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Standpunkte aus der Zeitung
Der Reichtum reicht auch für Rentner
Zehntausende Beschäftigte haben
am Freitag gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre
gestreikt. Die Kampagne der IG Metall gegen diesen Beschluss der
Regierung schmerzt vor allem die SPD. Unser Autor rechnet vor, dass
eine solche Rentenpolitik aus ökonomischen Gründen nicht
notwendig wäre.
"In 25 Jahren wird jeder zweite Rentner eine Rente in Höhe von
Hartz IV bekommen." So der Renten "experte" Miegel. Diese Perspektive
ist kein Zwangsgesetz.
Die Verlängerung des Renteneintritts auf 67 Jahre heißt
weitere Rentenkürzungen. Schon heute halten viele nicht bis 65
durch. Sie sind gesundheitlich fertig. Und Arbeitsplätze für
Ältere gibt es kaum noch. Zwei Drittel gehen vor 65 in Rente. Und
das heißt: Abschläge! Umso mehr, wenn es die Rente erst mit
67 gibt. Wer mit 63 geht, muss mit einer lebenslangen
Rentenkürzung von 14,4 Prozent leben.
Die geplanten Schnitte gehen aber noch tiefer: In den nächsten
Jahrzehnten wird es keine oder nur minimale Rentenerhöhungen
geben. Bei zwei Prozent Inflation führt dies in den nächsten
zehn Jahren zu einer Entwertung der Rente um zehn, 15 oder sogar mehr
als 20 Prozent! Verbreitete Altersarmut droht. Besonders für
Frauen!
Rente mit 67 und ausgebremste Rentenanpassungen sind notwendig wegen
der Altersentwicklung der Gesellschaft, der Demografie. Sagt die
Regierung. Heute kommen noch knapp vier Erwerbsfähige auf einen
über 65-Jährigen. In 30 Jahren werden es nur noch zwei sein.
Viele fragen sich: "Wie soll das gut gehen? Ohne Einschnitte?" Wenn die
Menschen immer länger leben und gleichzeitig immer weniger Kinder
bekommen, dann scheinen "natürliche" Sachzwänge den Umbau der
Rente, ja der Gesellschaft notwendig zu machen.
Zunächst: demografische Verschiebungen sind überhaupt nichts
Neues. Vor 100 Jahren kamen auf einen über 65-Jährigen noch
zwölf Erwerbsfähige. 1950 betrug das Verhältnis von Jung
zu Alt noch sieben zu eins. Wir haben also bereits einen dramatischen
demografischen Wandel hinter uns. Nur gemerkt hat es anscheinend
niemand. Wieso konnte der Sozialstaat, die Rentenversicherung in der
Nachkriegszeit in einer historisch unvergleichbaren Weise ausgebaut
werden? Wieso war das möglich, obgleich eine "demografische Bombe"
explodierte?
Das Geheimnis: Steigerungen der Produktivität. Sie haben den
Effekt der demografischen Entwicklung mehr als ausgeglichen. Von jedem
und jeder Beschäftigten wurden von Jahr zu Jahr mehr Produkte und
Werte geschaffen. Und das bei massiv sinkender Arbeitszeit. Allein in
den 60er Jahren war eine Steigerung der Produktivität von mehr als
50 Prozent zu verzeichnen. So fiel die Veränderung des
Altersquotienten nicht mehr ins Gewicht.
Auch wenn die zukünftigen Steigerungen der Produktivität
deutlich geringer sein dürften als in der Vergangenheit, kann der
demografische Wandel aufgefangen werden. 2006 wurde im Durchschnitt je
Einwohner bzw. Einwohnerin fast 28000 Euro Reichtum produziert. Selbst
bei einem jährlichen Produktivitätsfortschritt von nur einem
Prozent und bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit würde das
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung bis 2030 auf 31500
Euro steigen. Ein Plus von 13 Prozent. Der oberste Rentenkürzer
der Republik – Professor Rürup – geht jedoch von einer
Produktivitätssteigerung von 1,8 Prozent je Jahr in der Zukunft
aus. Dann würde der erarbeitete Reichtum, auf alle, vom Baby bis
zum ältesten Rentner gleichmäßig verteilt, 2030
für jeden 38000 Euro betragen. Etwa 35 Prozent mehr als 2006.
Trotz Demografie! Wo ist da eigentlich das Problem?
Die Verteilung ist der Haken! Der wirtschaftliche Erfolg der Steigerung
der Produktivität schlägt sich immer zunächst in den
Unternehmen durch verbesserte Gewinne nieder. Erst durch höhere
Löhne und Gehälter fließen die
Produktivitätsgewinne der breiten Bevölkerung zu.
Und hier liegt genau das Problem. In den letzten zehn Jahren sind die
Löhne bezogen auf die Produktivitätssteigerung um zehn
Prozent zu wenig gestiegen. Kein Wunder, dass die Einnahmen der
Rentenkasse in die Knie gehen.
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Der Autor
Michael Schlecht ist seit 1980 als hauptamtlicher Gewerkschafter
aktiv;zuerst bei der IG Druck und Papier, dann bei der IG Medien und
jetzt bei Verdi. Derzeit ist er deren Chefvolkswirt. Die Frankfurter
Rundschau veröffentlicht von Zeit zu Zeit Beiträge von
Michael Schlecht zur Wirtschaftspolitik. aud
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Gelingt es Lohnsteigerungen mindestens in Höhe des
verteilungsneutralen Rahmens durchzusetzen, könnten die
Beitragssätze über die bis 2030 geplante Marke von 22 Prozent
steigen. Mit höheren Löhnen und höheren Beiträgen
könnten Beschäftigte und Rentner an der wachsenden
Leistungsfähigkeit der Arbeit teilhaben. Genau wie in den 50er,
60er und auch noch 70er Jahren. Von 1957 bis heute stiegen die
Beiträge von 14 auf knapp 20 Prozent an. Der Verzicht auf die
Rente mit 67 würde 2030 gerade einmal zu einem um 0,5
Prozentpunkte höheren Beiträge führen.
Es ist ein großer Unterschied, ob man die Beschneidung der Rente
mit Demografie begründet oder ob deutlich wird, dass es sich um
einen gesellschaftlichen Konflikt handelt. Wirkliche Sachzwänge
muss man akzeptieren. Politische Konflikte kann man austragen und sie
für sich entscheiden. In Frankreich, Italien, Griechenland und
selbst Österreich haben Gewerkschaften in der Rentenfrage sich
gegen Verschlechterungen erfolgreich gewehrt. Rentenpolitik heißt
deshalb für uns: Kampf gegen die Rente mit 67. Und deutliche
Lohnerhöhungen, gerade im Jahr 2007!
Politiker, die von Überalterung und Demografie reden, haben sich
längst auf eine beständige Umverteilung von unten nach oben
eingestellt. Ein Verteilungskonflikt wird zum scheinbaren Sachzwang, er
wird zu einem "biologischen" Problem erklärt. Wer die alte
Verteilungsfrage kaschieren möchte, redet möglichst viel von
Demografie, Demografie und nochmals Demografie.
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Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 26.01.2007 um 19:32:01 Uhr
Letzte Änderung am 26.01.2007 um 19:45:25 Uhr
Erscheinungsdatum 27.01.2007