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Auszug aus der
IMI-Analyse 2008/002
2) Analyse zur Münchner NATO-Sicherheitskonferenz
Horrorkatalog zur
Münchner Sicherheitskonferenz
Hochrangige NATO-Strategen legen Vorschläge für eine
Runderneuerung der Allianz vor
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1688
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2008-002.pdf
30.1.2008, Jürgen Wagner
Auch dieses Jahr trifft sich die NATO-Kriegselite - abermals auch mit
"Schützenhilfe" der Bundeswehr[1] - wieder bei der Münchner
Sicherheitskonferenz vom 8. bis zum 10. Februar. Geht es nach den
Vorstellungen von fünf hohen NATO-Strategen - unter ihnen der
frühere Oberkommandierende der Allianz, John Shalikashvili und der
ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärkomitees, Klaus Naumann -,
soll dort der Startschuss für eine Runderneuerung der Allianz
gegeben werden, die es
in sich hat.[2] Die Vorschläge im so genannten Naumann-Papier sind
von besonderer Relevanz, weil sie im unmittelbaren Vorfeld des für
Anfang April angesetzten NATO-Gipfels in Brüssel die Diskussion
maßgeblich beeinflussen sollen. Denn dort wiederum will man sich
nach Möglichkeit
auf eine Überarbeitung des Strategischen Konzepts der NATO
einigen,die schließlich pünktlich zum 60jährigen
Jubiläum des Kriegsbündnisses im April 2009 fertig gestellt
sein könnte.
Die Vorschläge des Naumann-Papiers sehen nicht nur
Verschärfungen in zahlreichen Einzelbereichen vor - besonders
wurde hierbei die Forderung nach nuklearen Präventivschlägen
kritisiert -, sondern sie stellen auch das ehrgeizigste Programm zur
Neuausrichtung der Allianz dar, die die künftige Richtung des
Bündnisses sicherlich maßgeblich mitprägen werden.
1. Nuklearangriff gegen den Iran?
Obwohl der jüngste US-Geheimdienstbericht eindeutig hervorhob, der
Iran habe spätestens seit 2003 sein Atomwaffenprogramm aufgegeben
(selbst für die Existenz eines solchen Programms bis zu diesem
Zeitpunkt wird keinerlei schlüssiger Beweis geliefert), erweist
sich US-Präsident Bush, der den Iran weiterhin als ernste
Gefahr bezeichnet, als ebenso beratungsresistent, wie es die
NATO-Strategen zu sein scheinen.
Sie geben an, iranische Atomwaffen müssten aufgrund folgender
Begründung mit buchstäblich allen Mitteln verhindert werden:
"Eine iranische Nuklearwaffenkapazität wäre eine
außerordentliche strategische Gefahr. [Das Land] würde damit
eine Region dominieren,die über die größten Öl und
Gasreserven der Welt verfügt." (S. 45) Da tief verbunkerte
ABC-Waffen mit konventionellen Mitteln nicht zerstört werden
können, ist deren Vernichtung über einen atomaren
Ersteinsatz schon länger fester Bestandteil der US-Planungen
- gerade hinsichtlich des Irans wird dies von Washington offenbar
ernsthaft erwogen.[3] Die dahinter stehende groteske Logik, die
Verbreitung von Atomwaffen durch deren Ersteinsatz verhindern zu
wollen, haben sich nun auch besagte NATO-Strategen zu Eigen gemacht:
"[D]ie Gefahr einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen ist akut. [...]
Diese Entwicklung muss unter allen Umständen verhindert werden.
[...] Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation
das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von
Massenvernichtungswaffen zu verhindern." (S. 95ff)
Offensichtlich trifft dieser Vorschlag nicht nur in den USA, sondern
auch bei hohen EU-Offiziellen, wie dem Büroleiter des
EU-Außenbeauftragten Javier Solana, Robert Cooper, auf
Zustimmung: "Vielleicht werden wir eher als alle anderen Atomwaffen
einsetzen, aber ich würde mich hüten, das laut zu sagen."[4]
2. Russland - neuer alter Feind
Mit alten Traditionen soll man nicht brechen, scheint man sich derzeit
innerhalb der NATO zu sagen, weshalb auch Russland im Naumann-Papier
sein Fett weg bekommt. Schon bei der Sicherheitskonferenz Anfang 2007
war die schwere Krise in den NATO-Russland Beziehungen
unübersehbar, nachdem Wladimir Putin in einer seit dem Kalten
Krieg nicht mehrvorgekommenen Schärfe den Westen für seine
Kriegspolitik attackiert hatte.
