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Pressemitteilung Attac
Deutschland Berlin, 11. April 2010
* "Politik hat öffentliche
Interessen an private ausgeliefert" * Richter sprechen Urteil im
Bankentribunal von Attac
Die Richterinnen und Richter haben die Anklage beim Bankentribunal von
Attac in wichtigen Punkten bestätigt. In ihrem am heutigen Sonntag
in der Berliner Volksbühne verkündeten Urteilsspruch stellten
sie fest:
"Die Jury kommt zu der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht wie
eine Naturgewalt über die deutsche Wirtschaft hereingebrochen ist.
Es gibt klare Verantwortliche. Dazu gehört die Politik, hier
vertreten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin
Angela Merkel. Durch ihre Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik
haben sie dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der
Realwirtschaft ablösen konnten und hochriskante
Spekulationsgeschäfte möglich wurden.
Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private
ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die
Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung
herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen
Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für
die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie
lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen
Süden noch tiefer in Armut gestützt werden.
Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche
Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur 'Getriebene der Märkte'.
Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz
grob verletzt, dass 'Eigentum verpflichtet' und auch dem Wohl der
Allgemeinheit zu dienen hat."
In ihrer Urteilsbegründung monierten die Richter insbesondere,
dass die Profiteure der Staatshilfen nicht angemessen an den
Rettungsaktionen beteiligt wurden und die Gläubiger der Banken
bisher gar keinen Beitrag leisten mussten.
Der derzeitigen Bundesregierung sei vor allem anzulasten, dass noch
immer keinerlei Regulierung der Finanzmärkte erfolgt sei. Zwar
der Einwand der Verteidigung berechtigt, dass die
Einflussmöglichkeiten Deutschlands in internationalen Gremien
begrenzt sind. Dennoch trage die derzeitige Bundesregierung eine
Mitschuld, dass die internationale Finanzmarktregulierung nur
schleppend in Gang kommt. "Kanzlerin Merkel ist erkennbar
bemüht, die Standortinteressen der deutschen Kreditinstitute zu
verteidigen", heißt es in der Begründung. So habe etwa der
Zeuge Sven Giegold als Mitglied des Europaparlaments glaubhaft belegen
können, dass Deutschland eine stärkere Bankenaufsicht auf
europäischer Ebene verhindert und eine bessere Regulierung von
Hedge-Fonds blockiert hat.
Das Gericht folgte auch der Darstellung des Zeugen Harald Schumann,
dass bei der Rettung der Hypo Real Estate unnötig Steuergeld
verschwendet wurden, weil das Bundesfinanzministerium trotz bekannter
Liquiditätsengpässen keinerlei Notfallplan aufgestellt hatte.
Zudem sei es falsch gewesen, die Fusion von Commerzbank und Dresdner
Bank zuzulassen und mit Steuermitteln zu finanzieren. "Die Aufgabe der
Bundesregierung wäre es gewesen, kleinere Banken zu schaffen,
statt gigantische Zusammenschlüsse zu organisieren", stellten die
Richter fest.
Nicht der Anklage folgten die Richter hingegen in ihren
Schlussfolgerungen aus der Beweisaufnahme zum Thema Griechenland.
Bisher lägen keine belastbaren Beweise vor, inwieweit die Banken –
und insbesondere die Deutsche Bank – von dem drohenden Staatsbankrott
profitieren, auch wenn die Vernehmung des Zeugen Harald Schumann
Hinweise erbracht habe, dass die Fehler bei der HRE-Rettung wiederholen
und die Gläubiger erneut geschont werden könnten.
Als Gänzlich unvereinbar mit demokratischen Grundsätzen
bezeichnete die Jury, dass selbst von Regierungsseite manche
Finanzakteure als "too big to fail" angesehen werden. Dies konstatiere
einen unerträglichen Zustand staatlicher Ohnmacht, der mit dem
Demokratieprinzip unvereinbar sei. "Daraus folgt der zwingende Beweis
für die Notwendigkeit der Zerschlagung solcher Institute",
heißt es in der Urteilsbegründung.
