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Junge Welt  vom   17.07.2006

Fatale Kontinuität

Der Berliner Bankenskandal geht in die nächste Runde

Sahra Wagenknecht

Derr Ex-Vorstandsvorsitzende der Berlin Hyp und Ex-CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky vor dem Landgericht Berlin (29. Juli 2005)

Am gestrigen Freitag versammelte sich der illustre Verein der Aktionäre der Berliner Bankgesellschaft AG zur alljährlichen Hauptversammlung. In dieser Zusammensetzung wohl zum letzten Mal, denn bis Ende 2007 soll der Konzern verscherbelt werden. Da man indes potentielle Käufer nicht abschrecken will, die mit dem Namen »Bankgesellschaft« zwielichtige Immobiliengeschäfte und handfeste Korruption verbinden könnten, wurde noch schnell der Name geändert: Die Berliner Bankgesellschaft heißt in Kürze ganz seriös Landesbank Berlin Holding AG. Hinter der Landesbank Berlin wiederum verbirgt sich insbesondere die Berliner Sparkasse, die mit über 150 Filialen und knapp 1,9 Millionen Kunden das darstellt, was man unter Finanzhaien »Filetstück« nennt. Im Kern geht es bei dem Bieterverfahren für die Bankgesellschaft, das im Herbst eröffnet werden soll, also um die Versteigerung der Sparkasse.
 
Glaubt man der Presse und den Erklärungen Berliner Politiker, so ist der Verkauf der Bankgesellschaft der unausweichliche und endgültige Schlußpunkt der größten Bankenkrise der Bundesrepublik, die das Land Berlin an den Rand der Pleite brachte.

Aber wird mit der Privatisierung tatsächlich die richtige Schlußfolgerung aus dem Bankenskandal gezogen? Handelt es sich gar um einen Akt »progressiver Entstaatlichung«, der – wie einige Vertreter der Linkspartei meinen – »Teil einer Transformationsstrategie zum demokratischen Sozialismus« sein kann? Weit mehr spricht dafür, daß der Verkauf der Bankgesellschaft selbst ein Skandal ist, da mit der ersten Privatisierung einer Sparkasse der von der Privatbankenlobby lange ersehnte Präzedenzfall geschaffen wird, der die Grundfesten des öffentlichen Bankwesens in der Bundesrepublik erschüttert. Ein Skandal, der nur deswegen nicht auffliegt, weil er – wie schon die Entscheidung zur Abschirmung sämtlicher Risiken und Verluste 2001/02 – von einer Allparteienkoalition verantwortet wird, an der selbst die Berliner Linkspartei beteiligt ist.

Die Vorgeschichte

Der Grundstein für den Berliner Bankenskandal wurde schon Anfang der neunziger Jahre gelegt. Da mit dem Ende der DDR die Notwendigkeit entfallen war, (West)Berlin durch umfangreiche Subventionen zu einer glänzenden Metropole hochzupäppeln, plagte den Berliner Politklüngel die Not, welche Finanzquellen man künftig anzapfen könne. So gerieten die Sparkassen ins Visier, bei denen sich beträchtliche Sparpolster angesammelt hatten und die daher mit den privaten Berliner Banken zu einem finanzstarken Konzern zusammengeschlossen werden sollten. Begründet wurde die Notwendigkeit der Fusion schon zur Zeit des rot-grünen Senats (1989) mit dem Argument, daß die Sparkassen wegen ihrer öffentlich-rechtlichen Bindungen keine »richtigen« Bankgeschäfte tätigen könnten, während die privaten Berliner Banken nicht kapitalkräftig genug seien, um der verschärften Konkurrenz im europäischen Binnenmarkt standhalten zu können.