Drei Bereiche sind hier von besonderer Brisanz. Erstens die US-Absicht
Teile ihres Raketenabwehrsystems - angeblich wegen der Gefahr aus dem
Iran - in Polen und Tschechien stationieren zu wollen. Nachdem
mittlerweile zahlreiche Hinweise den Verdacht bestätigen, dass die
geplanten Installationen gegen den Iran keinen, aber gegen Russland
sehr viel Sinn machen[5], wertet Moskau dies richtigerweise als einen
weiteren Schritt Washingtons die atomare Oberhoheit zu erlangen.
Deshalb ist es umso problematischer, dass mittlerweile auch die
europäischen NATO-Staaten das Projekt nicht nur mehrheitlich
unterstützen, sondern sogar den Aufbau eines
NATO-Raketenabwehrschildes befürworten. Auch das Naumann-Papier
fordert dies nachdrücklich (S. 99). Die entsprechende
Machbarkeitsstudie - erstellt von den Konzernen, die schlussendlich den
Zuschlag erhalten würden - hält dies für
durchführbar, wobei die Kosten sich zwischen fünf und zwanzig
Mrd. Euro bewegen könnten.[6]
Der zweite Konfliktbereich ist die Energiefrage. Nachdem Russland
vermehrt seine Öl- und Gasreserven aufgrund der sich
verschlechternden Beziehungen mit den NATO-Staaten als machtpolitisches
Druckmittel einsetzt, wird dies vom Naumann-Papier als Bedrohung
eingestuft. "Die Abhängigkeit von Öl und Gas ist eine
Verletzlichkeit, die manche Regierungen ausnützen werden - die
Gazprom-Krise hat gezeigt, wie leicht die Nachfrage manipuliert werden
kann. Die Organisation
Erdölexportierender Länder (OPEC) ist - und wird es aller
Wahrscheinlichkeit auch bleiben - ein Mechanismus, um den Preis
künstlich in der Höhe zu halten und kürzlich haben
Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate die Idee zur
Gründung einer Gas-Opec ausgelotet." (S. 48) Schon Mitte November
2006, im unmittelbaren Vorfeld des letzten NATO-Gipfels in Riga,
versendete der Wirtschaftsausschuss der NATO an alle Mitgliedstaaten
einen Expertenbericht, der angab, Russland strebe ein internationales
Erdgaskartell nach OPEC-Muster mit dem Ziel an, Energielieferungen als
politisches Druckmittel einzusetzen und stufte dies explizit als
Bedrohung ein.[7] Daraufhin ging der einflussreiche US-Senator Richard
Lugar, der seinerzeit den wichtigsten Anstoß für die
Umwandlung der NATO zu einem globalen Interventionsbündnis gab
("out of area, or out of business"), beim NATO-Gipfel Ende November
2006 buchstäblich in die Offensive: "Wir hoffen, dass
Energiekartelle nicht gebildet werden, um die verfügbare
Versorgung zu begrenzen und den Markt zu manipulieren. [...] In den
worst-case-Szenarien werden Öl und Gas die Währung, mit der
die energiereichen Staaten ihre Interessen gegenüber
importabhängigen durchsetzen. Die offene Verwendung von Energie
als Waffe ist keine theoretische Gefahr in der Zukunft - dies passiert
schon heute. Der Iran drohte bestimmten Staaten wiederholt damit, seine
Öllieferungen einzustellen, falls ökonomische Sanktionen
wegen seines Urananreichungsprogramms gegen ihn verhängt
würden. Russlands Einstellung der Energielieferungen an die
Ukraine zeigten, wie verführerisch die Verwendung von Energie zur
Erreichung politischer Ziele ist und unterstrich die Verletzbarkeit der
Konsumenten. [...] Die Allianz muss anerkennen, dass die Verteidigung
