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Auszug aus LZ, Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 59.Jahr. Heft 11, November 2006,  Seite 20 und 21

Der Lockruf der Stifter

Bertelsmann und die Privatisierung der Bildungspolitik


Vom Monetarismus über Reagonomics und Thatcherismus dominieren seit bald drei Jahrzehnten Schattierungen des Neoliberalismus die westliche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Privatisierung ist ihr Schlachtruf, die Senkung der Staatsquote ihr Programm. Die privatwirtschaftlichen Massen medien blasen bereits ganz überwiegend ins neoliberalc Hörn. Profis aus PR und Werbung werden zusätzlich mit Millionenbeträgen für Kampagnen angeheuert, etwa für die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", hinter der der Arbeitgeberverband Gesamtmetall steckt. Im Bereich Bildung und Wissenschaft tritt jedoch zusätzlich eine scheinbar seriösere Spezies auf den Plan: die Stifter. Unter Führung der Beitelsmann-Stif-tung ist es diesen gelungen, Bildungspolitik bis in gewerkschaftliche und rot-grüne Diskurse hinein auf die Linie des Neoliberalismus zu bringen.

Stiftungen sind Ausdruck von Engagement für das Gemeinwesen, aber auch mögliches Instrument der politischen Einflussnahme. Wenn wohlhabende Menschen einen Teil ihres Reichtums für gemeinnützige Zwecke stiften, ist das prinzipiell eine wunderbare Sache. Wenn sie dabei die Interessen ihrer sozialen Schicht, zuweilen vielleicht sogar ihre Privatinteressen, mit dem Gemeinwohl verwechseln, dann ist das menschlich verständlich. Wenn dies jedoch strategisch auf breiter Front mit beträchtlichen Finanzmitteln und im globalen Maßstab geschieht, ist mehr kritische Aufmerksamkeit geboten, als insbesondere der Berteismann-Stiftung bislang zuteil wird.

Die Berteismann-Stiftung ist die Unternehmensstiftung des Bertels-mann-Konzerns, des größten Medien-Multis Europas und des fünftgrößten weltweit. Neben vielen kleineren Buchverlagen gehört ihm im Printbercich der Weltmarktfuhrcr Randomhouse, der Bertelsmann-Buchclub mit weltweit 25 Millionen Mitgliedern sowie Grüner + Jahr, der größte Zcitschriftenverlag Europas mit 120 Blättern. Im Bereich Entertainment gehören dem Unternehmen rund 200 Musik-Labels, dazu kommen 18 Radio- und 22 Fernsehsender, darunter die RTL-Gruppe. Abgerundet wird das Medienimperium durch Immobilienhandel, die Bertelsmann International Finance Eimited sowie ein Finanzinstitut im Steuerparadies Cura-cao Antillen. Der letzte große Coup war im Juli 2004 die Fusion der Bertelsmann Music Group mit Sony Music zum nun zweitgrößten Musikkonzcrn weltweit. Von 1980 bis heute hat sich die Zahl der Bertelsmann-Mitarbeiter von 45.000 auf 82.000 nahezu verdoppelt, der Gesamtumsatz von 6,5 auf über 20 Milliarden Büro verdreifacht, davon 70% im Ausland. 1977 wurde vom heutigen Untern ehmcnspatriar-chcn Reinhard Mohn die Berteismann-Stiftung gegründet. Ihr wurden 1993 70 °/o des Konzemgesamtkapitals übertragen. Neben dem Streben nach gesellschaftlicher Einflussnahme dürfte ein Motiv darin bestehen, dass auf diese Weise erzielte Steucrersparnisse die Stiftungsausgaben deutlich übersteigen. Schon vor diesem Hintergrund kann es überraschen, wenn die Stiftung sich selbst als „unabhängig" bezeichnet. Sie ist mittlerweile die größte operative Untemehmenssüfiung in Deutschland. Sie verfügt über einen Jahresetat von 65 Millionen Euro und über 300 Mitarbeiter, die mehr als 100 Projekte betreuen.