Die große Koalition unter Eberhard Diepgen (CDU) setzte den Plan dann in die Tat um: Zum 1. Januar 1994 wurden die Berliner Bank AG, die Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank AG (Berlin Hyp), die ehemalige WBK als Investitionsbank Berlin (IBB) sowie die Landesbank Berlin (LBB) unter der Holding der Bankgesellschaft Berlin AG (BGB) zusammengefaßt. Ziel dieser Konstruktion war es, die eigenkapitalschwache und konkursgefährdete Berliner Bank zu retten, indem man ihr den Zugriff auf die Ressourcen der Landesbank bzw. der Sparkasse erlaubte. Außerdem sollte es der BGB ermöglicht werden, die günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten der LBB zu nutzen, die sich aus der Gewähr­trägerhaftung des Landes Berlins ergaben. Vor allem aber konnte die Haftung des Landes Berlin für die Geschäfte der LBB dazu genutzt werden, ohne Rücksicht auf Verluste einen aggressiven Expansionskurs zu verfolgen, um so zu einem »global player« auf den internationalen Finanzmärkten aufzusteigen.

Wie der Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses »zur Aufklärung der Vorgänge bei der Bankgesellschaft AG, der Landesbank Berlin und des Umgangs mit Parteispenden« im nachhinein feststellte, war die Gründung der Bankgesellschaft Berlin »sowohl in der rechtlichen Konstruktion als auch in der Unternehmensbewertung mit schwerwiegenden Fehlern und erheblichen Risiken behaftet«. So wurde die eigenkapitalschwache und konkursgefährdete Berliner Bank auf der Grundlage eines Gutachtens von Goldman Sachs fast ebensohoch bewertet wie die LBB, die über eine weitaus bessere Eigenkapitalquote und wesentlich höhere Reserven verfügte. Als die derart konzipierte Fusion bei der LBB auf Kritik stieß, drückte der Berliner Senat kurzerhand ein Gesetz durch, nach dem der Vorstand der LBB weisungsgebunden ist und der Fusion zustimmen muß.

Die irreal hohe Bewertung der Berliner Bank setzte den gesamten Konzern von Anfang an unter Expansionsdruck. Allerdings stieg mit der Ausweitung des Geschäftsvolumens auch die Gefahr für das Land Berlin, über die LBB für die immer risikoreicheren Geschäfte in Haftung genommen zu werden. Doch statt das öffentliche Vermögen über eine Begrenzung der Haftungsrisiken zu schützen und wirksame Kontrollmöglichkeiten des Landes zu etablieren, verließen sich die Verantwortlichen im Berliner Senat, im Aufsichtsrat und in den regierenden Fraktionen von CDU und SPD lieber auf die im Auftrag der Bank tätigen Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfer und kümmerten sich nicht weiter um die ständig wachsenden Risiken. Die Haftung des Landes Berlin, die ursprünglich nur für die LBB galt, wurde vielmehr durch die Gründung einer gemeinsamen Refinanzierungsfirma in Dublin sowie über verschiedene Ergebnisabführungsverträge und Patronatserklärungen auf den gesamten Konzern ausgeweitet.

Kriminelle Immobiliengeschäfte

 
Die Krise ließ nicht lange auf sich warten. Schon 1996 geriet der Konzern in eine finanzielle Schieflage, die laut Bericht des Untersuchungsausschusses auf krasse Fehleinschätzungen der wirtschaftlichen Entwicklung, mangelnde Reaktion auf sich verändernde Märkte, übertriebene Risikobereitschaft und fehlende Steuerung der Kreditvergabe zurückzuführen war (siehe FAZ, 2. Juni 2006). In Wahrheit kann allerdings von »fehlender Steuerung der Kreditvergabe« keine Rede sein. Schließlich war es gerade die Funktion der Bankgesellschaft, die alte Westberliner Baumafia mit Krediten und lukrativen Pöstchen zu versorgen, wofür diese sich mit großzügigen Geldgaben an die CDU unter Parteichef Klaus-Rüdiger Landowsky revanchierte. Eine Partei­spende von Vertretern der Immobilienfirma Aubis an die Berliner CDU in Höhe von 40000 DM war es denn auch, die den Bankenskandal im Sommer 2001 auffliegen ließ und zum Sturz der großen Koalition beitrug.

