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Bahn-Börsengang in Frage gestellt

Streit um das Schienennetz: Union schließt Scheitern der Privatisierung nicht aus / Gewerkschaft droht weitere Warnstreiks an

Jakob Schlandt

BERLIN. Neben der Gesundheitsreform droht der großen Koalition das Scheitern eines weiteren zentralen Projekts. Die Union ist offenbar nicht um jeden Preis an einer Einigung mit der SPD über einen Börsengang der Deutschen Bahn AG interessiert und rechnet mit der Möglichkeit, dass das Vorhaben platzt. Das ließ Unionsfraktionschef Volker Kauder in einer Fraktionssitzung erkennen: "Wenn es keine saubere Lösung bei der Bahnprivatisierung gibt, dann bleibt es eben, wie es ist", soll der CDU-Politiker gesagt haben. Dies berichteten Teilnehmer der Berliner Zeitung.

Verschleuderung von Vermögen

CDU und CSU gehen mit einer harten Verhandlungslinie in das Treffen des Lenkungsausschusses am Donnerstag, in dem Regierung und Parlamentsvertreter über die Modalitäten des Börsengangs entscheiden wollen. Der Verkehrsexperte der Unionsfraktion, Dirk Fischer (CDU), kündigte der Berliner Zeitung an: "Mit uns ist eine Privatisierung mit integriertem Eigentum sicher nicht zu machen." Sonst komme es zu einer "dramatischen Verschleuderung" von Volksvermögen, sagte er. Diese Option wird von Bahnchef Hartmut Mehdorn und Teilen der SPD favorisiert.

Die Mehrheit der Sozialdemokraten zieht jedoch die Kompromisslösung vor, das Netz zwar im Eigentum des Bundes zu belassen, der Bahn aber über einen sehr langen Zeitraum die Nutzungsrechte daran zu übertragen. Im Gespräch sind dabei etwa 20 bis 40 Jahre. CDU-Mann Fischer lehnte auch diesen Plan klar ab und schränkte damit die Chancen auf eine Einigung deutlich ein: "Zehn bis zwölf Jahre Nutzungsrecht für die Bahn ist das absolute Maximum, das in unserer Fraktion Zustimmung findet."

Ob die SPD und Bahnchef Mehdorn sich darauf einlassen, ist ungewiss. Mehdorn will auf jeden Fall, dass die Bahn an die Börse kommt. Auf der anderen Seite hat er sich für einen integrierten Börsengang stark gemacht, bei dem die Bahn das Schienennetz behält und als Einheit erhalten bleibt. Angesichts der harten Verhandlungsposition, die die Union einnimmt, sind beide Ziele gefährdet. "Mehdorn hat sich die Suppe selbst eingebrockt, jetzt soll er sie auch selbst auslöffeln", kommentierte Fischer die Situation.

Angesichts der äußerst schwierigen Ausgangslage für die Verhandlungen ist unklar, ob der anvisierte Zeitplan eingehalten werden kann. Eingeweihte gehen davon aus, dass die Entscheidung im Bundestag über den Börsengang vom Oktober diesen Jahres ins Frühjahr 2007 verschoben werden könnte.

Sollte die Bahn ohne Infrastruktur an die Börse gebracht werden, befürchten die Gewerkschaften Transnet und GDBA den Verlust von 80 000 Arbeitsplätzen, weil die Bahn dann nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Viele Experten befürworten jedoch eine Trennung von Netz und Betrieb. Sie erhoffen sich davon deutlich mehr Wettbewerb auf der Schiene und damit sinkende Preise für Bahnreisende.

Der Tarifkonflikt um die Bahnbeschäftigten spitzt sich unterdessen weiter zu. Kurz vor Ablauf der Friedenspflicht am Mittwoch drohte die Gewerkschaft Transnet mit massiven Warnstreiks. Rund 750 Bahn-Mitarbeiter demonstrierten in Dortmund für ein neues Beschäftigungsbündnis. Das bestehende gilt nur, wenn die Bahn dauerhaft mit Schienennetz an die Börse geht - was angesichts der Unions-Ankündigungen als sehr unwahrscheinlich gelten kann.

Berliner Zeitung, 26.09.2006