Bevölkerungsschichten, die als Gläubiger des Staates auftreten).
Über
wahnwitzige Geldbeschaffungsmaßnahmen auf der Grundlage der Beihilfe zum
Steuerentzug versucht die öffentliche Hand der finanziellen Mangelsituation zu
entfliehen. Cross-Border-Leasing-Deals (CBL) mit irrsinnig langen
Vertragslaufzeiten (häufig 99 Jahre) - und noch nicht abzuschätzenden
Folgen für den Steuerzahler einer Reihe großer Städte - sind dafür ein
erschreckendes Beispiel.
Ein
weiteres fragwürdiges Geldbeschaffungsmodell ebenfalls auf der Basis der
Beihilfe zum Steuerentzug – welch Defizit an Gesamtverantwortung für unser
Gemeinwesen - sind die Sale-and-lease-back-Geschäfte (SLB) der
öffentlichen Hand.
Seit
geraumer Zeit heißt nun die Zauberformel für die Lösung öffentlicher Finanznot
ÖPP oder PPP. Darunter ist offiziell die Zusammenarbeit öffentlicher und
privater Akteure beim Planen, Bauen, Finanzieren, Sanieren, Instandhalten und
Bewirtschaften öffentlicher Infrastruktur wie Schulen, Turnhallen,
Verwaltungsgebäude, Straßen, Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung,
Müllentsorgung, Krankenhäuser u.ä. zu verstehen. ( Hier sollte schon einmal
erwähnt werden, dass längst private Dienstleister in den Startlöchern stehen,
die die Übernahme von Verwaltungsaufgaben anstreben. Zu nennen wäre hier der
Dienstleistungskonzern Arvato, eine Bertelsmann – Tochter. Arvato tritt mit dem
Slogan auf, Auswüchse der Bürokratie zu beseitigen, und hat in Großbritannien
bereits die Verwaltung in der Gemeinde East Riding (350000
Einwohner)übernommen.
So
sieht Rolf Buch, Vorstandsmitglied des Dienstleistungskonzerns Arvato, im
Dienstleistungsgeschäft mit der öffenlichen Hand einen schlafendenden Riesen
und rechnet mit den ersten Gehversuchen im Inland in zwei bis drei
Jahren.Quelle: Mindener Tageblatt vom 16.02.05).
Die
Ö(P)PP-Modelle beruhen auf einem gemeinsamen Konzept von Bund, Ländern und besonders
der Bauwirtschaft. Einen eifrigen Verfechter dieser Modelle finden wir seit
Jahren in Gerhard Schröder, dem Spitzenkandidat der SPD für die Bundestagswahl
am 18.September 2005, dem Ex-Kanzler der rot-grünen Koalition und erklärten
Merkel – Wähler am 22. November 2005 und dem Berater des größten
Verlagshauses(Ringier) der Schweiz (aktiv ab Januar 2006). So wirbt die
Hannover Leasing GmbH und Co. KG bereits im Juli 02 mit einer Äußerung
Schröders , nach britischem Vorbild werde man künftig stärker mit der
Privatwirtschaft beim Bau, der Sanierung und Bewirtschaftung von Schulen,
Verwaltungsgebäuden, Krankenhäusern u.ä. zusammenarbeiten. Folgerichtig hat
dann auch im Herbst 2003 der Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Stolpe den Zuschnitt des Steuerrechts auf Ö(P)PP gefordert.
Am
8.September 2005 ist nun das ÖPP-Beschleunigungsgesetz in Kraft getreten (am
30.06.05 vom Bundestag bei wohlwollender Enthaltung der Fraktionen von CDU/CSU
und FDP beschlossen und am 8.Juli 05 vom Bundesrat durchgewunken). Die
SPD-Bundestagsfraktion reklamiert es als ihr Projekt. So heißt es dazu auch in
einer überschwänglichen Erklärung der SPD-MdBs und Mitglieder der
Projektarbeitsgruppe „ÖPP-Beschleunigungsgesetz“ Ludwig Stieler, Klaus Brandner
und Michael Bürsch vom 07.09.05:
„Beim
Gebühren-, Vergabe-, Steuer- und Haushaltsrecht sowie bei den
Finanzierungsbedingungen hat das ÖPP-Beschleunigungsgesetz jetzt gesetzliche
Rahmenbedingungen geschaffen, die Hemnisse und Unklarheiten beseitigen, die die
Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) in Deutschland bisher
erschwert haben.“
Schlichter
ausgedrückt bedeutet dies nichts anderes, als dass das Gebühren-, das Vergabe-
und Vertragsrecht, das Steuer- und Haushaltsrecht zugunsten privater Investoren
für ÖPP-Deals passend gemacht wurde.
