Der Wirbel um die Äußerungen des stellvertretenden IG-Metall-Chets Walter Riester zur Rentenpolitik haben gezeigt: In der SPD ist die Zuk.unft der Alterssicherung ein strittiges Thema.
Die Sozialdemokraten bestritten am Donnerstag in einer von der FDP beantragten
aktuellen Stunde des Bundestags erneut, sie wollten eine steuerlinanzierte
Grundrente einführen. Die Rentenpolitik ist einer der Bereiche, in
denen die SPD-Programmatik unscharf bleibt. Es gibt unterschiedliche Meinungen
darüber, ob und wie das bisherige beitragsf~nanzierte Rentensystem
langiristig erhalten werden kann.
Die Sozialpolitiker der SPD unter Führung von Vize-Fraktionschef
Rudolf Dreß1er sagen, in den konunenden 15 Jahren gebe es keinen
grundlegenden Korrektur-bedarf. Kanzlerkandidat Gerhard Schröder betont
dagegen mehr oder weniger deutlich, daß die klassische Rente bald
nur noch den Grundstock der Alterssicherung bilden könne.
Im Wahlprogramm wurde diese Klippe umschifft. Im Rentenkapitel wird
versprochen, daß eine SPD-Regierung die Kürzung des Rentenniveaus
zurücknehmen werde. Außerdem wird die gesetzliche Rentenversicherung
als »entscheidende Säule" des Rentensystems bezeichnet, durch
die ein »angemessener Lebensstandard" gesichert werden müsse.
Eher nachrangig werden dann drei weitere Säulen erwähnt: betriebliche
Altersvorsorge, WohneigentumlLebensversicherungen
und Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital. Langfristig wird eine
»erneute Strukturreform" angekündigt, ,,um die Renten dauerhaft
zu sichern".
Schröders Rede beim SPD-Parteitag in Leipzig enthielt jedoch eine
Passage, in der die traditionelle Rente nur noch als »Grundsicherung"
bezeichnet wurde -und das alarmierte den Gewerkschaftsflügel schon
damals. ,,Unser Mehr-Säulen-Modell", sagte Schröder, »also
die Kombi-
nation aus einer beitragsfinanzierten Grundsicherung - ich nenne das
Garantierente - mit stärkerer Eigenvorsorge, mit betrieblicher Altersversorgung
und der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, das allein
ist das Konzept für eine langfristige Sanierung."
Jetzt benutzte Schröders frisch gekürter »Schatten-Sozialminister"
Riester in einem Interview das Wort Mindestrente und ließ Sympathie
für Grundrentenmodelle erkennen. Gemeint hat er damit nach eigenen
Aussagen nur ein schon 1987 beschlossenes SPD-Konzept für eine »soziale
Grundsicherung". Es ist, außerhalb des Rentenkapiteis, auch im jetzigen
SPD-Wahlprogramm enthalten.
Dabei handelt es sich nach internem Diskussionsstand nur um ein Aufstocken
von Kleinstrenten auf mindestens das Sozialhilfenivean, um den betroffenen
alten Menschen den Gang zum Sozialamt zu ersparen. Riester verkaufte das
aber auch unter dem Stichwort, so könne die enge Koppelung der Sozialversicherung
an die Erwerbsarbeit aufgebrochen werden.
Es geht nicht um eine bedarfsunabhängige Grundrente für alle
- unabhängig auch von Beitragszahlungen -, sondern um ein eng begrenztes
Konzept gegen Altersarmut. Eine strenge Bedürftigkeitsprüfüng
ist vorgesehen. In der SPD-Bundestagsfraktion heißt es, das Modell
würde bundesweit jährlich nur drei Milliarden Mark Steuergelder
zusätzlich kosten, wenn man die Einsparungen bei der Sozialhilfe einrechne.
Denn es hätten nur vergleichweise wenige Menschen auf diese Grundsicherung
Anspruch.
Riesters ,,mangelnde Formulierungspräzision« (ein Sozialpolitiker)
bescherte der SPD eine Bundestagsdebatte über Grundrentenpläne,
die es so noch nicht gibt. Die Regierungskoalition griff die Verwirrung
dankbar auf: Sie sprach von einem »Debakel" und ortete Riester als
»Systemänderer". Andrea Fischer (Grüne> bescheinigte Riester,
»die richtigen Fragen" angesprochen zu haben, weil eine ,,bedarfsgeprüfte
Grundsicherung" neben das Reritensystem gestellt werden müsse.