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Auszug aus dem Buch "Netzwerk der Macht - Bertelsmann", 2.Auflage,  Seiten 429 - 439


Rudolph Bauer

Die Bertelsmann Stiftung:

Wegbereiterin für Arvato Government Services

East Riding, Würzburg und Dormagen - Pilotprojekte für Verwaltungs-Outsourcing und E-Government

Mit zunehmendem Erfolg preist die Bertelsmann Stiftung Öffentlich Private Partnerschaften (OPP) als Lösung des vermeintlichen Übels zu bürokratischer und wenig effizienter öffentlicher Verwaltungen an. Nach dem Start eines Projektes in East Riding in Großbritannien forcierte sie nun ein PPP-Projekt mit der Stadt Würzburg: "Würzburg integriert". Alles soll schneller, besser und zudem effizienter werden — bei, wohl gemerkt, zugleich sinkenden Einnahmen der öffentlichen Hand. Rudolph Bauer widerspricht diesen verheißungsvollen Prophezeiungen - und endet hei der Feststellung: Besser gestellt wird durch solche qua "Gemeinnutz" angeschobenen Projekte vor allem einer -der Bertelsmann-Konzern.

Wenn es besser werden soll, muss es anders werden.
Es ist aber nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird.
Frei nach Georg Christoph Lichten

»Jeder ist unseres Glückes Schmied.«
Bertehmann-Jahresmotto 1995


Unter dem Dach ihrer Konzerntochter Arvato (1) richtete die Berteismann Aktiengesellschaft (AG) vor einigen Jahren einen neuen Produkt- und Geschäftsbereich ein: die Government Services. Dieser Neugründung ging voraus, dass sich die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung schon seit längerer Zeit für den "schlanken" Staat stark gemacht hat,

Sie warb für "abgespeckte" Verwaltungen sowie für die Auslagerung ("Outsourcing") und Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Unterstützt von den Print- und elektronischen Medien des Konzerns(2), machte und macht die Stiftung Stimmung für Public Private Partnership-Projekrc (PPP-Projekte)(3), bei denen die öffentliche Hand ("public") in Vorhaben investiert und Projekte finanziert (sowie die damit verbundenen Folgekosten trägt), während die Gewinne von den beteiligten Unternehmen ("Private".) eingestrichen werden. Auch anlässlich ihres im Februar 2007 in Berlin veranstalteten Kommunalkongresses propagierte die Bertelsmann Stiftung erneut und mit Nachdruck das Public Business Outsourcing, die Besorgung öffentlicher Dienstleistungen durch privat-kommerzielle Anbieter.

Im Jahre 2005 ist Arvato erstmals in das Geschäft mit Government Services eingestiegen. Im Vereinigten Königreich hat das Unternehmen den gesamten öffentlichen Dienst des Kreises East Riding in der Grafschaft Yorkshire einschließlich aller dort beschäftigten Mitarbeiter in die eigene Regie übernommen. Seit Mai 2006 ist der neue Produktbereich unter dem Namen Arvato Government Services GmbH nun auch in Deutschland vertreten. Im Frühjahr 2007 startete die Firma ein Projekt in det unterfränkischen Stadt Würzburg. Dort sollen künftig alle Abläufe der Kommunalverwaltung über eine zentrale Internet-Plattform steuerbar sein

An dieser Stelle schließt sich ein Kreis: Die Bertelsmann Stiftung, die 76,9 Prozent der Anteile des Konzerns besitzt, braucht keine Steuern zu entrichten, weil sie von den Finanzbehörden als gemeinnützig anerkannt ist. Mit den der Allgemeinheit auf diese Weise gleichsam vorenthaltenen Geldern und flankiert durch die wohlwollende Berichterstattung der konzerneigenen Medien finanziert sie Projekte, mittels derer Bedürfe geweckt werden und eine Nachfrage erzeugt wird für Produkte, welche der Konzern wiederum gewinnbringend vermarktet. Kurz: Die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung finanziert mit den Steuerersparnissen des Konzerns Vorhaben, die in letzter Konsequenz wieder für das Unternehmen und dessen Rendite von Vorteil sind. Sie erweist sich dabei als Wegbereiterin der Arvato-Sparte Government Services sowie als nützliche Lobbyistin füt steigende Arvato-Profite. Funktioniert ,so die viel gepriesene Neue Soziale Marktwirtschaft?