Zur
Entstehung des Gesetzes (Quelle:SPD >dokumente Nr.03/05)
Hierzu
wurde von der Bundestagsfraktion der SPD extra eine Projektarbeitsgruppe
„ÖPP-Beschleunigungsgesetz“ mit fünf Kompetenzgruppen installiert. Die Leitung
hatte MdB Dr. Michael Bürsch. Eine riesige Armada von internen und externen
Beratern wurde herangezogen, darunter besonders Vertreter verschiedener,
teilweise weltweit agierender Unternehmensberatungs-, Wirtschaftsprüfungs-,
Steuerberatungs- und Finanzierungsgesellschaften und Großkanzleien.
Beteiligt waren:
Die
PPP-task force im Bundesministerum für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen mit
ihren Vernetzungen in die entsprechenden Landesministerien von NRW und
Rheinland-Pfalz
Mit task force wird im Englischen beim Militär eine Spezialeinheit zur
Erledigung einer besonders schwierigen Aufgabe und bei der Polizei eine Gruppe
von Spezialisten für die Bekämpfung besonders schwerer Kriminalität bezeichnet.
Die PPP-task force ist in Anlehnung daran also ein ministerielles Spezialteam
mit besonderem Auftrag, der darin besteht, privatem Kapital den direkten
Zugriff auf eigentlich öffentliche Aufgaben zwecks Gewinnmaximierung zu
ermöglichen.
Zentralverband
Deutsches Baugewerbe, Berlin
Hauptverband
der Deutschen Bauindustrie, Berlin
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft,
Berlin
Diese Gesellschaft gehört zu 100% dem Bund.
Bundesverband
öffentlicher Banken Deutschlands, Berlin
Landesbank
Hessen-Thüringen
Die HELABA gehört zu 85% den Sparkassen Hessens und Thüringens, zu 10% dem
Land Hessen und zu 5% dem Land Thüringen. Sie hält 50% der Anteile an der
Hannover Leasing GmbH.& Co.KG. mit Sitz in Bayern.
Gesellschaft
für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbH, Köln
(Diese Gesellschaft ist ein Unternehmen des Bundesverteidigungsministeriums;
hier sitzen also die Privatisierungsspezialisten im Bereich der Bundeswehr).
Bundesverband
Deutscher Banken, Berlin
Verband
deutscher Hypothekenbanken, Berlin
BVI
Bundesverband Investment und Asset Management e.V., Berlin
BWS
GmbH, Freiburg
PricewaterhouseCoopers,
Frankfurt
KPMG,Berlin
und KPMG Corporate Finance, Frankfurt
Der Beratungs-Multi ist in 142 Ländern vertreten. Er ist laut Eigenwerbung
>die weltweit größte Organisation im Bereich professionelle
Dienstleistung<. Auch heißt es auf der Webseite der KPMG – Deutschland : „
... KPMG bietet Ihnen hochwertige Beratung für die Optimierung Ihrer
Steuerbilanzpolitik....Die globale Präsenz hilft Ihnen beim Erkennen
steuerlicher Fallstricke – und natürlich auch der Gestaltungsspielräume – in
aller Welt...“(Quelle: Hans Weiss / Ernst Scmiederer , Asoziale Marktwirtschaft
(Insider aus Politik und Wirtschaft enthüllen, wie die Konzerne den Staat
ausplündern), Köln 2005)
Westdeutsche
Kommunal Consult GmbH (Sie ist eine 100% Tochter der WestLB)
NORTON
ROSE, Brüssel
VBD
Beratungsgesellschaft für Behörden mbH, Berlin
Serco
GmbH&CO.KG, Bonn
Dieses Unternehmen ist auch tätig für das Land Hessen in der ersten
teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt Hünfeld.
