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FR vom 07.03.2007, Seite 32 (gescannt)

FORUM

Die Slums vom Gesicht der Erde tilgen

Die Organisation Habitat for Humanity vergibt zinslose Kredite und hilft armen Menschen, sich den Traum vom eigenen Haus zu erfüllen

VON MARTIN HAMPEL

Pratibha Adhikari steht vor ihrem Haus und lacht. Sie ist glücklich, weil sie einem Elendsviertel entkommen ist. Pratibha Adhikari lebt in Nepal und hatte bis vor wenigen Wochen keinerlei Chance gesehen, jemals ein Haus wie dieses zu besitzen. Noch vor kurzem lebte sie in einer Hütte in Kathmandu in einem Slum, jetzt wohnt sie mit ihrer Familie in einem Haus mit mehreren Zimmern, mit Bad und Küche. Das Haus ist stabil aus Backsteinen gebaut.

Drei Wochen hat es gedauert, vom Grundstein bis zum Dachfirst. Wahr geworden ist der Traum vom Eigenheim durch die Nicht-regierungsorganisation Habitat for Humanity. „Wir wollen die Slums vom Gesicht der Welt tilgen", sagt Miriam Greiffvon Habitat Deutschland. Die Organisation hat rund 500 Häuser allein in Nepal fertig gestellt, und sie ist in mehr als hundert Ländern aktiv.

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HABITAT FOR HUMANiTY
• Die Organisation Habitat for Humanity wurde 1976 im US-Staat Georgia gegründet. Habitat ermöglicht bedürftigen Menschen weltweit, ein Haus zu bauen und zu finanzieren.
• Eine Million Menschen haben seit der Gründung durch Habitat ein Dach über den Kopf bekommen.
• Informationen: www.hfhd.de; Telefon 022173989553.
• Spendenkonto 105894001 beider Deutschen Bank, BLZ 10070024.       FR
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Weltweit hat Habitat in den vergangenen dreißig Jahren 200 000 Häuser für eine Million Menschen gebaut. Auch in Deutschland hat die NGO ein Büro, das aber lediglich der Akquise von Spenden und der Anwerbung von freiwilligen Helfern dient. Beides ist für die Arbeit von Habitat unabdingbar.

Die Idee ist simpel: Menschen, die keine Chance auf ein eigenes Heim haben, bekommen einen zinslosen Kredit sowie Material und Helfer, die das Haus aufbauen.

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Hilfe nach der Tsunami-Katastrophe: Im südindischen Fischerdorf Kadapakkam hat die Organisation Habitat for Humanity fast 200 neue Häuser gebaut. (Bild RTR)
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Damit erhalten sie nicht nur ein Dach über dem Kopf. Gleichzeitig übernehmen sie Pflichten, etwa zur Rückzahlung des Darlehens oder auch zur Hilfe, wenn andere Menschen ihr Heim errichten. Die Auswahl der Familien, die Ha-bitat beim Hausbau unterstützt, läuft nach strengen Kriterien. Letztlich entscheidet ein lokales Komitee, wer ein Haus bekommt.

Dabei richtet sich Habitat nicht immer nur an die Ärmsten der Armen. Und baut auch nicht nur in Ländern, die gemeinhin als „arm" bezeichnet werden, sondern ebenso in Industrienationen wie in den USA, Portugal und Großbritannien. Die Organisation versucht, Menschen vor dem Abgleiten zu bewahren. Leute, die ihre Kredite nicht mehr bezahlen können oder denen Banken keine Kredite mehr geben, die ihren }ob verloren haben oder keine vernünftige Perspektive mehr sehen. Die bekommen sie zusammen mit dem Haus.

„Ein Haus bedeutet für die Familien immer auch Verantwortung", sagt Miriam Greiff. Probleme und Neid innerhalb einer Nachbarschaft, wenn einer Familie ein Haus zugesprochen wird und anderen nicht, habe sie daher nie erlebt, berichtet Greiff. Vielmehr schöpften die Familien gemeinsam Mut. „Sie sehen, dass es eben doch einen Ausweg aus der Situation gibt."

Seinen Anfang nahm Habitat in den frühen 1970er Jahren im US-Staat Georgia, als das Millionars-Ehepaar Millard und Linda Füller seine karitative Ader entdeckte, seinen kompletten Besitz verkaufte und mit dem Geld Bauvorhaben von einkommenschwachen Familien finanzierte. Die Familie Füller, das Paar hatte vier Kinder, entwiekelte daraus die Idee der zinslosen Kredite und gründete 1976 Habitat for Humanity mit Sitz in Georgia.

