(Gescannter Text)
TEIL I
Auszug aus HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung,
Forschung, 59.Jahr, Heft 10, Oktober 2006, Seiten 7 und 8
Eigentlich nichts Neues: Sinn und Zweck eines Unternehmens ist es, für seine
Besitzer einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, nicht etwa Arbeitsplätze zu
schaffen oder zu erhalten und erst recht nicht in diesem oder jenem Land der
Welt Das Unternehmen ist nur die Voraussetzung, sich diesen Gewinn durch die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erarbeiten zu lassen und ihn sich anschließend
so vollständig wie möglich anzueignen. Das war schon immer so, auch wenn es in
der Vergangenheit in dem einen oder anderen Land durch den Druck der
politischen Verhältnisse vielleicht etwas weniger zum Tragen kam.
Seit einigen Jahren jedoch ist die Entwicklung zu beobachten, das Streben nach
möglichst hoher Rendite ohne Beachtung gesellschaftlicher
..Kollateralschaden" zum Maß aller Dinge zu erheben.
Hedge-Fonds: Renditen bis zu 70 Prozent
Erheblichen Anteil an dieser Entwicklung haben tausende hauptsächlich in den
USA oder Großbritannien operierende Hedge-Fonds oder Private-Equity-Gesellschaften,
zu 80 °/o in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands registriert. Sie sind
politisch oder finanzwirtschaftlich kaum kontrollierbar und können gesetzlichen
Anforderungen einzelner Staaten stets trickreich ausweichen. Die Branche der
Firmenjäger wird angeführt von Namen wie KKR, Pennina, Blacksteme, Cerberus,
Apax Partners, Fortress oder Carlyle, seit einiger Zeit auch in Deutschland,
auf der Suche nach lukrativen Geldanlagemöglichkeiten. Sie legen das Geld ihrer
Investoren (Pensionsfonds, staatliche Fonds, Versicherungen, große
Finanzinstitute, US-amerikanische Universitäten, vermögende Stiftungen oder
reiche Privatpersonen) so an, dass es nach einigen Jahren mit hoher
Wertsteigerung ausgeschüttet werden kann. Dabei gehen viele Hedge-Fonds hohe
Risiken ein, um ihre Zielrenditcn zu erreichen.
Besonders beliebt sind in diesem Zusammenhang Investitionen in Not leidende
Betriebe, die aber durchaus noch eine Chance am Markt besitzen, über
umfangreiche und wertvolle Grundstücke verfügen oder ertragreiche Patente oder
Markenrechte besitzen. Oft in Zusammenarbeit mit dem aktuellen Management der
Firma werden diese Unternehmen aufgekauft, wobei in der Regel der größte Teil
der Kaufsumme über einen Bankkredit finanziert wird. Meist wird in einem ersten
Schritt das Unternehmen „filetiert": Lukrative Geschäftsbereiche und
wertvolle Immobilien werden herausgelöst und einzeln verkauft. Dem übernommenen
Unternehmen wird ein völlig unnötiger, hoher Kredit aufgebürdet und das Geld
dem Käufer zurückerstattet. Die Konsequenz sind aus Sicht des neuen Besitzers
„leider unumgängliche" Massenentlassungen. In der Regel nach vier
bis sieben Jahren wird das Unternehmen mit erklecklichem Gewinn verkauft, die
Geldgeber erhalten ihr auf „wundersame" Art und Weise vermehrtes
Kapital zurück. Da es sich um geschlossene Fonds handelt, können die Geldgeber
erst jetzt ihr investiertes Geld zurückfordern. Da das Investment üblicherweise
nur mit 20 bis 30 % Eigenkapital finanziert wird - der Rest ist von Banken
geliehenes Fremdkapital - ergeben sich außergewöhnlich hohe
Eigenkapitalrenditen von bis zu 70 °/o pro Jahr! (FAZ 25.4.2006). Die über
Verwaltungsgebühren und Gewinnbeteiligungen am Erfolg der Fonds beteiligten
Manager erwerben in wenigen Jahren erhebliche Vermögen: Stephen Schwarzmann,
Mitbegründer des weltweit zweitgrößten Fonds Blackstone, begann vor rund 20
Jahren mit einem Eigenkapital von 400.000 $. Heute ist er mit einem geschätzten
Vermögen von 2,5 Milliarden $ auf Platz 93 der Forbcs-Liste der reichsten
Amerikaner zu finden. James Simons von der Renaissance Technologies Corp,
erhielt für 2005 sogar rund 1,5 Milliarden $! Bei diesen Erfolgsaussichten ist
es kein Wunder, dass erfolgreichen Beteiligungsgesellschaften das Geld von
renditegeilen Investoren nur so hinterher geworfen wird, die verzweifelt eine
Geldanlage suchen, die mehr Rendite abwirft als Aktien, Staats- oder Unternehmensanleihen.
