Zurueck
zur Homepage
Aus Express -Zeitung für sozialistische Betriebs- und
Gewerkschaftsarbeit- Nr. 6/2007, 45. Jahrgang (gescannt)
Mit den Demonstrationen und
Blockaden rund um die bestumzäunte Diaspora der Welt, in der sich Gläubige aus
Nationen, die um ihren Gläubigerstatus bangen, trafen, mochten deutsche
Gewerkschaften sich nicht gemein machen. Ihre Unterschrift fand sich lediglich
unter dem Kreis der InitiatorInnen (IG Metall) bzw. UnterstützerInnen {GEW,
ver.di) des G8-Gegengipfels, der unter dem Titel »Alternativgipfel« vom
5.-7.Juni parallel zu den Blockaden stattfand. Mit dieser Parallelaktion waren
geneigte TeilnehmerInnen schon organisatorisch vor jene unglückliche
Entscheidungsalternative gestellt, die in der Folge auch die Grundlage für die
Trennung zwischen legitimem und illegitimem Protest bildete und als solche die
öffentlichen Debatten beherrschte. Immer noch gibt es eine Sucht nach dem
»Positiven«, die sich der hilflosen Distanzierung von einer Kritik verdankt,
auf die keine unmittelbaren Handlungsanweisungen folgen. Und immer noch werden
diese mit der Wahl zwischen dem alten elterlichen Argument »Mach's doch erstmal
besser« oder der Logik -des Kalten Kriegs: »Geh' doch rüber, wenn's Dir hier
nicht passt« gekontert. Als verantwortnungsvoll gilt solcher Protest, so der
Tenor der Berichterstattung während des Gipfels, wenn den Regierenden
»machbare«, und darunter werden in der Regel mehrheitsfähige Alternativen
verstanden, präsentiert werden können. Doch nicht nur in der bürgerlichen
Presse, auch in den Versammlungen der Erwerbslosen- oder
Sozialhilfeinitiativen, der gewerkschaftlichen Linken oder der
globalisierungs-kritischen Bewegung bildet die Annahme, dass machbare
Alternativen« eine Frage von (zu beschaffenden) Mehrheiten seien und umgekehrt:
Mehrheiten ein Indikator für realitätstüchtige Politik, die Grundlage für die
Bewertung vernünftiger und unvernünftiger Protestformen.
Als verantwortungslos jedenfalls gilt dagegen die Haltung, sich dieser Form von
»Forderungskanonisierung« zu verweigern. Dass diese Haltung als »destruktive
Kritik« denunziert werden konnte, hängt maßgeblich damit zusammen, dass nach
ihren Gründen nicht gefragt, die vorgefertigte Schablone - Gewalt sei
Selbstzweck- stattdessen für den Inhalt genommen und unterstellt wurde, dass es
keine vernünftigen Gründe gebe, sich am diskursiven Wettbewerb um
Gestaltungsmodelle nicht zu beteiligen. Seltsam nur, dass auch die nositiven
Rezepte, deren massenhaftes Vorhandensein einerseits konstatiert(1), von deren
Vorhandensein andererseits offenbar die Öffentlichkeit erst noch überzeugt
werden müsse (Peter Wahl für attac), in der Presse kaum diskutiert wurden - ob das
auf das Konto der Dominanz zerstörerischer Gewalt geschrieben werden kann?
Letzteres habe jedenfalls, so der Tenor nicht nur in der öffentlichen Presse,
sondern auch in Kommentaren aus der Linken, die Anliegen der
globalisierungskritischen Bewegung — die Präsentation von Alternativen
für mehr Gerechtigkeit und Demokratie - desavouiert und überhaupt erst
ermöglicht, dass diese Anliegen mit Gewalt gleichgesetzt werden konnten. Wie
sehr sich auch die Linke damit die Raster einer Gewaltdefinition vorgeben lässt,
die die Legitimität von Gewalt offenbar nur in ihrer verselbständigten
staatlichen Form kennt, ohne die demokratietheoretisch mehr als legitime Frage
nach den Gründen für die Verkehrung der Volkssouveränität in ein staatliches
Gewaltmonopol zu stellen, geschweige deren hohen Aufklärungsgehalt als Konter
in der öffentlichen Diskussion zu nutzen, wird an einem Positionspapier zweier
Vorstände der Rosa Luxemburg Stiftung deutlich.(2) Wie schon die ohne Not
aktivierte Distanzionitis der attac-Sprecher unmittelbar im Anschluss an die
samstägliche Demonstration, in der sich Peter Wahl und Werner Ratz die von der
FR bereitgestellten Schuhe der Meinungskollektivhaft für G8-Gegner anziehen und
sich für Dinge entschuldigen, die sie gar nicht, die Steinewerfer zum Teil und
die agents provocateurs des Rechtsstaats zu anderen Teilen zu verantworten
hatten (FR, 4. Juni}, laufen Lutz Brangsch und Michael Brie bereitwillig in die
intellektuelle Falle der Gleichung von Verantwortungsbe-wusstsein und
»gewaltfreiem« sozialen Protest (wohlwissend um die zunehmende Kriminalisierung
von Protestformen durch den Gesetzgeber oder per Ermächtigung an ihm vorbei
während der letzten Wochen, in denen mehr als deutlich wurde, wer definiert,
was als gewaltfrei zu gelten hat) und beten den Pressetenor nach: »Sieg der
Unvernunft«. Nur konsequent fordern sie dann, wie unzählige Generationen
mehrheitsbesorgter Partei-Linker vor ihnen, einen harten Trennungsstrich
zwischen sich und dem gewaltbereiten Feind...
