Zusammenfassung des Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Friedrich Schoch im Auftrag des Bundespräsidenten zum Thema
„Vereinbarkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung mit Art. 87d GG“

 

 

Aufbau des Dokumentes

Das Dokument umfasst insgesamt 5 Kapitel:

1.      Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung

2.      Zulässigkeit der Kapitalprivatisierung nach Art. 87d Abs. 1 GG

3.      Staatliche Gewährleistungsverantwortung bei einer Kapitalprivatisierung der Flugsicherung

4.      Eurorechtliche Determinanten für die Organisation der Flugsicherung

5.      Gesamtergebnis

 

Bei den Textabschnitte in Kursiv handelt es sich um Kommentare des Autors.

 

Im Einzelnen

zu 1

Im Kapitel 1 werden die Entscheidungen der verschiedenen Organe erläutert, die Ziele einer Neuregelung aus der Sicht des Gesetzgebers dargestellt, die Flugsicherung als hoheitlichen Aufgabe näher betrachtet und die daraus resultierende verfassungsrechtliche Problematik verdeutlicht.

 Kernsätze in Kapitel 1

1.      S. 5, letzter Satz oberer Abschnitt „Unabhängig hiervon ist das Gesetz juristisch in erster Linie durch das Europarecht veranlasst (a); politisch wurde der danach bestehende Anpassungsbedarf zum Anlass genommen, um weiter reichende ökonomische Ziele zu verwirklichen (b).

Mit anderen Worten: Kapitalprivatisierung ist Trittbrettfahrer des europäischen Anpassungsbedarfs.

2.      S. 8, erster Abschnitt „Sie (die Kapitalprivatisierung) beruht weder auf einer verfassungsrechtlichen Vorgabe….. noch auf einer Verpflichtung des EG-Rechts. Die SES-Verordnungen schreiben dem nationalen Recht nur die erwähnte Trennung von Aufsichtsaufgaben und operativen Aufgaben zwingend vor, enthalten sich jedoch wettbewerbsrechtlicher Direktiven….. “

Mit anderen Worten: Es gibt keinen rechtlichen Zwang für eine Kapital-Privatisierung. Sie schafft auch keinen Wettbewerb. Warum dann das Ganze?

  1. S. 10, erster Satz neues Kapitel „In Bezug auf die rechtliche Qualifizierung der Flugsicherung besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass es sich dabei um eine sonderpolizeiliche Aufgabe handelt.“

    Daraus lässt sich ableiten, dass die Kapitalprivatisierung der Flugsicherung ähnlich gravierend wäre, wie die Kapitalprivatisierung der Polizei

  2. S. 22, dritter Abschnitt „Die politische Zielwetzung der Kapitalprivatisierung der DFS-GmbH könnte auch der Grund dafür sein, dass die Darlegungen des Bundeskanzleramtes zu den Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzeswerks dort enden, wo die eigentlichen verfassungsrechtlichen Probleme erst beginnen.

    Böse Schelte in Richtung Bundeskanzleramt: Die Hausaufgaben wurden nicht gemacht

  3. S. 22, vierter Abschnitt „Bemerkenswert für den Stellenwert des Verfassungsrechts im (bisherigen) Gesetzgebungsverfahren ist auch die Haltung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gegenüber den massiven verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrechnungshofes….Der Präsident des Bundesrechnungshofes hatte in seiner Funktion als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung in einer detaillierten Stellungnahme dargelegt, dass die .… Durchgriffs- und Einwirkungsrechte … nicht ausreichen, um den Art. 87d Abs. 1 Satz 1 GG geforderten Bundeswillen durchzusetzen. Das Verkehrsministerium hat darauf … mit der Äußerung reagiert, die Auffassung des BWV sei „nicht nachvollziehbar“.

    Harte Ohrfeige gegen das BMVBS. Abschreiben lohnt sich halt wirklich nicht. Die Formulierung entstammt wörtlich den Kommentaren der DFS zum Schreiben des BWV.

 

zu 2

Im Kapitel 2 wird auf verschiedene Modelle einer Privatisierung eingegangen und viel Aufwand für die Auslegung des 87d GG betrieben. Hr. Professor Schoch kommt zu der Auffassung, dass sich der Artikel in seinen beiden Sätzen (zum einen bundeseigene Verwaltung und zum anderen privatrechtliche Organisation) selbst widerspricht. Legt man den Schwerpunkt auf Satz 1 (bundeseigene Verwaltung) dann war die Organisationsprivatisierung bereits problematisch und eine Kapitalprivatisierung ist undenkbar. Legt man den Schwerpunkt auf Absatz 2, dann wäre eine Kapitalprivatisierung unter bestimmten Voraussetzungen (jederzeitige Durchgriff des Bundeswillens) möglich.