Mehr als 800 Menschen aus ganz Deutschland hatten am Samstag in der
ausverkauften Berliner Volksbühne die Verhandlung verfolgt, die
sich über den ganzen Tag – von 9 bis 22 Uhr – erstreckte.
Zahlreiche Attac-Ortsgruppen nutzten zudem den Livestream im Internet
für öffentliche Public Viewings. Die Auseinandersetzung
zwischen Anklage, Verteidigung und Zeugen glich zeitweise einem
regelrechten Gerichtskrimi. Dabei nahm das Publikum lebhaften Anteil an
der Verhandlung – immer wieder gab es Buhrufe, Zwischenrufe und Beifall
bis hin zu Standing Ovations. Vor allem die wechselseitige Befragung
der Zeugen Harald Schumann, Sven Giegold und Lucas Zeise förderte
für Anklage und Verteidigung neue und überraschende
Erkenntnisse zutage. Zu den Angeklagten des Tribunals gehörten die
aktuelle Bundesregierung und ihre zwei Vorgängerinnen, vertreten
durch Gerhard Schröder, Angela Merkel und Peer Steinbrück;
die Deutsche Bank und der Bundesverband deutscher Banken, beide
vertreten durch Josef Ackermann; sowie Hans Tietmeyer, ehemaliger
Aufsichtsrat von Depfa und HRE, Chef-Kurator der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft und früherer Bundesbankpräsident.
Ihnen warf die Anklage "Aushöhlung der Demokratie und Vorbereitung
der Krise", "Zerstörung der ökonomischen Lebensgrundlagen in
Nord und Süd" sowie "Verschärfung der Krise" vor
"Mit dem Tribunal ist uns ein wichtiges Stück politischer
Aufklärung gelungen, von dem ein starkes politisches Signal
ausgeht", sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten
Attac-Koordinierungskreis. Durch die Form des Tribunals sei es
gelungen, viele Menschen zu erreichen, die sich in dieser Tiefe noch
nicht mit der Finanzkrise beschäftigt hatten. Als Mitwirkende habe
Attac Menschen mit enormem Fachwissen zusammengebracht, die sich
für das Tribunal erstmals in eine intensive intellektuelle
Auseinandersetzung über die Ursachen und Konsequenzen der
Finanzkrise miteinander begeben haben. "Deshalb verstehen wir das
Urteil als Startpunkt für eine dauerhafte kritische und kompetente
Einmischung der Zivilgesellschaft für einen Bankensektor, der dem
Allgemeinwohl dient."
Das Urteil im Wortlaut:
http://www.attac.de/aktuell/krisen/bankentribunal/urteil/
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Die Mitwirkenden:
Das Richteramt beim Bankentribunal von Attac übernahmen der
Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn, die
Terres-des-Hommes-Geschäftsführerin Danuta Sacher, der
Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, die Taz-Wirtschaftskorrespondentin
Ulrike Herrmann sowie der bekannte Darmstädter Sozialrichter
Jürgen Borchert.
Auch als Ankläger, Verteidiger und Zeugen hatten die
Globalisierungskritiker kompetente und prominente Persönlichkeiten
gewonnen, darunter den ehemaligen Vorsitzenden der IG-Medien, Detlef
Hensche; den ehemaligen Chefredakteur von Spiegel und Managermagazin
Wolfgang Kaden; der langjährigen Leiter des Wirtschaftsressorts
der Frankfurter Rundschau, Robert von Heusinger; Heidi Klein von
Lobbycontrol; die kenianische Menschenrechtsaktivistin Wangui Mbatia;
den Leiter des Institutes für Sozialökologische
Wirtschaftsforschung Conrad Schuhler; den Tagesspiegel-Journalisten
Harald Schumann; die Attac-Mitgründer Peter Wahl und Sven Giegold
sowie die Politikwissenschaftler Elmar Altvater und Peter Grottian.
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Für Rückfragen:
* Jutta Sundermann, Attac-Koordinierungskreis, Tel. 0175 – 8666 769
* Fabian Scheidler, Tribunal-Vorbereitung, Tel. 0151 – 2173 9858
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Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Post: Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel.: 069/900 281-42; 0179/514 60 79
Mail: presse@attac.de, Fax: 069/900 281-99
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