Linklaters
Oppenhoff&Rädler, Berlin
Hammonds,
Berlin
Freshfields
Bruckhaus Deringer, Hamburg
Servatius
Rechtsanwälte, Hamburg
Clifford
Chance, Frankfurt
Deloitte
& Touche, München.
Nach
Auskunft aus der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
dem BMVBW sollen die externen Berater keine Kosten verursacht und nur ihren
Sachverstand eingebracht haben. Dies lässt die Deutung zu, dass sie akquisativ
tätig waren in der Gewissheit für lukrative Folgeaufträge.
Zum
Gesetz selbst
Das
ÖPP- Beschleunigungsgesetz bringt PPP- freundliche Änderungen des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der Vergabeordnung.
Die
Änderung des Fernstraßenbaufinanzierungsgesetzes ermöglicht nun privaten
Betreibern beim Ausbau von Bundesfernstraßen die Refinanzierung durch eine
private Entgeldregelung.
Die
Änderung der Bundeshaushaltsordnung gestattet jetzt die Veräußerung von
unbeweglichen Vermögensgegenständen, die zur Erfüllung von Aufgaben des Bundes
weiterhin benötigt werden, wenn auf diese Weise die Aufgaben des Bundes
nachweislich wirtschaftlicher erfüllt werden können.
Auch
ändert das ÖPP- Beschleunigungsgesetz das Grunderwerbssteuergesetz und das
Grundsteuergesetz. Die Änderung des Grunderwerbssteuergesetzes sieht die
Befreiung von der Grunderwerbssteuer bei der Übertragung von Grundstücken an
PPP – Projektgesellschaften vor, solange sie für hoheitliche Zwecke genutzt
werden – unter der Voraussetzung einer Rückübertragung am Ende des
Vertragszeitraums.
Die
Änderung des Grundsteuergesetzes stellt sicher, dass der der öffentlichen
Hand für einen bestimmten Zeitraum im Rahmen einer ÖPP überlassene Grundbesitz
von der Grundsteuer befreit ist. Ohne Bedeutung ist dabei, ob der private
Auftragnehmer den PPP – Grundbesitz von der öffentlichen Hand erhalten oder auf
dem Grundstücksmarkt selbst erworben hat
(Nach Auskunft aus der SPD-Fraktion strebt man noch eine möglichst schnelle
Änderung des Umsatzsteuerrechts (also eine Befreiung von der Umsatzsteuer für
PPP-Beteiligte) an, denn die bisherige Regelung diskriminiere die ÖPP- Variante
gegenüber der Eigenerstellung durch die öffentliche Hand).
Die
Änderung des Investmentgesetzes eröffnet offenen Immobilienfonds den Zugriff
auf Beteiligungen an Ö(P)PP – Projektgesellschaften in der Betreiberphase.
Reaktionen
Auf
den Webseiten nicht nur der Bauindustrie jubelt man ob der leeren öffentlichen
Kassen und freut sich nun auf einen Boom für PPP-Projekte.
Allerdings
geht dem Bundesverband der Deutschen Industrie das ÖPP-Beschleunigungsgesetz
nicht weit genug. So heißt es in einer Presseverlautbarung von BDI-Präsident
Jürgen R. Thumann vom 08.09.05 dazu: „Die nächste Bundesregierung muss das
Thema Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) schnell und umfassend voranbringen.
Das aktuelle ÖPP-Gesetz ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Mehr
aber leider nicht....
Wenn
wir solche Privatisierungsmodelle in Deutschland voranbringen wollen, brauchen
wir mehr als dieses legislative Feinjustieren. Uns fehlt eine nationale
Strategie, mit der wir Vorfahrt für die Privatisierung oder Teilprivatisierung
öffentlicher Leistungen schaffen.“
Und
die große Privatisierungskoalition hat ihn erhört (Vergleiche die
Koalitionsvereinbarungen „Gemeinsam für Deutschland“, was in diesem Punkt
besser „Gemeinsam für das Kapital“ hieße.
_______________________________
Zwischenbemerkung: Der ehemalige
Ministerpräsident von NRW, Steinbrück(hier bereits ein Verfechter von ÖPP und
Verlierer der Landtagswahl als SPD - Spitzenkandidat) und neue Bundesfinanzminister
z.B. will bis 2009 Bundeseigentum – hier vor allem Immobilien – im Werte von 54
Milliarden EURO verscherbeln. So war es den Medien zu entnehmen.