Arvato-Pilotprojekt East Riding in Großbritannien

Fast Riding weist bei rund 325 000 Einwohnern in 145 000 Haushalten in etwa die Größe des Saarlands auf. Zur Erledigung der kommunalen Verwaltungsaufgaben hat Arvato dort einen mehrjährigen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Das Bertelsmann-Unternehmen zieht die lokalen Steuern ein, erhebt im hoheitlichen Auftrag Gebühren, zahlt Wohngeld und Beihilfen, erledigt Lohn- und Gehaltsabrechungen, betreibt 14 Bürgerbüros und stellt sowohl das Management als auch die komplette informationtechnologische Infrastruktur. Vorausgegangen war ein Angebot von Arvato, das im Februar 2004 bei der Gemeindeverwaltung einging und in mehreren Sitzungen beraten wurde, unter anderem auch mit den Vertretern der zuständigen Gewerkschaft.

Das britische Vorhaben galt und gilt als ein Pilotprojekt von hoher strategischer Bedeutung. Auf der Bertelsmann-Jahrespressekonferenz 2005 in Gütersloh erklärte der Vorstandsvorsitzende von Arvato, Hartmut Ostrowski : »Mit diesem Vertrag ist uns der Eintritt in den interessanten Markt für öffentliche Dienstleistungen in Großbritannien gelungen. (...) Das Projekt bietet ein großes Potenzia! für die Zukunft der Gemeinde und soll für die Arvato ein "Schaukasten" werden, in dem Interessenten für ein solches Public Private Partnership unser gesamtes Leistungs-spektrurn sehen können« (arvato news, 22. März 2005). Däs Arvato-Vorstandsmitglied Rolf Buch versprach, Rast Riding werde sich innerhalb des Vereinigten Königreichs zu einem Center of Excellence entwickeln.

Die Pläne von Bertelsmann und Arvato zielen darauf ab, im Rahmen von PPP-Projekten europaweit in die derzeit noch unter nationalstaatlicher Kontrolle stehenden hoheitliehen Verwaltungsbereiche vorzudringen und dabei gute Geschäfte zu machen. Der Gütersloher Konzern wartet in diesem Zusammenhang auf das endgültige Inkrafttreten der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die den (Arbeits)Markt für Verwaltungsdienstleistungen "liberalisieren" soll. Gegenwärtig stehen im Recht der EU-Mitgliedstaaten vielfach noch einzelstaatliche Bestimmungen dem Ziel einer uneingeschränkt grenzüberschreitenden Erbringung solcher Dienstleistungen entgegen. Die Dienstleistungsrichtlinie wurde vom Europäischen Parlament nach schwierigen Verhandlungen am 15. November 2006 beschlossen und nach der Billigung durch den Rat am 27. Dezember 2006 im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Zur Umsetzung in nationales Recht haben die Mitgliedsstaaten Zeit bis zum 28. Dezember 2009.

"Machbarkeitsstudie" der Bertelsmann Stiftung in Dormagen

Nach dem Startschuss in East Riding hat Arvato auch andere europäische Länder und insbesondere Deutschland ins Visier genommen. Dem Handelsblatt war in der Ausgabe vom 29. März 2006 zu entnehmen, dass Arvato-Chef Ostrowski von Vorgesprächen »mit drei deutschen Mittelstädten« berichtet haben soll. Kurz zuvor, am 16. März 2006, berichtete die städtische Pressestelle von Dormagen, einer nördlich von Köln gelegenen Kleinstadt mit 61.000 Einwohnern: »Bertelsmann Stiftung fördert Pilotprojekt im Rathaus«. Es gehe dabei um eine »Machbarkeitsstudie«, um »erstmals auch für Kernbereiche der Verwaltung« den Weg zu »mehr Betriebswirtschaftlichkeit« und »neuen Qualitätsnormen« aufzuzeigen.