gegen solche Angriffe unter Artikel fünf fällt. [...] Wir
sollten anerkennen, dass es kaum einen Unterschied dazwischen gibt, ob
ein NATO-Mitglied dazu gezwungen wird, einer ausländischen
Erpressung aufgrund der Einstellung der Energieversorgung nachzugeben
und einem Mitglied, dass sich einer militärischen Blockade oder
einer militärischen Demonstrationen an seinen Grenzen
gegenübersieht."[8] Lugar schlägt somit vor, dass der
gezielte Einsatz der "Energie-Waffe" als kriegerischer Akt gewertet
werden sollte. Auch die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in
Riga (November 2006) warnte davor, dass "die icherheitsinteressen der
Allianz durch eine Unterbrechung der Versorgung mit vitalen Ressourcen
betroffen werden können."[9] Mit einiger Sicherheit kann man davon
ausgehen, dass derlei Vorschläge zur Bildung einer Energie-NATO
auf den Treffen in München, Bukarest und beim
nächstjährigen Jubiläumsgipfel weiter konkretisiert
werden. Der dritte Konfliktbereich schließlich ist die
abtrünnige serbische Provinz Kosovo.
3. Kosovo - Neuer Krieg in Sicht
Obwohl die weiterhin gültige UN-Resolution 1244 den Kosovo als
integralen Bestandteil Jugoslawiens bzw. mittlerweile Serbiens
definiert, bildet sich innerhalb der NATO, angeführt von den USA
und Deutschland, ein Konsens heraus, die Provinz dennoch anzuerkennen,
sollte sie wie in Kürze geplant, die Unabhängigkeit ausrufen.
Da dies aufgrund des russischen Widerstands - Moskau steht in dieser
Frage voll hinter Serbien und pocht auf dessen
Souveränitätsrecht - ohne UN-Mandat geschehen würde,
käme dies einem eklatanten Völkerrechtsbruch gleich. Nachdem
Serbien angekündigt hatte, einen solchen Schritt nicht hinnehmen
zu wollen, könnte die unilaterale Anerkennung der Provinz es zu
einer neuerlichen Auseinandersetzung mit der NATO führen, wovor
auch das Naumann-Papier warnt (S. 65). Und tatsächlich scheint
sich die NATO auf einen Krieg mit Serbien vorzubereiten. Laut BBC fand
zwischen dem 27. September und dem 12. Oktober 2007 in der Adria und in
Kroatien das NATO-Manöver "NOBLE MIDAS 07" statt, an dem etwa
2.000 Soldaten aus zwölf NATO-Staaten, u.a. aus Deutschland,
teilnahmen. "Das Manöver, durchgeführt von der NATO Response
Force, basiert auf dem Szenario eines militärischen Konfliktes in
einer sich abspaltenden Balkanprovinz. Es scheint eine kaum
verhüllte Anspielung auf die gegenwärtigen Ereignisse im nahe
gelegenen Kosovo zu sein, dessen mehrheitlich albanische
Bevölkerung die Unabhängigkeit von Serbien anstrebt."[10]
Was den NATO-Staaten recht ist, scheint Russland nur billig zu
sein, nämlich mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen zu drohen,
sollte es seine Interessen gefährdet sehen. So warnte
unlängst Juri Balujewski, der Stabschefs der Streitkräfte:
"Um die Souveränität und die territoriale Integrität
Russland und die seiner Verbündeten zu verteidigen, wird
militärische Gewalt eingesetzt, was den präventiven Einsatz
von Atomwaffen einschließt."[11] Auch wenn Moskau sicher keinen
Krieg wegen der Kosovo-Frage riskieren wird, sind derartige
Verbalattacken symptomatisch für die neue Eiszeit in den
Beziehungen zwischen der NATO und Russland.