 

Kernsätze in Kapitel 2

  1. S. 28, unten, S 29 oben: „“Bundeseigene Verwaltung“ meint ….die Gesetzesausführung durch Organisationseinheiten des Bundes ohne eigene Rechtspersönlichkeit, d. h. durch eigene Verwaltungsbehörden des Bundes….. Danach wäre nicht einmal die Organisationsprivatisierung zulässig.“

    Das dürfte ein klares Wort an alle sein, die eine bundeseigene Verwaltung in privatrechtliche Organisationen umwandeln möchten.

  2. S. 29, letzter Abschnitt „Es ist offensichtlich, dass Art. 87d Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG, jeweils isoliert verstanden, miteinander nicht vereinbar sind. Eine bundeseigene Luftverkehrsverwaltung …. in einer privatrechtlichen Organisationsform …. gibt es nach geltenden Verfassungsrecht nicht.“

    Die Formulierung im Art. 87d ist somit reichlich ungeschickt gewählt.

  3. S. 41, oben: „Im Gesetzgebungsverfahren zur Neuregelung der Flugsicherung ist verschiedentlich versucht worden, der vorstehend dokumentierten Entstehungsgeschichte des Art.87d Abs. 1 Satz 2 GG durch selektive Wahrnehmung von Einzelelementen des Entstehungsprozesses einen zum Teil abweichenden Bedeutungsgehalt zuzuschreiben. Diesen Versuchen ist – bei allem Respekt vor den gesetzgebenden Verfassungsorganen und den Bundesministerien – ebenso entschieden wie offen entgegenzutreten.“

    Klatsche an Abgeordnete und Ministerium: Man könnte auch sagen, es wurde der Versuch der Geschichtsverfälschung unternommen

  4. S. 47, vierter Abschnitt: „Eine Ausrichtung der Flugsicherung an privatwirtschaftlichen Zielen (z. B. Rentabilitätsinteressen) ist im Unterschied zu …… (Bahn und Post) unzulässig. Das Europäische Recht hat in diesem Punkt ….. die Ausübung von Hoheitsbefugnissen bei der Flugsicherung hervorgehoben und den wirtschaftlichen Charakter für vernachlässigenswert eingestuft,…..“

    Zukünftig kann sich keiner mehr hinter europäischem Recht, wenn er einen Verkauf fordert.

  5. S. 48, (Zwischenergebnis): “Bei strikter Orientierung an der Entstehungsgeschichte des Art. 87d Abs. 1 Satz 2 GG und strenger Beachtung der Verfassungssystematik erlaubt die Verfassungsvorschrift lediglich eine Organisationsprivatisierung der Flugsicherung. Jede weitergehende Privatisierungsmaßnahme ist verfassungsrechtlich danach unzulässig. Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung ist demzufolge……verfassungswidrig“.

    „Wird die Entstehungsgeschichte des ….nur indizielle Bedeutung beigemessen, der Verfassungssystematik lediglich eine gewisse Rahmenfunktion zuerkannt und stärker auf Sinn und Zweck der Verfassungsvorschrift abgestellt, ist ein über die Kapitalprivatisierung zu schaffendes gemischtwirtschaftliches Unternehmen zulässig, sofern der verfassungsrechtlich notwendige Einfluss des Bundes auf das Unternehmen gewährleistet ist.“

    „Die nachfolgende Untersuchung geht zu Gunsten des Bundesgesetzgebers davon aus, dass das „Ob“ einer Kapitalprivatisierung der Flugsicherung – entgegen der zitierten …Rechtsauffassung …. nicht ausgeschlossen ist. Sollte zum „Wieweit“ der Privatisierung allerdings ebenfalls ein negatives Ergebnis erzielt werden müssen, braucht nicht entschieden zu werden, welcher Rechtsauffassung zur Deutung …. letztlich zu folgen ist.

    Es gibt also 2 Auslegungsmöglichkeiten des Artikel 87d. Bei enger Auslegung ist das Gesetz auf alle Fälle verfassungswidrig, bei einer weiteren Auslegung müssen die Durchgriffsrechte weiter untersucht werden. Kommt man auch hier zu einem negativen Ergebnis, braucht man sich über die Auslegungsalternativen keine Gedanken mehr zu machen.

zu 3

Kapitel 3 beschäftigt sich ausführlich mit der staatlichen Gewährleistungsverantwortung bei der Kapitalprivatisierung der Flugsicherung und damit, ob diese durch die vorgesehenen Maßnahmen im Gesetz abgedeckt werden. Im Ergebnis werden die eingeplanten Ingerenzrechte des Bundes alle als nicht ausreichend betrachtet.