Weltweit verwalten die Beteiligungsgesellschaften inzwischen gut 2,5 Billionen
Dollar - Tendenz steigend. Das ist zwar im Verhältnis zum weltweit in
Unternehmen investierten Kapital noch relativ wenig, doch setzen die
Beteiligungsgesellschaften mit ihren außergewöhnlichen Renditen den neuen Maßstab,
an dem sich nun alle orientieren wollen oder gemessen werden. Da die
Beteiligungsmanager in regelmäßigen Abständen neue Fonds auflegen, stehen sie
unter erheblichem Druck. Sie müssen permanent neue Übernahmeziele finden, denn
die Geldgeber wollen sehen, dass ihr Kapital auch eingesetzt wird. So hat der
Finanzinvestor KKR gerade ohne Mühe 15 Milliarden S für seinen weltweit zur
Zeit größten Beteiligungsfonds einsammeln können.
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Allianz-Beschäftigte demonstrieren gegen Stellenabbau (Dortmund,
31.7.2006. Bild)
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Stellenabbau bei Rekordgewinnen
Galten Renditen von 10 bis 12 % in der Vergangenheit als ausreichend, muss
jeder Manager seit Josef Ackermann von der Deutschen Bank bei weniger als 25 %
mit einem schnellen Ende seiner Karriere rechnen. Und so kommt es zu der
grotesken Situation, dass Betriebe nicht nur Massenentlassungen vornehmen, wenn
die Geschäfte schlecht gehen: Die 30 größten börsennotierten Unternehmen
Deutschlands haben ihren Gewinn 2004 auf 35,7 Milliarden Euro verdoppelt und
zeitgleich knapp 35.000 Stellen abgebaut. Der tägliche Blick in die Zeitung und
auf protestierende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Fernsehen von der
Deutschen Bank bis zur Allianz (Foto) belegen diese Tendenz. Während die
Einkommenssteigerungen der Beschäftigten kaum erwähnenswert oder sogar negativ
sind, steigen die Vergütungen der Vorstände und der Aufsichtsräte in
unverschämte Höhen. Geht einmal etwas schief, wird mit millionenfacher
Abfindung zu Lasten des Unternehmens eine geräuschlose Einigung erzielt oder am
Ende auch noch vor Gericht um die Bezahlung der Überstunden des Chauffeurs für
den lebenslang zur Verfügung gestellten Dienstwagen gestritten!
Für die weltweite „Elite" der BWL- und Jura-Studentinnen und
-Studenten ist die Arbeit in einer Beteiligungsgesellschaft „Karriereziel
Nummer eins". Da sind 590 Euro für die Teilnahme am exklusiven
Tagesseminar eines Wiesbadener Private Equity Instituts im Kurhaus genauso gut
investiertes Geld wie 2.950 Euro für das siebentägige Kompaktstudium
„Private Equity" der European Business School.
Die Spitzenkräfte der Branche, die man sich gerne gegenseitig abwirbt, erzielen
ein Einkommen, das oft noch höher ist als das Einkommen des
Vorstandsvorsitzenden der entsprechenden Mutterbank. So ist Vorstandschef Josef
Ackennann nach eigenen Angaben nur „Nummer 14" bei der Deutschen
Bank. Wenn an der Wallstreet in New York die jährlichen Bonuszahlungen
anstehen, knallen die Korken der teuersten Champagnermarken. 2005 waren es 17,8
Milliarden Euro in New York (30 o/o mehr als 2000), am Finanzplatz London 2006
geschätzte 7,5 Milliarden Pfund. Dann macht man schon mal eine Zeche von 36.000
Pfund, hinterlässt der Kellnerin ein Trinkgeld von 5.000 Euro und beginnt eine
Einkaufsorgie unvorstellbaren Ausmaßes mit all den schönen Spielsachen der
„erfolgreichen" Banker und Broker: einem individuell
zusammengestellten Fahrrad für 8.000 Euro, einer mit 528 Brillanten verzierten
Uhr für 36.000 Euro, einem Porsche Cayenne Turbo S für fast 120.000 Euro, der
dann bei Vollgas auf der Autobahn auch schon mal 66,7 Liter Super auf 100
Stundenkilometer verbrauchen darf, einem Bugatti Veyron mit 1001 PS für 1,16
Millionen Euro, einem 14 Meter langen Wohnmobil für 1,7 Millionen Euro, einem
handgefertigten voll straßen-tauglichen Ferrari für vier Millionen Euro, einem
schicken Oldtimer Daimler Double-Süd 50 Corsica Drophead Coupe von 1931 für
fünf Millionen Dollar, einer supermodernen Segelyacht namens „Maltese
Falcon" für 100 Millionen Euro bis hin zum diskreten Immobilienbesitz als
Penthouse oder luxuriösem Landsitz der Extra-Edelklasse.