Die Kommunalverwaltung von Dormagen ist eines von vierzig weiteren Beispielen, an Hand derer die Bertelsmann Stiftung in der Broschüre »Besser - schneller — preiswerter!« (Wegener 2007) veranschaulicht, welche administrativen und kaufmännischen Geschäftsprozesse von Städten und Gemeinden ausgelagert und durch private Anbieter organisiert werden können. Die von der Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund herausgegebene Veröffentlichung plädiert für mehr Zusammenarbeit, besonders zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten Dienstleistern: »Die Einrichtung von Dienstleistungszentren (Shared Service Center) innerhalb der Verwaltung, die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen oder - wann immer dies möglich und ordnungspolitisch geboten erscheint - in Kooperation mit oder durch die Wirtschaft kann den administrativen Aufwand der Verwaltung erheblich reduzieren« (a. a. O.: 7).

Inzwischen, 2007, hat das Bertelsmann-Unternehmen Arvato mit »Würzburg integriert!" seinen ersten millionenschweren Auftrag in Deutschland eingefahren. Mit dem Projekt soll erreicht werden, dass sich künftig alle Abläufe der Würzburger Kommunalverwaltung über eine zentrale Internet-Plattform steuern lassen. Nach Auskunft von Arvato ist allerdings gegenwärtig noch nicht daran gedacht, das Personal des öffentlichen Dienstes zu "privatisieren", da dies aus steuerlichen Gründen noch nicht attraktiv genug sei.

Das Arvato-Projekt "Würzburg integriert!"

"Würzburg integriert!" ist das Reklame-Markenzeichen eines Projekts, das in Zukunft für alle Kommunen in Deutschland Vorbild sein soll. Es habe "Pilotcharakter", posaunte die "Würzburger Lokalzeitung Mainpost in ihrer Ausgabe vom 28. April 2007. Im Internet ergänzte der Nachrichtendienst Spiegel Online am 12. Mai 2007, Ziel von "Würzburg integriert!" sei »der radikale Umbau der Verwaltung nach den Gesetzen der Privatwirtschaft«. Die endgültige Ankunft des »Kapitalismus in Ämtern und Behörden« wurde verkündet. Entsprechend echote auch das vierteljährlich erscheinende Bonner Wirtschaftsmagazin NeueNachrichp. »In Zukunft gelten hier die Gesetze der Privatwirtschaft.« "Würzburg integriert" sei erst der Anfang und bereite den Einstieg von Arvato in den deutschen Markt für öffentliche Dienstleistungen vor.

Mit dem Projekt " Würzburg integriert!" soll- so erläuterte dazu die von der Stadt Würzburg am 30. April 2007 veröffentlichte Presseerklärung - »eine Verbesserung der Servicequalität, eine Vereinfachung der Prozesse und die Beschleunigung der Verwahungsablaufe bei gleichzeitiger Senkung der Verwaltungskosten erreicht werden«: »Kernbestandteil des Projekts ist die integrierte Abwicklung aller Verwaltungsleistungen und die Kopplung bislang isolierter Verfahren an eine zentrale E-Government-Plattform.«

Dieses Plattform-Projekt sei gut für die Bürgerinnen und Bürger: »Über das Internet kann man die Geburt eines Kindes oder den Kauf eines neuen Autos anmelden — von zu Hause aus, auch sonntags oder nachts.« So lautet die Werbebotschaft der Würzburger CSU-Oberbürgermeisterin Dr. Pia Beckmann. Die Verwaltung arbeite in Zukunft "fallorientiert" - was immer das heißen mag - statt, wie bisher, funktionsorientiert, das heißt überschaubar und nach einzelnen Aufgabenressorts unterteilt. Auch die Mitarbeiter der Würzburger Kommunalverwaltung würden "profitieren", da sie »in Zukunft einen abwechslungsreicheren Arbeitsalltag mit größerem Entscheidungsfreiraum« hätten.

Gewerbetreibenden und Unternehmern verspricht die mainfränkische Verwaltungsreform »schnelle Auskünfte sowie eine transparente und kurzfristige Antragsbearbeitung«. Damit gewinne der Standort Würzburg an Attraktivität für Gewerbebetriebe und vor allem für große Unternehmen. So jedenfalls lautet das Versprechen von Rolf Buch.

