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Süddeutsche Zeitung vom 01.04.2008
Von Christoph Hickmann
Frankfurt - Es konnten der Superlative gar nicht genug sein im Dezember 2005.
Ab sofort stehe „dem hessischen Strafvollzug in Hünfeld eine der
modernsten; wirtschaftlichsten und sichersten Justizvollzugsanstalten
Deutschlands zur Verfügung" , jubelten der hessische Ministerpräsident
Roland Koch und sein gerade erst berufener Justizminister Jürgen Banzer (beide
CDU). Anlass war die Einweihung des ersten teilprivatisierten Gefängnisses der
Republik; Koch und Banzers Amtsvorgänger Christean Wagner hatten das Projekt
gegen den Widerstand von Opposition, Gewerkschaften und Strafvollzugsexperten
vorangetrieben.
Der Strafvollzug, bislang eine der hoheitlichen Kernaufgaben schlechthin,
sollte nicht mehr allein Sache des Staates sein. Stattdessen übernahm das auf
die Übernahme öffentlicher Dienstleistungen spezialisierte Unternehmen Serco
unter anderem Organisation und Betrieb der Werkstätten, die medizinische
Versorgung der Gefangenen sowie deren Weiterbildung. Der hessische Weg habe
„Vorbildcharakter weit über die Landesgrenzen hinaus", so Koch und
Banzer.
Ihr immer wiederkehrendes Hauptargument für den radikalen Schritt: Das Land
spare so 15 Prozent der Betriebskosten, etwa 660 000 Euro im Jahr.Die Qualität
des Strafvollzugs leide darunter nicht, sondern werde verbessert - schließlich
gebe es „ein erhebliches Mehrangebot von Gefangenenarbeitsplätzen".
Mehr als zwei Jahre nach der Eröffnung aber sind Zweifel angebracht, ob die
Rechnung aufgeht: Nach einer Aufstellung aus dem hessischen Justizministerium
ist ein Haftplatz in Hünfeld teurer als in der staatlichen JVA Darmstadt.
Demnach kostete es im Jahr 2007 pro Tag 79,28 Euro, einen Gefangenen in
Darmstadt unterzubringen, während es in Hünfeld 83,18 Euro waren. Legt man die
Zahl von 500 Gefangenen in Hünfeld zugrunde, ergäben sich aufs Jahr
hochgerechnet Mehrkosten von etwa 700 000 Euro.
Bei Serco hat man das Problem offenbar erkannt. Man werde „die Ergebnisse
analysieren und schauen, was man verbessern kann", sagt ein Sprecher. Der
Vergleich mit der JVA Darmstadt hinke zwar ein wenig, da durch ihn nicht klar
werde, was es kosten würde, die JVA Hünfeld staatlich zu betreiben - doch auch
der Serco-Sprecher räumt ein, dass die JVA Darmstadt mit der Anstalt in Hünfeld
grundsätzlich vergleichbar ist.
Im Justizministerium erklärt man die Differenz mit Abschreibungen, „die
in einer neu gebauten Anstalt wesentlich höher ausfallen als bei alter
Bausubstanz". Allerdings hatte die Landesregierung stets auch die geringen
Baukosten als Argument für das Hünfelder Modell angeführt. Und ein Jahr nach
der Eröffnung verkündete Banzer: „Die Tendenz wird sich verstärken, dass
in der JVA Hünfeld mit weniger Mitteln ein Vollzug von hoher Qualität
gewährleistet wird." .
Heute heißt es im Ministerium, die wissenschaftliche Begleitforschung durch die
Fachhochschule Fulda werde erst 2009 abschließende Ergebnisse liefern. Und
schließlich müsse man berücksichtigen, dass in der JVA Darmstadt eine äußerst
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Im Januar 2006 zogen die ersten von etwa 500 Strafgefangenen in die neue
hessische Haftanstalt in Hünfeld ein. (Foto: ddp)
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rentable Druckerei betrieben werde, die zu den niedrigen Kosten pro Haftplatz
beitrage. Das Verblüffende an dieser Argumentation: Die Befürworter der
Teilprivatisierung hatten stets die hohe Beschäftigungsquote der Gefangenen in
Hünfeld betont und auf die Wirtschaftlichkeit des Betriebs verwiesen.
Als Beleg dafür, dass Hünfeld „im Gesamtvergleich außerordentlich günstig
dasteht", nennt das Ministerium, neben dem hessischen Durchschnittswert
von 96,70 pro Tag und Haftplatz für 2007 unter anderem die Gefängnisse in
Butzbach und Schwalmstadt. in denen ein Haftplatz pro Tag jeweils mehr als 100
Euro kostet. Bei diesen Gefängnissen aber handelt es sich um Anstalten der
Sicherheitsstufe 1. Dort sitzen Gefangene, die im Allgemeinen wegen deutlich
schwerwiegenderer Vergehen verurteilt wurden als jene in Hünfeld oder auch
Darmstadt -weswegen etwa deutlich mehr Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind.
