PRIVATISIERUNG ( Text gescannt )
Auszug aus Erziehung und Wissenschaft, Zeitschrift der
Bildungsgewerkschaft GEW 11/2008 , Seite 16 - 19
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Ute Vögelt: „ Wir sind
stärker an den Bedürfnissen von Kindern und Eltern orientiert. Unser
pädagogischer Ansatz ist vom Kind aus gedacht. Das sind die Vorzüge, die
Schulen in freier Trägerschaft gegenüber solchen in staatlicher Verantwortung
haben." (Sonderdruck)
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Sind Privatschulen staatlichen Schulen überlegen ?
E& W-Gespräch mit den Schulleiterinnen Ute Vogell
und Hildegard Greif-Groß
Treibt das unterfinanzierte
staatliche Schulsystem Eltern und ihre Kinder in den privaten Sektor? Werden
Schulen in freier Trägerschaft vom Staat bei der Finanzierung benachteiligt?
Und: Unter welchen Bedingungen kann auch in staatlichen Schulen eine gute
Pädagogik erfolgreich umgesetzt werden ? Über diese
Fragen diskutierte E & W mit zwei Schulleiterinnen: Ute Vogell
von der Montessori-Schule im hessischen Hofheim, einer Schule in freier
Trägerschaft, und Hildegard Greif-Groß, Rektorin
einer staatlichen Grundschule in Berlin.
E&W:
Frau Vogell, wie würden Sie einem Außenstehenden die
Vorzüge Ihrer Schule gegenüber staatlichen Schulen erläutern?
Ute Vogell: Wir setzen an der Förderung einzelner Schülerinnen
und Schüler an, sind stärker an den Bedürfnissen von Kindern und Eltern
orientiert. Unser pädagogischer Ansatz ist vom Kind aus gedacht. Das sind -
ganz allgemein gesprochen - die Vorzüge, die Schulen in freier Trägerschaft
gegenüber solchen in staatlicher Verantwortung generell haben.
E&W:
Frau Greif-Groß, Sie leiten eine reformpädagogisch
ausgerichtete staatliche Grundschule in
Berlin. Können Sie das Lobeslied Ihrer Kollegin aus Hessen auf Privatschulen
nachvollziehen?
Hildegard Greif-Groß: Zum Teil, staatliche Schulen können aber durchaus so
gut sein wie private. Voraussetzung ist allerdings, dass das Engagement der
Lehrkräfte stimmt. Im Gegensatz zu Schulen wie der von Frau Vogell
müssen sich staatliche Schulen oft mit einer schwierigen sozialen Klientel
auseinandersetzen…..
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Zu den Personen:
Ute Vogell hat zehn
Jahre als Lehrerin und didaktische Leiterin an der Helene-Lange-Schule in
Oldenburg, einer staatlichen integrierten Gesamtschule, gearbeitet. Für ihre
derzeitige Tätigkeit als Schulleiterin der privaten Montessori-Schule in
Hofheim (Hessen), einer integrierten Gesamtschule, ließ sie sich beurlauben.
Eine Elterninitiative hat die Schule 1996 gegründet. In ihr lernen Schülerinnen
und Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam in Jahrgangs
gemischten Gruppen ohne äußere Fachleistungsdifferenzierung.
Hildegard Greif-Groß ist seit 28
Jahren Lehrerin in Berlin-Neukölln. 13 Jahre war sie dort Konrektorin, seit
einem Jahr leitet sie die Peter-Petersen- Grundschule im Stadtteil Neukölln,
eine staatliche Jenaplan-Schuh nach der Reformpädagogik Peter Petersens.
Kerngedanke ist das selbstständige, fächerübergreifende Lernen in
altersgemischten Gruppen. Zusätzliche personelle und materielle Ressourcen für
die Umstellung auf das Reformkonzept hat die Schule nicht erhalten.
Beide Schulleiterinnen sind Mitglied der GEW.
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….Das macht es schwer, eine gute staatliche
Reformschule auf den Weg zu bringen, aber nicht
unmöglich.
Unsere Schule liegt in einem sozialen Brennpunkt und wir haben uns dennoch vor
vielen
Jahren dazu entschlossen, unser pädagogisches Konzept
grundlegend umzustellen - mit Erfolg! Wir
arbeiten zum Beispiel jahrgangsübergreifend in den
Klassen l, 2 und 3 sowie 4, 5 und 6. Das fuhrt bei
engagierter Arbeit zwangsläufig zu einer
differenzierten, individuellen Förderung der Kinder.
