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Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" beweist immer wieder
ihre perfide Kampagnenfähigkeit / Von Magnus-Sebastian Kutz und
Sabine Nehls
Gummihirne in
Plastiktüten (ddp Bild)
Fast schien es, als hätte ein kleines Kieler Institut im
Alleingang den Gesundheitsfonds ausgebremst. Treibender Akteur hinter
dieser geschickt lancierten Kampagne ist jedoch nicht das Kieler
Institut, sondern die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Diese vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierte Dauerkampagne
macht mit vergleichbaren Methoden schon seit sechs Jahren Politik -
wenngleich die Wirkung selten so wuchtig ausfällt. Und nicht nur
der aktuelle Fall ist ein Lehrstück über die Verflechtungen
von Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus. Ob Gesundheitsreform,
Regionalpolitik oder Steuer- und Abgabenpolitik - die INSM benutzt die
Medien um die Politik vor sich herzutreiben.
Die Geschichte der INSM beginnt kurz nach dem Amtsantritt der Regierung
Schröder im Jahr 1999. Umfragen des Instituts für Demoskopie
Allenbach hatten ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung zur
umfassenden sozialstaatlichen Sicherung tendierte und Reformen der
sozialen Sicherungssysteme ausgesprochen skeptisch gegenüberstand.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall reagierte: Eine Tochterfirma -
berolino.pr - wurde gegründet und mit einem Budget von 20
Millionen D-Mark jährlich ausgestattet, um die Einstellung der
Öffentlichkeit zu marktwirtschaftlichen Reformen zu
verändern. Die INSM selbst ist das Ergebnis der darauf folgenden
Ausschreibung. Die Agentur Scholz & Friends entwickelte das Konzept
und begleitet seitdem als leitende Agentur die Kampagne. Der
Geschäftsführer der Agentur, Klaus Dittko, fasste die Aufgabe
so zusammen: "Wie verändert man die Einstellung zu unserer
Wirtschaft- und Sozialordnung?"
Der von Scholz & Friends ersonnene Aufbau der Initiative ist
hocheffektiv und genial einfach. Der eigentliche Kern der INSM besteht
aus einem Büro mit nur acht festen sowie einigen freien
Mitarbeitern, ist somit straff organisiert. Hinzu kommen je nach
Aufgabe weitere freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine
Mitgliedschaft ist nicht vorgesehen. Allerdings wurde im Juni 2005 ein
gemeinnütziger Förderverein gegründet, der es sich zur
Aufgabe gemacht hat, "das Verständnis der Bürger für
wirtschaftliche Zusammenhänge zu stärken". Die Gründung
dieses Vereins lässt vermuten, dass er den Anstrich von
Gemeinnützigkeit, den die INSM ihren Aktivitäten gerne geben
möchte, verstärken soll. Wichtigster Partner ist das von den
Arbeitgeberverbänden finanzierte "Institut der Deutschen
Wirtschaft" in Köln, mit dem die INSM unter einem Dach in
Köln logiert. Auch weitere wissenschaftliche Institute und
spezialisierte Agenturen für Internetauftritte und TV-Produktionen
gehören zu diesem Netzwerk. Das Arbeitskonzept ist klar: Die Ziele
einer Kampagne werden durch die Initiative definiert, durch externe
Experten scheinbar wissenschaftlich abgesichert und anschließend
für die Medien aufbereitet. Die INSM verweist zwar auf ihre
Finanzierung durch Gesamtmetall, suggeriert aber trotzdem, sie vertrete
keineswegs nur deren Interessen.
