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"Regierungswechsel hat keinen Politikwechsel gebracht"

Außerparlamentarische Linke stellt Rot-Grün ein schlechtes Zeugnis aus / Memorandum nennt Alternativen

Von Anton-A. Guha (Frankfurt a.M.)

Die außerparlamentarische Linke bläst zur Sammlung, aber weder SPD noch Grüne dürften ihre Freude daran haben: In einem Memorandum wird der Bundesregierung und ihrer "Neuen Mitte" bescheinigt, "keine neue Politik" zu bieten, sondern versagt zu haben. Die "Initiative für einen Politikwechsel", der Gewerkschafter, linke Sozialdemokraten, Bürgerinitiativen, Umweltverbände, Friedens-, Kirchen- und Dritte-Welt-Gruppen angehören, hat sich am Wochenende im Frankfurter Gewerkschaftshaus getroffen, um das bestehende Programm fortzuentwickeln und Alternativen zur rot-grünen Bundesregierung aufzuzeigen. 1998 habe es einen Regierungswechsel gegeben - aber keinen Politikwechsel, monierte etwa Horst Schmitthenner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und spiritus rector der Initiative.

Die Folgen der Terroranschläge in den USA hätten die Pläne, sich voll auf soziale und gesellschaftspolitische Themen zu konzentrieren, durcheinander gebracht. Die Konferenz lehnte jedes militärische Eingreifen in Afghanistan ab, weil es, so der Politologe Arno Klönne, die Staaten des Westens militarisiere, den Terrorismus nicht wirksam bekämpfen könne, wohl aber die Entwicklung einer Terrorbekämpfung ohne militärische Gewalt behindere, schließlich die afghanische Bevölkerung zum Opfer mache. "Krieg den Hütten, Friede den Palästen": Dieser Spruch fiel Joachim Bischoff zu den Bombardierungen ein.

In seinem "Kritikteil" zählt das Memorandum alle Versprechungen auf, mit denen Rot-Grün 1998 angetreten war, etwa Fortentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, Abbau von Arbeitslosigkeit, Abrüstung, Umbau der Nato zur Vermeidung "humanitärer Katastophen". "Wir halten diese offiziellen ,Wahrheiten' für propagandistisch", heißt es im Memorandum, "für irreal, für gefährlich, weil die gesellschaftlichen Widersprüche und damit die Sorgen und Nöte der Menschen unter den Teppich gekehrt werden." Weiter heißt es: "Wir sind das Gerede von den vermeintlichen Sachzwängen, die keine Alternativen zuließen, leid." Ein Delegierter zitiert mit Blick auf Rot-Grün Kurt Tucholsky: "Sie glauben, sie wären an der Macht - und sind doch nur an der Regierung."

Das Memorandum nennt in sechs Projekten Alternativen: Projekt 1 will Vollbeschäftigung "auf der Grundlage einer erheblichen Verkürzung der Regelarbeitszeit und eines neuen Normalarbeitsverhältnisses" realisieren. Projekt 2 fordert "eine solidarische Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums". Eine "bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung" soll Armut effektiv bekämpfen. "Das finanzielle Ausbluten" des Staates durch Steuersenkungen "zugunsten hoher Einkommen und Unternehmensgewinne muss gestoppt und umgekehrt werden".

Projekt 3 plädiert für den "ökologisch-solidarischen Umbau der Industriegesellschaft", in Projekt 4 wird dem "Abbau der solidarischen Sozialversicherung zugunsten des Aufbaus kapitalgedeckter Privatvorsorge" eine Absage erteilt; dies sei ein Wechsel "vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat". Projekt 5 mahnt eine "demokratische Kontrolle der Wirtschaft und Ausbau der Mitbestimmung" an, Projekt 6 fordert statt Militäreinsätzen zivile Konfliktregulierung und Krisenprävention.

Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, stellte sich hinter die Erklärung, mahnte die Versammlung aber, sich nach Verbündeten umzusehen, zumal das Memorandum "Kompromissbildungsprozesse, wie sie im parlamentarischen Raum üblich sind", ablehnt.

Weitere Berichte und Kommentar im FR-Brennpunkt Grenzen der Globalisierung

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Dokument erstellt am 21.10.2001 um 21:26:17 Uhr
Erscheinungsdatum 22.10.2001

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