Das Würzburger Arvato-Projekt ist »vorerst auf die Dauer von zehn Jahren ausgelegt. Mit im Boot ist die Firma Micus Management Consulting, die sich als »spezialisiertes Beratungsunternehmen für technologische Entwicklungen im 21. Jahrhundert« anpreist Sie wirbt damit, auf dem Gebiet der Verwaltungsmodernisierung und des »Zusammenspiels zwischen öffentlicher Hand und privater Wirtschaft» bereits einschlägige Erfahrungen nachweisen zu können. Micus wurde von Arvato hinzu gezogen, um gemeinsam an der sich als besonders schwierig erweisenden, für das Gelingen des Projekts erforderlichen Geschäftsprozessanalyse und -optimierung der Würzburger Kommunalverwaltung zu arbeiten.

Was bringt und wem nützt die E-Government-Plattform?

Die Angaben über die in den kommenden zehn Jahren anfallenden Kosten von "Würzburg integriert! sind uneinheitlich. Spiegel Online spricht von 10 Millionen Euro; Arvato erhält jährlich also eine Million. Die Lokalzeitung Mainecho hingegen berichtete in ihrer Ausgabe vom 5. Mai 2007: »Arvato kann mit bis zu 17 Millionen Euro rechnen.« Für die Stadt verbleibe somit ein "Einsparungsgewinn" von 10 Millionen Euro. Angesichts der anfallenden hohen Kosten des Projekts - nicht eingerechnet die kostspieligen Baumaßnahmen, die am E-Government-Rathaus vorgenommen, werden müssen - wird von der Stadt Würzburg gegengerechnet, dass durch die geplanie zentrale Plattform künftig 75 städtische Mitarbeiter-Stellen in einem Gesamtwert von 27 Millionen Euro eingespart würden.

Bei dieser Rechnung wird in unverantwortlich-naiver Weise davon ausgegangen, dass die durch »natürliche Fluktuation« wegfallenden Personalstellen gleichbedeutend sind mit weniger Arbeit. Davon ist aber schon deshalb kaum auszugehen, weil allein die Umstellung auf die E-Government-Plattform zusätzlichen Arbeitsaufwand zur Folge haben wird. Die Mehrarbeit einerseits und die Nichtwiederbesetzung von frei gewordenen Stellen andererseits führen dazu, dass sich die Arbeitsbedingungen des städtischen Verwaltungspersonals durch Verdichtung und Intensivierung erheblich verschlechtern werden - einmal ganz abgesehen vom Stress bei den Bauarbeiten und den dadurch bedingten Büroumzügen. Zugleich ist davon auszugeben, dass bei den Beschäftigten infolge der weitreichenden Neuerungen Qualifikationsprobleme und -engpässe auftreten werden, die nur durch zeit- und kostenintensive Weiterbildungsmaßnahmen behoben werden können.

Schwerwiegende Probleme ergeben sich überdies in Fragen des Datenschutzes: Es ist noch völlig ungeklärt, wer alles auf der Verwaltungsseite Zugang zu den gesamten Daten der E-Governrnent-Plattform haben soll. Da die Einführung einer elektronischen Bürgerkarte als Zugangsvoraussctzung zum Netz erwogen wird, stellt sich auch die Frage, welche Daten darauf gespeichert werden und wie hierbei Datensicherheit gewährleistet sein kann. In einer umfangreichen schriftlichen Anfrage an die Würzburger Oberbürgermeisterin wünschte die Partei Die Linke Auskunft zu der Frage: »Wie soll der Datenschutz effektiv und nachweislich sichergestellt werden?« Die am 10. Juni 2007 in die Post gegebene Anfrage der Linkspartei blieb unbeantwortet, Anscheinend aber aufgeschreckt durch die in der Bevölkerung laut werdenden Befürchtungen, erklärte Oberbürgermeisterin Beckmann in einer Pressekonferenz: »Die Daten kommen nicht in den Einflussbereich von Arvato.«

Gewiss wird Arvato sich fürs erste hüten, das deutsche Vorzeigeprojekt in Würzburg durch Datenschlamperei in Misskredit zu bringen. Die Zweifel hinsichtlich der Datensicherheit bleiben dennoch bestehen. Denn nicht zuletzt ist Arvato(7)  auch im Adressenhandel tätig. Die Firma betreibt unter anderem Telefonwerbung sowie die Telefonauskunft 11818 und sie hat Callcenter der Deutschen Telekom AG übernommen. Die Begehrlichkeit eines solchen Unternehmens, Daten auszuspionieren, ist daher durchaus nahe liegend und nicht aus der Luft gegriffen.

