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"Frankfurter Rundschau" vom 07.11.1984

Bei den Sparkassen kommt die Privatisierung durch die Hintertür

Kommunen fordern höheren Haftungszuschlag / Stoltenberg bietet Genußscheine als Ersatz für Eigenkapital / KWG-Novelle umstritten / Von Bernd Ellerbrock

Ein „ernster tiefgreifender Konflikt" zwischen Kommunen und Bundesregierung würde sich anbahnen, prophezeite das Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages Bruno Weinberger schon im Mai. Stein des Anstoßes ist der am 8. Februar vom Kohl-Kabinett beschlossene Entwurf einer Novelle zum Kreditwesengesetz (KWG), der noch dieses Jahr vom Bonner Parlament verabschiedet werden soll. Geprellt fühlen rieh vor allem die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, also die Stadt- und Kreissparkassen, und mit ihnen. Gemeinden und Gemeindeverbände als Gewährsträger, kommunale Spitzenverbände, Gewerkschaften sowie Kommunalpolitiker quer durch alle Fraktionen. Dies deshalb, weil der lange zugesicherte und geforderte „Haftungszuschlag" für die Sparkassen aus dem ursprünglichen Entwurf herausgekippt wurde.

Worum geht es? Sparkassen sind, mit wenigen Ausnahmen, kommunale Wirtschaftsunternehmen, die dem gemeinen Nutzen dienen sollen. Für ihre Verbindlichkeiten haftet dafür die öffentliche Hand (Kreis, Gemeinde oder Zweckverband). Ausgangspunkt ihres öffentlichen Auftrags ist eine Aufgabenstellung, wie sie sich in den Sparkassengesetzen (Länderrecht) niederschlägt: Die Sparkassen sind verpflichtet, ein ausreichendes Angebot kreditwirtschaftlicher Leistungen an alle Bevölkerungskreise ( insbesondere an den Mittelstand und an die Arbeitnehmer) bereitzustellen („Gewährleistungsfunktion"). Die Tätigkeit der Sparkassen beschränkt sich dabei auf das Gebiet des jeweiligen Gewährsträgers („Regionalprinzip"). Damit sollen zugleich auch die kreditwirtschaftlichen Voraussetzungen für eine angeglichene räumliche Wirtschaftsstruktur gegeben sein („Struktursicherungsfunktion")- Außerdem obliegt es den Sparkassen, zu einem intensiven Wettbewerb im Kreditgewerbe sowie zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand beizutragen („Wettbewerbskorrekturfunktion").
Ihre regionale Beschränkung hindert die Sparkassen daran, lukrative Geschäftsmöglichkeiten außerhalb ihres Bereiches zu suchen. Spekulationen etwa mit Devisen oder Aktien, Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmen sind ihnen ebenso verboten wie Auslandsgeschäfte. Dem trug bis 1967 auch ein besonderer Steuersatz Rechnung. Seither zahlen die Sparkassen einen Körperschaftssteuersatz von 35 Prozent, der 1976 mit dem Haushaltsstrukturgesetz auf 44 Prozent erhöht wurde und 1981
mit dem Subventionsabbaugesetz auf 50 Prozent stieg. Diese sukzessive Vollbesteuerung in mehreren Stufen führte dazu, daß die Sparkassen bei einem Marktanteil von 22 Prozent inzwischen etwa 40 Prozent der Steuerlast des gesamten Kreditwesens tragen. Stiegen von 1979 bis 1982 die Steuern bei den Sparkassen von 1,7 auf 4,3 Milliarden Mark, also um rund 250 Prozent, berappten im gleichen Zeitraum Grossbanken und Kreditgenossenschaften nur 100 Prozent mehr Steuern auf 3,2 Milliarden Mark).

Als 1981 die letzte Steuererhöhung für die Sparkassen im Bundesrat beschlossen wurde, erklärte der damalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und heutige Finanzminister Gerhard Stoltenberg: "Ohne eine gleichzeitige Neuordnung des Kreditwesengesetzes mit Einführung eines Haftungszuschlags schafft die steuerliche Mehrbelastung für die Sparkassen bedenkliche Wettbewerbsnachteile." Auch für Bremens Oberbürgermeister Hans Koschnick war damals nur eine solche Paketlösung akzeptabel, und die SPD-Bundestagsfraktion machte ihre Zustimmung von der Bedingung abhängig, bis Ende 1982 müsse ein entsprechender Gesetzestext auf dem Tisch liegen. Mit der Wende in Bonn kam jedoch auch die Wende in der Behandlung der Sparkassen: Der ursprünglich vorgesehene Haftungszuschlag tauchte nun im neuen Referentenentwurf nicht mehr auf.