64 der 100 wohlhabendsten Männer der Londoner City sind Gründer und Eigentümer
von Hedge-Fonds. Zwar wird diese Form des Turbo-Kapitalismus inzwischen selbst
aus unverdächtiger Ecke kritisiert, aber zur Zeit noch ohne Konsequenz: So
warnte die FAS am 1.1.2006 unter der Überschrift „Das Jahr der
Heuschrecke" vor den neuen Finanzinvestoren: „Sie scheren sich wenig
um Befindlichkeiten. Und sind noch lange nicht satt." An mehr als 5.500
deutschen Unternehmen sind Finanzinvestoren schon beteiligt. Auch der linker
Positionen unverdächtige Vorstandschef der Porsche AG hält es für eine
„Illusion" zu glauben, „dass irgendeinem Pensions- oder Hedgefonds
mit Sitz in Denver oder Las Vegas die Beschäftigungssituation in Deutschland am
Herzen liegt. Sie werden sich allein an der kurzfristigen Erhöhung von Renditen
orientieren - und sei es um den Preis der Zerschlagung von traditionsreichen
Unternehmen oder gewachsenen Strukturen" (FAZ, 28.1.2006).
An den Realitäten ändert das nichts: Das Unternehmen, das am wenigsten Steuern
bezahlt und seine Aktionäre mit hohen Dividenden und einer Steigerung des
Unternehmenswertes belohnt, steht in der Öffentlichkeit in höchstem Ansehen,
egal welchen Preis die Beschäftigten dafür bezahlen müssen. Und in immer
höherem Maße werden Forderungen an den Staat gestellt und ihm gleichzeitig die
dafür notwendigen Mittel in Form von Unternehmenssteuern vorenthalten - auch durch
dm Umzug der Reichen und Superreichen in Steuerparadiese wie die Schweiz.
Aber oft ist noch nicht einmal der Umzug eines Betriebes in einen Schweizer
Briefkasten zur Verringerung der Steuerlast nötig, manchmal genügt auch
„ein vernünftiges Gespräch" mit den Verantwortlichen der Stadt: Die
Andeutung einer möglichen buchhalterischen Abwanderung der Wall-dorfer
Software-Firma SAP nach Brandenburg reichte aus, um eine Senkung des Hebesatzes
der Gewerbesteuer in Walldorf von 290 auf 255 % zu erreichen, sodass die
Steuerquote des Unternehmens im letzten Halbjahr auf unter 25 % gesenkt werden
konnte und der Einsparungseffekt für SAP rund 30 Millionen Euro betrug (FAS,
23. 7. 2006). Da fügt sich die mit 2,12 Milliarden Euro hoch verschuldete Stadt
Frankfurt gleich freiwillig in ihr Schicksal, senkt den Hebesatz der
Gewerbesteuer von 490 auf 460 Punkte und verzichtet somit auf Steuereinnahmen
von 60 Millionen Euro pro Jahr (FAZ, 2. 9. 2006). Langfristig kann diese
Strategie nicht erfolgreich sein: Auch alle Unternehmen in Deutschland
profitieren von den öffentlichen Einrichtungen dieses Landes, seinem
Rechts-System, seiner Verwaltung, seiner hervorragenden Infrastruktur, seinem
Bildungssystem. All dies ist bei aller berechtigten Kritik immer noch besser
als in vielen anderen Staaten der Welt. Bei aller Globalisierungseuphorie: Auch
Unternehmen schulden der Gesellschaft, in der und von der sie leben, nicht nur
Steuern, sondern auch die Investition in eine intakte soziale Umwelt. Das liegt
auch in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse!
Klaus Dieter Leetz
Teil II mit den Schwerpunkten
Staatsverschuldung, Unternehmenssteuerreform und politische Lobbyarbeit folgt
in der nächsten Ausgabe der HLZ.
Auszug aus HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung , Forschung,
59.Jahr, Heft 11, November 2006, Seiten 30 und 31
Einzelne Kantone in der Schweiz unterbieten sich gegenseitig im Wettlauf um den
niedrigsten Steuersatz; mit individuell vereinbarten Steuersätzen werben
schweizerische Gemeinden und Kantone um einkommensstarke Ausländer.
Spitzenreiter der stets zu aktualisierenden Hitliste ist zurzeit der Kanton
Obwalden mit einem Steuersatz von nur noch 6,6 °/o auf den Gewinn, der damit
dem langjährigen Spitzenreiter, dem Kanton Zug, mit 16,3 % erfolgreich zusetzt.
Aber auch reichen Privatpersonen kommt Obwalden entgegen: Ab einem Einkommen
von 300.000 Franken werden sie degressiv besteuert; je höher das Einkommen
desto niedriger ist der Prozentsatz, den das Finanzamt verlangt - selbst für
das Tiefsteuerland Schweiz ungewöhnlich (SZ, 14. 12. 2005).