Noch heute baut Habitat sehr viel in den USA. Während in Deutschland nur wenige von der Organisation wissen, liegt ihr Be-kanntheitsgrad in den Vereinigten Staaten bei weit über 90 Prozent. Prominente wie der Rockstar Jon Bon Jovi und der Schauspieler William Shatner („Captain Kirk") oder der ehemalige US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter unterstützen die NGO. Carter arbeitet bereits seit 1984 jedes Jahr eine Woche lang an einem Hab-tat-Projekt und zieht Heerscharen von Helfern an. Im November 2006 hat Carter gemeinsam mit mehreren tausend freiwilligen Helfern - unter ihnen Brad Pitt - hundert Häuser im indischen Mumbai gebaut. Großprojekte nehmen bei Habitat zunehmend Raum ein. Längst geht es nicht mehr allein darum, einzelne Familien mit Häusern auszustatten. Bei Naturkatastrophen wie dem Tsunami 2004 oder dem Hurrikan Katrina in New Orleans 2005 war Habitat rasch mit seiner Expertise zugegen und hat versucht, den Menschen schnellstmöglich ein Dach über den Kopf zu bauen. Schließlich wissen die Experten der NGO, wie man zügig und günstig Häuser baut, die trotzdem stabil sind. In den vom Tsunami betroffenen Ländern hat Habitat sich zum Ziel gesetzt, Häuser für zehntausende Familien zu bauen. Dafür konnten 54 Millionen US-Dollar an Spenden eingesammelt werden.

Die Organisation von Habitat funktioniert vor allem auf der Basis von Spenden und freiwilligen Helfern. Die müssen zum Hausbau eingeflogen werden, die Kosten für den Trip tragen die Helfer selbst. Neben Privatleuten sind es vor allem Schüler und Studenten, die Habitat bei der Arbeit weltweit unterstützen. In den vergangenen Jahren ist eine weitere Klientel dazugekommen, berichtet Miriam Greiff: Unternehmen.

Seit einiger Zeit profitiert Habitat von dem, was landläufig als „Corporate Social Responsibility" (CSR) bekannt ist: Unternehmen und Konzerne stellen sich ihrer sozialen Verantwortung. Manche Unternehmen lassen ganze Abteilungen für einige Tage zum Häuserbauen in Elendsviertel fliegen. Das nützt den Menschen, die die Häuser bekommen, den Beschäftigten, die ihren Horizont erweitern, und den Unternehmen, die sich ihre CSR-Aktivitäten auf die Fahne respektive auf die Website schreiben können.

So hat es beispielsweise Aviva gemacht. Der Versicherungskonzern hat unlängst 86 Mitarbeiter für fünf Tage freigestellt und nach Cluj in Rumänien geschickt. Ziel war es, in dieser Zeit für drei Familien stabile und gute Häuser zu bauen. Die Teamarbeit hat funktioniert. Die Gruppe war so früh fertig, dass sie noch vor der eigentlichen Frist mit dem Bau eines vierten Gebäudes begonnen hat.


INTERVIEW

„Die Leute spenden Geld und ihre Arbeitskraft"

Ana Baldivieso koordiniert in Deutschland das Globai-Village-Programm von Habitat for Humanity. Die gebürtige Bolivianerin hat zuvor sechs Jahre - zunächst als freiwillige Helferin, später als Angestellte - in ihrem Heimatland für Habitat gearbeitet,

- Frankfurter Rundschau -
Fraw Baldivieso, wie überzeugen Sie die Menschen, in andere Länder zu fliegen und dort fremden Leuten beim Hausbau zu helfen?

Ana Baldivieso:
Viel Überzeugungsarbeit ist da gar nicht nötig. Wir bieten den Leuten die Möglichkeit, durch eine Baureise zu helfen und dabei eine interkulturelle Erfahrung zu machen. Sie lernen andere Menschen kennen - auch in ihrer Gruppe -, und sie reisen in ein fremdes Land, wo sie außerdem noch in intensiven Kontakt mit der dort lebenden Bevölkerung treten. Das ist doch eine Menge

- Was macht die Trips denn sonst reizvoll?
Viele Leute spenden ja einfach Geld, weil sie es für eine einfache und unkomplizierte Art der Hilfe halten. Wer mit Habitat zusammenarbeitet, der spendet ja sowohl Arbeitskraft als auch Geld, um den Hausbau zu unterstützen. Bei den Reisen und beim Hausbau sehen die Menschen also, was mit ihren Spenden geschieht. Das ist eine sehr konkrete Erfah-

- Was sind das für Leute, die ihnen helfen?
Im Global-Village-Programm, das ich organisiere, helfen momentan vor allem Schüler und Studentengruppen. Das Programm hat in Deutschland erst im vergangenen Jahr begonnen, 2006 konnten wir sechs Freiwilligen-Teams aus Deutschland und der Schweiz entsenden. In diesem Jahr werden es 14 sein, mit insgesamt rund 200 Helfern.Das sind überwiegend Studenten, aber wir wenden uns auch an Kirchengruppen und Unternehmen.

- Wie lange sind die Gruppen denn im Ausland unterwegs?
Das hängt vor allem davon ab, wie viel Zeit die Helfer haben. In der Regel sind es aber eine oder zwei Wochen.

 -Gibt es bevorzugte Gegenden, in die die Helfer aus Deutschland fahren?
Helfer aus Deutschland können in vierzig Länder weltweit reisen. Es sind ja auch Schülerteams dabei, daher ist aus Zeitgründen oft eine kürzere Entfernung angebracht. Wir fahren oft nach Osteuropa, zum Beispiel nach Rumänien oder Polen. Kirgisien und Tadschikistan sind ebenfalls beliebte Reiseziele. Auch andere Kontinente wie Afrika und Südamerika sind interessant für deutsche Freiwillige.

Interview: Martin Hampel