Spiegel Online zufolge sehen die Betreiber einen besonderen Vorzug des Projekts darin, dass »die Bürger in ein paar Jahren ihre Amtsgeschäftc sogar selbst in die Hand nehmen«. Diese »Endstufe, bei der der Bürger zahlreiche Verwaltungsakte direkt zu Hause erledigen kann«, werde im Jahr 2011 erreicht sein. Ins Rathaus nüsse er dann »nur noch dann, wenn eine Unterschrift nötig« ist. Es ist jedoch höchst unklar, wann immer es künftig einer Unterschrift im Rachaus bedarf. Gewiss ist dagegen, dass alle Bürger einen PC mit Netzanschluss brauchen und in der Lage sein müssen, damit umzugehen. Ebenso gewiss ist auch, dass auf die Bürger Arbeit abgewälzt wird, wenn sie schließlich »ihre Amtsgeschäfte sogar selbst in die Hand nehmen« sollen und müssen. Obendrein wird der Bürger trotzdem noch zur Kasse gebeten: »Die Gebühren muss er nach wie vor bezahlen«, erklärte Pia Beckmann Spiegel Online gegenüber, denn »Amtshandlungen finden, ja trotzdem statt.«

Für den Normalbürger - sofern er nicht Unternehmer oder Investor ist, der mit schnelleren Auskünften und kürzeren Genehmigungsfristen rechnen darf — zahlt sich das Würzburger Arvato-Projekt in keinem Fall aus. Im Gegenteil, zusätzlich zur Finanzierung des Projekts aus Steuern muss er nicht nur wie bisher Gebühren entrichten, sondern obendrein noch Such- und Arbeitsleistungen selbst erbringen. Damit aber nicht genug: Durch den langfristigen Vertrag der Stadt erfolgte die bindende Festlegung auf den Anbieter Arvato, der somit zum Monopolisten wird. Die Stadt ist finanzielle Verbindlichkeiten eingegangen, die für die Dauer eines Jahrzehnts (und wegen der unübersehbaren Folgekosten gegebenenfalls noch länger) den Handlungsspielraum des Kommunalparlaments erheblich einschränken werden.

Gänzlich ungeklärt ist zudem die Frage, welche Auswirkungen das E-Government auf die öffentliche demokratische Kontrolle und die politischen Einflussmöglichkeiten der Bürger hat. Schon zum Zeitpunkt des Projektstarts existierte ein Dunkelfeld, weil die Verträge zwischen der Stadt und Arvato der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Belinda Brechbilder, die Würzburger Kreissprecherin der Linkspartei, forderte daher eine Offenlegung der Dokumente und Sitzungsprotokolle sowie «eine bürgernahe, transparente, moderne und demokratische Lösung« durch deren Veröffentlichung im Internet.

PPP = Profit, PR und Piacebo?

Während die Repräsentanten der mainfränkischen Stadt die Vertreter der Partei Die Linke bei ihrer Forderung nach Aufklärung blockierten, präsentierte sich Würzburg bundesweit als erfolgreiches E-Government-Projekt. Die PR-Welle für Arvato rollt: Bereits am 24. Mai 2007 - die Tinte der Vertragsunterschriften vom 16. Mai war noch nicht getrocknet - wurde "Würzburg integriert als »ehrgeizigstes (!) E-Government-Projekt« auf dem 10. Deutschen Verwaltungskongress »Effizienter Staat« ausgezeichnet. In Berlin verlieh der - bisher weithin unbekannte - Bundesverband Public Private Partnership (BPPP)(8) an je einen Vertreter von Arvato und der Stadt Würzburg den von der Zeitschrift "Behörden Spiegel" gestifteten »Innovationspreis PPP«, zuerkannt »für erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und öffentlicher Verwaltung« in der »Kategorie IT Hightech«.