4. Afghanistan: Eskalation mit
deutscher Beteiligung
"In Afghanistan steht die Glaubwürdigkeit der Nato auf dem Spiel",
so der Alarmruf von einem der Co-Autoren des Naumann-Papiers, dem
früheren niederländischen Oberkommandierenden Henk van den
Bremen: "Die Nato steht am Scheideweg und läuft Gefahr zu
scheitern."[12]
Gerade hinsichtlich der Kriegsführung in Afghanistan
entzünden sich derzeit innerhalb der NATO die heftigsten
Konflikte. Stein des Anstoßes sind die so genannten "caveats",
Sonderregeln, in denen jedes NATO-Mitglied gesondert festlegt, wie weit
sich seine Truppen in die Kriegsführung am Hindukusch verstricken
dürfen. Insbesondere Deutschland steht diesbezüglich heftig
in der Kritik, da es sich weigert, Soldaten in den umkämpften
Süden zu entsenden (der Tornado-Kompromiss reichte offenbar nicht
aus, um die Verbündeten zufrieden zu stellen). Selbst in
Nordafghanistan, wo Deutschland die Führungsrolle innehat,
überließ man den Norwegern und ihrer Quick Reaction Force
den Großteil der hochintensiven Kampfhandlungen, was von Klaus
Naumann aufs Schärfste kritisiert wird: "Es ist an der Zeit
für Deutschland zu entscheiden, ob es ein verlässlicher
Partner sein will." Indem sie auf Sonderregeln bestehe, leiste die
Bundesregierung einen Beitrag zur "Auflösung der Nato."[13]
Generell schlägt das Naumann-Papier deshalb vor, sämtliche
caveats "soweit wie möglich abzuschaffen." (S. 126) Hiermit
würde der "Operationsschwerpunkt Aufstandsbekämpfung",
wie es unlängst in einer Studie der regierungsnahen Stiftung
Wissenschaft und Politik gefordert wurde,
endgültig auch für Deutschland ins Zentrum der Planungen
rücken.[14] Mit der inzwischen angekündigten Übernahme
der Quick Reaction Force von den Norwegern ist man ohnehin schon auf
dem schlechtesten Weg in diese Richtung.
5. Runderneuerung zur globalen Kriegs-
und Besatzungstruppe
Worin die Gemeinsamkeit der vier größten gegenwärtigen
westlichen Militäreinsätze liegt, erläutert Carlo Masala
vom NATO Defense College: "Protektorate sind in. Von Bosnien über
Kosovo, nach Afghanistan bis in den Irak, das Muster westlicher
Interventionspolitik ist immer dasselbe. Nach erfolgreicher
militärischer Intervention werden die 'eroberten' Gebiete in
Protektorate umgewandelt und die westliche Staatengemeinschaft ist
darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und
freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen."[15]
Da die NATO davon ausgeht, dass derartige Besatzungsregime künftig
massiv zunehmen werden - eine Erkenntnis, die sich wohl
maßgeblich auf die Neufassung des Strategischen Konzepts
auswirken wird[16] -, erfordert dies aber nicht nur Kapazitäten
zur Kriegsführung, sondern auch zivile Fähigkeiten
(Verwalter, humanitäre Helfer, Juristen, etc.), die im
Militär nur begrenzt bzw. überhaupt nicht vorhanden sind.
Unter dem Begriff der Zivil-militärischen Zusammenarbeit (in
Deutschland auch: Vernetzte Sicherheit) sollen also zivile
Fähigkeiten dem Militär unterstellt und für das
reibungslose Funktionieren von Besatzungsregimen nutzbar gemacht werden.
Im Naumann-Papier wird dieser Überlegung unter dem Stichwort des
"integrierten Ansatzes" Rechnung getragen. "Wir glauben fest daran,
dass man einen bewaffneten Konflikt nicht mehr länger
ausschließlich dadurch gewinnen kann, dass man soviel wie
möglich Feinde tötet oder gefangen nimmt oder indem man seine
Machtbasis zerstört. Die NATO benötigt mehr
nicht-militärische Fähigkeiten, [...] die Teil einer
integrierten Strategie sein müssen: eine in der
nicht-militärische Mittel mit maximaler Präzision,
Exaktheit und Integration koordiniert und disloziert werden." (S. 131;
Hervorhebung JW)[17] Wie hieraus ersichtlich wird, zielt dieser Ansatz
tatsächlich allein auf verbesserte Besatzungskapazitäten und
damit auf die Durchsetzung militärlogischer statt humanitärer
oder entwicklungspolitischer Ziele.[18] Bereits auf dem letzten
NATO-Gipfel in Riga Ende November 2006 hatte man sich auf die
Erarbeitung eines umfassenden Besatzungs- und
Aufstandsbekämpfungskonzepts verständigt. Nach
Gesprächen der NATO-Außenminister am 7. Dezember 2007 wurde
nun beschlossen, dieses Konzept bis zum Bukarester Gipfel vorzulegen.