Inhaltlich konzentriert sich die Arbeit auf grundsätzliche
Einstellungen und politische Debatten. Dazu gehört explizit keine
klassische Lobbyarbeit, keine direkte Einflussnahme auf
Gesetzesentwürfe: Nicht die Parlamentarier sind die Adressaten der
Arbeit, sondern vielmehr Meinungsführer in der Gesellschaft. Die
INSM arbeitet fast ausschließlich über die Platzierung ihrer
Themen und Botschaften in den Medien. Dazu gehören auch so
genannte Medienpartnerschaften, also Kooperationen, bei denen
beispielsweise die INSM und eine Zeitung gemeinsam eine Diskussion zu
einem aktuellen Thema veranstalten, so genannte Rankings erstellen oder
Studien in Auftrag geben und vermarkten (zu nennen sind hier
beispielsweise die FAZ und Capital, aber auch die Fuldaer Zeitung und
die Zeitschrift Eltern). Gleichzeitig berichtet dann die Zeitung im
Vorfeld und im Nachhinein über die Veranstaltung. Sie führt
Interviews mit den Diskutanten, die gleichzeitig auch Botschafter der
Initiative sind. Einige Gesprächspartner, die gegenteilige
Meinungen vertreten, genügen als Feigenblatt. So gibt sich eine
von Arbeitgebern finanzierte und bestimmte Öffentlichkeitsarbeit
neutral - mit breiter Unterstützung der beteiligten Medien.
Ein wichtiges Instrument der INSM sind die so genannten Botschafter und
Kuratoren. Sie geben Interviews, schreiben Gastbeiträge, treten in
Talkshows auf und vermitteln dann - zu genau dem Zeitpunkt, den die
Kampagnenmacher aus Köln bestimmt haben - Ideen, Ziele und
Vorstellungen der Initiative. Zu diesem illustren Kreis zählen
Persönlichkeiten wie der frühere Bundesbankpräsident
Hans Tietmeyer, der Präsident des Arbeitgeberverbandes
Gesamtmetall Martin Kannegiesser, der "Finanzexperte" von Bündnis
90/Die Grünen Oswald Metzger, der Ministerpräsident a. D.
Lothar Späth oder der Präsident des Hamburgischen
Welt-Wirtschaftsinstituts Thomas Straubhaar. Zwischenzeitlich war
dieser Botschafterkreis noch breiter besetzt: Ausgeschieden sind unter
anderem die frühere Vorsitzende der Finanzausschusses des
Deutschen Bundestages Christine Scheel (Bündnis 90/Die
Grünen), der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von
Dohnanyi, Wolfgang Clement, der seine Botschaftertätigkeit aufgab,
nachdem er "Superminister" für Wirtschaft und Arbeit wurde (beide
SPD), sowie der "Professor aus Heidelberg", Paul Kirchhoff.
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Die Autoren
Sabine Nehls und Magnus-Sebastian
Kutz forschen bei der Arbeitsstelle Medien und Politik am Institut
für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg. Seit
Jahren analysieren sie die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft".
Die Dokumentation ist eine Zusammenfassung ihrer Arbeit. ber
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Der Umgang der Medien mit diesen Botschaftern oder Beratern kann
exemplarisch für den Umgang mit der Arbeit der INSM insgesamt
gesehen werden. Nur selten wird bei Namensartikeln oder Interviews das
Engagement des Betreffenden für die INSM deutlich. Stattdessen
werden sie beispielsweise als "Experten für Steuerrecht"
vorgestellt oder einfach mit ihrer beruflichen Funktion. So erschien
beispielsweise im Bonner Generalanzeiger am 26. November 2004 ein
Interview mit Dieter Lenzen, dem Präsidenten der Freien
Universität Berlin, unter dem Titel "Beamtentum der Lehrer
abschaffen". Der Beitrag wird als "Interview mit dem Generalanzeiger"
annonciert, als Interviewer ist Carsten Seim angegeben. Dem Leser und
der Leserin wird so suggeriert, es handele sich um eine von der Zeitung
selbst erbrachte unabhängige journalistische Leistung. In Wahrheit
steht der ehemalige Journalist Carsten Seim zu diesem Zeitpunkt bereits
seit vier Jahren im Dienst der INSM und wird in anderen
Zusammenhängen auch als "Redaktionsleiter" der INSM vorgestellt.
