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Auszug aus dem "Stern" Nr. 36/2007 Seiten 42 bis 48
(gescannt)
Kommt Gasprom? Kommen arabische Investoren? Man weiß es nicht Es geht
um viele Milliarden Euro. Um ein Vermögen, das fünf Generationen geschaffen
haben: die Bahn. Sie soll an die Börse. Wer die Bahn besitzt, hat einen Schatz:
beste Grundstücke überall. Demnächst entscheidet der Bundestag über diesen
Coup: Der Bürger wird enteignet - und bezahlt auch noch dafür. Ein Aufschrei
von stern-Autor Arno Luik
Da ist etwas - je nach Schätzung - zwischen 100 und 200 Milliarden Euro wert.
Knapp die Hälfte von diesem teuren Ding soll verkauft werden. Der Besitzer
rechnet mit einem Verkaufspreis von vier bis acht Milliarden Euro. Und ist
sehr, sehr glücklich. Verrückt ? Nein, das ist hohe Politik, im konkreten Fall
nennt man das: Privatisierung der Bahn.
Es ist ein wirklich großer Deal, ein wirklich großes Spiel, das da im Moment
gespielt wird, ein großer Bluff. Die Akteure: der Bahnchef und ein paar Männer
aus der SPD. Zum Beispiel der Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Er ist froh,
dass er in diesem Spiel mitmachen darf, und so sagt er, was man von ihm
erwartet: Die Bahn muss an die Börse. Das ist gut so, sagt Tiefensee, das werde
„die Bahn stärker machen".
Eher im Hintergrund, aber lautstark, wenn es sein muss:
Ex-Verteidigungsminister Peter Struck. Er kämpft in seiner Fraktion für den
Börsengang der Bahn, bringt widerborstige Genossen zum Schweigen. Noch eifriger
als Struck, überaus ungeduldig und ungestüm der Dritte, der Lauteste, der
Bahnchef Hartmut Mehdorn. Er hat es eilig, will lieber heute als morgen
privatisieren, was durch Steuergeld geschaffen worden ist.
Und dann gibt es noch einen, der mitgemischt hat und nie zu unterschätzen ist -
Gerhard Schröder. Schröder, der bis vor zwei Jahren Bundeskanzler war, der
heute in russischen Diensten ist, aktiv für Gasprom. Auch bei der
Bahnprivatisierung brachte Schröder sich ein, mit seinem ganzen politischen
Gewicht.
Bei den Koalitionsverhandlungen noch hatte die Arbeitsgruppe Verkehr"
empfohlen, das „Ob und Wie einer Kapitalprivatisierung der Bahn zu
prüfen".
Zwei Männer, Schröder und Otto Wiesheu (CSU), sorgten in der letzten
Verhandlungsrunde dafür, dass das „Ob" gestrichen wurde: Die
Privatisierung der Bahn war nun eine Aufgabe der neuen Regierung. Und: nur ein
paar Wochen nach dieser Sitzung legte Otto Wiesheu sein Amt als bayerischer
Verkehrsminister nieder. Er wechselte in den Vorstand der Bahn.
DIE BAHN IST EIN GOLDSCHATZ.
Und Privatisierung ist das Zauberwort, mit dem dieser Goldschatz an wenige
verteilt werden soll. Die Bahn hat das letzte, richtig große Stück
Gemeineigentum in diesem Land. Sie ist der größte Grundbesitzer in Deutschland
mit besten, fast unbezahlbaren Lagen
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Wem das gehört, wird reicher (Bild)
Der Herr und sein Diener: Bahnchef Mehdorn mit Bundesverkehrsminister
Wolfgang Tiefensee. Mehdorn mag prestigereiche Vorzeigebauten - etwa den
renovierten Kölner Hauptbahnhof
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in den Städten. Wenn man ein paar Gleise rausreißt, die Bahn ein wenig
verschlankt und das verkauft, was dann frei wird, dann rieselt das Geld. Ein
kleines Beispiel: Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wollte die Bahn
ein stillgelegtes Rangiergelände, Lagerflächen, Laderampen in Rosenheim
verkaufen - der Buchwert war mit 680000 Mark angegeben. Der Verkaufserlös aber
sollte bei 33 Millionen Mark liegen, also beim 50-Fa-chen des bilanzierten Wertes.