Im Bildungs- und Kulturbereich zielt die Strategie Berteismanns auf eine weiträumige Kommerzialisierung von Wissenschaft und Bildung - nicht zuletzt deshalb, weil der Medienkonzern sich hier neue Märkte erschließen könnte. An den Hochschulen ist dabei insbesondere die Einführung von Studiengebühren von Bedeutung, weil nur Gebühren diesen Bereich für private Investoren lukrativ machen können. Doch auch die einfache Schulbildung liegt im Blickfeld des Konzerns und seiner Stiftung. Den Anfang machte 1992 die Bildungskommission Nordrhein-Westfalen, die ihren Bericht 1995 präscnticrte(l). Das Gremium bestand aus Politikern, Hochschullehrern sowie Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern. An prominenter Stelle war der Patriarch des Familienuntemehmens Bertelsmann und Leiter der gleichnamigen Stiftung Reinhard Mohn beteiligt.

„Haus des Lernens"

Als Leitbild entwickelte die NRW-Kommission das „Haus des Lernens", um die bisher geschlossene Bildungsanstalt durch offene Bildungsorgan isation zu ersetzen. Kooperatives Lernen in sozialen Erfahrungsräumen sollte zu lebenslangem Lernen befähigen, zentralisü'sch organisierte staatliche Regelungsmechanismen sollten durch demokratische Partizipationsmöglichkeiten ergänzt werden. Der Einzelschule müsse dafür ein rechtlich gesicherter Handlungsspielraum gewährt werden, innerhalb dessen sich alle Beteiligten freier bewegen können. Zwecks Steigerung der Eigenverantwortung der Einzelschule befürwortet der Kommissionsbericht die Urnstellung auf ein Pauschalfinanzierungskonzept Im Rahmen eines Pauschalbudgets soll es erlaubt sein, schulspezifische Akzente der Finanzierung und Bewirtschaftung zu setzen. Dieses erste Modell erteilte der Marktsteuerung finanzieller Ressourcen im Bildungssystem noch kein grünes Licht. Gleichwohl wurde der Ist-Zustand der öffentlichen Bildungsausgaben auf eine Weise beschrieben, die zukünftig effizientere Organisationsformen der Bewirtschaftung verlangt.

Die Akteure vor Ort sollen eine Binnen Optimierung des finanziellen Mitteleinsatzes (Sach- oder Personalmittel) nach Bedarf vornehmen. Darüber hinaus soll ein Wettbewerb der Schulen um zusätzliche öffentliche Gelder eines regionalen Entwicklungsfonds angeregt werden.

Die Erschließung auch privater Mittel durch Sponsoring oder den Verkauf eigener Eeistungen auf dem Bildungsmarkt wird ausdrücklich empfohlen. Durch ein Controlling- und Berichtswesen wollte die Kommission Finanzie-rungs- und Kostenbcwusstsein etablieren, um das derzeitige kameralistische System durch ein System der Kosten-Leistungsrechnung zu ersetzen.

Auf diese Weise bedeutete die unter der Ägide der Berteismann-Stiftung entwickelte Schulpolitik die Invasion der Kennziffern im Schulalltag. Über 900 verschiedene Kennwerte wurden inzwischen gezählt, die in Projekten wie „Schule Et Co" in Nordrhein-Westfalen erprobt wurden - ungeachtet der Frage, ob Bildungsprozesse sich ebenso wie Stückgutkosten messen lassen, und ganz abgesehen davon, ob dies, falls möglich, überhaupt erstrebenswert ist.

Demokratische Entscheidungsfindung und offene Diskussion werden in diesem Bildungsmodell durch Steuerungsverfahren aus der neueren Betriebswirtschaftslehre ersetzt. Das Maß aller Dinge sind Effizienz und Kosten.

„Initiativkreis Bildung"

Bereits 1998 hatte die Berteismann-Stiftung den „Imtiativkreis Bildung" unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Roman Herzog und mit Expertise aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und pädagogischer Praxis gegründet. Sein Memorandum „Zukunft gewinnen - Bildung erneuern" von 1999 gleicht dem Bericht der NRW-Bildungskommission. Neu ist nur der auf die spezifischen Interessen der Wirtschaft gerichtete Fokus. Gefordert wird die flexible lebenslange Vermittlung von Büdungsbausteinen in Form variabler Modulc für den Berufsalltag, gefördert durch eine pauschale, befristete Sockelfinanzierung für alle Studierenden, inklusive Bildungssparen und Darlehen.