Tiefsteuerland Schweiz
Im Jahr 2005 sind 14.409 Bundesbürger in die Schweiz ausgewandert. Sollte hier
ein Zusammenhang bestehen? Aber auch der Kanton Zug bleibt im Geschäft: Im
Handelsregister dieses Kantons gibt es mehr als 20.000 Firmen-Eintragungen,
wobei die meisten nicht viel mehr als einen Briefkasten haben, auch jene
Gesellschaft, die die neue Ostsee-Gaspipeline betreiben wird, mit Altkanzler
Schröder im Aufsichtsrat. Das Handelsregister liest sich wie das Who is Who der
internationalen Geschäftswelt: Adidas, BP, Hugo Boss, Siemens Gebäudetechnik,
BASF - ein Drittel der Firmen gehört Deutschen (SZ, 18. 11. 2005). Auf jeden
fünften Einwohner im Kanton kommt somit eine Firma, Zug ist der mit Abstand
reichste Schweizer Kanton. Einige Kantone in der Schweiz haben mit reichen
Ausländern Pauschalabkommen vereinbart, vor allem rund um den Genfer See, sowie
in Bern und Graubünden. Man schätzt, dass es etwa 4.000 solcher Verträge gibt;
auch Michael Schumacher gehört dazu mit einem geschätzten Vermögen von 900
Millionen Franken, einem Jahreseinkommen von mindestens 100 Millionen Euro und
einem täglichen Salär von 136.986 Euro (focus-online, 1. 10. 2006) - gegenüber
144 Euro einer A-13-Lehrkraft. Er wohnt im Kanton Waadt, der zu Reichen
besonders freundlich ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Schweiz
eine Steueroase für Reiche bleibt (FAZ, 8. 10. 2005) und die Schweizer Großbank
UBS der größte Vermögensverwalter der Welt ist.
Trotz der Zinsbesteuerung von Ausländern, die mit der EU vereinbart wurde, hat
die Attraktivität des Finanzplatzes Schweiz nicht gelitten: Die durch Schweizer
Banken verwalteten Vermögen stiegen 2005 um den Rekordwert von 25 % auf
sagenhafte 2,8 Billionen Euro. Davon entfallen 60 °/o auf ausländische
Privatkunden und institutionelle Anleger (FAZ, 15.9.2006). Das konsequent
beachtete Bankgeheimnis, die hohe Rechtssicherheit und das Wissen um die
diskreten Bedürfnisse der reichen privaten Anleger kennzeichnen den Finanzplatz
Schweiz. Inzwischen unterhalten die großen Schweizer Banken auch
Niederlassungen an den aufstrebenden nah- und fernöstlichen Finanzmärkten;
nicht nur um die rasant wachsende Zahl der Millionäre und Milliardäre auch aus
diesen Regionen als Kunden zu gewinnen, sondern auch um das eine oder andere
Konto von einer Schweizer Bank in Zürich zu einer Filiale in Singapur zu
verlagern. Dann entfällt automatisch die mit der EU vereinbarte Zinssteuer, so
dass deren Ertrag für Deutschland im zweiten Halbjahr 2005 gerade einmal
lächerliche 15,4 Millionen Euro betrug (manager-magazin, 13. 9. 2006). Erfasst
werden nämlich nur Konten von natürlichen Personen, und damit bleibt die
Liechtensteiner Stiftung mit einem Konto in der Schweiz weiterhin ein
attraktives Modell für vermögende Steuersünder. Die Reichsten-Rangliste des
Schweizer Magazins Bilanz weist für die Top 300 einen Vermögenszuwachs auf nun
unvorstellbare 400 Milliarden Franken aus, darunter auf Platz l den
Ikea-Gründer Ingvar Kamprad mit einem geschätzten Vermögen von mindestens 20 Milliarden
Franken.
Feuerwerk medialer Unterstützung
Aber auch das ins Ausland transferierte Geld - neben der Schweiz auch nach
Liechtenstein, Luxemburg und in viele andere Steueroasen der Welt - muss zuerst
in Deutschland dem als ungerechtfertigt empfundenen Zugriff des Staates
vorenthalten werden. Dort werden die Auseinandersetzungen um die angemessene
Finanzierung des Staates mit zunehmender Härte geführt. Ziel der deutschen
Unternehmen ist es offenkundig, sich aus der Finanzierung des Staates vollständig
zu verabschieden und über die überaus erfolgreichen Steuerentlastungen der Zeit
der rot-grünen Bundesregierung hinaus weitere Steuersenkungen zu erreichen.
Schon 2005 drückten fast drei Viertel der 130 Industrie-, Handels- und
Dienstleistungskonzerne aus Dax, Mdax, Sdax und TechDax ihre Steuerquote bei
den Ertragssteuern auf einen Durchschnitt von nur noch 28,2 % und zahlten somit
nur noch 19,6 Milliarden Euro an den Staat. Nach Meinung vieler Vorstände und
Aktionäre ist aber auch das noch zu viel. Einfacher als die Nutzung aller
legalen und zum Teil illegalen Steuertricks wäre es natürlich, wenn die
Steuersätze grundsätzlich deutlich verringert oder sogar abgeschafft würden.