Am 25. Juni 2007 stellte sich "Würzburg integriert!« bei Ramboll Management vor, einem in Hamburg ansässigen Unternehmen für Management-Consulting, das beratend und analytisch in den Bereichen Forschung, Management, Gesundheit und Informationstechnologie tätig ist und weitere Niederlassungen in den skandinavischen Ländern unterhält. Wenig später, am 29. Juni 2007, präsentierte sich das Würzburger E-Government-Projekt beim Gutachterausschuss der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) in Köln. Für Arvato stellt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der KGSt(10) eine PR-Maßnahme dar: Der Auftritt bei der KGSt verspricht im Bereich der Kommunalverwaltungen einen hohen Bekanntheitsgrad(11) und steigert die Verkaufs- und Profitchancen von Arvato.

Auch von Seiten der früheren und ebenso der gegenwärtigen Bundesregierung, des Bundesfmanzministers Peer Steinbrück sowie der Länderfmanzminister, wird viel unternommen, um Öffentlich Private Partnerschaften anzustoßen und zu fördern. Mit dem Ziel einer Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingen hat der Bundestag am 30. Juni 2005 das »Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften« (kurz: »ÖPP-Beschleunigungsgesetz«)(12) verabschiedet (BGBl. 2005 1, 2676). Einem Bericht der Presseagentur ddp vom 20. Juni 2007 zufolge ist die Gründung einer Partnerschaft-Deutschland-Gesellschaft in Vorbereitung, an der der Bund mit 51 und die Wirtschaft mit 49 Prozent beteiligt sein sollen, Ziel der Gründung sei es, Know-how ?.u organisieren und Projekte zu identifizieren, die für eine PPP-Finanzierung geeignet sind (Stand: Juli 2007).

Inzwischen meldet sich auch verhaltene Kritik an der PPP-Euphorie. Sie besagt, dass die Versprechungen, mit deren Hilfe die Kommunen für Outsourcing- und Privatisierungsprojekte gewonnen werden, allenfalls einen Placeboeffekt haben, das heißt sie wirken wie Scheinmedikamente, sind aber kein echtes Heilmittel zur Behebung der kommunalen Haushaltsprobleme. Einem Bericht der Internet-Zeitung ngo-online vom 16. April 2007 zufolge hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) deshalb vor weiteren Angriffen auf die Kommunalwirtschaft und dem Zwang zur Privatisierung gewarnt.

Die Devise »Privat vor Staat« habe sich zwischenzeitlich als falscher Weg erwiesen, sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg(13) der Chemnitzer Freien Presse. Es gebe genügend Beispiele, wo einst privat geführte Unternehmen wieder von den Kommunen übernommen werden und deutlich preisgünstiger sind. Landsberg warf der Europäischen Union(14) und den Landesregierungen vor, den Privatisierungsdruck auf die Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren massiv erhöht zu haben. Dies entspräche aber nicht den Interessen der Bürgerinnen und Bürger - wie von der gemeinnützigen Bertelsmann Stiftung und den Medien der Bertelsmann AG immer wieder behauptet wird.

Anderes ist von einer Wegbereiterin der Arvato Government Services sowie der Konzern-Publizistik freilich auch nicht zu erwarten.

Anmerkungen

(1) Arvato ist ein weltweit vernetztes Unternehmen für Medien-, Kommunikations- und Verwaltungs-dienstleistungen sowie einer von sechs Konzernbereichen der Bertelsmann AG (siehe ergänzend Fußnote 9). Die AG umfasst nicht mehr nur - wie früher - Buchclubs (die heute Teil de Konzernsparte DircetGroup sind), sondern auch Europas größten Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr Europas größtes TV-, Radio- und Produktionsunternehmen RTL Group, die weltgrößte Buchverlagsgruppe Random House sowie die Musiksparte BMG, die im Verbund mit der japanischen Sony Corporation mehr als ein Viertel des Weltmarkts beherrscht (Liedke 2006: 63-68).

(2) Durch Beteiligungen in der Größenordnung von bis zu 74,9 Prozent gehören zu den Bertelsmann-Printmedien in Deutschland unter anderem die Erzeugnisse von Grüner + Jahr zum Beispiel Stern, Capital, Brigitte, Gala, Financial Times), des Spiegel-Verlags sowie der Manager Magazin Verlagsgesellschaft (Liedke 2006: 65, 67).