Ein Aufschrei ging durch den Deutschen Sparkassen- und Giroverband: Mit einer Verfassungsklage wurde gedroht, Sparkassenpräsident Helmut Geiger kündigte „Rabatz" an. Warum? Entscheidend für die geschäftlichen Entwicklungsmöglichkeiten bei Banken ist das Eigenkapital. Denn von der Höhe des Eigenkapitals macht das Kreditwesengesetz und die Bankenaufsicht den Umfang aller risikotragenden Aktiva abhängig. So dürfen die vergebenen Kredite das 18-fache des haftenden Eigenkapitals nicht überschreiten. Die dauernden Anlagen sind beschränkt auf die Höhe des haftenden Eigenkapitals. Fazit: Wer über viel Eigenkapital verfügt, kann viele Geschäfte tätigen, lautet die einfache Gleichung im Bankgeschäft.

Nun erkennt die KWG-Regelung bei den Kreditgenossenschaften (also den Volks- und Raiffeisenbanken) sowie bei den Privatbankiers neben Geschäftskapital und Rücklagen zusätzlich noch einen „Zuschlag" zum Eigenkapital an, der dem mithaftenden Privatvermögen des Bankiers beziehungsweise der begrenzten Haftung (Nachschußpflicht) der Mitglieder von Kreditgenossenschaften Rechnung trägt. Bei den Kreditgenossenschaften beträgt dieser sogenannte „Haftsummenzuschlag" derzeit 50 Prozent, oder zwischen vier und fünf Milliarden Mark für rund 4500 Institute, die dieses erweiterte Kreditpotential auch zu nutzen wußten: Während das Geschäftsvolumen aller deutschen Sparkassen von 1978 bis 1983 um 46 Prozent auf gut 633 Milliarden legten die Genossen im selben Zeitraum gleich 66 Prozent zu und kamen auf fast 333 Milliarden.

Bei kommunalen Sparkassen besteht nun ein vergleichbarer Tatbestand, da alle Städte, Kreise und Gemeinden für ihre Sparkassen unbegrenzt haften („Gewährträgerhaftung"). „Angesichts der unbestrittenen Bonität der öffentlichen Hand, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Bankenaufsichtsrecht zieht, ist der bei öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten gewährleistete Einlegerschutz sicheres Fundament für einen solchen Zuschlag", meint Sparkassenpräsident Geiger.

Die weitere Argumentation für den Haftungszuschlag : Sparkassen sind als einzige Gruppe traditionell darauf angewiesen, ihr Eigenkapital ausschließlich aus versteuertem Gewinn aufzubringen, während private Kreditinstitute ihr Eigenkapital daneben am Kapitalmarkt oder bei ihren Mitgliedern beschaffen können. Angesichts der angespannten Haushaltslage der Gemeinden ist darüber hinaus mit der Zuführung von zusätzlichem Kapital durch die Gewährträger kaum zu rechnen.

Die drastischen Steuererhöhungen zwischen 1976 und 1981 reduzierten somit zwangsläufig die Möglichkeit zur Eigenkapitalverbesserung der Sparkassen. Zahlreiche Sparkassen erreichen derzeit nicht die wünschenswerte Mindestausstattung und haben die bankenaufsichtsrechtlichen Kreditgrundsätze stark beansprucht: Nach Angaben von Geiger waren rund 40 Prozent aller Sparkassen bereits 1982 an die Grenze der Kreditvergabe gestoßen. Rund ein Drittel hatte sein Kapital zu mehr als dem 16fachen verliehen. Ein gewährter 20prozentiger Haftungszuschlag würde den Kreditspielraum der Sparkassen wieder erweitern — rein rechnerisch, so der Bundesverband Deutscher Banken, um rund 150 Milliarden Mark.

Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des vorliegenden Entwurfs zur KWG-Novelle durch die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik verständlich: „Das Außerachtlassen der Inkonsequenzen der gesetzlichen Vorschriften, der ansonsten anerkannten und berücksichtigten Bonität der öffentlichen Hand und der geschäftspolitischen Begrenzungen der Sparkassen in der Diskussion um den Haftungszuschlag und im vorliegenden Gesetzentwurf zeigen deutlich, daß dessen Ablehnung nicht auf objektiven Kriterien beruht, sondern nur unter Berücksichtigung interessenbedingter Aspekte zu bewerten ist: Es geht um die.Einengung des Expansionsspielraums "des öffentlich-rechtlichen Kreditsektors zugunsten des privaten, zumal sich die Konkurrenz um Marktanteile angesichts nur schwacher Kreditnachfrage verschärft", erklärten die Memoranden in ihrem Beitrag, den sie auf Vorschlag der Grünen-Bundestagsfraktion in der Anhörung vor dem Finanzausschuß hielten.