Der mit Abstand größte Schaden für das Land Berlin war durch die massenhafte Auflage ­spezieller Immobilienfonds entstanden, die mit Konditionen ausgestattet wurden, wie sie die Finanzwelt noch nicht gesehen hatte. Etwa 70000 Anleger gehörten zu den Nutznießern dieser einzigartigen Geldmaschine. Dabei schien die Auflage der Fonds zunächst eine elegante Möglichkeit zu sein, überschuldete Kreditnehmer der Bankgesellschaft zu sanieren, indem man ihnen gescheiterte Immobilienprojekte zu überhöhten Preisen abkaufte und anschließend in einen der Fonds steckte. Obwohl es sich also bei vielen Fondsobjekten um Schrottimmobilien handelte, wurden die potentiellen Investoren mit traumhaften Renditen geködert, die auf Jahre garantiert und obendrein durch lukrative Steuersparmöglichkeiten ergänzt wurden. Hinzu kam das Recht zur Rückgabe zum Nominalwert am Ende der Laufzeit. Den Anlegern wurden so jegliche Risiken abgenommen, die wurden der Bank bzw. – dank der Gewährträgerhaftung für die Landesbank – dem Land Berlin übergeholfen.

Damit der Betrug nicht gleich aufflog, wurde ein klassisches Schneeballsystem etabliert. So konnte man mit dem Geld, das die Auflage des zweiten Fonds einbrachte, die Garantien des ersten Fonds bezahlen usw. Um dieses System am Laufen zu halten, mußten freilich immer mehr und immer größere Fonds plaziert werden. Erst im Jahre 2000 – zu diesem Zeitpunkt war die Berliner Bankgesellschaft mit einem Anteil von fast 20 Prozent bereits Marktführer im Geschäft mit geschlossenen Immobilienfonds – wurde das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen aktiv und setzte eine Sonderprüfung durch. Da allerdings lag das Kind bereits mausetot im Brunnen. Und als hätten die Vorstandsmitglieder der Bankgesellschaft geahnt, daß die propere Melkkuh bald geschlachtet würde, gewährten sie sich zwischen 1998 und 1999 noch mal einen Gehaltssprung von knapp 1,5 Millionen Euro – eine Steigerung um 67,5 Prozent (siehe FAZ, 2. Juni 2006).

Sozialisierung der Verluste


Im Laufe des Jahres 2001 spitzte sich die Krise immer mehr zu. Schon im Mai fielen die haftenden Eigenmittel des Konzerns unter die gesetzlich vorgeschriebene Schwelle von acht Prozent, was den SPD-Grünen-Senat zu einer Kapitalspritze von 1,755 Milliarden Euro veranlaßte. Doch schnell stellte sich heraus, daß diese Summe bei weitem nicht ausreichte, um eine Pleite abzuwenden. Nachdem das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen im November 2001 mit der Schließung der Bankgesellschaft drohte, beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus am 9. April 2002 das sogenannte Risikoabschirmungsgesetz, das den Berliner Steuerzahlern Risiken von bis zu 21,6 Milliarden Euro aus faulen Krediten und Wertverlust von Immobilien auf die Schultern lud.

Die Sozialisierung von Risiken und Verlusten, die durch eine jahrelange kriminelle Selbstbereicherung entstanden waren, wird seitdem auch vom SPD-Linkspartei-Senat als alternativlos gepredigt. Letzterer argumentiert etwa, daß die Risikoabschirmung der Bankgesellschaft für das Land immer noch billiger gewesen sei als eine Insolvenz des Konzerns. Dabei beruft er sich auf eine Kalulation, die von Finanzsenator Thilo Sarazzin in Auftrag gegeben und von der Bankgesellschaft selbst erstellt wurde. Nach diesem »Insolvenzszenario« wäre der Haushalt Berlins im Falle eines Konkurses der Bankgesellschaft mit einem zweistelligen Milliardenbetrag belastet worden. Pikant ist freilich, daß man ausgerechnet die Bankgesellschaft selbst mit dem Gutachten betraut hat, das die Kosten ihrer eigenen Insolvenz – an der die Bank wohl kaum ein Interesse hatte – errechnen sollte. Auch stellt sich die Frage, warum man selbst bei der PDS davon ausgeht, daß das Land Berlin tatsächlich für alle Geschäfte der LBB, die zahlreiche Risiken der anderen Teilbanken übernahm, in Vollhaftung steht.1 Hätte man nicht wenigstens gerichtlich prüfen lassen können, inwiefern die Gewähr­trägerhaftung der Landesbank von den Verantwortlichen in der Bankgesellschaft mißbraucht wurde? Das konzerninterne Geflecht von Ergebnisabführungsverträgen und Patronatserklärungen auf dieser Basis juristisch anzufechten, wäre kein von vornherein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Aber auch betreffs der angeblich so kostengünstigen Risikoabschirmung sind Zweifel angebracht. Nach einer Rechnung der Initiative Berliner Bankenskandal summiert sich der Schaden aus den Folgen des Bankenskandals und der Risikoabschirmung auf etwa 15,5 Milliarden Euro – also ebenfalls ein zweistelliger Milliardenbetrag.

