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buchkritik

Eine andere Wirtschaftspolitik als Brücke in eine bessere Zukunft

VON HERMANNUS PFEIFFER

Kassensturz.

Sieben Gründe für eine andere Wirtschaftspolitik.
Rudolf Hickel. Reinbek bei Hamburg 2006, Rowohlt Verlag. 16,90 Euro


Über sieben Brücken will Rudolf Hickel mit den Lesern gehen, um eine andere Wirtschaftspolitik zu erreichen. Gründe für eine Alternative kennt nicht nur Hickel genug: Millionen Menschen ohne Arbeit in der reichen Bundesrepublik, eine soziale Sicherung, die immer teurer und trotzdem immer löcheriger wird, die drastische Zunahme der Kinderarmut und andere Übel mehr. Das Erstaunlichste: Die Staatsbürger lassen sich das alles gefallen. Hickel spricht dafür Regierungen und Experten schuldig, die seit drei Jahrzehnten predigen, dass "wir" uns aus dem Elend nur erlösen können, wenn "wir" länger arbeiten, die Arbeitslosen weniger Geld bekommen und der Staat sich aus unserer Gesellschaft zurückzieht. Genutzt habe dieser Verzicht allerdings nur wenigen, findet Hickel. Verärgert räumt er mit der herrschenden neoliberalen Wirtschaftslehre auf, sie habe sich zu einer Ideologie verfestigt und diktiere die politische Praxis im Lande.

Der renommierte Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler an der Universität Bremen baut gerne Vorurteile ab, darunter das aus seiner Sicht wichtigste, es gebe zu der neoliberalen Richtung keine Alternative. Eine und nicht zufällig die erste unter sieben alternativen Baustellen, die Hickel als Brücke in eine bessere Zukunft ausbauen will, ist die "Wiederentdeckung des Öffentlichen". Die ökonomische, ökologische und sozial stabile Entwicklung Deutschlands sei auf einen handlungsfähigen öffentlichen Sektor angewiesen, beispielsweise in der Bildung oder bei Finanzdienstleistungen in Form der Sparkassen.

Als Verbündeten führt Hickel ausgerechnet den Kronzeugen für eine reine Konkurrenz ohne Staat an, Adam Smith. Die heutigen neoliberalen Propheten des klugen Schotten ignorieren dagegen beflissen, dass der literarische Erfinder der "unsichtbaren Hand" des Marktes sehr wohl den Staat und seine Rolle für den Wohlstand der Nationen zu schätzen wusste. Auch solche Einsprengsel machen das Buch des vielfachen Schlichters in Tarifauseinandersetzungen, des Allianz-Aufsichtsrates und gelegentlichen Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers zu einem Lesevergnügen.

Glaube an den Kapitalismus

Dabei glaubt Hickel an Deutschland und den Kapitalismus. Die Auswirkungen der so genannten Globalisierung für den hiesigen Standort seien längst nicht so dramatisch, wie es Neoliberale gerne darstellen und ein "klug geleiteter Kapitalismus" (Keynes 1929) könne die wirtschaftlichen Aufgaben besser erfüllen als ein anderes System. Um diese Vorteile zu nutzen, müssen jedoch die politische Voraussetzungen stimmen, und das tun sie aktuell nicht. Hickel verweist auf die unsoziale Erhöhung der Mehrwertsteuer und die angedachte, exportorientierte Unternehmenssteuerreform.

Der Talkshow-erfahrene Mitautor des jährlichen Alternativen Wirtschaftsberichts und in seiner Zunft prominenteste Kritiker der Marktorthodoxen macht "Kassensturz". Unterm Strich schneiden bei ihm die Regierungen von Helmut Schmidt bis Angela Merkel wenig schmeichelhaft ab. Obwohl Hickel weiß, dass Alternativen nicht für umsonst zu bekommen sind. Lieber rechnet er auf Heller und Pfennig vor, woher das Geld für kaufkräftige Nachfrage, für Wirtschaftsaufschwung und einen aktiven Staat kommen soll, der in Bahn, Bildung und Beruf investiert und gleichzeitig für kommende Generationen entschuldet wird.

Manches von dem, was Hickel schreibt, hat man da und dort schon einmal gelesen oder gehört. Aber in der Zusammenschau, in der Konkretheit und in der Verbindung von politischer, wissenschaftlicher Aktualität und rasantem Stil für jedermann ist "Kassensturz" klasse.

Hickel setzt Maßstäbe für die linke Diskussion, doch selbst die neoklassischen Fans von Mill, Eucken, Friedman oder auch Sinn werden an diesem Buch nicht vorbei kommen, wollen sie ihre Arbeit ernst nehmen. Alle anderen, selbst Nörgler und Bild-Leser, könnten jetzt wissen, sieben Alternativen sind machbar.

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Dokument erstellt am 18.09.2006 um 17:24:29 Uhr
Erscheinungsdatum 19.09.2006