Zur Erreichung dieses Zieles werden zahlreiche freiwillige und unfreiwillige
Unterstützer positioniert, viele Millionen Euro für ein ganzes Feuerwerk
medialer Unterstützung eingesetzt. Die immer gleichen und immer noch falschen
Argumente werden gebetsmühlenartig in Talkshows, Interviews in Radio und
Fernsehen und bezahlten Zeitungsanzeigen der einschlägig bekannten Tarn
Organisationen wie der Initiative soziale Marktwirtschaft des
Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall ausgebreitet und der uninformierten
Öffentlichkeit als neue Erkenntnisse präsentiert: In Deutschland seien Löhne
und Lohnnebenkosten viel zu hoch, es gebe zu viel Bürokratie, Steuersenkungen
für Unternehmen sicherten neue Arbeitsplätze, private Vorsorge für das Alter
sei unbedingt erforderlich, da sich die Rente nicht rentiert und von den
Renten, die Vater Staat künftig noch zahlen wird, kaum jemand leben könne, und
die Eigenanteile der Versicherten im Gesundheitswesen müssten steigen und so weiter.
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„Mächtig sind die Finanzanalysten und Fondsmanager geworden, die zu
kurzfristigem Denken neigen und mit den Aktien Jo-Jo spielen wollen (...) Ein 25-jähriger Finanzanalyst
der gerade von der Hochschule kommt und nie eine Fabrik von innen gesehen hat,
kann mir kaum weiterführende Vorschläge machen." (Helmut Maucher, bis 1997
Chef des Nestle-Konzerns, FAS, 6. 0.2006)
„Leben wird von solchen Leuten in Geld gemessen, nicht weil sie un- oder
amoralisch sind, sondern weil sie das als ultimative Wahrheit in ihrer
Ausbildung so gelernt haben." (Fredmund Malik, Die Zeit, 12.12.2005)
„Gestählt in den Ausbildungslagern der Business Schools, ist er ein
Ministrant des Kapitals." (Ulrich Greiner, Die Zeit, 1.12. 2005)
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Am radikalsten formuliert diese Erwartungen Ulrich van Suntum in seinem Buch
„Masterplan Deutschland - Mit dem Prinzip Einfachheit zurück zum
Erfolg", in dem er unter anderem eine sparbereinigte Einkommensteuer an
die Stelle beschäftigungsschädlicher Unternehmenssteuern setzt. Und sicher
nicht zufällig gibt man sich in der Talkshow von Sabine Christiansen praktisch
die Türklinke in die Hand: In den vergangenen achtzehn Monaten schickten
Unternehmen und Wirtschaftsverbände 50 Vertreter in die sonntägliche Runde mit
zum Glück sinkender Quote. Von den zehn Ökonomen unter den Gästen waren neun
der ncolibcralen Fraktion zuzurechnen; Gewerkschaften und Sozialverbände
durften in der gleichen Zeit nur 19 Vertreter entsenden. Mit reißerischen Titel
wie „Arm durch Arbeit - reich durch Hartz FV" werden die Empfänger
von Sozialhilfe zur größten Bedrohung des Sozialstaates. Und wie bestellt
findet sich ein formell arbeitslos gemeldeter Mann aus dem nordhessischen
Landkreis Waldeck-Frankenberg, der jahrelang wahlweise mit einem Forsche oder
einem Motorrad zur Schwarzarbeit fuhr und zusätzlich zu seinem Lohn über
100.000 Euro Arbeitslosengeld kassiert habe (Handelsblatt, 23. 9. 2006). 60.000
durch die Bundesagentur für Arbeit aufgedeckte Missbrauchsfälle hatten ein
Schadensvolumen von 36 Millionen Euro (FAZ, 21.6. 2006), während
Betriebsprüfungen der Finanzämter 2005 zu Steuernachzahlungen von knapp 14
Milliarden Euro führten (FR-Online, 26. 5. 2006): Wer sind also die größeren
Betrüger l Die groß angekündigte „Reichen-Steuer" wird 2007 nur
lächerliche J27 Millionen Euro einbringen.
Steuerliche Entlastung der Unternehmen
Die Lobbyarbeit auf allen Ebenen zeigt Wirkung. Die große Koalition hat eine
weitere steuerliche Entlastung der Unternehmen verabredet, begründet unter
anderem auch mit dem rasanten Steuersenkungswettbewerb zwischen den EU-Staaten.
In der ersten Phase soll die Nettoentlastung der Unternehmen fünf Milliarden
Euro betragen. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Jürgen
Thumann rechnet mit „nur" drei Milliarden Euro (Handelsblatt, 22. 9.
2006), eine im Auftrag der Linkspartei erstellte Studie erwartet ein Finanzloch
von bis zu 15 Milliarden Euro (FR-online, 22. 9. 2006). Der BDI fordert einen
maximalen Steuersatz von 25°/o, denn nur dann werde „das Geld für
zusätzliche Investitionen verwendet - und so entstehen bei richtigen Rahmenbedingungen
auch wieder neue Arbeitsplätze." Das geht seihst einigen in der CDU zu
weit: Zuerst rüttelte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Jürgen
Rüttgers am Fundament der neoliberalen Ideologie und bezeichnete die
Vorstellung, dass niedrige Steuern automatisch zu mehr Investitionen und damit
zu neuen Arbeitsplätzen führten, als „Lebenslüge", von der sich die
CDU schnellstmöglich verabschieden sollte. Und auch der hessische
Ministerpräsident Roland Koch, offenkundig angeschlagen durch
verfassungswidrige Landeshaushalte und Landesschulden in Höhe von 31 Milliarden
Euro, äußerte die für seine Verhältnisse revolutionäre Idee, für die
steuerliche Anrechnung von Fremdfinanzierungskosten eine Obergrenze
festzulegen. Sie soll verhindern, dass Unternehmen durch optimale Gestaltung
ihrer Fremdfinanzierung und damit verbundene hohe Zinszahlungen der
Steuerpflicht entgehen. Aber beide Ministerpräsidenten wurden nicht nur aus
ihrer Partei zurückgepfiffen und verstummten in den letzten Wochen. Auch die
CDU bekommt mit, dass die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler wächst und
die Gefahr besteht, den Bogen zu überspannen.
