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Berichte zur Privatisierung der Unikliniken 

FR vom 14.05.2005

Kabinett berät Klinikverkauf

Sondersitzung am Samstag

Wiesbaden · Über den Verkauf der bereits fusionierten Unikiliniken Gießen und Marburg an einen privaten Investor will die hessische Landesregierung in einer Sondersitzung des Kabinetts am Samstag entscheiden. Danach steht noch die Zustimmung des Landtages aus, die - abweichend vom bisherigen Zeitplan - erst in der Januar-Landtagssitzung behandelt werden soll. Beide Schritte werten die Oppositionsparteien im hessischen Landtag als ein Eingehen auf ihre vehementen Proteste gegen den "völlig unnötigen Zeitdruck"(der SPD-Abgeordnete Reinhard Kahl) und "Hetzerei"(die FDP-Politikerin Nicola Beer). Der Medizinausschuss des Wissenschaftsrates hatte am Montag noch Änderungen an dem Vertragswerk gefordert. Der Wissenschaftsrat will seine Entscheidung erst in der zweiten Januarwoche fällen. Mit der neuen Zeitachse sei auch die "Brüskierung des Parlaments gestoppt", sagte Reinhard Kahl.

Die grüne Abgeordnete Sarah Sorge warnte vor dem Verkauf. Sie wies darauf hin, dass auch der Medizinkonzern Fresenius und der Medizintechnikhersteller Braun über die Krankenhauskonzerne Helios und Asklepios zu den Kaufinteressenten gehörten.

Damit bestehe die Gefahr, dass eine "Poduktionskette von der Herstellung bis zur Anwendung" geschaffen werde und in den Kliniken nur noch "Produkte von einem Hersteller zu Anwendung" kämen. Letztendlich könne das bedeuten, dass "die Forschung an dem künftig privat betriebenen Uniklinikium an wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sein wird", gab Sorge zu bedenken. gra
 

FR vom 20.12.2005

Rhönklinik erhält den Zuschlag

Kabinett beschließt Verkauf der Uniklinik Gießen-Marburg für 112 Millionen Euro / Stiftung für Forschungsprojekte

Die erst im Juli dieses Jahres fusionierte Universitätsklinik Gießen-Marburg soll für 112 Millionen Euro zum 1. Januar 2006 an die börsennotierte Rhönklinik AG verkauft werden. Dies entschied die Landesregierung in einer Sondersitzung am Wochenende.

Wiesbaden · Mit dieser Transaktion wird - sofern der Haushaltsausschuss des Landtags sie im Januar absegnet - erstmals in Deutschland eine landeseigene Uniklinik privatisiert; das Land Hessen behält lediglich fünf Prozent der Anteile, um sich ein Mitspracherecht außerhalb des operativen Geschäftes zu sichern. Der Landtag hatte hierzu erst am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet.

Noch während der letzten Tage galt in Branchenkreisen Helios als Favorit. Die im fränkischen Bad Neustadt ansässige Rhön-Klinikum AG verpflichtet sich gemäß Vertrag zu Investitionen in Höhe von 367 Millionen Euro, davon 260 Millionen in Neu- und Umbauten. Das Gesamtfinanzpaket umfasst 640 Millionen Euro. Die Krankenhaus-Kette habe den Zuschlag für Deutschlands fünftgrößte Klinik erhalten, so Ministerpräsident Roland Koch, weil sie finanziell leistungsfähig sei, die Fortführung der Versorgungssysteme garantiere und nicht zuletzt unter allen Bewerbern das detaillierteste wissenschaftliche Konzept vorgelegt habe.

Das mittelhessische Großkrankenhaus werde deutschland- und weltweit in die Spitzenliga der Unikliniken aufsteigen, prognostizierte Koch. Des weiteren kündigte er an, eine landeseigene Stiftung mit 100 Millionen Euro auszustatten, um Forschungsprojekte in Gießen und Marburg zu finanzieren. "Damit bleibt der Verkaufserlös dauerhaft für Mittelhessen wirksam", sagte Koch.

Der Ministerpräsident verteidigte die Privatisierung als wirtschaftlich notwendige Maßnahme zur Sicherung des Klinikstandorts Mittelhessen. Außerdem übernehme das Land Hessen "die Vorreiterrolle bei der Modernisierung der Hochschulmedizin in Deutschland".

Befürchtungen, die Privatisierung gefährde viele der rund 9000 Arbeitsplätze, nannte Koch unberechtigt: "Der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis 2010 ist Vertragsbestandteil." Die SPD-Fraktionschef im Landtag, Jürgen Walter, sieht die Risiken für die Beschäftigten sowie für Forschung und Lehre nach wie nicht ausgeräumt. Außerdem: "Angesichts der geplanten Investitionen ist nicht geklärt, wie der Käufer die Summe refinanzieren und zudem noch Gewinne abschöpfen will."

Für die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Sarah Sorge, ist der Verkauf eine "Zumutung". Die Ankündigung, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, sei "schwer vorstellbar." Die FDP sieht nach den Worten ihrer Gesundheitsexpertin Nicola Beer dagegen eine Chance in der Privatisierung. Einzig die Forderungen des Wissenschaftsrates müssten unbedingt in das Vertragswerk hinein.