Man darf gespannt - oder besser besorgt - sein, ob in München
bereits erste Teile davon zu Tage treten werden.
Fast noch weit reichender sind aber die administrativen
Restrukturierungsvorschläge, die im Naumann-Papier unterbreitet
werden. Drei davon stechen besonders hervor: Als ein großes Manko
identifizieren die Strategen, dass sämtliche Entscheidungen
innerhalb der NATO im Konsens getroffen werden müssen[19],
was die rasche und vor allem widerspruchsfreie Kriegsführung
tatsächlich behindert. "Deshalb schlagen wir als einen ersten
Schritt innerhalb unserer Agenda zum Wandel vor, dass die NATO das
Konsensprinzip auf allen Ebenen unterhalb des NATO-Rates aufgibt und
auf Komitee- und Arbeitsgruppenebene Mehrheitsentscheidungen
einführt." (S. 125)
Ferner sei es zwar noch nie so gewesen, dass ein Mitgliedstaat
gezwungen werden könne, sich an militärischen Aktionen zu
beteiligen. Wer dies jedoch ablehnt, soll künftig auch jeglicher
Mitspracherechte verlustig gehen - nur wer mitkämpft, soll auch
mitbestimmen: "Es oblag schon immer den einzelnen Staaten welche
Kapazitäten und Truppen sie beitragen wollen. Aber Länder,
die keine Truppen beitragen, sollten auch kein Mitspracherecht
hinsichtlich militärischer Operationen
erhalten. Aus diesem Grund schlagen wir als zweite Veränderung
vor, dass nur die Staaten die zu einer Mission beitragen - das bedeutet
militärische Kräfte in einer Militäroperation - ein
Mitspracherecht bezüglich dieser Operation erhalten." (S. 125)
Als letztem Punkt plädieren die NATO-Planer dafür, den Rahmen
für die völkerrechtlich legitime Anwendung militärischer
Gewalt um das Instrument der humanitären Intervention
(Responsibility to Protect) zu erweitern und derartige Interventionen -
wie seinerzeit am Beispiel des Angriffskriegs gegen Jugoslawien
vorexerziert - auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates
durchzuführen: "Zusätzlich zum offensichtlichen Fall der
Selbstverteidigung erachten wir die Anwendung von Gewalt auch bei
Abwesenheit einer Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat als
legitim, wenn die Zeit nicht ausreicht, ihn zu involvieren oder sich
der Sicherheitsrat als unfähig erweist, zeitnah eine Entscheidung
zu treffen, sollten Maßnahmen nötig sein eine große
Anzahl von Menschen zu schützen." (S. 121f.)
Zusammengenommen schlagen die NATO-Planer damit nicht weniger als einen
fundamentalen Formwandel der NATO vor, mit dem Ziel die
Kriegsfähigkeit der Allianz deutlich zu erhöhen. Es bleibt
abzuwarten,wie viel davon auf der Münchner Sicherheitskonferenz
und kurz darauf auf dem NATO-Gipfel in Bukarest tatsächlich
eingetütet werden wird.Auf jeden Fall handelt es sich hierbei um
die ambitioniertesten Vorschläge zur Neuausrichtung der Allianz
der letzten Jahre, die mit Sicherheit die Richtung, in die sich die
Allianz künftig entwickeln wird, maßgeblich mitbestimmen
werden.