Der Bahnaufsichtsrat hatte die lukrative Transaktion genehmigt. Aus dem
angestrebten Deal ist - bisher - nichts geworden, gleichwohl zeigt Rosenheim:
Unter den Gleisen liegt der Schotter. Wer die Bahn besitzt, der hat wirklich
etwas. Und: Die neuen Besitzer, wenn Mehdorns Rechnung aufgeht, bekommen die
Bahn fast geschenkt.
Seit mehr als 100 Jahren ist die Bahn Eigentum des Volkes. Millionen von
Steuerzahlern, fünf Generationen, haben dieses Gemeineigentum geschaffen - und
nun wird dieses Gemeineigentum verschleudert, verscherbelt. Verschleudert?
Bahnchef Mehdorn sieht das anders, sagt: „Eine Rückkehr zur alten
Behördenbahn wäre eine Katastrophe für den Steuerzahler. 1993 - ein Jahr vor
der Bahnreform - haben Reichsbahn und Bundesbahn jeden Tag über 42 Millionen
Mark Verlust gemacht. Kurzum, wer die Bahn nicht als Unternehmen führt, der
verschleudert das Geld der Bürger." Was Mehdorn nicht sagt, natürlich
nicht: 1993 war ein besonderes Jahr, bedingt durch die deutsche Einheit,
Stichwort: Altlasten der DDR-Reichsbahn. Und noch etwas: Seit der Bahnreform,
also seit 1994, hat die Bahn AG 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft - fast
zwei Drittel der Summe, die die Deutsche Bundesbahn im Zeitraum von 1949 bis
1993 an Schulden angesammelt hatte.
Niemand will zurück zur alten Behördenbahn. MUSS aber die Baiin an die Börse,
an private Investoren? Die Bahn ist ein öffentliches Gut. Wie etwa die Polizei,
die Schulen, die Schifffahrtsstraßen. Käme jemand auf die Idee, den Rhein zu
privatisieren? Nein. Aber es ist faszinierend, wie konsequent die Privatisierer
ihre Tat unter den Augen der Bundesbürger umsetzen. Kühl, lächelnd, stur, immun
gegen Einwände.
Erstaunlich, dass dieser Coup überhaupt möglich ist. Aber die allermeisten
Abgeordneten nicken ab und schauen zu, wie der Konzern, den man ja auch dazu
nützen könnte, eine sinnvolle ökologische Verkehrspolitik durchzusetzen,
verramscht wird. Zur Erinnerung; Die Bahn ist zwischen 100 und 200 Milliarden
Euro wert - so sieht es etwa das Verkehrsministerium, so sieht es der Berliner
Finanzsenator Thilo Sarrazin.
Aber ganz anders, verblüffend anders, sieht es Bahnchef Mehdorn. Er rechnet die
Bahn spottbillig; die Bahn, die er an die Börse bringen will, ist in seinen
Augen grotesk wenig wert: gerade mal 18 Milliarden Euro, das gesamte
Unternehmen. Die Bahnhöfe, der Grundbesitz, das rollende Material, die
bahneigenen Kraftwerke.
18 Milliarden Euro? Oder 40 Milliarden, wie es in der Bahnbüanz heißt? Überaus
schwer zu durchschauen sind die Finanzen der Bahn. Experten monieren, dass
sowohl Anlagevermögen (Züge, Schienen, Bahnhöfe, Elektrizität) als auch
Abschreibungen viel zu niedrig ausgewiesen seien.