E&cW:
Die Peter-Petersen-Grundschule ist dennoch ein Leuchtturm innerhalb der
staatlichen Schullandschaft geblieben. Warum klappt dort das, was an vielen
Schulen im gleichen Kiez nicht funktioniert*
Greif-Groß:
Der Wille muss da sein, das ist ganz wichtig. Aber auch die Rahmenbedingungen
müssen stimmen. Wir können pädagogische Reformen in Berlin deshalb so gut
umsetzen, weil die Schulen in der Stadt noch über eine relativ gute Ausstattung
mit Lehrkräften verfügen. Ich weiß - zum Beispiel auch von Kolleginnen und
Kollegen aus Hessen -, dass das nicht überall der Fall ist.
E & W:
Und Sie müssen selbstverständlich auf eine aufgeschlossene Elternschaft
treffen. Stimmt der Eindruck, dass Reformpädagogik - vor allem ein Thema für
die Schule im gut sanierten Stadtteil ist?
Greif-Groß:
Nein, zumindest für Berlin gilt das Gegenteil. In den sozialen Brennpunkten in
den Innenstädten war der Problerndruck so groß, dass sich die Schulen
zwangsläufig zu neuen pädagogischen Ufern aufmachen mussten. Anders sieht es in
den gutbürgerlichen Stadtteilen Zehlendorf oder Steglitz aus. Dort gleichen
Eltern fehlendes schulisches Lernen durch Nachhilfeunterricht aus, die
Pädagogen können sich also in der Illusion wiegen, dass sie so weitermachen
können wie bisher.
Vogell:
Und genau hier liegt doch der Vorteil der Privatschulen. Ich kann mir als
Schulleiterin ganz genau die Lehrkräfte aussuchen und einstellen, die ich
brauche, und diese bewerben sich mit einem klar konturierten pädagogischen Bild
im Kopf an meiner Schule. Außerdem muss eine Zusatzqualifikation in
Montessoripädagogik nachgewiesen oder erworben werden. Das ist an staatlichen
Schulen nicht der Fall.
Greif-Groß:
Nach dem neuen Schulgesetz ist das auch an staatlichen Schulen in Berlin
möglich. Wir wählen auch an ….
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Hildegard Greif-Groß: „Staatliche
Schulen können genauso gut sein wie private." (Bild)
….unserer Schule
Bewerberinnen und Bewerber selbst aus, erwarten die Teilnahme an einer
Hospitation und ich schaue ganz genau hin, ob jemand zum Team unserer Schule
passt oder nicht.
Vogell: Da merkt man, dass sich das staatliche Schulsystem bereits aus sich
heraus dem privaten System mehr und mehr annähert. Autonomie bei der Personalauswahl
zeichnet Schulen in freier Trägerschaft schon immer aus. Je autonomer Schulen
werden, desto besser werden sie. In der Debatte über die Privatisierung von
Schulen wird meist die ….
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Ute Vögelt: »Autonomie
bei der Personalauswahl zeichnet Schulen in freier Trägerschaft schon
immer aus. ]e autonomer Schuten werden, desto besser
werden sie.“ (Bild)
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Hildegard Greif Groß: „Ich hatte die soziale Mischung an einer
Schule für sehr entscheidend. Eine Privatschule, die mehrere hundert Euro
Schutzgeld im Monat kostet, kann gar nicht anders als sozial
ausgrenzen." (Sonderdruck)
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….Gefahr wachsender sozialer
Ungleichheit betont. Auf den Vorteil, dass sich durch mehr Autonomie Schulen
auch demokratisieren können, wird dagegen meiner Meinung nach zu wenig
hingewiesen.
E&.W: Die
Schulautonomie verstärkt gewisse Segregationstendenzen: Bildungsinteressierte
Eltern steuern bewusst die -privaten oder staatlichen - Leuchttürme an, während
für den Rest in den sozialen Brennpunkten die Ghetto-Schule übrig bleibt.
Greif-Groß:
Im Moment besteht diese Gefahr durchaus. Dort, wo aufgrund sinkender
Schülerzahlen die Konkurrenz unter den Schulen zunimmt, kann aber ein echter
Wettbewerb entstehen. In einigen Berliner Bezirken ist das ja bereits zu
beobachten. In Kreuzberg zum Beispiel gibt es mittlerweile eine Reihe von
profilierten Grundschulen, die von Eltern ganz bewusst für ihre Kinder
ausgewählt werden. Das Problem ist, dass es eben auch noch die anderen,
re-formresistenten Schulen gibt. Dort sammeln sich dann all jene Lehrkräfte,
die nicht zu pädagogischen Reformen bereit sind. Denn sie können ja nicht
einfach entlassen werden.