(3) Siehe den Beitrag »Bertelsmann und Public-Private-Partnership« von Wilhelm Ruehi und Arno Klönne im vorliegenden Band.

(4) Stiftung klingt nach Wohltätigkeit, Gutmenschentum und Philanthropie. Aber das täuscht, denn die Bertelsmann Stiftung ist — im Unterschied zu den Förderstiftungen, an die Otto und Frieda Normalbürger beim Wort »Stiftung denken - eine operative Programmstiftung. Als solche unterstützt sie nicht etwa Bedürftige. Auch fördert sie nicht andere Organisationen oder Einrichtungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Mit ihrem 100-Millionen-Jahres-Etat (2006) finanziert die Bertelsmann Stiftung ganz allein und ausschließlich die eigenen Bestrebungen (bzw. - wie hier aufgezeigt - jene des Konzerns). Die Rechtsform der gemeinnützigen Stiftung erweist sich somit als unverdächtiges Steuerschlupfloch.

(5) Neue Soziale Marktwirtschaft ist der Name einer Initiative, hinter der sich eine im Jahr 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete sowie von weiteren Wirtschaftsverbänden und Unternehmen getragene PR-Agentur verbirgt (Speth 2004; Nuernbergk 2006; Speth/Leif 2006). Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) versteht sich gemäß ihrer Selbstdarstelhmg als »branchen- und parteiübergreifende Plattform« mit dem Anspruch, die Marktwirtschaft in einem neoliberalen Sinn »an die Globalisierung, die Wissensgesellschaft, die Veränderungen in der Arbeitswelt und den demografischen Wandel« anzupassen (www.insm.de). Eine Verbindung zwischen der INSM und dem Bertelsmann-Konzern existiert dabei nicht nur ideologisch, sondern auch praktisch: Die INSM unterhält eine "Medienpartnerschaft mit der zu Bertelsmann gehörenden Tageszeitung Financial Times Deutschland und sponserte einen Workshop der RTL-Journalistenschule in Köln (die RTL Group ist eine Unternehmensgruppe der Bcrtelsmann AG). - Die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft ist auch Thema der 1992 gegründeten Gemeinschaftsinitiative Soziale Marktwirtschaft, an der die Bertelsmann Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung sowie die Ludwig-Erhard-Stiftung beteiligt sind. Die Initiative der drei Stiftungen hat sich »das Ziel gesetzt, den ordnungspolitischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft im Rahmen der aktuellen Reformdiskussionen Gehör zu verschaffen (...) (und) arbeitet mit ihren Projekten daran, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit kontinuierlich neue Impulse zur Erneuerung und Fortschreibung der Sozialen Marktwirtschaft zu geben« (Statement der Gemeinschaftsinitiative unter www.bertelsmann-stiftung.de).

(6) Hartmut Ostrowski ist dafür vorgesehen, im Januar 2008 den Chefposren im Vorstand der Bertelsmann AG zu übernehmen. Sein Vorganger ist Dr. Gunter Thielen, der nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand des Konzerns in dessen Aufsichtsrat wechseln und gleichzeitig auch den Vorstandsvorsitz der Bertelsmann Stiftung bekleiden soll (Stand: Juli 2007).

(7) Neben den Government Services und der Firma empolis umfasst die Palette der Arvato-Unterneh-mensspane von Bertelsmann die Bereiche "arvato print" (mit zahlreichen Großdrückereien in Europa und USA), "arvato direct Services« (Kundenbindungssysteme und Service-Center-Leitsungen), "arvato logistic services" (Logistik, Management von Vertrieb statten), "arvato storagc media« (CD-ROM-, DVD- und Audio-CD-Fioduktion) sowie "arvato mobile* (Mobile Entertainment). Der Umsatz der Arvato AG stieg von 3,76 Milliarden Euro (2004) auf 4,37 (2005); die Zahl der Beschäftigten wuchs von 33.813 (2004) auf 42.155 (2005) (Liedke 2006: 66).