BAHNCHEF MEHDORN stören diese Rüffel nicht. Mehdorn will die Bahn
attraktiv für Käufer machen, und dafür wertet er sie ab, wo es nur geht, mit
allen möglichen Tricks. Ein Beispiel: Fast ihr gesamtes Geld für Investitionen
bekommt die Bahn vom Bund, jährlich mehr als drei Milliarden Euro. Nun aber
sagt die Bahn: Wir müssen dieses Geld nicht in unseren Bilanzen als
Anlagevermögen ausweisen. Es wurde uns ja geschenkt.
Und so ist die teure Bahn richtig billig, richtig attraktiv für renditesüchtige
Kapitalgeber.
Für sie, die Kapitalgeber, tut der Bahnchef, was er kann. Längst hat er sich
vom grundgesetzlichen Auftrag - die Bürger in der Fläche mit einem
Transportmittel zu versorgen - verabschiedet: 5000 Kilometer Schienen wurden
zwischen 1994 und 2004 stillgelegt; die Zahl der Bahnhöfe ist um 400 gesunken;
weit mehr als 100 000 Stellen wurden abgebaut. Gab es in den Neunzigern des vergangenen
Jahrhunderts noch 13 629 Gleisanschlüsse für Firmen, waren es 2004 nur noch
4004. Tendenz: weiter sinkend. Wie wenige es heute noch sind, lässt sich nicht
mehr sagen - es ist ein Betriebsgeheimnis der Bahn. Über kurze und mittlere
Distanzen und in der Fläche hat sich die -»
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Zerfallender Bahnhof Sternberg in Mecklenburg-Vorpommern. In den Schubladen
der Bahnstrategen legen Pläne für die Stil l legung von 5000 Kilometern Schiene
Schlankmachen für die Börse (Bild)
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Güterbahn praktisch abgemeldet. Konsequenz: Der Anteil an der Güterbeförderung
ist bei gerade mal 16,4 Prozent. Das ist weniger als 1994, dem Jahr der
Bahnreform.
Um die Bahn attraktiv erscheinen zu lassen, zehrt Mehdorn, wie früher die
Regenten der DDR, von der Substanz. Und lässt sich ungerührt vom Rechnungshof
rügen - weil seine Bahn Reparaturarbeiten in Milliardenhöhe unterlasst und so
an Investitionen spart, was auch die Sicherheit der Kunden gefährden kann. 2300
Mängelstellen listet der Rechnungshof auf und kritisiert, dass es viele
Verspätungen und Zugausfälle, etwa nach dem Orkan Kyrill, gab, weil die Bahn
die Bäume zu dicht an die Gleise wachsen lasse.
Und Bahnchef Mehdorn? Er sagt ungerührt: „Wir haben das beste Netz in
Europa" Ja? Fakt ist: Die Schienen werden älter, sie sind laut jüngstem
Netzzustandsbericht nun im Schnitt 19,8 Jahre alt. Und so kommt es, dass auf
manchen Strecken (etwa Hamburg-Basel) die Züge heute länger brauchen als vor
zehn Jahren. Aber Kritik interessiert Mehdorn nicht, sein Ziel ist ein anderes:
Gewinne ausweisen, börsenfähig erscheinen, Global Player sein.
Mehr als zwei Milliarden Euro zahlt der Bund, zahlen also die Bürger jährlich
für die Instandhaltung der Schienen (so wird es übrigens auch nach der
Privatisierung sein, 15 Jahre lang, so hat sich der Bund verpflichtet: 37,5
Milliarden Euro als garantierte Einnahme für die Investoren), Eine
Milliarde jährlich gibt es noch obendrauf, für Ausbau und Neubau. Aber
dieses Geld geht fast ausschließlich in wenige
Prestige-Großprojekte.
Eine Menge Geld, aber nicht genug.
Mehdorn möchte noch mehr: Seit 2002 ist die Bahn im Kaufrausch, schluckt
den Logistikkonzern Schenker, übernimmt Teile der
niederländischen, der britischen und der spanischen Güterbahnen, erwirbt eine
dänische Busgesellschaft, kauft sich in der Luft- und Seefahrtsbranche ein,
übernimmt für 1,1 Milliarden US-Dollar Bax Global, ein kalifornisches
Speditionsunternehmen. Mehdorn sagt stolz: „Im Bereich der Loglstik
gehören wir zur Weltspitze!" Wir? Bezahlt wird sein Ehrgeiz von den
steuerzahlenden Bürgern, knapp 20 Milliarden Euro Schulden hat die
Meh-dorn-Bahn laut Geschäftsbericht 2006.