Anmerkungen
[1] Auf eine kleine Anfrage der Linkspartei gab die Bundesregierung an,
die Münchner Sicherheitskonferenz werde durch 420
Bundeswehrsoldaten "unterstützt", wobei 120 davon sogar das
Hausrecht beim Veranstaltungsort ausüben. Die hierfür
anfallenden Kosten beziffert die Bundesregierung auf 500.00 Euro, hinzu
kommen weitere Hilfsleistungen vom Presse- und Informationsamt in
Höhe von 341.000 Euro, so dass das Treffen der Kriegsstrategen mit
insgesamt 841.000 Euro aus der Staatskasse finanziert wird.
[2] Naumann, Klaus/Shalikashvili, John/The Lord Inge/Lanxade,
Jacques/Breemen, Henk van den: Towards a Grand Strategy for an
Uncertain World: Renewing Transatlantic Partnership, URL:
http://www.worldsecuritynetwork.com/documents/3eproefGrandStrat(b).pdf
(21.01.2008).
[3] Sherwell, Philip: Bush 'is planning nuclear strikes on Iran's
secret sites', The Telegraph, 11.04.2006.
[4] Traynor, Ian: Pre-emptive nuclear strike a key option, Nato told in
Brussels, The Guardian, 22.01.2008.
[5] Lewis, George N./ÄPostol, Theodore A.: European Missile
Defense: The Technological Basis of Russian Concerns, Arms Control
Today, October 2007.
[6] Mitsch, Thomas/Wagner, Jürgen: Erstschlag und Raketenabwehr:
Die nukleare Dimension des Neuen Kalten Krieges und die Rolle der NATO,
in: AUSDRUCK - Das IMI-Magazin (Juni 2007).
[7] Kreimeier, Nils/Wetzel, Hubert: EU und USA zittern vor neuer
"Opec", Financial Times Deutschland, 06.03.2007.
[8] Energy and NATO, Senator Lugar's keynote speech to the German
Marshall Fund conference on Monday, November 27, 2006 in Riga, Latvia,
in advance of the NATO Summit.
[9] Riga Summit Declaration, 29.11.2006, Ziffer 45.
[10] Croatia hosts major Nato exercise, BBC, 10.10.2007.
[11] Russland könnte Atomwaffen für Präventivschlag
einsetzen, AP, 19.01.2008.
[12] Traynor 2008.
[13] Traynor 2008.
[14] Noetzel, Timo/Schreer, Benjamin: Strategien zur
Aufstandsbekämpfung, Stiftung Wissenschaft und Politik,
SWP-Aktuell, Januar 2008.
[15] Masala, Carlo: Managing Protectorates: Die vergessene Dimension,
in: Politische Studien, Januar/Februar 2007, S. 49-55, S. 49.
[16] Schon auf dem NATO-Gipfel in Riga wurde die so genannte
Comprehensive Political Guidance (CPG) verabschiedet, ein
Planungsdokument, das die Richtlinien für die auf 2009 terminierte
Neufassung des Strategischen Konzeptes der NATO vorgibt. Die CPG betont
die "wachsende Bedeutung von Stabilisierungsoperationen und die
militärische Unterstützung von Wiederaufbaubemühungen im
Anschluss an einen Konflikt." (Absatz 2,6) Vgl. auch Milkoreit,
Manjana: Die zivile Dimension der Sicherheit ernst nehmen: die NATO als
die Organisation für den Wiederaufbau nach einem Konflikt, in:
NATO Review (Herbst 2007); Bertram, Christoph: Abschied vom Krieg, in:
NATO Review (Frühjahr 2006).
[17] Hierfür wird unter anderem vorgeschlagen, dass die
Europäische Union ihre "zivilen", sprich paramilitärischen
Polizeieinheiten (European Gendarmerie Force) der NATO für
"Stabilisierungsoperationen" zur Verfügung stellt. (S. 132)
[18] Wagner, Jürgen: Mit Sicherheit keine Entwicklung! Die
Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit, Studie im Auftrag der
Bundestagsfraktion DIE LINKE, August 2007
[19] Allerdings ist schon heute die so genannte konstruktive Enthaltung
möglich, mit der sogar ein Dissens ohne Veto artikuliert
werden kann.