Zurueck zur Homepage

FR vom 11.12.2006

Bewährungshilfe privatisiert 

Baden-Württemberg beauftragt Firma aus Österreich/Verdi-Kritik


Baden-Württemberg wird als erstes Bundesland die Bewahrungshiife privatisieren. Die Gewerkschaft Verdi hält den Regierungs-Beschluss für verfassungswidrig.

STUTTGART • Bis zum Jahr 2016 soll das österreichische Unternehmen Neustart die Be währungshilfe übernehmen. Vor allem Justizminister Ulrich Goll (FDP) hatte auf die Kabinetts-Entscheidung gedrungen. Das Land Hessen hingegen war der Empfehlung einer Kommission gefolgt und hatte die Privatisierung der Bewährungshilfe abgelehnt. Der Vertrag mit Neustart läuft bis 2016. Das Land zahlt der Gesellschaft im kommenden Jahr 5,9 Millionen Euro. Der Betrag verringert sich stetig und soll sich 2016 auf noch auf 5,12 Millionen Euro belaufen. Die SPD-Fraktion im Stuttgarter Landtag klagt gegen die Entscheidung vor dem Staatsgerichtshof. Die Landesregierung, so die Begründung, habe dem privaten Verein zu Unrecht am Parlament vorbei 65 Millionen Euro als Verpflichtungsermächtigung bewilligt.

„Unser Ziel ist die Steigerung der Effizienz in der Betreuungsleistung", sagte Minister Goll. Dass
die Privatisierung in der Bewährungshilfe mit Stellenabbau verbunden ist, hört Goll, der auf zehn Prozent „Effizienz-rendite" hofft, nicht so gern. Lieber hebt er auf die verbesserte Struktur ab. In Baden-Württemberg betreuen derzeit 280 Gerichts-undBewährungshelfer22 012Menschen. Damit muss sich jeder Bewährungshelfer um durchschnittlich 100 Probanden kümmern und kann nach den Worten von Goll „nur noch verwalten, aber nicht mehr qualifiziert betreuen." Die Bewährungshelfer sind - wie in den meisten Bundesländern - nach Gerichtsbezirken eingeteilt. Da bleibe, sagt Golz, viel Zeit buchstäblich auf der Strecke.

Es gebe eine „nicht kleine Gruppe von Probanden gibt, die in erster Linie zeitliche Zuwendung und praktische Lebenshilfe, weniger aber spezifisch fachsozialpädagogische Betreuung benötigen", sagte Golls Teilweise seien auch vor allem sprachliche Hürden zu überwinden. Nach dem Regierungsbeschlusswerden Landesbeamte jetzt sukzessive durch Neustart-Mitarbeiter ersetzt. Das österreichische Unternehmen setzt nicht nur festangestellte, sondern zunehmend auch ehrenamtliche Betreuer ein. Die Ehrenamtlichen seien selbstverständlich „an die fachlichen Standards gebunden" sagte Goll. Nach zehn Jahren sollen im Südwesten rund 20 Prozent aller Straftäter auf Bewährung von Ehrenamtlichen betreut werden.

Vor allem dies war von Verdi kritisiert worden. Die Gewerkschaft hatte ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die Bewährungshilfe als hoheitliche Aufgabe des Staates wertet. Der Oldenburger Verfassungsrechtler Dieter Sterzel sieht die Hilfe im „Kernbereich der Staatlichkeit", weil „grundrechtsrelevante Eingriffsbefugnisse" gegenüber Straftätern oder Beschuldigten.

---------------------------------------------------------------------------------
Justizminister Ulrich Goll erwartet viel von der Privatisierung der Bewährungshilfe. (Bild)
------------------------------------------------------------------------------------

„Verfassungswidrig" lautet sein Urteil. Herbert Landau, Richter am Bundesverfassungsgericht, sieht das anders. „Das Korsett öffentlich-privater Bindungen lässt sich ein ganzes Stück weit aufknüpfen", sagte er auf einem Symposium des Justizministeriums. Der Kriminologe Jörg-Martin Jehle von der Universität GÖttingen teilt die rechtlichen Bedenken nicht, lehnt aber die Privatisierung ab, weil er das bisherige System für reformierbar hält.

GABRIELE RENZ