In die internationale Spitze

Der Vorstandsvorsitzende der Rhönklinik AG, Wolfgang Pföhler stellte die künftigen Pläne für das "Flaggschiff des Konzerns" vor: Er versicherte, beide Standorte blieben erhalten. Die medizinische Versorgung sowie Forschung und Lehre seien vertraglich abgesichert. Ziel in der Forschung sei es, in die internationale Spitze aufzurücken, betonte Pföhler. Ab der Jahreswende 2006/2007 werde der Neu- und Umbau der Unikliniken in Marburg und Gießen beginnen. Pföhler sicherte zu, dass von den 370 Millionen Euro, die hier investiert würden, 30 Millionen in die Forschung flössen.

Unabhängig von diesen Investitionen werde ein internationales Zentrum für Partikeltherapie errichtet, das weltweit einmalig sei, fügte der Vize-Vorstandschef Gerald Meder hinzu. Ferner werde ein Sozialfonds zur Finanzierung von Fortbildungen und Umschulungen eingerichtet. Stefan Säemann
 

FR vom 20.12.2005

Personalrat sieht Lücken im Vertrag

Gießener Vertreter nennt Kündigungsschutz nach Klinikverkauf mangelhaft / Marburg will Sitz der AG werden

Aufsichtsrat und Vorstand des Gießener Klinikums sowie der Präsident der Justus-Liebig-Universität haben den Verkauf an die Rhön-Klinikum AG einstimmig begrüßt. Andere Stellungnahmen zu der vom Landeskabinett am Samstag beschlossenen Transaktion sind dagegen deutlich kritischer.

Marburg/Giessen · "Das ist für beide Standorte die richtige und beste Entscheidung", freut sich der Dekan des Marburger Fachbereichs Medizin, Bernhard Maisch. Besser als bei den Mitbewerbern seien die Investitionszusagen, die schon bis 2010 den zentralen Neubau in Gießen und das Kopfklinikum auf den Marburger Lahnbergen vorsehen. Zudem habe sich die Rhön-Klinikum AG auf eine vertragliche Zusicherung der Freiheit für Forschung und Lehre eingelassen. Damit kann der Dekan - etwa bei Berufungen - Einspruch erheben.

Dagegen ist es für den Sprecher der Bürgerinitiative "Rettet die Klinika", Heinrich Löwer, "nicht nachvollziehbar, warum Rhön das Klinikum erhält". Die Privatisierungs-Kritiker halten auch den Kaufpreis von 112 Millionen Euro für zu niedrig. Allerdings ging die Bürgerinitiative davon aus, dass das Klinikum von Asklepios oder Helios übernommen wird; mit den Helios-Kliniken hätten die Gewerkschaften bereits positive Erfahrungen gemacht. Die Beschäftigten hätten weiter Grund zur Sorge, sagt Löwer: "Es wird einen riesigen Druck auf die Kosten, also auf die Personalkosten geben." Zudem sei noch unklar, wie es in Zukunft um die Freiheit von Forschung und Wissenschaft gestellt sei. Positiv in die Zukunft blicken wollen dagegen die bisherigen Privatisierungs-Gegner im rot-grün regierten Marburger Rathaus. OB Egon Vaupel (SPD) meint, da hier nun das größte Klinikum Deutschlands entstehe, solle die AG ihren Hauptsitz in die Unistadt verlegen: "Dafür sind die Voraussetzungen in Marburg exzellent."

Der Gießener Personalrat sieht gefährliche Lücken im Vertragswerk. "Die Rhön-Klinikum AG ist ein harter Verhandlungspartner", sagte der Vorsitzende Klaus Hanschur. Zwar sei es ein wichtiger Schritt, dass bis 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden sollten. Doch sei dies kein absoluter Kündigungsschutz für die knapp 10 000 Mitarbeiter. So gebe es etwa die Möglichkeit, Arbeitsplätze in Tochtergesellschaften auszugliedern; eine weitere "elegante Lösung", Arbeitsplätze zu reduzieren, sei die Nichtverlängerung von Zeitverträgen, deren Anteil am mittelhessischen Klinikum rund 25 Prozent betrage.

Einsparungen hier würden die Patientenversorgung gefährden. Denn die meisten befristeten Verträge habe der wissenschaftliche Bereich. "Dringenden Verhandlungsbedarf" sieht Hanschur auch beim Angebot der AG, einen Personalfonds zu gründen, der künftig Abfindungs- und Umschulungskosten übernehmen soll. "Hier wird uns der schwarze Peter zugeschoben", kritisierte er. Denn danach müsse der Betriebsrat entscheiden, wer gehen und wer bleiben solle.

Aufsichtsrat und Vorstand des Gießener Klinikums sowie der Präsident der Justus-Liebig-Universität betonen, die Landesregierung habe den besten Bewerber ausgesucht, mit dem langfristig Forschung und Lehre gesichert würden, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende und Staatssekretär Joachim-Felix Leonhard. Mit dem Bau eines neuen Klinikums in Gießen für 170 Millionen Euro könne endlich die desolate Bausituation behoben werden, so Dekan Hans Michael Pieper.

Ursula Stüwe, Präsidentin der Landeärztekammer, fürchtet um die Arbeitssituation ihrer Kollegen. Das Rhön-Klinikum sei dafür bekannt, dass es die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeiten nicht umsetze. Auch bei der neuen Forschungs-Stiftung sei noch vieles unklar, etwa wer das Geld für was verteile. Merkwürdig sei zudem, dass Karl Lauterbach als unabhängiger Berater von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt im Aufsichtsrat des Rhön-Klinikums sitzt. Stüwe: "Wir werden das streng beobachten." gec/mmo/jur