Kernsätze in Kapitel 3

  1. S 50, oben: „Bei der Ermittlung des hierfür (gemeint sind die Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes) erforderlichen rechtlichen Niveaus dürfen keine Illusionen bestehen. Im Vergleich zu den Ingerenzmöglichkeiten bei der bundeseigenen Verwaltung führt die Einschaltung eines Privatrechtssubjekts in die Aufgabenerfüllung unweigerlich zu staatlichen Steuerungs- und Kontrollverlusten;…..

    Schmusekurs mit dem BMVBS wird schnell enden, wenn der Verkauf erst einmal vorgenommen worden ist

  2. S 50, unten: „Das in Art. 20 Abs1 und 2 GG verankerte Demokratiegebot verlangt einen Ausgleich für den Verlust unmittelbarer parlamentarischer Kontrolle, der mit der Übertragung der Aufgabenwahrnehmung auf ein Privatrechtssubjekt verbunden ist.

    Ob diese Vorgabe bei den zahlreichen Privatisierung in den vergangenen Jahren immer eingehalten wurde, wage ich stark zu bezweifeln.

  3. S 54, ab Seitenmitte: Dass öffentliches Recht und Privatrecht aufeinander abgestimmt werden müssen, um wirksame Steuerung und Kontrolle zu gewährleisten „zeigt bereits ein Blick auf die Diskussion um die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Standards bei der bestehenden, im Alleineigentum des Bundes stehenden DFS-GmbH. Verbreiteter Auffassung nach ist die geltende Gesetzeslage durch die Verbindung des Mangels gesellschaftsrechtlicher Ingerenzrechte mit unzureichenden Aufsichtsbefugnissen des Bundes verknüpft. Wenn aber schon die jetzige gesetzliche Ausgestaltung der Organisationsprivatisierung der DFS-GmbH eine derartige verfassungsrechtliche Kritik hervorruft, muss die im Privatisierungsgrad viel weiterreichende Kapitalprivatisierung der DFS-GmbH besonders sorgfältig daraufhin untersucht werden, ob das … vorgesehen Modell die verfassungsrechtlich geforderten ….Ingerenzmöglichkeiten überhaupt erlaubt.“

    Wer den Alltag in der DFS kennt, weiß, dass der Bund schon heute nicht mehr das Sagen hat, sondern zum Befehlsempfänger der DFS GmbH degradiert ist.

  4. zum Thema: „Effiziensverlust (Kritik Monopolkommission)“
    S 56, letzter Abschnitt:
    Kritik berechtigt, aber: ‚“’Verfassungsrechtlich durchschlagend ist die Kritik allerdings nicht.“

  5. zum Thema: „Unabhängigkeit Aufsichtsbehörde Flugsicherungsorganisation (Kritik Monopolkommission)“
    S 58, oben:
    Es können „keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken geltend gemacht werden.

  6. zum Thema: „Unterbeauftragung eines Dritten durch den Beliehenen
    (Kritik BWV)“
    S. 59, zweiter Abschnitt:
    „Dies sind gewichtige verfassungsrechtliche Einwände, letztlich durchschlagend sind sie aber nicht.“

  7. zum Thema: „Verlagerung der DFS-Hauptbetriebsstätte in das Ausland“
    S. 60, dritter Abschnitt und unten:
    „….dass die Grundsatzregelung eine Verpflichtung zum ‚“Inlandssitz“ nur für die Dauer von 20 Jahren festschreibt.“
    „Art. 87d Abs 1 GG ist indessen nicht eine Art „Zeitgesetz“. Kann sich die DFS-GmbH nach Ablauf von 20 Jahren den Ingerenzrechten des Bundes entziehen, kann der Staat seine Gewährleistungsverantwortung nicht mehr in dem verfassungsrechtlich gebotenen Maße wirksam wahrnehmen. Das aber führt zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.“

  8. zum Thema: „Rückholoptionen des Bundes“
    S. 62, unten:
    „Die Rückholoptionen des Bundes nach …. sind insgesamt so schwache Ingerenzrechte, dass sie keinen verfassungsrechtlich entscheidenden Beitrag zur notwendigen Stabilisierung der Gewährleistungsverantwortung des Bundes zu leisten vermögen.“