Zu guter Letzt sollte die Frage erlaubt sein, warum man die Vorstellung des 900 seitigen Berichts des Untersuchungsausschusses des Abgeordnetenhauses zum Berliner Bankenskandal nicht genutzt hat, um die Verantwortlichen für den Bankenskandal zum Rücktritt von allen öffentlichen Ämtern aufzufordern. Da die Hauptbelasteten, zu denen neben Landowsky auch die einstigen Finanz- und Wirtschaftssenatoren der großen Koalition Ditmar Staffelt, Annette Fugmann-Heesing, Elmar Pieroth, Peter Kurth und Norbert Meisner zählen, sich gegen die Vorwürfe des Untersuchungsausschusses wohl kaum öffentlich zur Wehr setzen werden, läuft die lautlose Entsorgung des Skandals, der für die Verantwortlichen weitgehend folgenlos geblieben ist.

Attacke auf Sparkassen


Für die deutschen Sparkassen hingegen dürfte sich die Risikoabschirmung der Bankgesellschaft als ausgesprochen folgenreich erweisen. Denn mit dem Risikoabschirmungsgesetz wurden nicht nur die Zeichner der »Schweinefonds« weiter aus Steuergeldern gemästet, sondern die auf diese Weise versenkten Milliarden stellten zudem eine staatliche Beihilfe dar. Solche Beihilfen indes rufen, sofern machtvolle Interessen berührt sind, die EU-Kommission auf den Plan, die auch in diesem Fall eilfertig eine Verzerrung des Wettbewerbs witterte. Sie genehmigte die Beihilfe unter der Bedingung, daß das Land Berlin bis Ende 2007 seine Anteile an der Bankgesellschaft verkauft. Tatsächlich zeigt diese Auflage überdeutlich den ganzen Irrsinn europäischer Wettbewerbspolitik: Das Hineinpumpen von Milliarden öffentlicher Haushaltsmittel in einen maroden Konzern wird genehmigt – allerdings nur, wenn dieser Konzern anschließend privatisiert und dadurch garantiert wird, daß der Sanierungserfolg jedenfalls dem Steuerzahler, der ihn finanziert hat, nicht zugute kommt.

Nach europäischem Recht muß das Bieterverfahren außerdem »diskriminierungsfrei« sein, d.h. private Banken dürfen gegenüber öffentlichen Banken (hierzu zählen Landesbanken und Sparkassen) nicht benachteiligt werden. Dies ist jedoch ein Problem, denn nach deutschem Recht ist es privaten Banken nicht erlaubt, eine Sparkasse zu betreiben. Am Berliner Sonderfall hat sich daher ein Streit zwischen der EU und Deutschland entzündet, der womöglich vor dem Europäischen Gerichtshof landen wird. So wurde die Bundesregierung am 28. Juni von der EU-Kommission aufgefordert, künftig auch privaten Banken die Verwendung des Namens »Sparkasse« zu gestatten. Kein Wunder, daß der Deutsche Sparkassen- und Giroverband über diese Entscheidung entsetzt ist, zählt doch das rote Sparkassen-»S« zu den bekanntesten Firmenlogos in Deutschland, dessen Wert allein auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt wird.