Der Interviewte wird ebenfalls mit keinem Wort mit der INSM in
Verbindung gebracht. Allerdings ist Dieter Lenzen zu diesem Zeitpunkt
noch Mitglied im Botschafter- und Kuratorenkreis, später dann
"Berater" und Mitglied im Förderkreis der INSM, wie deren Website
zu entnehmen ist. Wie der Münsteraner
Kommunikationswissenschaftler Christian Nuernbergk nachwies, taucht der
Auftraggeber selten in der von der INSM initiierten Berichterstattung
auf: Schreiber, die sich auf Informationen, Studien und
Öffentlichkeitsarbeit der INSM stützen, beschreiben diese
fast immer als neutral. Nur in den wenigsten Fällen (knapp sechs
Prozent) wurde über die INSM als Initiative des
Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall berichtet.
Bei ihrer Medienarbeit ist die INSM immer wieder über das Ziel
herausgeschossen. So finanzierte sie 2003 teilweise einen
Fernsehdreiteiler des Hessischen Rundfunk über "Märchen" der
Sozialpolitik und die Notwendigkeit von Reformen in diesem Bereich, der
in der ARD zu sehen war. Auch in deren Schleichwerbungsskandal war die
INSM verstrickt: Für rund 60 000 Euro wurden in der Seifenoper
"Marienhof" siebenmal Dialoge platziert, die beispielsweise
"Eigeninitiative und Flexibilität von Arbeitslosen" oder die
"Zeitarbeit" thematisierten. Der "Deutsche Rat für Public
Relations" sprach dazu gegenüber der INSM eine öffentliche
Rüge aus. Die INSM, so ist der Urteilsbegründung zu
entnehmen, habe Schleichwerbung betrieben.
Neben den Botschaftern sind Aktionen wie Preisverleihungen -
beispielsweise für den "Bürgermeister des Jahres" - ein
wichtiges Mittel der Öffentlichkeitsarbeit der Initiative. Im
Mittelpunkt steht aber die Vermarktung wissenschaftlicher Studien, wie
sie Ende der vorletzten Woche zu beobachten war. Die vielzitierte
"Kieler Studie", die milliardenschwere Belastungen für die
unionsgeführten Bundesländer auf Grund der Gesundheitsreform
prognostizierte, wurde nicht durch ein kleines wissenschaftliches
Institut - bei dem es sich nach der Darstellung auf der Homepage um
eine branchentypische Universitätsausgründung handelt,
über die zumeist privat erstellte Gutachten und Studien vermarktet
werden - auf der Medienagenda platziert. Vielmehr wurde die Studie im
Rahmen einer Pressekonferenz durch die INSM vorgestellt, die sie - so
ist zumindest zu vermuten - auch finanzierte. Auf Grund der
durchschlagenden Wirkung der Aktion scheint die INSM ihre Urheberschaft
jedoch lieber zu verbergen: War am 18. Dezember noch in einer
Pressemitteilung von einer "von der INSM in Auftrag gegebenen Studie"
die Rede, wird in der flugs geänderten Mitteilung mittlerweile nur
noch von "einer Studie des Kieler Wissenschafters" gesprochen. Und so
verschwindet auf wundersame Weise die INSM auch aus der
Berichterstattung. Die Süddeutsche Zeitung verweist zwar in ihrer
Berichterstattung immer darauf, dass es sich um eine Studie der
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft handelt, kennzeichnet diese
aber weder als arbeitgeberfinanziert noch als PR-Instrument, wie es
beispielsweise die Frankfurter Rundschau tut. Der Tagesspiegel verweist
am 18. Dezember inhaltlich kritisch auf Mängel der Studie, nennt
aber weder das Kieler Institut, noch den Bezug zur INSM. Bei Spiegel
online hieß es am 20. Dezember nur noch: "Es geht um die
vergangene Woche veröffentlichte Studie des Kieler Instituts
für Mikro-Datenanalyse." Das Flaggschiff der
öffentlich-rechtlichen Information zeigt auf seiner Website
tagesschau.de, dass es auch anders geht. Dort wird die INSM als
Urheberin der Studie genannt, ihre Ansiedlung als vom
Arbeitgeberverband Gesamtmetall getragener Lobbyistenverband benannt
und darauf verwiesen, dass der Autor der Studie die Konvergenzklausel
bei seinen Berechnungen weglässt. Journalistisches Handwerk, wie
es sein soll. Ministerin Ulla Schmidt fühlt sich genötigt,
schnell eine neue Studie in Auftrag zu geben, um die PR-Arbeit der
Arbeitgeber zu widerlegen. "Doktorspiele" mit Experten-Studien nennt
das Wolfram Leytz von tagesschau.de nicht zu Unrecht.