Anders kann man die Reaktion auf das Siemens- BenQ- Debakel bei zeitgleicher
Erhöhung der Siemens-Vorstands-Bezüge um 30 % nicht verstehen. Während BILD
verbreitet, dass der Vorstand auf die Erhöhung „verzichte",
vermeldet der Wirtschaftsteil der FAZ im Kleingedruckten, dass in Wirklichkeit
nur die Erhöhung eines Jahres gespendet wird und die Erhöhung eben erst ein
Jahr später greift.
Interpretiert man die Wahlbeteiligung als Indikator für die grundsätzliche
Übereinstimmung mit dem politischen System, dann sind die Gefahrenzeichen
unübersehbar: Wenn bei ständig sinkender Wahlbeteiligung die großen
Volksparteien nur noch 50 % der Stimmen erhalten, nach Sachsen nun auch in
Mecklenburg-Vorpommern die Rechtsradikalen in einen Landtag einziehen, dann ist
diese Entwicklung ein deutliches Warnzeichen für die Gesellschaft.
Klaus-Dieter Leetz
Teil III mit einer Beschreibung der Rolle der
Banken, Großkanzleien und Untemehmensberatungen folgt in der nächsten Ausgabe
der HLZ.
Auszug aus HLZ Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung ,
Forschung, 59.Jahr, Heft 12, Dezember 2006, Seiten 26 und 27
Seit 2002 haben CDU und CSU rund 11 Millionen Euro, die FDP 2,3 Millionen und
selbst die SPD noch fast 2 Millionen an Spendengeldern erhalten. Und jeder
einzelne in die Pflege der Parteienlandschaft investierte Euro hat sich
prächtig rentiert:
• Von einer Wiedereinführung der Vermögensteuer ist inzwischen keine Rede
mehr.
• Die so genannte „Reichensteuer" als Zusatzabgabe zur
Einkommensteuer hat mit einem Aufschlag von drei Prozentpunkten ab einem
privaten Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Euro nur symbolischen Charakter.
Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie (BDI), bezeichnet sie deshalb sachkundig als „Schmankerl auf
dem Altar der Neidkultur" Für die Betroffenen sei es „eine leichte
Übung, dem zu entgehen" (Spiegel online, 17.11.2005).
• Die Reform der Erbschaftsteuer und erst recht die gerade beschlossene
Unternehmensteuerreform erfreut die Vermögenden und Unternehmen in diesem Land.
Erbschaft- und Schenkungsteuer werden ab 2007 komplett gestrichen, wenn das
Unternehmen mit einem Betriebsvermögen ab 100.000 Euro mindestens zehn Jahre in
ähnlicher Form fortgeführt wird.
Immer die gleichen Lügen
„Wenn die Unternehmen steuerlich ordentlich entlastet werden, wird das
Geld für zusätzliche Investitionen verwendet, und so entstehen bei richtigen
Rahmenbedingungen auch wieder neue Arbeitsplätze", sagt BDI-Präsident
Jürgen Thumann (HB, 22. 9. 2006) wider alle Fakten: Die steuerliche Entlastung
der Unternehmen führt zu steigenden Aktienkursen, exorbitanten und
unanständigen Vergütungen für Vorstände und Aufsichtsräte, höheren Dividenden
für Aktionäre, zum Ankauf der eigenen Aktien, um den Unternehmenswert zu
steigern, und gleichzeitig zu massiven Stellenstreichungen. Auch der Ausstieg
aus der Finanzierung des Staates geht weiter: Der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern
am gesamten Steueraufkommen sank durch Steuergeschenke und scheunentorgroße
Steuerschlupflöcher von 27 °/o im lahr 1970 auf nur noch 17,7 % im Jahr 2005.
Und dabei liegt der Anteil der Vermögen- und Unternehmenssteuern am Bruttoinlandsprodukt
in Deutschland mit 5,6 % deutlich unterhalb des Durchschnitts der 15 EU-Länder
von 8,3% (2004).