E&W: Das
klingt ein wenig danach, als ob Sie durchaus Sympathie für Privatschulen
Greif-Groß: Na ja, mir ist es schon wichtig, dass ein Teil unserer Schüler nach wie
vor aus dem direkten Einzugsgebiet kommt. In Neukölln leben viele Menschen mit Migrationshintergrund und die meisten davon nicht gerade in
gutbürgerlichen Verhältnissen. Natürlich grenzen auch wir durch bestimmte
Schulregeln eine gewisse Klientel aus; zum Beispiel ist die Teilnahme an
Klassenfahrten verbindlich, das schreckt strenggläubige Muslime sicherlich ab.
Wir haben allerdings auch arabische und türkische Eltern, die ihre Kinder
gerade wegen unseres Schulprofils zu uns schicken. Ich halte die soziale
Mischung an einer Schule für sehr entscheidend. Eine Privatschule, die mehrere
hundert Euro Schulgeld im Monat kostet, kann gar nicht anders als sozial
auszugrenzen. Meine eigenen Kinder haben eine typische Berliner
Innenstadtschule besucht, waren mit türkischen und arabischen Kindern zusammen
und hatten dadurch auch manchen Konflikt auszutragen. Das ist eine
Lebenserfahrung, die ich und sie nicht missen möchten. Die Kinder, die nur die
bürgerliche Vorstadtidylle kennen, werden erst als Erwachsene lernen müssen, mit
allen Menschen dieser spannenden Stadt zu leben und zu arbeiten.
Vogell:
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich möchte am liebsten auch kein Schulgeld
nehmen und hätte dafür eine bessere soziale Mischung an den Privatschulen.
Leider müssen wir von den Eltern aber einen Beitrag verlangen, weil die
staatliche Finanzierung zu gering ausfällt. Private Ersatzschulen bekommen in
Hessen nur 75 Prozent der Lehrergehälter erstattet, den Unterhalt für das
Gebäude, die Reinigung, die Verwaltung etc. müssen die Eltern aus eigener
Tasche bestreiten. Wir verdienen kein Geld mit Bildung. Die Eltern meiner
Schule bezahlen zweifach: Sie finanzieren über ihre Steuern das staatliche
Schulsystem mit und müssen außerdem noch Schulgeld zahlen.
E & W:
In der Regel können sich sokhe Eltern aber diese
Doppelbezahlung leisten und das Schulgeld bei der Steuererklärung geltend
machen.
Vogell:
Das stimmt so nicht. Wir haben eine Reihe von Eltern, die selbst nicht über ein
großes Einkommen verfügen, bei denen aber die ganze Familie - Großeltem, Tanten und Onkel - zusammenlegt, damit ihr Kind
eine Privatschule besuchen kann. Off ist es die Verzweiflung darüber, dass das
eigene Kind im staatlichen Schulsystem untergegangen ist, die Eltern nach
Alternativen Ausschau halten lasst. Die andere, reformpädagogische Idee, die
hinter vielen Schulen in freier Trägerschaft steht, ist für diese Eltern oft
der einzige Ausweg.
E & W: Das
allein kann es doch nicht sein, was Ehern in Privatschulen treibt?
Vogell:
Stimmt, viele Schulen in freier Trägerscharf sind als Elterninitiativen aus
Enttäuschung über den mangelnden pädagogischen Reformwillen der staatlichen
Schulen entstanden. Wenn sich eine Schule etabliert hat, kommen die Eltern
dazu, die weniger vom reformpädagogischen Reformeifer beseelt sind, sondern
sich eher aus der Not heraus für eine Privatschule entscheiden: Sei es, dass
sie behinderte Kinder haben, die im staatlichen Schulsystem nicht integriert
und auf so genannte Förderschulen abgeschoben werden; sei es, dass sie
hochbegabte Kinder haben, die das Regelschulsystem nicht ausreichend fördert.
Ich will aber nicht leugnen, dass es die Eltern, die sich vom Rest der
Bevölkerung abheben wollen, auch gibt.
E&W:
Dennoch bleibt die Tatsache, dass private Schulgründungen ausschließlich dem
bildungsbürgerlichen Milieu entstammen.