Ist
dies der Einfluss des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der als
Brachialprivatisierer in Hessen Landesimmobilien im Rahmen Operation
„Sichere Zukunft“ verhökert hat und weitere verkaufen will(Behördenzentrum
Ffm., Ministerien, Gerichtsgebäude, Polizeipräsidien etc. mit anschließender
Zurückmietung mit Mietverträgen bis zu 30 Jahren; Käufer der landeseigenen
Immobilien: Commerzbank Immobilien GmbH, ein Unternehmen der Commerz
Leasing und Immobilien Gruppe )? Was hier noch wichtig ist und Rückschlüsse auf
eigenwilliges demokratisches Procedere zulässt : Die Veräußerungen wurden
notariell getätigt, noch bevor der Landtag zugestimmt hat. So war es in der
Zeitung zu lesen. Weiter bereitet Koch den Verkauf der Universitätskliniken
Gießen und Marburg vor - unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also im Stile
eines feudalen Landesfürsten. Verantwortlich ist er einerseits auch für einen
nicht verfassungskonformen Haushalt und eine dramatische Verschuldung Hessens,
andererseits hat er aber durch den Ankauf eines Schlosses für über 13 Millionen
EURO einem Grafen „den besten Deal seines Lebens“ ermöglicht. Auch ist er
hauptverantwortlich für das riesige Finanzdefizit der Hessischen Landkreise,
das sich inzwischen auf 1,2 Milliarden EURO beläuft .
Nicht
nur in diesem Zusammenhang muss dringend einmal hinterfragt werden, ob die Wahl
unserer Volksvertreter gleichzeitig eine Legitimation darstellt, öffentliches
Eigentum – also das Eigentum der Bürgerinnen und Bürger – je nach Bedarf zur
Manipulationsmasse zu machen. Ist es nicht vielmehr so, dass die gewählten
Volksvertreter (sowohl als Parlamentarier als auch Inhaber eines Amtes) mit der
Übernahme ihres Mandates zu Treuhändern des Vermögens der Bürgerinnen und
Bürger werden, öffentliches Eigentum also verwalten und vermehren sollen? Es
darf nicht sein, dass öffentliches Eigentum einen geringeren Stellenwert
besitzt als Privateigentum, das durch das Grundgesetz einen außerordentlich
hohen Schutz genießt. Es ist höchste Zeit, dass die dem Gemeinwohl
verpflichteten Volksvertreter auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens sich wieder
mit dem öffentlichen Eigentum identifizieren und es garantieren, vor allem auch
in Verantwortung für nachwachsende Generationen.
___________________________
Auch
verhehlen Großkanzleien, Banken, Finanzierungsgesellschaften,
Unternehmensberatungsgesellschaften etc. ihre Genugtuung nicht, eröffnet ihnen
doch PPP ein riesiges Geschäft.
Ebenso
Seminaranbieter zum Thema Ö(P)PP wittern für sich ein gutes Geschäft. So sehen
wir z.B. auf der Seite von >Euroforum Deutschland GmbH< ein
Seminarangebot unter dem Titel > Frischer Wind für Öffentlich-Private
Partnerschaften< .
Diese
Gesellschaft wirbt für dieses Seminar mit Referenten von Freshfield
Bruckhaus Deringer, Servatius Rechtsanwälte und PricewaterhouseCoopers als
Experten aus der Projektarbeitsgruppe „ÖPP- Beschleunigungsgesetz“, die „...die
Grundlage des verabschiedeten Gesetzentwurfs geschaffen haben.“ Ein Schelm, der
Böses dabei denkt. Besondere Erwähnung verdient, dass Euroforum
Behördenvertretern Sonderpreise für die Teilnahme an ihren PPP-Seminaren
einräumt.
Die
IHK(Industrie- und Handelskammer) Frankfurt/M. – die Industrie- und
Handelskammern (in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts) sind
schlagkräftige Instrumente für privatwirtschaftliche Profitinteressen mit
großem Einfluss auf Gesetzgebung und Kommunalpolitik – sieht in dem
ÖPP-Beschleunigungsgesetz dann auch neuen Rückenwind für Public Private
Partnership. So heißt es in einer ersten Stellungnahme dazu, dieses
Gesetz sei „ein weiterer Meilenstein auf einem Weg, der das Entstehen
eines finanzträchtigen PPP-Marktes in Deutschland unterstützt.“
Exkurs:
ÖPP in der Praxis
Toll
Collect ist wohl das bekannteste PPP-Projekt und sicherlich nicht geeignet eine
Ptivatisierungseuphorie auszulösen. Als Berater treffen wir hier schon auf die
Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer.
