VON BRIGITTE FEHRLE
Das Jahr 2007 wird ein Jahr der Klärung. Hoffentlich. Klären müssen die
regierenden Parteien SPD und die Christdemokraten ihr Verhältnis zum Sozialen.
Die Sozialdemokraten werden dies in einem Grundsatzprogramm versuchen. Die
Parteien werden den Bürgern darlegen, was sie ihnen in Zukunft - wie es im
Parteijargon heißt - zumuten wollen. Zumuten muss der Bürger übersetzen mit
wegnehmen, weil es so auch gemeint ist. Der Bürger hat das verstanden. Und das
macht die Debatte so schwierig.
Mit der Einführung des Wortes Zumutung in die Politik haben sich alle Parteien
eine Falle gestellt. Sie haben selbst die Konfrontation mit den Bürgern inszeniert.
Zumutungen sind nach ihrer eigenen Definition der Wegfall der Eigenheimzulage,
Zuzahlungen bei der Krankenkasse, höhere Steuern, weniger Pendlerpauschale,
geringere Steuerfreibeträge und so weiter. Zumutungen sind auch Hartz IV, die
Kürzung des Arbeitslosengeldes oder die Rente mit 67. Der Begriff der Zumutung
verlangt die Entschuldigung. Und auch die liefern die Politiker stets mit.
Vornehmlich, indem sie dann das baldige Ende der Zumutungen versprechen. Oder
verlangen (von wem eigentlich?), es müsse bei den Zumutungen gerecht zugehen.
Welche Illusion. Weder wird das, was die Politik Zumutung nennt ein Ende finden
können. Noch wird es dabei je gerecht zugehen können. Es kann gar kein Ende der
Zumutungen geben, weil der Staat im Laufe der Jahre stets aufs Neue gezwungen
ist, sich selbst zu vergewissern, ob das, was er regelt für die jeweilige Zeit
richtig und tauglich ist. Das heißt, er muss Gesetze überprüfen, verändern,
abschaffen, oder neue machen. Dabei wird es auch immer irgendwo weniger geben.
Es kann auch nicht gerecht zugehen, weil es nicht in der Macht des Staates
liegt, allseitige Gerechtigkeit, die in diesem Fall ja von den Bürgern
ökonomisch gemeint ist, herzustellen. Eine der größten, eine geradezu
schreiende Ungerechtigkeit kann der Staat nicht im geringsten beeinflussen: Die
Höhe der Gehälter von Konzernchefs, deren Leistung auch darin besteht, tausende
Arbeitsplätze abzubauen.
Die Politik, die Parteien, haben sich im tatsächlichen, vielleicht auch nur im
vermeintlichen Anspruchsdenken der Bürger verstrickt. Sie haben Angst vor
diesen Ansprüchen. Angst bei der nächsten Wahl bestraft zu werden, wenn sie
nichts versprechen. Aber sind die Bürger wirklich so? Sind sie eine nur
ökonomisch getriebene Masse, die sich durch Anreize beliebig steuern lässt? Ist
der Vater, der angesichts seines kurz vor Mitternacht geborenen Babys nicht
über das fehlende Elterngeld klagen will, wirklich der Sonderfall?
Aus Furcht vor den ökonomischen Ansprüchen der Bürger hat sich die Politik
selbst gefesselt. Die Politiker haben die Politik in einer Weise ökonomisiert,
die ihnen jetzt ihren Handlungsrahmen bestimmt. Politik darf eigentlich nicht
fragen: Wie viel kann ich den Bürgern wegnehmen ohne dass sie meutern? Die Höhe
des Arbeitslosengeldes kann nicht die Maßeinheit für die Güte des Sozialstaats
sein. Sondern viel eher die Frage, ob man von Arbeit leben kann. Politik muss
Möglichkeiten schaffen, anregen, Mut machen, aber auch etwas abverlangen.
Wie diese Dinge in Einklang zu bringen sind, welche Rolle der Staat, welche der
Einzelne hat, darüber werden sich die Parteien im besten Fall in diesem Jahr
nicht nur selbst klar werden. Darüber sollten sie sich mit den Bürgern
verständigen. Ohne Ratschläge: Haare schneiden und waschen (Beck). Ohne
hilfloses oder vordergründiges politisches Kalkül: Ich habe Angst in den Augen
der Menschen gesehen (Rüttgers). Nur nüchtern, mit Blick auf die Realität. Und
das heißt: In einem verschuldeten Staat, der sich mit Kleinstaaterei belastet.
In einer Wirtschaft, die von den Bedingungen der Globalisierung diktiert wird.
In einer Welt, die mit dem Klimawandel zu kämpfen hat.
Wenn es so läuft, könnte 2007 ein neues soziales Jahr werden.
[ document info ]
Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 01.01.2007 um 17:44:01 Uhr
Letzte Änderung am 01.01.2007 um 19:01:58 Uhr
Erscheinungsdatum 02.01.2007