Zurueck zur Homepage
FR vom 30.07.2010 (gescannt)
Kommentar : Wasser für alle
Von Pierre Simonitsch
Die UN-Generalversammlung hat den Zugang zu sauberem Wasser und
sanitären Anlagen zu einem Menschenrecht erklärt. 122 Staaten
stimmten für den von Bolivien unterbreiteten Resolutionsentwurf.
41 enthielten sich der Stimme, was in diesem Fall Ablehnung bedeutet.
Die EU war gespalten: Frankreich und Deutschland unterstützten den
Text. Die Briten und sogar die Schweden und Österreicher
übten Stimmenthaltung.
Worum ging es eigentlich? Gewiss nicht um die Einführung eines
neuen Menschenrechts ins Instrumentarium der UN. Nachrichtenagenturen,
die eine „Aufnahme des Anspruchs auf reines Wasser in die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte" meldeten, lagen daneben.
Dieses historische Dokument aus dem Jahre 1948, das die damals
prominentesten Völkerrechtler verfassten, ist wie in Stein
gemeißelt. Wechselnde Mehrheiten der UN-Generalversammlung
können in dem Papier weder etwas streichen noch hinzufügen.
Und das ist gut so; denn die dreißig universellen Gebote der
Neuzeit erfassen alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens, ohne
sich in Mäandern zu verirren.
Viele brutale Diktatoren sind in den vergangenen Jahrzehnten vergeblich
gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angerannt. Sie
versuchten, „kollektive Menschenrechte" über die Rechte der
Einzelpersonen zu stellen oder machten angebliche „kulturelle
Unterschiede" geltend. Die Bibel der Menschenrechte wird aber nur so
lange heil bleiben, wie sie vor
----------------------------------------
Die UN haben kein neues
Menschenrecht geschaffen; das
könnten sie auch nicht so
nebenbei.
Aber sie erinnern an eine Aufgabe.
-----------------------------------------
modischen Ergänzungen und Abänderungen geschützt ist.
Das ist der Grund, warum ein Recht auf Arbeit, Nahrung oder Wasser - so
wichtig sie für das Wohlergehen der Menschheit auch sind - darin
keinen Platz haben.
Das Recht auf Wasser und sanitäre Anlagen ist bereits in einem
Dutzend anderer Verträgswerke der UN verankert - von der
Konvention über die Rechte der Kinder bis zu den Mindestregeln
für die Behandlung von Häftlingen. Kaum ein Land möchte
derzeit weiter gehen. Selbst Drittweltländer wie Ägypten
machten ihre Unterstützung für die Wasserresolution davon
abhängig, „dass keine neuen Rechte oder Sub-Rechte geschaffen
werden".
Der Vertreter Boliviens stellte daraufhin klar, dass der von ihm
eingebrachte Entwurf nur auf bestehende Regeln verweist. Das
eigentliche Ziel der Resolution ist auch nicht die Kodifizierung eines
Rechts auf Wasser. Das Papier fordert UN-Mitglieder und internationale
Organisationen auf, „Geld, Technologie und andere Ressourcen als Hilfe
für ärmere Länder bereitzustellen, allen Menschen reines
und erschwingliches Trinkwasser zu gewährleisten".
Der UN-Menschenrechtsrat in Genf hat 2008 eine Expertin in der Person
der portugiesischen Juristin Catarina de Albuquer-que beauftragt, einen
Bericht über das Wasserproblem zu erstellen. Nach den
Schätzungen haben 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem
Trinkwasser und 2,6 Milliarden Menschen keine Toiletten. Die dadurch
hervorgerufenen Krankheiten töten mehr Kinder als Malaria, Masern
und Aids zusammen.
Diese Probleme werden keine im Schnellschuss produzierten
UN-Resolutionen lösen. Nur praktisches Zugreifen hilft, wobei die
schleichende Privatisierung des Wassers und die Rolle der
Nahrungsmittelindustrie hinterfragt werden müssen.