Monheim
in NRW und der Landkreis Offenbach sind die bekanntesten PPP-Schulprojekte, die
schon lange vor dem ÖPP- Beschleunigungsgesetz vereinbart wurden.
Hier
soll nur ein kurzer Blick auf den Landkreis Offenbach mit einem CDU-Landrat
geworfen werden, wo seit Oktober 04 bzw. Januar 05 ein solches Projekt läuft.
In
einem sogenannten >Betreibermodell< hat man hier die Sanierung und
Bewirtschaftung der Schulen an eine Tochter von >Hochtief< und die >
SKE Mannheim< - ein Unternehmen der VINCI-Gruppe Paris – gegeben.>
Hochtief< * und >VINCI< sind weltweitführende Unternehmen in der
Bauwirtschaft. Das Gesamtauftragsvolumen liegt bei etwa 800 Millionen EURO. Die
Verträge mit einer Preisgleitklausel laufen über 15 Jahre. Der Kreis zahlt über
die gesamte Laufzeit ein Nutzungsentgeld von 57 Millionen EURO jährlich. Die
Beratungskosten für das Zustandekommen der Verträge werden auf bis zu 30
Millionen EURO geschätzt; eine Summe zwischen 10 und 30 Millionen EURO auf
Nachfrage im Landratsamt wurde nicht dementiert. Unter den Beratern war auch
hier Freshfield Bruckhaus Deringer. Das Geschäft wird über eine extra
installierte Projekt-Gesellschaft abgewickelt, an der der Kreis geringfügig
beteiligt ist. Offiziell wird behauptet, dass der Kreis mit diesem Modell 15-20
% Kosten einspare, was nicht nachvolziehbar ist, wollen doch neben den Beratern
auch die Betreiber selbst und ihre Geldgeber einen möglichst hohen Gewinn aus
einem solchen Deal herausschlagen. Eine suksessive durchgeführte Sanierung
der Schulen mit billigen Kommunalkrediten wäre sicher billiger gewesen. (*
Hochtief ist der weltweit drittgrößte Baukonzern und in Sachen Privatisierung
auch international tätig. In Deutschland gilt Hochtief als Marktführer im
Bereich PPP. Unter der Überschrift >Hochtief mit Gewinnsprung< liest man
in der Süddeutschen Zeitung vom 18.11.05 über den veröffentlichten Nettobarwert
der fünf Flughäfen- und zehn PPP-Projekte des Konzerns. Wörtlich heißt es hier
dazu: „Deren Wert gibt Hochtief mit 870Millionen EURO an. Bei einem
investierten Kapital von 530Millionen EURO errechnet sich ein Mehrwert von
340Millionen EURO.“)
Der
Kreistag hat sich mit der Einwilligung für diesen Deal über drei
Legislaturperioden hinweg in Sachen Schulinfrastruktur aus seiner Entscheidungs-
und Kontrollgewalt verabschiedet und sich damit selbst entmachtet.
( Böse
Zungen behaupten, dass die Zustimmung der SPD-Kreistagsfraktion zu diesem
Projekt mit einem hauptamtlichen Kreisbeigeordneten belohnt wurde.)
Fazit
Das
ÖPP- Beschleunigungsgesetz bestätigt einmal mehr die erschreckende
Leichtigkeit der politischen Elite, einseitig die Interessen der Wirtschaft (
hier der Großen der Bau- und Finanzwirtschaft) zu bedienen. So erhöht das
Gesetz die Attraktivität für Ö(P)PP – Interessenten (s. Reaktionen) nicht
zuletzt wegen der geschaffenen und noch zu erwartenden steuerlichen
Ausnahmetatbestände für die „ÖPP – Variante“ der eigentlich öffentlichen
Aufgabenerfüllung.