Dieses Bildungsfinanzierungskon-zept stammt von einer Expertenkommission des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, der 1949 als Förderverein der deutschen Wirtschaft gegründet wurde. Als Eobbyorganisation verwaltet er für 21 Stiftungen fast das gesamte Stiftungsvermögen der Privatwirtschaft.

Der Stifterverband und das CHE legten 1999 ein Gesamtkonzept zur Neuordnung der Bildungsfinanzierung im Hochschulbereich vor. das in enger Zusammenarbeit mit dem „Initiativkreis Bildung" entstand. Angesichts knapper Finanzausstattungen war das Ziel die Etablierung einer Anbieter-Nachfrager-Beziehung, wobei die Beiträge der Studierenden 20 bis 30 % der Ausbildungskosten bzw. 500 bis 1500 Euro pro Semester ausmachen sollen. Die Bertels-mann-Stiftung füngiert dabei als treibende Kraft. Ihre Verbindung mit den mehrheitlich konservativen Hochschulrektoren und dem Stifterverband kann nicht verwundem, ihre Beziehung zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und zur Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen spricht dagegen für eine subtile Bündnistaktik. Als Gewerkschaftsinitiative konstituierte sich 1997 der Sachverständigen rat Bildung der Hans-Böckler-Süftung. Vorsitzender wurde Ex-GEW-Chef Dieter Wunder, der auch im „Imtiativkreis Bildung" der Bertelsmann-Stiftung tätig ist. Dazu gesellten sich Sybille Volkholz, ehemals bildungs-politische Sprecherin der Berliner Grünen, später Vorsitzende der Büdungs-kommission der Heinrich-Böll-Stiftung, sowie die dem CHE und Stifterverband nahe stehenden Professoren Klaus Klemm und Jürgen Lüthje.

Im Oktober 1998 legte der Sachverständigenrat einen Vorschlag zur Bildungsfinanzierung vor, der Bildungskonten, Bildungsgutscheine, Bildungssparen sowie Bildungsdarlehen mit einer staatlichen Sockelfinanzierung kombiniert. Dieses Modell ist nicht auf die Hochschule beschränkt, sondern soll schon nach der Pflichtschulzeit nach Ende der Sekundarstufe I gelten. Auch die gymnasiale Oberstufe würde dann teilweise über private Bildungskonten finanziert.

Auf ethische Grundlagen besinnen

Mit der Kommerzialisierung des Bildungssystems vollzieht sich dessen Entdemokratisierung. Faktisch ist die Herstellung ökonomisch autonomer Bildungseinrichtungen, die über ihren Haushalt selbst bestimmen, mit der Reduzierung von Mitspracherechten der Mitarbeiter verbunden. Die Steuerung durch Globalhaushalte ermöglicht es Vorgesetzten, Sparmaßnahmen zu legitimieren, und wirkt dabei als „Transmissionsriemen für die Verschärfung von Einkommensungleichheit" (2).

Demokratische Parüzipation lässt sich nicht mit Marketingmethoden von Rating und Ranking umsetzen. Menschliche Eernprozesse lassen sich nicht wie Stückgutkosten mittels betriebswirtschaftlichen Controllings messen. Statt-dessen bedürfen Bildung und Wissenschaft an Stelle einer Ideologie purer Effizienz einer Besinnung auf ethische Grundlagen. Ethik vor Fffizieriz - wo ist heute die Stiftung, die dieses Motto mit einer den Berteismännern ebenbürtigen Überzeugungskraft vertritt?

Thomas Barth und Oliver Schöller

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus: Blätter für deutsche und internationale Polilik, 11/2005; Kürzung: HLZ. Den vollständigen Text mit Anmerkungen und Lileratur-hinweisen findet man unter www. blaettcr.de.

(1) Bildungskömmissäon des Landes NRW, Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft, Neuwicd 1995.
(2) Vgl. Torsten Bultmann und Oliver Schöller. Die Zukunft des Bildungssystems: Lernen auf Abruf eigenverantwortlich und lebenslänglich, in: PROKLA, 2/2003, S. 331-354.