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Leitartikel
Der dritte Weltkrieg - abgesagt
Von Karl Grobe
Karl Grobe (Bild fr)
Mit zwei Sätzen haben die vereinigten Spionagedienste der USA die
Washingtoner Iran-Politik ausgehebelt. Erstens: 2003, also seit vier
Jahren, hat das Teheraner Regime die Entwicklung von Kernwaffen
gestoppt. Zweitens: Die iranische Führung entscheidet auf Grund
von Kosten-Nutzen-Analysen.
Der Bericht hat seit mindestens einem Jahr in irgendwelchen geheimen
Schubladen in Washington herumgelegen. Den Diensten war die ganze Zeit
klar, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm längst auf Eis gelegt
hat. Soll man sich im Ernst vorstellen, dass die regierenden Herren
George W. Bush und Richard Cheney keinen blassen Dunst davon
hatten?
Wussten sie Bescheid, dann war Bushs Oktober-Gerede von der Gefahr
eines dritten Weltkriegs mindestens leichtfertig. Dann war der mit dem
Eilt-Stempel versehene Plan, in Polen und Tschechien eine
Raketenabwehrstellung zu installieren, nicht rational begründbar,
sondern ideologisch motiviert. Wobei der ideologische Cocktail -
außer dem vorgeschobenen Grund - noch zwei Zutaten hatte: die
Absicht, es den Russen mal richtig zu zeigen, und den Wunsch, Europa in
böse Alte und
gute Neue zu zerlegen. Vielleicht war der Hinweis auf Teheran gar das
Mittel zu jenem Zweck. Gleich ob er auf Nichtwissen - am Ende
Leichtsinn - beruhte oder wider besseres Wissen erfolgte, also verlogen
war. Die Bush-Regierung hat den europäischen Verbündeten da
etwas zu erklären - nur eben nicht wie Bush am Dienstag, dass sie
immer recht hat.Der Verweis auf die Rationalität iranischer
Entscheidungen hat weitere Konsequenzen. Nicht jede paranoid klingende
Auslassung des Teheraner Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und
anderer Hardliner im Lande zieht konkretes politisches Handeln nach
sich. Die Analyse mancher Landeskenner, seine Hetzreden seien auch,
wenn nicht hauptsächlich, für den innenpolitischen Gebrauch
bestimmt, wird durch die Einschätzung der geheimen Washingtoner
Dienste plausibler. Schließlich wird - auch - im Iran
nächstes Jahr gewählt.
Sicher hat die für uns so unappetitliche Ahmadinedschad-Fraktion
personell und sachlich Tatsachen geschaffen - aber eben keine
weltbedrohenden nuklearen. Zweifellos betreibt sie regionale
Großmachtpolitik, wofür die besagte Kampfrhetorik ebenso
Mittel zum Zweck ist wie die stete Erinnerung an den 54 Jahre
zurückliegenden Sturz der gewählten Regierung Mossadegh durch
die CIA und die US-Waffenhilfe für Saddam Hussein vor erst 25
Jahren. Und wie die sehr aktuelle Anschauung des gegenwärtigen
Chaos im Irak.
Den hatten die USA mit angeblichen geheimdienstlichen Beweisen für
ein Bagdader Massenvernichtungswaffenprogramm begründet,
wofür ihr damaliger Außenminister, Colin Powell, sich
nachträglich öffentlich geschämt hat. Die Dienste
wenigstens wollen den für Hunderttausende tödlichen Fehler
von 2002/2003 nicht noch einmal machen, auch wenn ihr jüngster
Bericht das ebenso wenig eingestehen mag wie den Umstand, dass der
vorherige Iran-Bericht (von 2005) irrig war.
Die grundlegende Erkenntnis, die wirklich Mächtigen in Teheran
entschieden rational, nach einer Kosten-Nutzen-Analyse, gibt
schließlich einen klaren Hinweis für die künftige
Iran-Politik: Verhandlungen mit den Lenkern der iranischen Politik sind
ein geeignetes Mittel zur Konfliktlösung; sie sind der
Kriegsgewalt allemal vorzuziehen. Verzicht auf politische und
wirtschaftliche Druckmittel bedeutet das nicht; Außenpolitik ist
nicht das Geschäft von Betschwestern. Die (alten) Europäer
müssen in dieser Frage nicht übermäßig viel Neues
lernen. Sie können höchstens leise bedauern, sich zu sehr an
den Meister - Meister? - in Washington angelehnt zu haben.Dem aber ist
dringend anzuraten, Fakten zu akzeptieren. Zuerst das Faktum, dass der
Iran existiert, Gewicht in der Region hat und einen Schlüssel zum
Irak-Problem besitzt. Sodann das Faktum, dass das weltpolitische
Konzert mit vielen Instrumenten gespielt wird, nicht nur mit der
Bush-Cheney-Pfeife Drittens ganz praktisch, dass der
wünschenswerte Regimewechsel in Teheran Sache der Iraner ist,
nicht der Amerikaner. Und viertens, dass der Iran als Mitglied des
Atomstoppvertrags das Recht auf kontrollierte zivile Nuklearenergie hat.
Dass der Iran irgendwann doch mal Kernwaffen zu bauen beabsichtigen
könnte, schließt der Bericht der 16 Horch- und Guck-Dienste
zwar nicht aus. Das zu verhindern ist jedoch Verhandlungssache.
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Copyright © FR-online.de 2007
Dokument erstellt am 04.12.2007 um 17:20:02 Uhr
Letzte Änderung am 04.12.2007 um 19:55:41 Uhr
Erscheinungsdatum 05.12.2007