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Junge Welt vom 29.10.2007 / Inland / Seite 5

Ver.di geht stiften

Anti-Bertelsmann-Kongreß: Gewerkschaft hat Kooperation mit Konzern auf Eis gelegt. Resolution gegen reaktionären Think-Tank aus Gütersloh

Von Gitta Düperthal
 

»Du bist Deutschland« – Eine Kampagne aus dem Hause Bertelsmann

Foto: Maurice Weiß

Es herrschte Aufbruchstimmung am Samstag beim Anti-Bertelsmann-Kongreß in Frankfurt am Main. »Endlich merkt man, daß man mit seiner Weltsicht nicht allein ist«, bemerkte ein Sozialarbeiter aus Mannheim. Und als am Ende eine gemeinsame Resolution der Teilnehmer wegen einer ungenauen Formulierung scheitern sollte, meldete sich wütend eine Frau aus den hinteren Reihen: »Ich habe hier nicht meinen Samstag geopfert, um ohne Ergebnis aus dem Saal zu gehen!« Das überzeugte.

Nicht gemeinnützig

Mehr als 200 Diskutanten einigten sich auf drei Forderungen gegen den Konzern. Erstens: Der
Bertelsmann- Stiftung ist ihre Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Zweitens: Parteinahe politische Stiftungen, Gewerkschafter und Verbände werden aufgefordert, die Kooperation mit der Bertelsmann- Stiftung zu beenden. Drittens: Die Hochschulrektorenkonferenz, Hochschulen, universitäre Einrichtungen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollen ihre Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung sowie den mit ihr assoziierten Einrichtungen und Forschungsprojekten (zum Beispiel Centrum für Hochschulentwicklung, Centrum für angewandte Politikforschung, Centrum für Krankenhausmanagement) einstellen.

Lehrer, Arbeiter, Studenten, Ärzte, Personalräte aus Kliniken, Ein-Euro-Jobber – die Teilnehmer waren aus den unterschiedlichsten Branchen und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten zusammengekommen, um sich über die neoliberalen Machenschaften der Bertelsmann-Stiftung zu informieren und Gegenstrategien zu entwickeln. Ebenso vielschichtig war die Kritik an dem Bertelsmann-Konzern und seiner Rolle als reaktionärer Think-Tank, der zum Beispiel die Einführung der Hartz-Gesetze und von Studiengebühren propagandistisch begleitet hat. »Wären der Bertelsmann-Patriarch Mohn und Co. nicht so reich, wären wir nicht so arm«, konstatierte Sibylle Lust, stellvertretende Landesleiterin der Gewerkschaft ver.di in Hessen. Sie verwies auf einen Beschluß des ver.di-Bundeskongresses, die Zusammenarbeit mit Bertelsmann »kritisch zu prüfen«. Bis dahin lägen alle Geschäfte mit dem Konzern auf Eis. »Eigentlich sind wir die Aktionäre, weil unsere Steuergelder in der Bertelsmann-Stiftung stecken«, so Lust. Es könne deshalb nicht hingenommen werden, daß Bertelsmann ständig gewerkschaftliche Ziele konterkariere.

Nach der ganztägigen kritischen Veranstaltung wird es wohl unter den Diskutanten in der Fachhochschule Frankfurt niemanden mehr geben, der Bertelsmann für einen harmlosen Bücherclub hält. Teilnehmer aus unterschiedlichsten Organisationen von ATTAC über die Partei Die Linke bis zu Gewerkschaften versprachen, in ihren Organisationen die Auseinandersetzung zu forcieren. Referenten erläuterten, wie der größte europäische Medienkonzern, weltweit an sechster Stelle, mit Durchhalteparolen wie »Du bist Deutschland …« versucht habe, den Menschen die kapitalistische Wirklichkeit schmackhaft zu machen. Bei Bertelsmann nenne man das dann »marktwirtschaftliche Demokratie«, so Eckart Spoo, ehemals Redakteur der Frankfurter Rundschau. In seinem Vortrag ging er unter anderem auf die Rolle des 1938 gegründeten Medienunternehmens während des Faschismus ein. Mit der Publizierung völkischer und kriegerischer Literatur habe der Konzern – im Wortsinn – Bombengewinne eingefahren.
 
Der Konzern ist nervös

Für die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) berichtete Matthias Jochheim von neuen Attacken aus dem Think-Tank in Richtung Überwachungsstaat. Mit der elektronischen Gesundheitskarte sollten Daten gesammelt und die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient zerstört werden. Amin Benaissa, ehemaliger Frankfurter AStA-Vorsitzender, forderte auf, die Begriffshoheit wieder zu erobern, damit Worte wie Hochschulautonomie nicht weiterhin zweckentfremdet würden, um ein elitäres Bildungswesen einzuführen. Axel Gerntke und Dieter Staadt von der Grundsatzabteilung der IG Metall erklärten, wie die Hartz-Gesetze vom Gütersloher Unternehmen flankierend gerechtfertigt wurden – und was man bei Bertelsmann im Gesundheitsbereich unter »Eigenverantwortung« versteht. Eine internationale Vernetzung sei vonnöten, um der »totalitären Propaganda« der Stiftung machtvoll entgegenzutreten, die Auslandseinsätze, Aufrüstung und Militarisierung befürworte, so die Gewerkschafter. Stefan Roski vom Bund Demokratischer Wissenschaftler (BdWi) konstatierte, beim Konzern sei »eine gewisse Nervosität« ausgebrochen. Es gelte, jetzt den Anti-Bertelsmann-Protest in die Intellektuellen- und Künstlerszene hinein zu tragen: »Damit diese Leute künftig dort nicht mehr zum Besuch antreten«.