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„Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr
kleinem Profil wie die Natur vor der Leere. Mit einsprechendem Profit wird
Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20
Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent
stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß, 300 Prozent, und es
existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des
Galgens." (Thomas Joseph Dunning, 1799-1873, Führer englischer Handwerker,
nach Karl Marx: Das Kapital Band l, MEW, Band 23, S.788)
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Die jahrelange Lobbyarbeit zeigt weiter Erfolg: Ab 2008 soll die nominale
steuerliche Belastung der Unternehmen auf maximal 30 % abgesenkt werden, um im
„internationalen Steuersenkungswettbewerb" mithaften zu können. Dass
die reale Steuerlast der Kapitalgesellschaften, die durch ihre internationalen
Verflechtungen über die umfangreichsten steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten
verfügen, schon längst bei durchschnittlich nur noch 16°/o liegt, spielte bei
dieser Entscheidung keine Rolle. Bundesfinanzminister .Peer Steinbrück (SPD),
der diese Reform mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU)
federführend verabredet hatte, rechnet in einem ersten Schritt mit einer
Entlastung der Unternehmen in Höhe von 29 Milliarden Euro. Auf Grund der
geplanten „Gegenfinanzierung" in Höhe von 24 Milliarden Euro würde
das neue Unternehmenssteuerkonzept die öffentlichen Haushalte in der Startphase
insgesamt „nur" mit 5 Milliarden Euro belasten. Meine Großmutter
sagte in solchen Fällen immer: „Wer's glaubt, wird selig." Kurt
Biedenkopf weiß: „Betriebe wählen für ihre Strukturen auch die
steuerrechtlich günstigste Form" (SZ, 19.6.2006). Und der Milliardär
Rdnhold Würth hat schon begonnen, „die Grenzen des Steuerrechts
auszuloten" (FAS, 17.4.2005).
Das sind die wesentlichen Bestandteile der Gegenfinanzierung:
• Mit einer „modifizierten Zinsschranke" sollen in globalen
Konzernen übliche firmeninterne Kredite, die bisher vollständig als
Betriebskosten abgesetzt werden konnten, teilweise besteuert werden. Wenn ein
Konzern mehr als eine Million Euro Zinsen im Jahr zahlt, darf er diese künftig
nur noch zum Teil mit seinem Gewinn verrechnen. Zudem soll bei der
Gewerbesteuer ein Viertel aller Zinsen auf lang- und kurzfristige Kredite
besteuert werden. Ziel dieser Zinsschranke ist es nach Peer Steinbrück, „dass
Gewinne, die in Deutschland erwirtschaftet werden, auch hier versteuert werden
sollen." Man wolle nicht, dass Verluste, die woanders entstehen, hier
geltend gemacht werden (FAZ, 4.11.2006). Gegen diesen Teil der
Gegenfinanzierung wird vor allem aus dem Private-Equity-Bereich kräftig
Stimmung gemacht, würde sie doch die (Profit-)Bedingungen für Finanzinvestoren
in Deutschland nachhaltig verschlechtern. Ein anonym bleibender Finanzinvestor
schätzt, dass die Steuerpläne bei der Rendite der Deals zu einem Verlust von
bis zu vier Prozentpunkten führen können (HB, 9.8.2006).
• Ab 2009 werden sämtliche Verkäufe von Wertpapieren, so weit sie Gewinn
bringen, versteuert. Bislang war dies immer der Fall, wenn der Anleger das
Papier innerhalb eines Jahres, also innerhalb der so genannten
Spekulationsfrist, wieder verkauft. Wer es schon in der Vergangenheit
verstanden hat, jeden Steuertrick auszunutzen, alle gesetzlichen Möglichkeiten
wie Abschreibungen zur Steuergestaltung und niedrigere Gewinnbesteuerung im
Ausland zu nutzen, wird aber sicher nicht über Nacht steuerehrlich.
Wie schlecht es tatsächlich um die Zahlungsmoral der Unternehmen bestellt ist,
lässt sich an dem Ergebnis der jährlichen Betriebsprüfungen der Finanzämter
erkennen: Freiwillig überwiesen sie nur zwei Drittel der fälligen Körperschaftsteuer,
den Rest mussten Steuerprüfer eintreiben. Allein die überprüften Großbetriebe,
die stattliche Steuerabteilungen unterhalten, enthielten dem Staat im Jahr 2005
fast elf Milliarden Euro vor! (FR, 26.5.2006) Nach einer Studie des Wiesbadener
Finanzwissenschaftlers Lorenz Jarras ist zu befürchten, dass es zu wesentlich
höheren Einnahmeausfallen bis zu 15 Milliarden Euro kommt. Gerade bei der
Beurteilung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens ist nach Auffassung
der meinungsbildenden Analystengilde eine hohe Steuerquote (1) extrem
schädlich: Je besser die Steuerquote, desto besser der Aktienkurs. Nach Dieter
Heidemann, Partner der internationalen Anwaltskanzlei Linklaters, Oppenhojf
& Rädler, gehen die Konzerne mittlerweile dazu über, „die Tantiemen
der Manager daran zu messen, in welchem Umfang sie die Quote gedrückt
haben" (HB, 18.12.2005).