Diese Unterscheidung lebt von der nicht weiter ausgeführten Annahme, dass es
sich beim Kampf um die offenbar erstrebenswerte »Wortführerschaft«
(Brangsch/Brie) um eine vernünftige Form handele und dass dabei Punkte bei den
»Herrschenden« - dahingestellt, ob die G8 dieser Rolle gerecht werden und
überhaupt adäquate Adressaten sein können - ebenso wie in der amorphen Masse
»Öffentlichkeit« gemacht werden könnten. Letzteres immer unter dem Vorbehalt,
dass dieser Kampf nicht kontaminiert ist mit Formen der »Gewalt«, sondern den
so genannten Regeln des rationalen Diskurses folgt, dessen heruntergekochte
Variante derzeit als Rede von der »Kraft des besseren Arguments« kursiert. Hier
ist neben der Erinnerung an die skeptische Frage Marx' zur Form, in der die
Vernunft existiert und dazu, wer sie wie definiert, die Lektüre eines Portraits
zweier Aktivisten der G8-Gipfelei, Thomas Mirow als Staatssekretär des
Finanzministeriums und Thomas Seibert als Vertreter von medico international,
aufschlussreich.(3) Thomas Mirow begegnet dort dem Anliegen von Kirchenleuten,
die ihm vor dem Gipfel den Einsatz der Regierung für
"Gläubigermitverantwortung« und den Verzicht auf »illegitime Schulden«
antragen, indem er auf den »fehlenden Glauben« an die »Prakrikabilität der
Implementierung des Konzepts illegitimer Schulden« bei »uns im
Finanzministerium« verweist. Die Abhängigkeit der vermeintlich mit der
Autonomie politischer Gestaltungsfähigkeit begabten Vertreter der Staatsmacht
von vorgängigen gesellschaftlichen und damit auch ökonomischen
Auseinandersetzungen und deren eigene Einsicht in die Grenzen des guten
Arguments könnte besser nicht umschrieben werden. Denn die Frage wäre hier in
der Tat: »Nach welchen Kriterien soll zwischen legitimen und illegitimen
Schulden entschieden werden, und von wem?« (Mirow) Die Meinungsurnfragen von
infratest dimap indes bestätigen den Unglauben des Wahlvolks in die autonome
Gestaltungskraft der politischen Kaste und deren Demonstration eines freien
Willens. Unter 40 Prozent glaubten in der Sonntagsumfrage vor dem Gipfel, dass
die G8-Regierungen in der Lage seien, eine Änderung der Klimapolitik
herbeizuführen oder Hunger und Armut zu beseitigen.
Wie wenig Regierungen über jene vielbemühte politische Gestaltungskraft
verfügen, solange ihre Perspektive sich an die »Beschaffung von liquiden
Mitteln fürs Wachstum« (Mirow über die Funktion von Risiko-Kapital) heftet,
wird auch an einem der zentralen G8-Themen deutlich: Weder beim
Frühjahrstreffen von IWF, Weltbank und G7-Finanzministern noch jetzt beim
G8-Gipfel gelang es, selbst vollkommen unverbindliche »Eingriffet wie einen
freiwilligen Verhaltenskodex für das Management von Risikokapital als eine
bescheidene Form der Schaffung von mehr Transparenz auf den Finanzmärkten mit
der »Kraft des besseren Arguments« auf die Tagesordnung oder gar durchzusetzen.
Eine Kraft, die sich in diesem Fall aus dem ureigensten Interesse von
Regierenden und Kapitalvertretern an stabilen ökonomischen Entwicklungen und
der Angst vor unkontrollierbaren Finanz-Krisen speist, noch ohne dass wir hier
über all das, was sich verschämt unter dem .Mäntelchen der »sozialen Gestaltung
der Globalisierung« versteckt, reden würden.
