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Anlage 5  " Frankfurter Rundschau" vom 09. 05. 1998

Verwirrung um die Rente
Debatte über Riester verweist auf ein Defizit der SPD
Von Richard Meng (Bonn)

Der Wirbel um die Äußerungen des stellvertretenden IG-Metall-Chets Walter Riester zur Rentenpolitik haben gezeigt: In der SPD ist die Zuk.unft der Alterssicherung ein strittiges Thema.

Die Sozialdemokraten bestritten am Donnerstag in einer von der FDP beantragten aktuellen Stunde des Bundestags erneut, sie wollten eine steuerlinanzierte Grundrente einführen. Die Rentenpolitik ist einer der Bereiche, in denen die SPD-Programmatik unscharf bleibt. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob und wie das bisherige beitragsf~nanzierte Rentensystem langiristig erhalten werden kann.
Die Sozialpolitiker der SPD unter Führung von Vize-Fraktionschef Rudolf Dreß1er sagen, in den konunenden 15 Jahren gebe es keinen grundlegenden Korrektur-bedarf. Kanzlerkandidat Gerhard Schröder betont dagegen mehr oder weniger deutlich, daß die klassische Rente bald nur noch den Grundstock der Alterssicherung bilden könne.
Im Wahlprogramm wurde diese Klippe umschifft. Im Rentenkapitel wird versprochen, daß eine SPD-Regierung die Kürzung des Rentenniveaus zurücknehmen werde. Außerdem wird die gesetzliche Rentenversicherung als »entscheidende Säule" des Rentensystems bezeichnet, durch die ein »angemessener Lebensstandard" gesichert werden müsse. Eher nachrangig werden dann drei weitere Säulen erwähnt: betriebliche Altersvorsorge, WohneigentumlLebensversicherungen
und Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital. Langfristig wird eine »erneute Strukturreform" angekündigt, ,,um die Renten dauerhaft zu sichern".
Schröders Rede beim SPD-Parteitag in Leipzig enthielt jedoch eine Passage, in der die traditionelle Rente nur noch als »Grundsicherung" bezeichnet wurde -und das alarmierte den Gewerkschaftsflügel schon damals. ,,Unser Mehr-Säulen-Modell", sagte Schröder, »also die Kombi-
nation aus einer beitragsfinanzierten Grundsicherung - ich nenne das Garantierente - mit stärkerer Eigenvorsorge, mit betrieblicher Altersversorgung und der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, das allein ist das Konzept für eine langfristige Sanierung."
Jetzt benutzte Schröders frisch gekürter »Schatten-Sozialminister" Riester in einem Interview das Wort Mindestrente und ließ Sympathie für Grundrentenmodelle erkennen. Gemeint hat er damit nach eigenen Aussagen nur ein schon 1987 beschlossenes SPD-Konzept für eine »soziale Grundsicherung". Es ist, außerhalb des Rentenkapiteis, auch im jetzigen SPD-Wahlprogramm enthalten.
Dabei handelt es sich nach internem Diskussionsstand nur um ein Aufstocken von Kleinstrenten auf mindestens das Sozialhilfenivean, um den betroffenen alten Menschen den Gang zum Sozialamt zu ersparen. Riester verkaufte das aber auch unter dem Stichwort, so könne die enge Koppelung der Sozialversicherung an die Erwerbsarbeit aufgebrochen werden.
Es geht nicht um eine bedarfsunabhängige Grundrente für alle - unabhängig auch von Beitragszahlungen -, sondern um ein eng begrenztes Konzept gegen Altersarmut. Eine strenge Bedürftigkeitsprüfüng ist vorgesehen. In der SPD-Bundestagsfraktion heißt es, das Modell würde bundesweit jährlich nur drei Milliarden Mark Steuergelder zusätzlich kosten, wenn man die Einsparungen bei der Sozialhilfe einrechne. Denn es hätten nur vergleichweise wenige Menschen auf diese Grundsicherung Anspruch.
Riesters ,,mangelnde Formulierungspräzision« (ein Sozialpolitiker) bescherte der SPD eine Bundestagsdebatte über Grundrentenpläne, die es so noch nicht gibt. Die Regierungskoalition griff die Verwirrung dankbar auf: Sie sprach von einem »Debakel" und ortete Riester als »Systemänderer". Andrea Fischer (Grüne> bescheinigte Riester, »die richtigen Fragen" angesprochen zu haben, weil eine ,,bedarfsgeprüfte Grundsicherung" neben das Reritensystem gestellt werden müsse.