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FR vom 12.05.2006  (Gescannter Bericht)

Bahn - im öffentlichen Eigentum

VON WINFRIED WOLF

Die Frage, ob die Bahn an die Börse gehe und ob Netz und Betrieb getrennt würden, stelle sich derzeit von der Sache her nicht. So der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) im Bundestag. Man könne mit der Bahn „auch so wie jetzt ganz komfortabel weiterfahren". Aber die Politik wolle nun mal „im Herbst diese Entscheidung". Tatsächlich gibt es kein überzeugendes Argument für einen Verkauf des Bundeseigentums an der Deutschen Bahn (DB).

Das gilt besonders für einen „integrierten Börsengang" für den Verkauf von 49 Prozent der Anteile des Konzerns einschließlich des Netzes. Offiziell werden hier fünf bis neun Milliarden Büro Privatisierungserlöse erwartet. Da ein großer Teil davon in der privatisierten DB bleiben soll, sind es real deutlich weniger. Dieser Betrag steht in einem krassen Verhältnis zu den mehr als 100 Milliarden Büro, auf die Trassen, Bahnhöfe, Lokomotiven und Triebwagen, die Flotte von Reisezugwagen mit einer Kapazität von 1,4 Millionen Sitzplätzer, und die 160000 Güterwaggon zu taxieren sind Bei einem integrierten   Börsengang würde es sich um den bisher größten Ausverkauf von Vermögenswerten in öffentlichem Eigentum in der deutschen Geschichte handeln.

Die von der Bahngewerkschaft Transnet vertretene These, der zufolge bei einem integrierten Börsengang der Konzern als Einheit erhalten und damit Arbeitsplätze verteidigt würden, ist nicht überzeugend. Zum einen gab es bei der „integrierten Bahn" von 1994 bis 2005 bereits eine Halbierung der Be-schäftigtenzahlen. Zum zweiten kann eine privatisierte DB zum Zwecke der Gewinnma-ximierung dazu übergehen, ganze Teile des Konzerns zu veräußern. Im übrigen sei auf einen anderen Aspekt verwiesen: Mit einer solche Bahnprivatisierung könnte die in 170 Jahren geleistete Aufbauarbeit von Millionen Menschen weitgehend zerstört werden.

Bleibt das Modell eines Bahnbörsengangs ohne Netz, die Privatisierung des Nah-, Fern- und Güterverkehrs. Auch hier springen vor allem die Nachteile ins Auge. Die realen kurzfristigen Einnahmen aus dem Börsengang bleiben bescheiden. Die staatlichen Zuschüsse für das System Schiene sollen jedoch zumindest in der bisherigen Höhe von gut zehn Milliarden Büro pro Jahr weiter bezahlt werden - nunmehr jedoch an überwiegend private Eigentümer.

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Eine solche Privatisierung
könnte die Aufbauarbeit
von Millionen Menschen
zerstören
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Es wird zu keinem relevanten Zuwachs des Verkehrs auf der Schiene kommen - das zeigen die Privatisie-rungs-Gutachten. Vielmehr würde das Netz erneut um rund 5000 Kilometer gekappt. Vor allem aber kommt es bei Fahrplan, Tarifen und den service- und Sicherheitsstandards zu einem Abbau von Transparenz und Attraktivität. Das entscheidende Ergebnis der Bahnprivatisierung in Großbritannien ist die Bildung eines Flickenteppichs; die Schiene als Gesamtsystem wurde zerstört.

Bei der Bahn, schreibt ein Kommentator der Financial Times Deutschland, handele es sich um „ein Objekt, das für eine Privatisierung am wenigsten geeignet ist". Ein Grund, weshalb die Einsicht noch zu wenig Resonanz findet, ist die existierende Bahn. Die DB ist kein Vorbild für eine Bahn in öffentlichem Eigentum. Sie ist kundenfeindlich und diskriminierend - letzteres nicht nur gegenüber privaten Anbietern, sondern auch gegenüber Behinderten und Menschen mit schmaler Börse. Dabei wird meist vergessen, dass die Bahnre-form von 1994 bereits ein wichtiger Schritt zur Privatisierung war und dass negative Tendenzen, die es in den vergangenen zwölf Jahren gab - etwa die Abschaffung des Interregio mit dem Abhängen ganzer Regionen vom Fernverkehr - nur ein Vorgeschmack auf die Entwicklung nach einer materiellen Privatisierung sind.

Nun gibt es jedoch das Beispiel einer Eisenbahn in öffentlichem Eigentum und mit überzeugenden Ergebnissen. In der Schweiz fahren die Bürger mehr als doppelt so viele Kilometer mit dem Zug wie ihre deutschen Nachbarn. Der Anteil der Schiene im Personen- und Güterverkehr liegt deutlich höher als hier zu Lande. Für den Erfolg der Schweizer Bundesbahnen gibt es zwei Gründe: Zum einen ihre dezentrale Struktur: rund 40 Prozent des Schienennetzes und Bahnbetriebs befinden sich im Eigentum der Kantone (Bundesländer). Zum anderen die demokratische Verfassung des Landes: Die Schweizer Bevölkerung entschied sich in mehreren Referenden für die Schiene.

Die Debatte „Börsengang mit oder ohne Netz" führt in die Irre. Tertium datur - es gibt ein Drittes: eine optimierte Bahn in öffentlichem Eigentum.

DER AUTOR war verkehrspolitischer Sprecher der PDS im Bundestag und vertritt das Bündnis „Bürgerbahn statt Börsenbahn".