Es sei wiederum dahin gestellt, was »Wortführerschaft« mit gesellschaftlicher
Emanzipation gemein hat und ob die allseits zitierte »Hegemonie in der
Gesellschaft«, um die es beim Gegengipfel gegangen sei (Uli Brand in seinem
Kommentar für links-netz, ak und Sozialismus), unter dem Gesichtspunkt einer
gesellschaftlichen Demokratisierung eine erstrebenswerte Perspektive sein kann.
Aber mit dieser schlichten Gegenüberstellung von konstruktiver inhaltlicher
Diskussion und »physischer Gegengewalt gegen die Staatsgewalt« haben auch Teile
der Linken Anschluss gefunden an die öffentlich-rechtliche Presse, die wiederum
völlig vergessen zu haben scheint, warum sie vierte Gewalt genannt wird, und
dass dies irgendetwas mit einem berechtigten Misstrauen in die drei anderen
Gewalten - die Definition, Ausübung und Kontrolle des staatlichen
Gewaltmonopols - zu tun haben könnte. Dass dies wiederum seinen Grund in einer
verkehrten Welt haben konnte, da doch eben dieser Staat zugleich nichts als
Garantie, Resultat und Ausführung des allgemeinen Willens des Souveräns sein
soll, ist kein bildungspolitisches Allgemeingut mehr. Oder wird aus anderen
Gründen unterschlagen.
Vielleicht auch aus dem Grund, dass sich hinter der verinnerlichten
Gewaltdebatte auch auf der Linken ganz gut verstecken lässt, wie sich die
Ergebnisse der Gegengipfelei, der Blockaden und Demonstrationen bewerten
lassen. Zehntausend Antikapitalisten hätten WASG und Linke am 2. Juni
mobilisiert, prächtig und kämpferisch sei die Stimmung gewesen, so reklamiert
die WAS G/Linkspartei in einer Pressemeldung vom 10. Juni ihr Eigentum an der
Teilnehmerschar und suggeriert, dass es sich um eine breite antikapitalistische
Bewegung insgesamt handele. Von der größten globah'sie-
rungskritischen Massen mobilisierung, die es in Deutschland je gegeben habe,
spricht Werner Ratz begrifflich vorsichtiger in einer attac-Pres-semeldung vorn
8. Juni.
Waren die Aktionen so »wirkungsvoll« in Bezug auf die »Zwecke einer globalen
Bewegung für eine gerechte Welt«, wie Lutz Brangsch/ Michael Brie meinen? Hat
die Globalisierungskritik »einen tüchtigen Schritt nach-links gemacht« und
wurde »vom Establishment mehr denn je aufgenommen«, wie Uli Brand euphorisch
schreibt? Waren sie ein »voller Erfolg«, der die »politische Landschaft
verändert hat«, wie Werner Ratz resümiert? Und was ist mit dem Hohelied
anlässlich des breiten Bündnisses, das sich auch im Anschluss an die Gewaltdebatten
nicht habe spalten lassen? Was ist aus dem . Anspruch geworden,
»gesellschaftliche Allianzen gegen neoliberale Politik« zu bilden, für die
attac vor einem halben Jahr noch heftig die Gewerkschaften umworben hatte?
Zu diesen und anderen Fragen haben wir in diesem express ein Gespräch mit Mag
Wompel, Werner Sauerborn, Henning Süssner und Andreas Koppe, Teilnehmern des
Forums »Gewerkschaften im globalen Kapitalismus« auf dem Alternativengipfel.
Werner Sauerborn gehörte auch zu den Initiatorinnen des Aufrufs »Gegen
Standortcrpressung und Lohndumping: Gewerkschaften auf die globale Bühne«, der
der einzige aus dem gewerkschaftlichen Spektrum bleiben sollte, in dem zur
Beteiligung an Protesten aufgerufen wurde (s. express, Nr.
1/20.07), Kirsten Huckenbeck
Anmerkungen
1) Thomas Fischermann; »Die Weltverbesserer. Globalisierungskritiker entwickeln
wichtige ökonomische Ideen — man hört nur kaum davon«, in: Die Zeit, 6.
Juni 2007, S. 25
2) Vgl. Lutz Brangscb/Michael Brie: »In der Sackgasse -oder: Mittel beherrschen
Ziele'. Eine gescheiterte Strategie«
3) Die Zeit: »Die Mobilmacher. Staatssekretär Thomas Mirow tut alles für den
G8-Gipfel, der Alt-Sponti Thomas Seibert alles dagegen«, Dossier, Nr. 25 vom
3l. Mai 2007