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Politik
10.12.2007
Alle Wege führen nach Gütersloh
Wie der Bertelsmann-Konzern als Speerspitze des konservativen
Wertewandels fungiert
Kritik bringt den Bertelsmann-Konzern so schnell nicht aus der Fassung.
Damit hatten Werner Biermann und Arno Klönne auch nicht gerechnet,
die in ihrem Buch das Medienunternehmen aus Gütersloh als
Missionare des neoliberalen Glaubens outen. Stichworte: Abbau der
Sozialleistungen, Privatisierung, Elitedenken statt Chancengleichheit.
Der angestrebte Wandel werde mit objektiven Zwängen
begründet. Nach dem Motto: Die Politik des sozialen Ausgleichs hat
nichts gebracht - außer heilloser Verschuldung.
Als Speerspitze dieses Wertewandels machen die Autoren Bertelsmann aus
und vor allem die
hocheffiziente Arbeit der Stiftung. Die Agenda 2010 sei unter
maßgeblicher Mitarbeit der Gütersloher Denkfabrik
entstanden. Ebenso die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und
die Kampagne "Du bist Deutschland".
Auch in geopolitischen Fragen bezieht Bertelsmann eindeutig Position:
Wohlstand und Freiheit müssten am Hindukusch oder im Kongo-Becken
verteidigt werden; Alternativen zu Auslandseinsätzen der deutschen
Streitkräfte gebe es nicht. "Eine Botschaft wirkt umso
glaubwürdiger, je häufiger sie wiederholt wird, am besten aus
vielen scheinbar voneinander unabhängigen Quellen. Wenn alle das
Gleiche sagen, so zeigt dies beim normalen Bürger Wirkung."
Es ist erstaunlich, was alles unter dem Dach des Bertelsmann-Konzerns
(zumindest in Anteilen) angesiedelt ist: unter anderem die
Verlagsgruppe Random House und Europas größtes Druck- und
Verlagshaus Gruner+Jahr, die Deutsche Verlags-Anstalt, der
Luchterhand-Literaturverlag, Goldmann, Heyne, Siedler; sämtliche
RTL-Formate, der Fernsehsender Vox; Zeitschriften wie Stern, Spiegel,
Brigitte, Geo, Capital, Frau im Spiegel, Auto, Motor und Sport,
National Geographic Deutschland oder die Financial Times Deutschland.
Nicht zu vergessen der altehrwürdige Lesering oder das
Tochterunternehmen Arvato, das sich auf IT-Dienste und kommunales
Management spezialisiert hat; in der englischen Stadt East Riding
erhebt das Unternehmen bereits die Gebühren, zieht Steuern ein und
zahlt Sozialleistungen aus; in Würzburg ist Ähnliches in
Planung.
Ein anderes Beispiel für schonungsloses Kosten-Nutzen-Denken sehen
Biermann und Klönne in der Bildungspolitik, für die die
Bertelsmann-Stiftung die entscheidenden Studien liefert, und
erläutern es an Themen wie Frühförderung im
Kindergartenalter, Vergleichsmessungen von Schülerleistungen oder
verordneter Wettbewerb unter Schulen und Universitäten -
Stichworte: eigenverantwortliche Schule, Schulinspektionen,
Professoren- und Veranstaltungsranking. Die Autoren sprechen von
"neoliberaler Funktionalisierung der Bildung".
Versöhnlicher in der Wortwahl, in der Sache aber nicht weniger
klar, äußert sich der Schweizer Publizist Gian Trepp. Er
schildert die Lebensgeschichte Reinhard Mohns, der als Kriegsheimkehrer
1946 das Erbe der Väter antrat und den Betrieb mit Verve und
allerlei Tricks zu einem Weltkonzern ausbaute.
Dass die Eigentümer des ursprünglich evangelischen Druck- und
Verlagshauses es stets verstanden, auf der Woge des Zeitgeistes das
Beste für den Betrieb und den eigenen Geldbeutel herauszuholen,
beschreibt Trepp in seinem Buch unprätentiös und, wenn es
sein muss, auch in schonungsloser Form: "Die Abkehr des C. Bertelsmann
Verlags von der Religion erfolgte in mehreren Stufen: Zuerst kamen die
christlichen Romane, dann die sentimental-nationalistischen
Heimatromane und die Blut- und Boden-Romane und
Kriegsverherrlichungsbücher, feldpostkonform verpackte Texte in
Massenauflage zum Zwecke der psychologischen Vorbereitung von Hitlers
Angriffskriegen."
Reinhard Mohn, der heute 86-jährige Firmenpatriarch, brachte den
in Schutt und Asche liegenden Betrieb mit Fleiß und
bewährtem opportunistischen Gespür über die harten
Nachkriegsjahre. Die 1977 gegründete Bertelsmann-Stiftung will die
Unternehmensphilosophie auf möglichst viele Bereiche der
Gesellschaft übertragen.
Politik und Demokratie seien in den Augen Reinhard Mohns weder
transparent noch lebendig genug, um einen längst
überfälligen gesellschaftlichen Wandel zu fördern.
Gian Trepp fragt sich, ob ein derartiger Stiftungszweck
tatsächlich "gemeinnützig" sei. Wer tiefer in die Materie
einsteigen möchte, der greift zu dem soeben in zweiter Auflage
erschienenen Sammelband "Netzwerk der Macht - Bertelsmann". Die neue
Ratgeberindustrie wird hierin "als Kehrseite einer schleichenden
Entdemokratisierung der Gesellschaft" bezeichnet. Politikberatung stehe
für einen "Prozess unkontrollierter Wissensvermittlung"; das
Konzept "Eigenverantwortung" und die damit einhergehende
Individualisierung der Gesundheitsprävention entlasse den Staat
aus seiner sozialen Verantwortung; ob Studiengebühren,
leistungsorientierte Bildungs- und Kulturlandschaft oder Hartz-Reform:
Das klingt nach neoliberaler Weltverschwörung. Tatsächlich
richtet sich der Zorn der Bertelsmänner auf jede Reform, die eine
Umverteilung von oben nach unten verspricht, einen Anspruch auf
Chancengleichheit fordert oder Bürger stärker an der
Gestaltung ihres sozialen Umfeldes beteiligen will.
Demokratie benötigt aber Zeit; Mehrheitsentscheidungen sind
Resultate langwieriger pluralistischer Willensbildungsprozesse.
Während die globalisierte Ökonomie das gesellschaftliche
Leben allein nach Kosten-Nutzen-Faktoren misst, wächst der Druck
auf die Politiker, schnelle Entscheidungen zu treffen. Bertelsmann, so
das Fazit der drei Bücher, schürt diese
Erwartung. GODEHARD
WEYERER
LITERATUR :
WERNER BIERMANN, ARNO KLÖNNE: Agenda Bertelsmann. Ein Konzern
stiftet Politik. PapyRossa-
Verlag, Köln 2007. 140 Seiten, 11,90 Euro.
GIAN TREPP: Bertelsmann. Eine deutsche Geschichte. Unionsverlag,
Zürich 2007. 313 Seiten, 19,90
Euro.
JENS WERNICKE, TORSTEN BULTMANN (Hg.): Netzwerk der Macht -
Bertelsmann. Der medialpolitische
Komplex aus Gütersloh. Verlag des Bundes demokratischer
Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler (BdWi), Marburg 2007. 488 Seiten, 17,00 Euro.
(SZ vom 10.12.2007)