Dabei war sie vor ein paar Jahren schuldenfrei. 1994 hatte der Bund - also
wieder die Bürger - die Altschulden der Bahn in Höhe von 34 Milliarden Euro
übernommen. Die Leute, die demnächst die Bahn kaufen, werden für ihren Kauf,
der sie ohnehin fast nichts kosten wird, also auch noch kräftig subventioniert.
Man könnte polemisch sagen: Staatsknete für Spekulanten. Man könnte auch sagen:
Eine Vollkaskoversicherung für den Investor - die Staatsbürger bezahlen.
Und diese Versicherung muss sein, dieser Widersinn hat seine Logik. Denn
betriebswirtschaftlich, rein nach den Gesetzen des Kapitals, ist die Baiin
nicht börsenfähig. Wer das erklären will, muss Wörter benutzen, die schwierig
sind, zu schwierig oft für Abgeordnete, die nach Beschlussvorlagen entscheiden
müssen und nicht viel Zeit haben, sich einzuarbeiten In eine Sache, von der sie
nicht viel verstehen. Kapitalumschlag. Betriebskapital. Dividendenrendite.
Umsatzrendite. Börsenfähig ist ein Unternehmen, wenn es Kapitalrenditen über
den Kapitaikosten, also etwa zehn Prozent Verzinsung des Betriebsvermögens,
erzielt. Das investierte Kapital der Bahn ist aber derartig hoch, dass eine
marktübliche Verzinsung unmöglich ist. Im Klartext: nicht börsenfähig.
So sehen es auch die Gutachter der Beraterfirma Booz/Allen/Hamilton.
Allerdings zeigt auch dieses Gutachten, wie fahrlässig in Sachen
Bahnprivatisierung agiert wird. Zum einen muss man viel lesen, mit Begriffen
wie ROCE, WACC, EBIT etwas anfangen können. Welcher Politiker kann das? Zum
anderen sind auch noch wichtige, börsenkritische Passagen in diesem Gutachten
geschwärzt, um - wie es heißt - „mittelfristige Planungen zu
schützen". Doch aufgrund dieser teilweise geschwärzten Akten sollen die
Parlamentarier ihre Entscheidung treffen. Das Gutachten ist 560 Seiten dick,
auf mehreren Hundert Seiten bejahen die Gutachter den Börsengang. Erst spät, ganz
hinten, wo kaum mehr jemand liest, auf den Seiten 469/ 470, machen sie den
Salto rückwärts, sagen sinngemäß: Auf Basis der richtigen Zahlen ist die Bahn
nicht börsenfähig.
GESCHICHTE WIEDERHOLT SICH NICHT,
heißt es, allenfalls als Farce. Als die Eisenbahnen im 19. Jahrhundert in
Amerika ihre Schienen verlegten, bekamen die Besitzer vom Staat
Grundstücke im Wert von unzähligen Milliarden Dollar geschenkt. Räuberbarone
hießen die Eisenbahnchefs im Volksmund - die Vanderbilts, die Carnegies.
Wieder geht es um die Eisenbahn, wieder geht es um Land, um eine Menge Land.
Viele Gemeinden und Städte in Deutschland überließen im 19./20. Jahrhundert der
Bahn oft kostenlos wertvolles Gelände. Wer heute Herr über diese
Grundstücke ist, ist reich und kann nur reicher werden.