Nutznießer
der „ÖPP – Variante“ sind primär Konzerne der Bauindustrie, Banken, Finanzierungsgesellschaften,
Großkanzleien, Unternehmens- und Steuerberatungsfirmen und
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
Auf
der kommunalen Ebene sind Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister
Nutznießer solcher ÖPP-Deals, behalten sie doch ihre Bezüge, obwohl ganze
Abteilungen profitorientierten Unternehmen überantwortet werden. Ja sie und
andere entscheidende Politiker können sogar ihre Einkünfte kumulieren – von
daher so beliebt - , nämlich über Mitgliedschaft in Aufsichtsgremien und
Beiräten in privatrechtlich organisierten Gesellschaften, die extra zur
Abwicklung solcher ÖPP-Geschäfte installiert werden.
Zu
den Verlierern gehören zweifellos die kleinen und mittleren Unternehmen des
Bau- und Handwerksbereichs. Sie sind aufgrund ihrer Eigenkapitaldecke und
mangelnder Kreditwürdigkeit bei den Banken nicht in der Lage, als PPP -
Unternehmen in den Markt zu gehen. Diese Unternehmen werden zu Opfern der
Marktmacht weniger Großunternehmen, können sie doch selbst als Subunternehmen
den Renditeansprüchen der Großkonzerne nicht genügen. (So bezweifelt sogar die
IHK Frankfurt neue Marktchancen für diese Unternehmen durch PPP). Die Folgen
werden Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste in hoher Zahl sein, wenn Aufträge
von der öffentlichen Hand ausbleiben.
Auch
der öffentliche Dienst wird im Rahmen von ÖPP Stellenabbau erfahren, nicht
zuletzt wegen der Verschiebung einer erheblichen Zahl von Angestellten in
privatrechtlich organisierte ÖPP – Projektgesellschaften. Damit werden tarif-
und arbeitsrechtliche Standards des öffentlichen Dienstes zur Disposition
gestellt. Arbeitsplatzverluste sind vorprogrammiert.
Die
„ÖPP - Variante“ führt besonders auf der kommunalen Ebene zur langfristigen
Bindung von Haushaltsmitteln (15 – 30 Jahre) und damit zur Verkleinerung des
politischen Gestaltungsspielraumes. Besonders gravierend ist es, dass Amts- und
Mandatsinhaber mit solchen ÖPP- Deals zur massiven Entziehung demokratischer
Kontrolle eigentlich öffentlicher Angelegenheiten beitragen und so der Säule
Demokratie unseres Staates erheblichen Schaden zufügen.
In der
Begründung zum ÖPP – Beschleunigungsgesetz heißt es, mit Öffentlichen Privaten
Partnerschaften werde eine dauerhafte, in beiderseitigem Vorteil liegende, dem
Gemeinwohl dienende Kooperation zwischen öffentlichen Händen und
Privatwirtschaft angestrebt. Insofern stellten ÖPP einen wichtigen Baustein zur
Modernisierung des Staates dar(Quelle:SPD>dokumente Nr. 03/05).
Wenn
nun bei der „ÖPP – Variante“ wichtige Aufgaben der eigentlich öffentlichen
Daseinsvorsorge privatem Gewinnstreben unterworfen werden mit den Konsequenzen
eines verstärkten Personalabbaus und der Absenkung der Einkommens- und
Sozialbedingungen, wenn mit dieser „ÖPP – Variante“ demokratische Entscheidung
und Kontrolle über Infrastruktur und der damit verbundenen Verpflichtungen über
Jahrzehnte ausgehebelt werden, wer dann noch von einer dem Gemeinwohl dienenden
Kooperation zwischen öffenlichen Händen und Privatwirtschaft spricht und ÖPP
als einen wichtigen Baustein zur Modernisierung des Staates bezeichnet,
pervertiert die eigentliche Bedeutung von Gemeinwohl und Demokratie. Politische
Ö(P)PP – Vollstrecker handeln also im Interesse von Konzernen und ihren
Geldgebern und nicht im Interesse des Allgemeinwohls.
Eine
breite Allianz der Bevölkerung, Gewerkschaften und Parteien ist daher
notwendig, um ÖPP- Projekte schon in der Anfangsphase zu stoppen. Gleichzeitig
muss Druck auf den Gesetzgeber gemacht werden, über eine überfällige
Steuerreform die Staatsfinanzen so zu sanieren, dass alle Ebenen unseres
Gemeinwesens wieder handlungsfähig werden.