Auch die Steuerberater der DaimlerChrysIer AG sind ihr Geld offenkundig wert,
denn die Städte Stuttgart, Sindelfingen und Esslingen müssen sich darauf
einstellen, dass sie weiterhin vom größten Konzern der Region keine
Gewerbesteuerzahlungen zu erwarten haben. Dabei erwartet das Unternehmen 2006
einen operativen Gewinn des Unternehmens von über sechs Milliarden Euro. Die
Zeche für die weltweiten Expansionspläne einer maßlosen, aber teilweise
offenkundig unfähigen Manager-Elite bezahlen wie immer die Bundesrepublik
Deutschland und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Daimler-ChrysIer.
Und die Auflösung des Tochterunternehmens Smart GmbH zum Jahreswechsel, dessen
450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Mutterkonzern übernommen werden, lässt
man sich durch das im Altersteilzeitgesetz verankerte Programm „Jung für
Alt" mit mehreren Millionen Euro aus den Sozialkassen vergüten!
(Stuttgarter Nachrichten, 9.9.2006) Aber Professor Norbert Walter,
Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe, hält die Reform trotz aller
Steilvorlagen für „unzureichend" und „die anderen dringenden
Reformen" für „nicht gelungen" (FR, 3.11.2006).
Bei den Bürgern wird abkassiert
Offiziell wird die Staatsverschuldung mit 1,5 Billionen Euro beziffert, doch
gibt diese Zahl die tatsächlichen finanziellen Verpflichtungen für die Zukunft
nur teilweise wieder: Unter Einschluss der Verpflichtungen aus den Sozialsystemen
und den Pensionslasten beträgt die deutsche Staatsschuld nach einer realistischen
Analyse des Freiburger Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen insgesamt 4,5
Billionen Euro (FAZ, 7.2.2006). AJleine die Bundesregierung muss 2006 rund 40 Milliarden
Euro für Zinszahlungen ausgeben, der hessische Finanzminister im gleichen Jahr
rund 1,4 Milliarden. Da ist es nur konsequent, die Bürgerinnen und Bürger zur
Kasse zu bitten: Die für 2007 beschlossene Erhöhung der Steuern und Abgaben für
Verbraucher und Arbeitnehmer führt für diese zu einer Mehrbelastung von rund 30
Milliarden Euro. Den größten Brocken bildet die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf
19%.
Eigentlich könnte sich Ministerpräsident Roland Koch bei einer zu erwartenden
Gesamtverschuldung des Landes Hessen in Höhe von 33 Milliarden Euro (6.365 Euro
Schulden pro Einwohner) über steigende Einnahmen aus dem Bereich der
Unternehmen freuen. Stattdessen geht der Ausverkauf des Landeseigentums weiter:
Bereits 2005 hatte das Land ein Paket von 18 landeseigenen Immobilien für 1,07
Milliarden Euro verkauft und die Gebäude langfristig zurückgemietet. In einem
zweiten Deal dieser Art sollen nun weitere 36 Immobilien für erwartete 770
Millionen Euro verkauft und zurückgemietet werden, unter anderem auch das
Kultusministerium in Wiesbaden. Gleichzeitig kaufte das Land Hessen 2005 das
Schloss Erbach für 13,3 Millionen Euro, wobei man dem bisherigen Eigentümer
Erbgraf Eberhard zu Erbach-Erbach und Wartenberg-Roth eine Eigentumswohnung von
1.000 Quadratmetern großzügig beließ. Ein Verkauf seines umfangreichen
Waldbesitzes sei dem Erbgrafen nicht zuzumuten, meinte Wissenschaftsminister
Udo Corts (CDU). Eine staatliche Schnapsbrennerei in Schlitz wird mit der
Begründung, die Herstellung von Schnaps sei „keine originär staatliche
Aufgabe" an die Kommunen verkauft, gleichzeitig erhielten die hessischen
Staatsweingüter ein Darlehen über 7,5 Millionen Euro zum Bau einer 15 Millionen
Euro teuren neuen Zentralkelterei in Eltville.
Gabor Steingart bringt es in Spiegel-Online vom 12.9.2006 auf den Punkt:
„Viele hielten die soziale Marktwirtschaft für das Endstadium der
Geschichte und müssen sich nun einen kolossalen Irrtum eingestehen. Der
Kapitalismus hat mit Hilfe eines globalen Arbeits- und Finanzmarkts seine
Reichweite gesteigert, derweil das Soziale an Reichweite verlor. Der Markt hat
an Kraft, Geschwindigkeit und scheinbar auch an Unvermeidbarkeit gewonnen. Der
soziale Triumph von gestern aber ist verblasst. Der Kapitalismus erhält seine
Ursprünglichkeit zurück." Kurzfristige Gewinnmaximierung fuhrt in die
Irre. Professor Hans Nutzinger erinnert an die Geschichte (FR-Online,
23.6.2005): „Nach mir die Sintflut - das war der Spruch des französischen
Adels. Vor der Revolution."
Klaus-Dieter Leetz
Anmerkung und Quellen :
(l) Die Steuerquote beschreibt das Verhältnis des Steueraufwands zum Gewinn
vor Steuern und damit den tatsächlich gezahlten Ertragsteuersatz eines
Konzerns.
FAS: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, FAZ: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, FR: Frankfurter Rundschau, HB: Handelsblatt, SZ: Süddeutsche Zeitung