Weiter führten die Alternativen Wirtschaftswissenschaftler gegen die „puristische" Eigenkapitaldefinition der Bundesbank und der Bundesregierung ins Feld: „Die Forderung, daß das haftende Eigenkapital am Verlust teilnehmen, dauerhaft zur Verfügung stehen und voll eingezahlt werden soll, wird nach wie vor in mehrfacher Hinsicht durchbrochen. So wird die Haftungszusage der Genossenschaftsmitglieder bei den Kreditgenossenschaften durch den Haftsummenzuschlag anerkannt, obwohl diese Mittel keineswegs eingezahlt werden Der Grundsatz der Dauerhaftigkeit der Eigenkapitalmittel wird — wenn man dauerhaft im Sinne von nicht rückziehbar und damit nicht kündbar interpretiert — auch bei der Anerkennung der kündbaren Kapitaleinlagen von Gesellschaftern offener Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften und der gleichfalls kündbaren Geschäftsanteile von Genossenschaftsmitgliedern nicht aufrechterhalten.

Die Grünen im Bundestag fordern übrigens den 50prozentigen Haftungszuschlag, so wie er vor drei Jahren auch noch von der SPD verlangt wurde. In der Diskussion um die KWG-Novelle scheint sich inzwischen jedoch eine andere „Lösung" abzuzeichnen: Bereits im April erklärte Bundesfinanzminister Stoltenberg, er wolle sorgfältig prüfen, ob sogenannte „Genußscheine" als Instrument des Risikokapitals im Kreditwesengesetz Eingang finden können. Seit September heißt es nun, der Finanzminister wolle den Sparkassen mit der Zulassung von Genußrechtskapital entgegenkommen, einer Art privater Beteiligung, das mit bestimmten Vorbehalten als Eigenkapital anerkannt werden soll. Das auf Genußschein eingezahlte Kapital solle dabei nicht mehr als 25 Prozent des haftenden Eigenkapitals einer Sparkasse .überschreiten.

Damit scheint sich eine Vorstellung durchzusetzen, die schon lange vor allem von der FDP favorisiert wird. Die Liberalen formulierten ihre Absichten in "einem „Grundsatzpapier": „Die FDP-Bundestagsfraktion richtet die dringende Empfehlung an die Landesgesetzgeber, endlich den Weg dafür freizumachen, daß auch Sparkassen privates Beteiligungskapital auf dem Kapitalmarkt aufnehmen können." Was gemeint war, formulierte die Gewerkschaft ÖTV in einem Brief an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung: „Dies wäre der erste Schritt in Richtung Privatisierung der Sparkassen."
In die gleiche Kerbe haut auch die Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände: „Was die Zulassung von nachrangigen Verbindlichkeiten als Eigenkapitalsurrogat angeht, so haben wir stets darauf hingewiesen, daß dadurch eine Teilprivatisierung der Sparkassen eingeleitet werden kann, die mit deren öffentlich-rechtlichen Status unvereinbar ist und daher von uns entschieden abgelehnt wird. Ein derartiges Instrument für eine Außenfinanzierung der Eigenkapitalbildung der Sparkassen würde aller Voraussicht nach die Orientierung der Geschäftspolitik der Sparkassen nachhaltig verändern und dazu führen, daß deren Aufgabenorientiertheit sich in eine Gewinnorientierung umwandeln müsse."

Der Gewinnausschüttungsanspruch der Inhaber von Genußscheinen würde die ohnehin stark rentabilitätsorientierte Sparkassenpolitik nur noch weiter forcieren. Eine Entwicklung, die im übrigen auch dann verstärkt eintreten wird, wenn der Haftungszuschlag ausbleibt. Geiger dazu: „Um die zwingend vorgegebene Eigenkapitalverstärkung durchführen zu können, sind höhere Betriebsergebnisse unumgänglich." Was das heißt, ist den Personalräten in Sparkassen schon lange klar: Noch stärkere Rationalisierungsmaßnahmen zur Einsparung von Mitarbeitern, weiteres Ausdehnen der Zinsspanne, Drehen an der Gebührenschraube usw. Vom einstigen sozialen Anspruch, mit dem die Väter des Sparkassenwesens vor über 150 Jahren angetreten waren, bliebe dann freilich noch weniger übrig als jetzt schon.