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 Ein Verhaltenskodex für die deutsche Wirtschaft

Vorschläge zur Modernisierung des Aktienrechts / Klagen von Anlegern werden erleichtert
 

jja. FRANKFURT, 1. Juli. Den deutschen Aktiengesellschaften soll ein Verhaltenskodex verordnet werden. Dessen Befolgung soll zwar freiwillig sein, seine Veröffentlichung im Bundesanzeiger aber vorgeschrieben werden. Außerdem müßten Unternehmen alljährlich verbindlich mitteilen, ob sie die Regeln einhalten wollen. Hierauf hat sich nach Informationen dieser Zeitung die Regierungskommission "Corporate Governance" verständigt, die Bundeskanzler Gerhard Schröder nach dem Debakel mit dem Baukonzern Holzmann zur Reform des Aktienrechts eingesetzt hat. Eine Stärkung der Aufsichtsräte sowie eine schärfere Haftung von Vorständen gegenüber Anlegern zeichnen sich in dem Gremium, das an diesem Dienstag letztmals zusammentreten will, ebenfalls ab. "Aussichtslose oder erpresserische Klagen" sollen erschwert werden. Ferner möchte die Kommission die Nutzung des Internets vor und bei Hauptversammlungen erleichtern. Ein einheitliches "Unternehmensportal" im Web soll die Daten der Handelsregister erschließen.

In der Kommission unter Vorsitz des Frankfurter Rechtsprofessors Theodor Baums arbeiten namhafte Vertreter aus Wirtschaft (darunter Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Hilmar Kopper und Allianz-Finanzvorstand Paul Achleitner) sowie Gewerkschaften (zum Beispiel der IG-Metall-Vorstandsvorsitzende Klaus Zwickel und Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Chemie- und Bergbaugewerkschaft IG BCE) mit. Vertreten sind ferner Politiker (neben Schröders Staatsminister Hans Martin Bury die Staatssekretäre Caio Koch-Weser vom Bundesfinanzministerium, Alfred Tacke vom Bundeswirtschafts- und Hansjörg Geiger vom Bundesjustizministerium) sowie führende Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater und Anlegerschützer.

Den deutschen Kodex zur Unternehmensleitung und Unternehmensüberwachung soll dem Vernehmen nach eine zwölfköpfige Expertenrunde ausarbeiten, deren Zusammensetzung Schröder bereits in Kürze bekanntgeben dürfte. Bei einer Umfrage der Baums-Kommission haben sich nahezu sämtliche Verbände und Experten für ein solches Regelwerk ausgesprochen. Es biete den Vorteil, daß Verhaltensmaßstäbe für Vorstände und Aufsichtsräte auf diese Weise flexibler an neue Entwicklungen angepaßt werden könnten. Das sei ein Schritt zur "Deregulierung" des Aktienrechts.

Die Reformvorschläge sollen Unternehmenskrisen wie bei Holzmann begegnen, indem die Kontrollbefugnisse der Aufsichtsräte über das Management von Aktiengesellschaften ausgeweitet werden. Zugleich sollen die Gesetzesvorschriften an die Internationalisierung der Kapitalmärkte und die Entwicklung der modernen Kommunikationstechniken angepaßt werden. Nach den Worten von Baums sollte die deutsche Unternehmensverfassung nicht auf das anglo-amerikanische "Board-System" umgestellt werden, bei dem Geschäftsführung und Aufsicht in einem einzigen Leitungsgremium verbunden werden. Vielmehr gelte es, in der Bundesrepublik "an vielen kleinen Stellschräubchen zu drehen". Daher neige die Kommission dazu, das Einsichts- und Prüfungsrecht von Aufsichtsräten auf  Tochterunternehmen auszudehnen. Vorstände sollen verpflichtet werden, auf Abweichungen von früher formulierten Zielen hinzuweisen.

Die Kontrolleure erhalten ein Anrecht darauf, daß ihnen Vorstandsberichte rechtzeitig und schriftlich zugeleitet werden - in der Praxis ist dies bislang keineswegs selbstverständlich. Die Vergütung der Aufseher soll "ergebnisorientiert" ausfallen dürfen, was durch Wandel- und Optionsanleihen bereits jetzt erlaubt sei. Empfohlen wird, daß Aufsichtsratsmitglieder nur noch bis zu fünf solcher Mandate besitzen. Der Kodex soll Vorgaben für ihre Unabhängigkeit machen - zum Beispiel wenn es sich, wie häufig, um Vertreter von Geschäftspartnern und Banken, um Berater oder früherere Vorstände handelt. Ihre Verschwiegenheitspflicht soll durch höhere Strafen verschärft werden.

Über den Wert von Aktienoptionen der Vorstände sollen die Aktionäre näher informiert werden. Nach amerikanischem Vorbild sollen Manager zwar nicht für den Erfolg ihrer Geschäftspolitik haften ("Business Judgement Rule"). Die Haftung für eine Falschinformation des Kapitalmarkts - bisher auf Vorsatz beschränkt - soll aber auf grobe Fahrlässigkeit ausgeweitet werden. Die Kommission rät zu einer gemeinsamen Klagemöglichkeit für Kleinanleger.

Das Quorum für Schadensersatzklagen zugunsten der Unternehmenskasse soll drastisch auf ein Prozent der Anteilseigner gesenkt werden; diese Hürde wird auch vorgeschlagen für Anfechtungsklagen wegen angeblicher Verletzung von Informationspflichten. Die Prämienzahlungen, mit denen Vorstände sich zumeist auf Firmenkosten vor solchen Regreßforderungen schützen, sollen offengelegt und ein Selbstbehalt geprüft werden. Das jeweilige Prozeßgericht soll "aussichtslose und erpresserische" Klagen nicht mehr zulassen müssen. Als Vergleich getarnte Sonderzahlungen an Berufsaktionäre müssen - auch wenn sie als Anwaltsgebühren getarnt sind - offengelegt werden. Gegenanträge von Aktionären müssen nur noch auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlicht werden; hier dürfen Anleger auch Mitstreiter für eigene Anträge - wie auf eine Sonderprüfung - suchen. Die Übertragung von Hauptversammlungen im Internet wird erleichtert. Die Redezeit und die Zahl der Fragen einzelner Aktionäre dort darf in der jeweiligen Satzung begrenzt werden. Antworten müssen nicht mehr vorgelesen werden, sondern dürfen im Internet veröffentlicht sowie schriftlich ausgelegt werden.

Auch das Bilanzrecht hat die Kommission einbezogen. Quartalsberichte sollen vorgeschrieben und von einem Wirtschaftsprüfer kontrolliert werden. Die von der EU geplante Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards soll teilweise vorgezogen werden. Ferner befürwortet das Gremium Sach- und Zwischendividenden sowie neue Aktiengattungen, zum Beispiel für einzelne Geschäftssparten.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2001, Nr. 150