Nicht immer wirbeln die Studien so viel Staub auf wie in diesem Fall,
wirkungsvoll sind sie aber allemal. Häufig dienen die
Untersuchungen - darunter viele Rankings wie die "reformfreudigsten"
Großstädte oder das "Reformbarometer", das die
Reformaktivitäten der rot-grünen Regierung maß - als
Basis für Exklusivberichte: Die INSM forscht und recherchiert, der
Autor muss nur noch schreiben. So entwickelt sich eine unheilige
Produktionsallianz zwischen Journalisten und der Initiative, die keinen
Raum mehr dafür lässt, das Geschriebene kritisch zu bewerten
oder auch nur die Finanziers der Quelle zu nennen. Und nicht nur die
Bundespolitik lässt sich von dieser in vielen Fällen
unsichtbaren Allianz aus INSM und Medien in den Aktionismus treiben.
Stolz berichtet beispielsweise die INSM auf ihrer Website von einem
Erfolg besonderer Art: "In ganz Deutschland hat das am 15. November
veröffentlichte erste INSM-Regionalranking ein breites Echo
ausgelöst." 300 Zeitungen und Presseagenturen berichteten in mehr
als 400 Artikeln und Meldungen über die Ergebnisse.
Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin reagierte prompt
auf das INSM-Ranking. In einem Brief an den Polizeipräsidenten
forderte Erwin dazu auf, einen runden Tisch zur "Verringerung der
Kriminalität in Düsseldorf" ins Leben zu rufen. Grund: Die
ansonsten hervorragend bewertete NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf
war beim Indikator "Straftaten" bundesweit nur auf Rang 427 von 435
Kreisen und kreisfreien Städten gelandet, die Wissenschaftler auf
ihre ökonomische, soziale und strukturelle Standortqualität
untersucht hatten. Das Regionalranking wird in Kooperation mit der
Wirtschaftswoche erstellt.
Die PR-Strategen der INSM verstehen es, die Bedürfnisse der Medien
nach griffigen Formulierungen, Aktualität und Prominenz
aufzugreifen und spielen gekonnt auf der Klaviatur der
Öffentlichkeitsarbeit. So wurde mit dem "Merkelrechner" zeitgleich
mit der "Kieler Studie" ein Hingucker produziert. Mit dem Online-Tool,
entwickelt vom Freiburger Forschungszentrum für
Generationenverträge unter Leitung des Ökonomen Bernd
Raffelhüschen, kann sich jeder und jede, so die INSM-eigene
Werbung, die individuelle Steuer- und Abgabenlast errechnen.
Raffelhüschen ist nicht nur Berater der Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft, sondern auch in verschiedenen Funktionen für die
Versicherungswirtschaft tätig, die auch seine Drittmittelforschung
unterstützt.
Die INSM ist auf vielen Feldern aktiv: Sie hat zum Beispiel eine
Homepage unter dem Titel "Wirtschaft und Schule"
(www.wirtschaftundschule.de) eingerichtet, auf der sie
Unterrichtsmaterial für Lehrer bereitstellt. Dieses - hervorragend
aufbereitete - Material ermöglicht die Unterrichtsvorbereitung in
Rekordzeit, ganz nebenbei finden so auch die Grundideen der Initiative
Eingang in den Unterricht. Die Indoktrination kann nicht früh
genug beginnen und in diese Strategie passt auch die mit dem
Musiksender MTV gemeinsam betriebene Homepage wassollwerden.de, die
Informationen für den Berufseinstieg bereitstellt.
Die Kampagne geht in jedem Fall weiter. 2005 hat der Arbeitgeberverband
Gesamtmetall die Verlängerung des Budgets von nunmehr 8,8
Millionen Euro per Anno für weitere fünf Jahre beschlossen.
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Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 08.01.2007 um 16:44:02 Uhr
Letzte Änderung am 08.01.2007 um 23:46:27 Uhr
Erscheinungsdatum 09.01.2007