Doch es geht um weit mehr als nur den Namen. Wenn das aus drei getrennten Säulen (private Banken, Genossenschaftsbanken, öffentlich-rechtliche Banken) bestehende Bankensystem erst einmal aufgebrochen ist, droht eine Privatisierungswelle von Sparkassen mit verheerenden Folgen für Verbraucher, mittelständische Unternehmen und Beschäftigte. Welche Folgen das haben kann, läßt sich an Großbritannien studieren, wo es keine Sparkassen gibt und der Markt von wenigen privaten Großbanken dominiert wird: Dort verfügen zirka 3,5 Millionen Haushalte über kein Girokonto, da es sich für die privaten Banken schlicht nicht rentiert, auch für ärmere Bevölkerungsgruppen ein Konto anzubieten (siehe Die Zeit, 3. Februar 2005).

Ob die EU-Kommission sich durchsetzen wird, ist allerdings noch unklar. So hat die Bundesregierung versprochen, den Namensschutz für Sparkassen zu verteidigen und es auch künftig nur öffentlich-rechtlichen Instituten zu gestatten, den Namen »Sparkasse« zu verwenden. Hinzu kommt, daß es der EU-Kommission laut Artikel 295 des EU-Vertrags untersagt ist, sich in die Eigentumsordnung eines EU-Mitgliedslandes einzumischen. Und wie die EU-Kommission dem Vorsitzenden des Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) bestätigte, geht von Brüssel »keinerlei Druck aus, Sparkassen an Private zu verkaufen.«(2)

Vorgeschobene Sachzwänge

 
Stellt sich also die Frage, wer für die erstmalige Versteigerung einer Sparkasse tatsächlich verantwortlich ist. Der Berliner Senat behauptet, daß die EU den Verkauf der Sparkasse erzwingen würde. In ihrer Antwort auf meine schriftliche Anfrage hat die EU-Kommission jedoch darauf hingewiesen, »daß das Land Berlin im Rahmen des Umstrukturierungsplans die Veräußerung der BGB einschließlich der Berliner Sparkasse vorgesehen hat.« Eine zweite Anfrage, in der ich um Einsicht in diverse Umstrukturierungspläne bat, wurde von der Kommission abgelehnt, denn »Deutschland hat die Kommission darüber informiert, daß es nicht mit der Verbreitung der Dokumente einverstanden ist.« Diese Verheimlichungspolitik ist typisch und sowohl für die Bundesregierung als auch für das Land Berlin sehr nützlich. Denn indem man auf vermeintliche Sachzwänge verweist und der EU-Kommission den Schwarzen Peter zuschiebt, kann man Protesten vor Ort den Wind aus den Segeln nehmen.

Fakt ist, daß in der Auflage der EU-Kommission an keiner Stelle der Verkauf der Sparkasse gefordert wird. Und wie ein Sprecher von EU-Kommissar McCreevy bestätigte, geht es der EU nur darum, im Falle eines Verkaufs sicherzustellen, daß für alle potentiellen Käufer die gleichen Bedingungen gelten. Die Entscheidung zum Verkauf der Sparkasse wurde also höchstwahrscheinlich vom Berliner Senat getroffen, der im anstehenden Bieterverfahren auf einen möglichst hohen Privatisierungserlös hofft. Dazu paßt, daß der Berliner Finanzsenator Sarrazin schon vor Monaten die EU-Kommission um Hilfe gebeten und sich für eine schnelle Beseitigung des Namensschutzes für Sparkassen stark gemacht hat.

Dazu paßt auch, daß Berlin als erstes Bundesland ein Sparkassengesetz verabschiedet hat, welches der privaten Konkurrenz den Einstieg bei einer Sparkasse ermöglicht. Wie Report Mainz am 20. März berichtet hat, wurde das Gesetz von der Kanzlei Freshfields, Bruckhaus, Deringer erarbeitet – eine »der besten Adressen für milliardenschwere Wirtschaftsdeals«, die »mit dem Bundesverband deutscher Banken und vielen Großbanken über Berateraufträge eng verbunden« ist.(3) Entsprechend sieht das Gesetz auch aus: So verfügt die Berliner »Sparkasse« über kein eigenes Vermögen, keine eigene Banklizenz, und auch die Gewinne sollen in die Taschen des privaten Trägers fließen. All dies ist mit dem deutschen Kreditwesengesetz nicht vereinbar, d.h. man hat mit dem Gesetz einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, dem andere Länder womöglich folgen werden.