(8) Der BPPP wurde im November 2003 in Hamburg gegründet und bezeichnet sich auf seiner Website www.bppp.de als »Think Tank für Allianzen«: »Er versteht sich vor dem Hintergrund einer wachsenden aber zugleich sehr heterogenen Landschaft von Kooperationsprojekten zwischen Staat und privatem Sektor als umfassende privat-öffentliche Diskussions- und Gestaltungsplattform.*

(9) Der Behörden Spiegel, diese monatlich im ProPress-Verlag erscheinende "Zeitung für den öffentlichen Dienst«, besagt in der Eigenwerbung, die Publikation beschäftige sich »als einzige nicht rein militärische Fachzeitschrift (...) auch mit der Ausrüstung der Streitkräfte, den dortigen technologischen Entwicklungen, den alternativen Organisation- und Finanzierungsmodellen bei der Bundeswehr. Gleiches gilt für Polizei, Bundesgrenzschutz und THW. Themen, die auch unter dem Stichwort Homeland Security immer bedeutender werden. Im Wirtschaftsteil des Behörden Spiegel mit dem Titel ,Beschaffung special' werden m Frage kommende Dienstleistungen und Produkte, die durch staatliche Anwender beschafft werden könnten, vorgestellt« (www.behoerdenspiegel.de),

(10) Die KGSt wurde 1949 in Köln gegründet und ist ein nicht-kommerzielles, von den deutschen Städten, Gemeinden und Kreisen gemeinsam getragenes »Entwicklungszentmm des kommunalen Managements«. Die KGSt gibt vor allem gutachtliche Empfehlungen heraus und fördert den interkommunalen Erfahrungsaustausch durch Seminare und Fachkonferenzen.

(11) Den gleichen Zweck verfolgt die Bertelsmann Stiftung bei ihrer Zusammenarbeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Beide Organisationen veranstalteten im Juni 2007 ein »Forum für Führungskräfte im öffentlichen Dienst« (www.potsdamer-forum.verdi.de).

(12)  Die Verwendung des Begriffs »Öffentlich Private Partnerschaft« (ÖPP) ist seitens des Gesetzgebers ein Versuch, den Anglizismus »Public Private Partnership« (PPP) einzudeutschen.

(13) Derselbe Dr. Gerd Landsberg hat als Geschäftsführendes Präsidialmitglied das Vorwort des vom DStGB und der Bertelsmann Stiftung herausgegebenen Prozesskatalogs »Besser - schneller -preiswerter- (Wagner 2007: 8) mit unterzeichnet.

(14 )Siehe dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Martin Hantke, Tobias Pflügcr und Judith Demba über den »EU-Verfassungsvertrag und die Bertelsmann Stiftung«.

Literatur

Bauer, Rudolph, 2007: Global Player Bertelsmann. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2007: 1003-1U09

Gcmeinschaftsinitiative Soziale Marktwirtschaft (Hg.), 2007: Ergebnis-Dokumentation 1992-2007-O. O.: o. V.

Liedke, Rüdiger, 2006: Wem gehört die Republik? Die Konzerne und ihre Verflechtungen in der globalisierten Wirtschaft 2007, Eichborn

Nuernbergk, Christian, 2006: Die PR-Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und ihr Erfolg in den Medien, in: Röttger 2006: 159-178

Röttger, Ulrike (Hg.), 2006: PR-Kampagnen. Üher die Inszenierung von Öffentlichkeit, Wiesbaden

Speth, Rudolf, 2004: Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Düsseldorf, Hans-Böckler-Stiftung

Speth, Rudolf / Thomas Leif, 2006: Lobbying und PR am Beispiel der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, in; Speth, Rudolf/ Thomas Leif (Hg.), 2006: Die fünfte Gewalt - Lobbyismus in Deutschland, Wiesbaden: 302-316

Speth, Rudolf / Thomas Leif (Hg.), 2006: Die fünfte Gewalt - Lobbyismus in Deutschland, Wiesbaden

Wegener, Alexander, 2007: Besser-schneller-preiswerter!Administrative Dienstleistungs-Partnerschaften innovativ gestalten. Prozesskatalog des Public Business Outsourcing in Städten und Gemeinden. Arbeitsversion zum Kommunalkon--gress 2007, Gütersloh