9
Der Staat
und seine Kernaufgaben: Grenzen der Privatisierung*
Ernst Ulrich von Weizsäcker MdB
„Grenzen der Privatisierung“ ist ein Aufschrei. Seit 20 Jahren
rollt auf der ganzen Welt eine Lawine der Privatisierung. In vielen Fällen ist
die Privatisierung längst als Fehler erkannt worden, aber die Lawine rollt
weiter.
Vorbereitet worden ist der Paradigmenwechsel vom Staat zur
Privatwirtschaft von amerikanischen Ökonomen schon in den 1960er Jahren. Milton
Friedman und Ronald Coase waren wohl die einflussreichsten. Sie sahen, dass der
Markt ein exzellentes Steuerungssystem auch in Bereichen sein kann, die man bis
dahin in aller Welt als selbstverständliche Aufgabe staatlicher Monopole
angesehen hatte. In den 1970er Jahren erlebte der Staat gleichwohl noch eine
bedeutende Expansion, hauptsächlich in den jungen Staaten Afrikas, der Karibik
und des Pazifiks. Die nach den Ölpreisschocks von 1973 und 1978 entstehende
„Stagflation“ in den Industrieländern zeigte die Grenzen der staatlichen
Wirtschaftslenkung auf und bereitete den Boden für die paradigmatische Wende,
für die die Namen Margaret Thatcher, Ronald Reagan und in Deutschland Otto Graf
Lambsdorff standen. Bezüglich der Entwicklungsländer wurde zwischen der
Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und dem US-Finanzministerium der
„Washington Konsens“ ausformuliert. Eine breite Privatisierungswelle und
teilweise äußerst schmerzliche Strukturanpassungsprogramme mit strengen Grenzen
für staatliche Ausgaben folgten.
In der EU fand der Paradigmenwechsel in zwei Stufen statt. Die
erste war die Regierungskonferenz in Luxemburg 1985, bei welcher die
Einheitliche Europäische Akte mit den Vier Freiheiten, von Personen, Gütern,
Dienstleistungen und Kapital, beschlossen wurde. Die zweite setzte nach der
Wende ein und war formal am stärksten an die Uruguay-Runde des GATT angebunden,
mit ihren radikalen Liberalisierungsschritten bei Dienstleistungen (GATS) und
Patenten (TRIPs). Die Wende von 1989/90, von uns allen bejubelt, hat die
Wahrnehmung der Rolle des Staates und des Marktes fundamental verändert. Das
„gute“ System der demokratischen, freiheitlichen Marktwirtschaften hatte das
„schlechte“ System der autoritären Staatswirtschaft besiegt, und nun wurde es
auf einmal politisch korrekt, alle Staatsfunktionen auf ihre Marktfähigkeit zu
überprüfen. Was in den angelsächsischen Ländern einschließlich Neuseeland und
in den internationalen Finanzinstitutionen schon in den 1980er Jahren
dominierte, wurde nun plötzlich zur führenden Doktrin. Umgekehrt wurde all das,
was man noch zehn Jahre früher als Immunisierung gegen den Bazillus des
Kommunismus selbstverständlich akzeptiert hatte, nämlich die Soziale
Marktwirtschaft, die Mitbestimmung und die tatsächliche Steuerprogression,
öffentlich geschlachtet.