Unbewältigter Skandal

Der Clou des Berliner Sparkassengesetzes besteht darin, daß man die Sparkasse de facto privatisiert, die öffentlich-rechtliche Fassade jedoch aufrechterhält. Letzteres ist nötig, da man den teuren Namen der Sparkasse ja behalten bzw. mitverkaufen will. Die komplizierte Konstruk­tion des Sparkassengesetzes knüpft damit an frühere Modelle der »Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform« an, die bei der Gründung der Bankgesellschaft AG im Jahr 1994 sowie der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahr 1999 getestet wurden. In all diesen Fällen ging es darum, private Investoren an den Vorteilen teilhaben zu lassen, die mit der öffentlich-rechtlichen Rechtsform verbunden sind. Im Fall der Bankgesellschaft Berlin war es vor allem die Haftung für sämtliche Risiken der Landesbank, von der eine Beutegemeinschaft aus Politikern, Bankvorständen und Immobilienhaien massiv profitiert hat. Im Fall der Berliner Wasserbetriebe wurden die privaten Konzerne mit einer hohen und über mehrere Jahrzehnte laufenden Gewinngarantie beglückt, d.h. auch hier wurde das Geschäftsrisiko vom privaten Investor auf das Land Berlin abgewälzt. Im Fall der Berliner Sparkasse ist es die wertvolle Marke, die sich die privaten Banken gerne aneignen würden – von der Signalwirkung, die von einem Verkauf an private Investoren für ganz Deutschland ausgehen würde, ganz zu schweigen. Um einen Verkauf an Private und damit einen gefährlichen Präzedenzfall zu verhindern, wird der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) gezwungen sein, mehrere Milliarden für eine Sparkasse und einen Namen hinzublättern, die ihm eigentlich selbst gehören.

Es hat den Anschein, als hätte man aus dem Berliner Bankenskandal nichts gelernt. Statt die Kosten und Risiken zu vermeiden, die sich ergeben, wenn man öffentliche Unternehmen einem privaten Verwertungsinteresse unterstellt, schafft man ein Sparkassengesetz, das es privaten Investoren ermöglicht, aus dem Vermögen und dem guten Namen der Berliner Sparkasse Profit zu ziehen. Und statt künftig zu verhindern, daß die Allgemeinheit für eine skrupellose Bereicherungspolitik zur Kasse gebeten wird, riskiert man eine flächendeckende Zerschlagung des öffentlichen Bankenwesens mit negativen Folgen für Konsumenten, mittelständische Betriebe und Beschäftigte. Der Bankenskandal ist also alles andere als bewältigt – das skandalöse Vorgehen bei der Gründung der Bankgesellschaft wird vielmehr jetzt auf neuer Ebene reproduziert: So wie Mitte der neunziger Jahre die in der Berliner Sparkasse angesammelten Spargroschen geplündert wurden, um die angeschlagene Berliner Bank zu sanieren, soll jetzt der Sparkassen- und Giroverband für den Bankenskandal bluten und tief in die Tasche greifen, um zu verhindern, daß die Berliner Sparkasse im anstehenden Bieterverfahren in private Hände gerät.

(1) Vgl. bspw. Klaus Lederer, Privatisierung der Berliner Sparkasse?, in: rls Standpunkte 5/2006

(2) EU respektiert deutsches Drei-Säulen-System, Pressemitteilung des DSGV vom 28.06.2006

(3) Hechler, Daniel (2006): Sparkassen-Verkauf - Der Einfluß der Banken-Lobby. Report Mainz vom 20. März 2006 URL: www.swr.de/report/archiv/sendungen/060320/04/frames.html

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