Zwar müssen Verkäufe und Stilllegungen bestimmte formale Hürden nehmen,
aber damit hatte Bahnchef Mehdorn schon bisher kaum Probleme. Unter dem
Rendite- und Rationalisierungsdruck der neuen Eigner wird sich die bisherige
Stilllegungs- und Verkaufsstrategie noch verschärfen. Schließlich liegen schon
jetzt Pläne für weitere 5000 Kilometer Streckenstilllegungen in den Schubladen
der Bahnstrategen, bis zu drei Viertel aller Bahnhöfe stehen auf der aktuellen
Verkaufsliste. Nicht umsonst haben die Länder Angst, drohen mit Widerstand im
Bundesrat.
Ob mit Grundstücken oder ohne: Was in Sachen Bahnprivatisierung abläuft, ist
mit dem Begriff Farce nicht mehr zu fassen. Es ist ein Irrsinn. In einer
abenteuerlichen Konstruktion bleibt der Bund für 15 Jahre juristischer
Eigentümer der Trassen und Bahnhöfe, aber die teilprivatisierte Bahn AG darf
diese „betreiben und bilanzieren", sie hat die wirtschaftliche
Hoheit. Gewinne aus Immobilienverkäufen teilen sich dann anteilig der Bund und
die neuen Eigentümer. 49 Prozent der Baiin sollen demnächst unter den Hammer.
Erwarteter Erlös: läppische vier bis acht Milliarden Euro. Ein Schnäppchen. Und
noch etwas ist bei diesem Jahrhundert-Deal rational nicht mehr zu verstehen:
Wenn der Bund - irgendwann - seine Schienen zurückhaben möchte, muss er das zum
„Netto-Reinvermögen" machen, das kostet ihn viele, viele Milliarden
Euro. Heute wären es schon acht Milliarden Euro. Im Extremfall, den
vorliegenden Gesetzentwurf konsequent zu Ende gedacht, kann passieren, was nur
ein Vergleich erklärt: Sie vermieten Ihr Haus. Der Mieter zahlt keine Miete.
Wenn Sie selbst in Ihr Haus wieder einziehen wollen, müssen
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Immun gegen Einwände (Bild)
EXKURSE
ROTCE 2
Abbildung 127: ROCE und ROTCE Entwicklung
In der Folge haben wir daher versucht, über eine grobe Simulationsrecnnung
diese genereilen Kritikpunkte an der Ermittlung des ROCE Rechnung zu tragen und
eine adjustierte
Berechnung
vorzunehmen. Ziel dieser Ausführung ist ........
Im Gutachten zum Börsengang der Bahn sind wichtige Passagen geschwärzt, um
„mittelfristige Planungen zu schützen". Auf Seite 470 erkennen
Bilanzexperten dennoch Explosives: Wie die ROTCE-2-Kurve zeigt, ist die Bahn
nicht börsenfähig.
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Sie Ihr Haus vom Mieter zurückkaufen. Wenn Sie sich das nicht leisten können,
dürfen Sie das Haus an den Mieter übergeben, der dann - kostenlos - Eigentümer
wird.
Wer glaubt, dass es bei der Bahnprivatisierung um den Kunden und seine Wünsche
geht, ist naiv- es geht um Enteignung von Volkseigentum.
Denn die Privatisierung der Bahn ist ein Fluchtweg: Mehdorn, Chef der Deutschen
Bahn, will international noch weiter expandieren, ihn drängt es nach China, er
träumt von Beteiligungen an osteuropäischen Bahnen, er will die Prager
Verkehrsbetriebe erwerben, will mit den Russen quer durch das riesige Land nach
China -und für all das braucht er Geld, sehr viel Geld. Wie will er das
beschaffen? Noch mehr Schulden machen? Er kann nicht ewig auf Pump leben, das
überfordert irgendwann sogar die Staatsbahn.
Die Lösung: der Verkauf der Bahn. Der Verkauf von Aktien. So kommt Geld in die
Kassen. Nur: Was hat der Bürger davon? Nichts. Er ist in Geiselhaft. Er wird
genauso viel wie bisher zahlen an die Bahn, von der er immer weniger hat. Und
das, um Mehdorns Träume vom globalen Logistikkonzern, die fatal an Jürgen
Schrempps Traum von der Welt AG erinnern, zu verwirklichen.