Das Bild zeigt am Beispiel Grenoble, dass die
Privatisierung zum Anstieg der Verbraucherpreise und gleichzeitig zur
Vernachlässigung der Investitionen geführt hat. |
Weltweit setzte Anfang der 1990er Jahre eine gewaltige Welle der
Privatisierung ein. In Osteuropa und vielen Entwicklungsländern wurden die
Grundstoffindustrien und andere noch staatliche Gewerbe privatisiert. Fast
überall wanderte die Telekommunikation, häufig auch die Post in den
Privatsektor, in vielen Ländern auch die Stromversorgung. Die Weltbank betrieb
systematisch die Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung. In England,
Japan und anderswo wurden die Eisenbahnen privatisiert, in Kasachstan und Chile
der größte Teil des Bildungssystems, in den USA und Großbritannien die
Gefängnisse, in vielen afrikanischen Staaten das Militär (!), in Italien
Tausende von Kunstdenkmälern, und in Deutschland die Gebäudebrandversicherung
und vieles andere mehr. Die Ökonomen der Welt waren begeistert. Sie erzählten
einander und den Politikern aller Farben besonders gerne die eindrucksvollen
Erfolgsgeschichten der Telekom- Privatisierung: Früher war alles staatlich,
teuer und ineffizient, jetzt wurde alles privat, billig und modern. Wo sind
denn nun die Grenzen und Gefahren, die einen Aufschrei rechtfertigen? Zunächst
einmal ist es wichtig, die Tatsachen nicht gefärbt darzustellen. So einfach ist
das nicht mit den Erfolgsgeschichten:
• In Uruguay wurde das Telekommunikationssystem nicht
privatisiert, und es wurde genau so schnell modern und billig wie in Mexiko, wo
es privatisiert wurde und war im Effekt besser als das privatisierte
argentinische System.
• Die Privatisierung der Brandversicherung hat die Prämien um rund
30% teurer (!) gemacht, bei gleichem Versicherungsschutz, - weil die Privaten
anders als der Staat einen Teil ihrer Einnahmen für Kundenwerbung ausgeben.
• Post und Wasser sind für die Kunden teurer geworden, vor allem
in Entwicklungsländern.
• Die privatisierte britische Bahn wurde zum Inbegriff der
Unpünktlichkeit, und die Unfälle häuften sich.
Das sind vier von gut hundert Beispielen, die einem Autorenteam
zur Verfügung standen, das im Januar 2005 einen Bericht über die Grenzen der
Privatisierung publiziert. Der Untertitel des Buches weist aus, dass wir
Autoren die Privatisierung für eine gute Sache halten, die man aber nicht
übertreiben oder falsch betreiben darf.
In unseren Schlussfolgerungen sagen wir dann, dass der Staat auf
jeden Fall die Qualitätsaufsicht für öffentliche Dienstleistungen behalten und
auch effektiv ausüben muss. Dies liegt im Kern der hoheitlichen Aufgaben. Die
Privatisierung des Militärs, also Söldnerheere, wie heute in Afrika, halten wir
jenseits aller Kosteneffizienzüberlegungen für ein gefährliches
Missverständnis. Gefängnisse sind ein Grenzfall.
Ferner plädieren wir dafür, dass die Privatisierung von
Infrastruktur dort unterbleibt, wo sie nur unter Vernachlässigung der Wartung
und Innovation kommerziell erfolgreich sein kann; das ist die Lehre, die die
britische Regierung aus dem Misserfolg von British Rail gezogen hat: sie hat
das Schienennetz kürzlich wieder verstaatlicht!
Die politisch vielleicht wichtigste Kritik an der Privatisierung
liegt aber auf einer ganz anderen, gar nicht ökonomischen Ebene: Die Demokratie
ist ja so gemeint, dass die Bürger zum Mitdenken und wo möglich Mitgestalten
eingeladen sind. Das ist vor allem für die kommunale Ebene relevant, die ja die
quantitativ mit Abstand wichtigste „Schule der Demokratie“ ist. In vergangenen
Jahrzehnten gab es in unseren Gemeinden stets die lebhaftesten Bürgerengagements
in Sachen der öffentlichen Verkehrsbetriebe, der Stromversorgung, der
Wasserversorgung und natürlich der Schulen. Wenn dies alles privatisiert ist,
wenn die Entscheidungen über den Lebensnerv einer Stadt, etwa in Indien oder
Bolivien in fernen Konzernzentralen oder auf Aktienmärkten getroffen werden,
was kann dann einen politisch interessierten Menschen veranlassen, sich noch zu
engagieren? Dieses Frage ist in jungen Demokratien in Afrika und anderswo
sicher noch brennender als bei uns.
Wenn die „Schule der Demokratie“ dem ökonomischen
Effizienzgedanken geopfert wird, geht viel verloren! Bei allem Respekt vor der
ökonomischen Effizienz der Märkte: Die Durchökonomisierung der Demokratie
lehnen wir ab. Die Demokratie war immer „langsam“, und das darf sie auch
bleiben!
Aus:
politikS Nr. 10, August 2004,v.i.S.d.P.: Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, MdB