SPD spricht von Skandal
Die Opposition im Landtag sieht die Zahlen dementsprechend in einem anderen
Licht. Von einem „Skandal" spricht die SPD-Justizpolitikerin Nancy
Faeser: „Der Traum von Hünfeld ist geplatzt, das Konzept der
Teilprivatisierung ist in Hessen gescheitert." Dies sei „die
Bestätigung für unsere Position, dass Private qualitativ hochwertigen
Strafvollzug mit dem Schwerpunkt auf Resozialisierung eben nicht günstiger
anbieten können". Auch Anton Bachl, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten,
sieht sich bestätigt: „Wir haben von Anfang an gesagt, dass ein
vernünftiger Resozialisierungsvollzug nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben
ist."
Faeser warnt zudem davor, dem Beispiel Hessens zu folgen: „Ich kann dem
Land Baden-Württemberg'nur empfehlen, sorgfältig zu rechnen, ob sich eine
Teilprivatisierung tatsächlich lohnt." Dort soll Mitte 2009 in Offenburg
ein Gefängnis eröffnet werden, dessen Betrieb ebenfalls teilweise von einem
privaten Unternehmen übernommen wird. Das Land rechnet über fünf Jahre mit
einer Ersparnis von knapp einer Million Euro. In Sachsen-Anhalt und
Niedersachsen sind ähnliche Projekte geplant.
Justizministerium und Serco wollen in Hünfeld nun überdies die Zahl der
Mitarbeiter etwa in der Krankenpflege und im psychologischen Dienst verringern.
Aktuell laufen die Verhandlungen, die das Ministerium zwar als „Gespräche
über eine Qualitätsoptimierung" bestätigt, zu denen es aber „keine
Stellungnahme" abgeben will - sie seien noch nicht abgeschlossen. Offen
bleibt damit die Frage, wer die Arbeit der Betreuer übernehmen soll. Bei Serco
heißt es nur: „Das Aufgabenspektrum, das Serco erfüllen soll, wird
reduziert." Mit der Wirtschaftlichkeit habe das nichts zu tun. Vielmehr
habe man nach zwei Jahren festgestellt, dass man mit weniger Mitarbeitern
auskomme.
Dazu
der KOMMENTAR
Süddeutsche Zeitung vom
01.04.2008
Knast als
Profit-Center
Die
Verbetriebswirtschaftlichung des Gemeinwesens hat vor einiger Zeit die
Gefängnisse erreicht. Ende 2005 eröffnete Hessens Ministerpräsident Roland Koch
in Hünfeld das erste teilprivatisierte Gefängnis Deutschlands. Der Staat
schließt dort zwar noch auf und zu, aber wichtige Schlüsselpositionen sind
privat besetzt. Der Staat wollte auf diese Weise sparen. Jetzt stellt sich
heraus, dass das. nicht funktioniert. Das halbprivate Spargefängnis ist teuerer
als das klassische staatliche Gefängnis.
Diese Erkenntnis ist geeignet,
den gefährlichen staatlichen Privatisierungswahn zu stoppen. Der Midas-Glaube
der neuen Ökonomie, welchem auch die deutsche Politik viel zu lang anhing, tut
so, als könne man auch noch aus einem Gefängnis ein Profit-Center machen. Es handelt
sich dabei um eine Irrlehre - und zwar weniger deswegen, weil sich zeigt, dass
das Privatgefängnis teuerer ist, als man sich das vorgestellt hat. Es ist
vielmehr so, dass es einen Wesenskern von staatlichen und hoheitlichen
Tätigkeiten gibt, die nicht privatisiert werden dürfen, weil sich der Staat
sonst selbst in Frage stellt. Die Bürgerinnen und Bürger erleben die
Privatisierung der Öffentlichen Sicherheit und die Privatisierung der
Öffentlichen Daseinsvorsorge als einen Sieg des Wertesystems angeblicher
ökonomischer Effizienz über das Wertesystem der sozialen Verantwortung. Das
schwächt die Loyalität zum Staat und zur Staatsform, das stärkt die
Staatsverdrossenheit.
Der Staat darf seine Aufgaben nicht abwerfen wie ein Baum seine Blätter im Herbst. Die Zahlen vom teueren Billigknast in Hünfeld sind geeignet, das Nachdenken über die Grenzen der Entstaatlichung zu fördern. Pra