Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti sieht Beschneidung von Bürgerrechten / Grüne, FDP und CDU sind sich einig
Wenn die Landesverfassung nach den Plänen von CDU, FDP und Grünen geändert wird, haben die Bürger in Hessen künftig weniger zu sagen, warnen die Sozialdemokraten im Landtag. Das könnte beispielsweise auch das bisherige Verfassungsverbot von Studiengebühren betreffen.
VON MATTHIAS BARTSCH
Wiesbaden · 21. Februar · SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti hat sich festgelegt: "Wir tragen das nicht mit." Das Mitspracherecht der Bürger solle nach dem Vorschlag der drei anderen Landtagsfraktionen beschnitten werden, sagte die 47-jährige SPD-Vorsitzende. Und sie ließ ihr Unverständnis darüber durchblicken, dass gerade die Grünen einen solchen "Demokratieabbau" mittragen wollten.
Im Dezember hatten sich CDU, FDP und Grüne darauf geeinigt, die Landesverfassung von 1946 in mehreren Punkten zu ändern: Die Möglichkeit der Todesstrafe, die Verstaatlichung der Schwerindustrie und ähnliche Relikte sollen aus dem Text verschwinden - aber auch Bürgerrechte, beklagt die SPD.
So sollen die Wähler nach dem schwarz-gelb-grünen Kompromiss künftig nicht mehr das letzte Wort bei allen Verfassungsänderungen haben. Bisher treten Änderungen erst in Kraft, wenn das Volk sie in einer Abstimmung mehrheitlich annimmt - so geschehen etwa 1991 bei der Einführung der Bürgermeister-Direktwahl oder 2002 bei der Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre.
Änderungen auch bei Volksbegehren
Künftig soll nach dem Willen von CDU, FDP und Grünen eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Landtags ausreichen, um Verfassungsänderungen auch ohne Volksbeteiligung durchzusetzen. Die Änderung sollen die Wähler zwar nachträglich außer Kraft setzen können. Dazu ist nach dem Kompromiss-Vorschlag aber ein Volksentscheid nötig - und der ist in Hessen bisher immer an den hohen rechtlichen Hürden gescheitert.
Immerhin wollen CDU, FDP und Grüne die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide ein wenig absenken. Die Initiatoren sollen künftig nicht mehr die Unterschriften von einem Fünftel der Wahlberechtigten vorlegen müssen, um eine Volksabstimmung zu erzwingen, sondern nur noch von einem Achtel. Doch das sei allenfalls Kosmetik, meint SPD-Chefin Ypsilanti: Statt 860 000 Unterschriften seien dann eben 540 000 nötig. Von mehr direkter Demokratie könne da keine Rede sein.
Welche Gefahr eine solche Änderung mit sich bringe, zeige das Thema Studiengebühren, sagte Ypsilanti. Das in der Verfassung verankerte Verbot dieser Gebühren könnten bisher nur die Bürger aufheben. Nach der von CDU, FDP und Grünen geplanten Änderung könne der Landtag dies in eigener Regie tun.
Unterstützt von den Gewerkschaften kritisiert die SPD auch die "Akzentverschiebungen" im wirtschaftspolitischen Teil der Verfassung. So solle die Verpflichtung der Wirtschaft, dem Wohle des ganzen Volkes zu dienen, künftig dem Leitsatz untergeordnet werden, die wirtschaftliche Betätigung sei "frei".
Tarifabschlüsse zwischen Gewerkschaften und Unternehmen würden betrieblichen Vereinbarungen gleichgestellt. Und Teile der SPD befremdet auch der Gottesbezug, den die CDU in Verfassung aufnehmen will.
Der CDU-Abgeordnete Axel Wintermeyer reagierte "enttäuscht" auf die Ablehnung der SPD. Die Sozialdemokraten seien mit ihren Ansichten "isoliert". Dieter Posch (FDP) meinte, die SPD stecke "im Würgegriff des Deutschen Gewerkschaftsbundes" und wolle einen "sozialistischen Grundtenor" in der Verfassung erhalten. Von den Grünen war am Montag keine Stellungnahme zu erhalten.
[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 21.02.2005 um 18:56:24 Uhr
Erscheinungsdatum 22.02.2005