Wer aber bekommt diesen Goldschatz Bahn ? Gasprom ? Russische Banken ? Oder
arabische Großinvestoren ? Auch amerikanische Investment- und Immobilienfonds
sind interessiert.
Haben die ein Interesse an einer Bahn, die auch die Menschen abseits der
Großstädte bedient? Also an einer Bahn, wie es im Grundgesetz heißt, die zum
„Wohl der Allgerneinheit" funktioniert ? Die Länder zweifeln an der
Privatisierung, sie fürchten höhere, unbezahlbare Trassenpreise.
Warum also spielen ein paar Männer der SPD in diesem Pokerspiel so verbissen
mit? Warum ?
Es sagt Peter Struck, der die Teilprivatisierung unbedingt möchte, und er
klingt wie sein Verkehrsminister Tiefensee, er klingt wie Bahnchef Mehdorn:
„Die Teilprivatisierung bringt zusätzlich Geld. Die Bahn kann das in neue
Züge und Infrastruktur investieren, um den Personen- und Güterverkehr
attraktiver zu machen. Sie bekommt finanzkräftige Investoren, die ihre Stellung
im internationalen Wettbewerb stärken. Wichtig ist mir, dass der Bund
Mehrheitseigner und alleiniger Eigentümer der Infrastruktur bleibt."
Nur: Kaum eine Bahn der Welt macht Gewinne, die für Investoren interessant
sind. Investoren wollen ordentlich Geld verdienen. Und das geht nur, wenn man
die Bahn wie einen Steinbruch ausbeutet. Also alles, was die Rendite gefährdet,
abkoppelt - Züge auf die Schwäbische Alb, ins bayerische Hinterland, durchs
weite Mecklenburg (es sei denn, die Länder subventionieren das kräftig).
Warum also stecken Politiker und Bahnstrategen so viel Energie und Eifer in den
Börsengang der Bahn ? Warum bloß ?
Es sagt SPD-MdB Hermann Scheer, der die Privatisierung für einen
„Wahnsinn" hält: ,viele Genossen denken, wir haben das mal
beschlossen, jetzt dürfen wir nicht einknicken. Wir dürfen auch Tiefensee,
unseren Minister, nicht beschädigen. Dazu kommt der Traum, ein Global Player zu
werden. Das vernebelt die Gehirne. Das wirkt wie geistiges Doping"
Von Großmannssüchten und Träumen unbeeinflusst sind die Bürger. Umfragen von
Emnid und Forsa zeigen, dass zwei Drittel der Bürger keine Bahnprivatisierung
wünschen. Ist den Privatisierern das egal ?
JA, ES SCHEINT SO. Und schlimmer noch: Mit der Privatisierung der Bahn
verzichtet der Staat auf ein wichtiges Mittel der Verkehrspolitik. Alle reden
vom Wetter. Vom Klima und Klimaschutz. Eigentlich brauchte Deutschland eine
größere, bessere Bahn.
Ist der große Eisenbahnraub noch zu stoppen ? Ja, klar. Zum Beispiel so:
Bahnchef Mehdorn entlassen. Lässt sich die Privatisierung noch verhindern ? Ja,
natürlich. Noch ist sie kein Gesetz, noch ist sie nicht durch den Bundestag.
In ihrer Fraktionsklausur am Freitag kommender Woche diskutieren die
SPD-Genossen über den Gesetzentwurf; bald darauf alle Abgeordneten, Die sind
bisher, bis auf wenige Ausnahmen, für die Privatisierung. Vielleicht denken sie
ja einmal nicht nur an die Parteiräson und folgen einmal nicht brav ihren
Chefs?
Aber vielleicht stoppt ja auch Bundespräsident Horst Köhler das Ganze, zieht
die Notbremse - so wie er auch die angestrebte Privatisierung der Deutschen
Flugsicherung gekippt hat. Weil es nationale Güter, nationale Hoheitsaufgaben
gibt, die man einfach nicht verkauft.