Vogell:
Richtig, man sollte in der bildungspolitischen Debatte aber die Motive, die
Eltern aus dem staatlichen Schulsystem treibt, nicht ignorieren und zur
Kenntnis nehmen, dass Privatschulen heute vielfach Aufgaben übernehmen, die
staatliche Einrichtungen nicht mehr leisten können oder wollen. Wir nehmen an
unserer Schule auch Problemfälle auf, die von den Jugendämtern zu uns geschickt
werden: Zum Beispiel Schulverweigerer oder suizidgefährdete Jugendliche, für
die es in der Umgebung keine andere Schule gibt, in der sie ausreichend
Unterstützung erfahren. In letzter Zeit wenden sich auch viele G-8-Geschädigte
an uns, die ihren Kindern einfach nicht mehr die Überforderung zumuten wollen,
die durch die übereilte Verkürzung der Abiturzeit auf acht Jahre entstanden
ist.
Greif-Groß:
Die Situation bei uns in Berlin ist aber eine andere als bei Ihnen im
Vordertaunus. Hier haben wir viele Eltern, die ihre Kinder aufgrund der sozialen
Mischung einer normalen Stadtteilschule gerade deshalb von ihr fernhalten
wollen. Ich erlebe an meiner Schule immer wieder, dass sich Eltern vorstellen,
die ihr Kind bei uns und zugleich an der benachbarten evangelischen Grundschule
angemeldet haben. Diese arbeitet aber nach einem traditionellen pädagogischen
Konzept, unterscheidet sich also von einer Jenaplan-Schule grundlegend. Im
Gespräch wird dann schnell klar, dass es den Eltern nicht um gute Pädagogik
oder bessere Förderung ihres Kindes geht. Sie wollen nur nicht, dass ihr Kind
eine Schule mit mehr als 80 Prozent Migrantenanteil
besucht.
Vogell:
Das ist aber eine Entwicklung, für die man die Privatschulen nicht
verantwortlich machen kann, sondern die vom staatlichen Schulsystem ohnehin
verschärft wird. Die Eltern, die ihre Kinder auf Biegen und Brechen ins
Gymnasium schicken wollen, werden im Wesentlichen von den gleichen Motiven
geleitet. Ich bedaure es ja auch, dass wir an unserer Schule so wenig
nicht-deutsche Kinder haben.
E&tW:
Solange Sie Schulgeld verlangen, wird sich das aber aufgrund der ökonomischen
Situation, in der viele Migranten leben, nicht so
schnell ändern. Wäre ein Modell, wie es beispielsweise die Niederlande oder
Schweden haben, das private wie staatliche Schulen bei der Finanzierung
gleichstellt, eine Lösung?
Vogell:
Auf jeden Fall. Bislang ist es doch so, dass der Staat bei den Schulen in
freier Trägerschaft spart. Ein Schüler an meiner Schule kostet das Land Hessen
pro Jahr über 4000 Euro weniger als ein Schüler an einer staatlichen
Nachbarschule. Das ist fast die Summe, die die Eltern an unserer Schule für
Schulgeld ausgeben müssen.
Greif-Groß:
Das niederländische System erinnert mich an das, was ich aus der
Kinderladen-Bewegung in Deutschland kenne: Eltern tun sich zusammen, gründen
eine Bildungseinrichtung, der Staat finanziert das Ganze. Das hat natürlich
einen gewissen Charme. Aber auch diese Lösung hat Nachteile. In den
Niederlanden zum Beispiel müssen Schulen, die zu wenig Zulauf haben, mit denen
die Eltern also nicht zufrieden sind, schließen. Die Gefahr, dass trotzdem
Ungleichheiten zwischen den Schulen bzw. soziale „Ghettos" entstehen, gibt
es auch in den Niederlanden oder Schweden,
E&cW:
Frau Greif- Groß, welchen Rat würden Sie ihren Kolleginnen und Kollegen an
anderen staatlichen Schulen sehen damit diese für die bildungsbürgerliche
Klientel attraktiv sind?
Greif-Groß:
Schulen müssen sich ein eigenes Profil, ein eigenes pädagogisches Programm
geben, mit dem sie auch in der Öffentlichkeit für sich werben sollten. Eltern
erkennen aus meiner Erfahrung an, wenn sich Schulen engagieren. Dann ist es
auch nicht so schlimm, wenn nicht alles perfekt läuft. Für Eltern ist es ganz
wichtig, dass sie das Gefühl haben, sie werden von Lehrkräften und Schulleitung
ernst genommen. Zuhören zu können, ist überhaupt eine ganz wichtige
Eigenschaft, die sich Pädagoginnen und Pädagogen unbedingt zulegen sollten.
Gesprächsleitung: Jürgen Amendt, Redakteur „Neues Deutschland"