  9. zum Thema: „Bedeutung des Gesellschaftsrechts“
    S. 63, zweiter Abschnitt: „Das deutsche Gesellschaftsrecht dient in erster Linie dem Schutz des Unternehmens. Es hat einen rechtsnormativen Selbststand und steht daher nicht etwa zur „Disposition“ des Verwaltungsrechts, ……. Es ist deshalb juristisch nicht zutreffend, wenn gesagt wird, im Flugsicherungsgesetz vorgesehene öffentlichrechtliche Befugnisse gegenüber dem Beliehenen könnten „die im Zuge der Kapitalprivatisierung sicherlich reduzierten gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten … mehr als kompensieren.“

    Das bedeutet wohl, dass die Ingerenzrechte nur dann greifen, wenn Sie dem Gesellschaftsrecht nicht entgegenstehen.

  10. zum Thema „Abberufung der Geschäftsführung“
    S 66, dritter Abschnitt u. S. 67:
     „Nur wenn der Bund als Alleingesellschafter oder als Mehrheitseigner der GmbH auftritt, verfügt er über die verfassungsrechtlich geforderten operativen Einwirkungsmöglichkeiten…. Sogar wenn die öffentliche Sicherheit seitens der Geschäftsführung der GmbH „erheblich gefährdet“ wird, kann die sofortige Abberufung vom Bund lediglich „verlangt“….. nicht aber selbst herbeigeführt werden.“

  11. zum Thema „Sperrminorität“
    S 67, zweiter Abschnitt:
    „Einer deutlichen Fehleinschätzung im Gesetzgebungsverfahren unterlag die gesellschaftsrechtliche Bedeutung einer Sperrminorität des Bundes… Noch in der Sitzung des BT-Rechtsausschusses….. wurde ausweislich des Protokolls seitens des BMJ die Auffassung vertreten, dass eine solche (gemeint sind 25,1 %) „auch Einfluss auf das operative Geschäft der beliehenen Flugsicherung habe. Rechtlich zutreffend ist das nicht.“

    Kaum zu glauben, dass solche offensichtlich falsche Aussagen im Rechtsausschuss des BT geäußert werden.

  12. zum Thema „Minderung des Bundeseinflusses durch Mitbestimmung“
    S. 69, vierter Abschnitt:
    „In einer mitbestimmten Flugsicherungs-GmbH entscheiden nicht die Gesellschafter über die Geschäftsführung, sondern hierüber befindet der Aufsichtsrat. …. Selbst bei einer im Alleineigentum des Bundes stehenden Flugsicherungs-GmbH erfährt die Durchsetzbarkeit des Gesellschafterwillens empfindliche Einschränkungen und die verfassungsrechtlich geforderte jederzeitige Durchsetzbarkeit des Bundeswillens „wie in einer bundeseigenen Behörde“ ist nicht mehr garantiert:…“

    Somit wäre die Organisationsprivatisierung auch angreifbar.

  13. zum Thema „Befristung der Bundesbeteiligung an der DFS-GmbH
    S. 72, zweiter Abschnitt:
    „Nach Ablauf des Übergangwszeitraum besteht im Flugsicherungsgesetz keine Vorkehrung für eine obligatorische Bundesbeteiligung an der DFS-GmbH. …..;der Bund hätte in diesem Fall jeden gesellschaftsrechtlichen Einfluss innerhalb der DFS-GmbH verloren.


zu 4

Kapital 4 beschäftigt sich damit, ob EG-Recht dem Ergebnis des Gutachtens entgegensteht.

 

Kernsätze in Kapitel 4

  1. zum Thema „SES-Verordnungen“
    S. 75, dritter Abschnitt:
    “Weitere organisatorische Vorgaben enthalten die SES-Verordnungen nicht. Die Organisationsstruktur der Flugsicherungsdienste bleibt unberührt, so dass die EG-Mitgliedstaaten hierüber autonom zu entscheiden haben. …. Die Bindungen des Art. 87d Abs 1 GG gelten demnach uneingeschränkt. Das Europarecht nimmt insoweit keine Einschränkung vor. Damit bleibt es bei der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung.

zu 5

Gesamtergebnis

 

Kernsätze in Kapitel 5

„Jeder einzelnen der genannten Rechtsfehler begründet schon für sich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung. In Ihrer Summe bewirken sie, dass das Gesetz die Anforderungen des Art. 87d Abs.1 GG weit verfehlt. Das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung ist nicht im Sinne des Art. 82 Abs 1 Satz 1 GG nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen.“