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Aufschwung mit neuem Zahlungsmittel - Ein "Kamenzer" für Kamenz

von Martin Kraushaar

"Gemeinsam sind wir stark" soll einmal auf dem "Kamenzer" stehen. Auf das Regio-Geld setzt eine kleine Gruppe von Kamenzer Bürgern große Hoffnungen.

Die Probleme der ostdeutschen Wirtschaft treten weniger in ihren Metropolen, sondern vielmehr in den Kreisstädten und eher ländlichen Gebieten auf. Dort beträgt die Arbeitslosenquote bis zu 25 Prozent. Die Misere verstärkt sich selbst. In vielen Fällen reicht die aus Erwerbsmangel resultierende geringe Nachfrage nicht aus, um kleineren Einzelhändlern und Anbietern von Dienstleistungen die Existenz zu sichern. Die nur spärlich gefüllten Geldbeutel werden zudem für Einkäufe in die Passagen der Großstädte oder in die großräumigen Shoppingcenter am Stadtrand getragen - Kaufkraft wandert ab.

Der "Kamenzer" im MDR-Sachsenspiegel

Der "Kamenzer" soll's richten

Gerade um die Abwanderung von Kaufkraft zu stoppen, schlug der Kamenzer Reisebüroinhaber Wolfgang Kratochvil vor, in der Stadt und ihrer Umgebung einen so genannten regionalen Wertgutschein, der wie ein Zahlungsmittel gehandhabt werden soll, einzuführen. Noch existiert der "Kamenzer" nur auf dem Papier, und die Umsetzung ist, wie Kratochvil betont, sehr aufwendig. Die Idee dahinter ist jedoch einfach.

Man führe ein Zahlungsmittel ein, das regional begrenzte Gültigkeit hat. Jeder, der dem "Gutscheinsystem" - im Fall des "Kamenzers" ist das der Verein "Kamenzer - Regional e.V." - beitritt, erkennt den Gutschein als Zahlungsmittel an. Gleichzeitig garantiert der Verein den Rücktausch des "Kamenzers" in Euro im Umtauschverhältnis 1:1. Der Umtausch kostet aber fünf Prozent des Tauschwerts.

Geld mit Umlaufbeschleuniger

Der "Kamenzer" sichert, dass alle mit ihm getätigten Käufe der Region zugute kommen. Je häufiger Bürger und Unternehmen in "Kamenzern" zahlen, desto größer wird der Anteil an dem Gesamtkonsum, der in der Region bleibt und dort für Einkommen sorgt. Angestrebt sei, dass die Unternehmen so genannte freiwillige soziale Leistungen, wie beispielweise Prämien oder auch Zuwendungen an Vereine und Einrichtungen, in "Kamenzern" auszahlen, so Kratochvil. Zudem könnten Rabatte künftig in das Regionalgutscheinsystem übernommen werden. Das ist ein Prinzip, wie es auch den Kundenkarten (Bsp.: Payback) zugrunde liegt.

Eine kleine Besonderheit des "Kamenzers", die ihn wesentlich vom herkömmlichen Geld unterscheidet, soll dafür sorgen. Denn löst der Inhaber den Regionalgutschein nicht spätestens nach Ablauf von drei Monaten wieder ein, verliert das Regio-Geld zwei Prozent seines Wertes. Nach weiteren drei Monaten werden es wieder zwei Prozent weniger.

So könnte der Kamenzer einmal aussehen Quelle: Kamenzer - Regional e.V.)

Auf den Spuren von Silvio Gesell

Die Idee der künstlichen Haltekosten auf Geld stammt nicht von Kratochvil: Entwickelt hat sie 90 Jahre zuvor der Begründer der so genannten Freigeldtheorie, Silvio Gesell. Die Theorie und die auf ihr basierende so genannte Natürliche Wirtschaftsordnung wurden von der Wirtschaftswissenschaft der Nachkriegszeit bis auf wenige Ausnahmen lange als nicht umsetzbare Utopie verworfen. Zudem haftete ihr das Vorurteil einer kommunistischen Planwirtschaft an, obwohl sie eigentlich eine neue Form der Marktwirtschaft entwirft. Dort gibt es - sehr vereinfacht ausgedrückt - keinen Zins, weder auf Kredite noch auf Guthaben. Im Gegenteil: Der Geldgeber wird sich mit weniger begnügen, denn es kostet etwas, Geld aufzubewahren.

Zu Bekanntheit gelangte Gesell 1932 durch ein auf seinen Schriften beruhendes, sehr erfolgreiches Versuchsprojekt im österreichischen Wörgl, das sich innerhalb eines Jahres von einer wirtschaftlich eher schwachen in eine prosperierende Provinz wandelte. Doch dann war auch schon Schluss. Die österreichische Notenbank witterte Verrat und verbot die so genannten Arbeitsbestätigungsscheine.

Gemeinnützigkeit steht im Vordergrund

Zurück nach Kamenz: Sowohl die Gebühren für den Umtausch in Euro als auch die für zu langes Horten des "Kamenzers" kommen gemeinnützigen Zwecken in der Stadt Kamenz und Umgebung zugute. Derzeit laufen in Kamenz noch die Vorbereitungen. Den Vereinsvorsitzenden Kratochvil beschleichen trotz ungebrochenen Durchhaltewillens Zweifel an der raschen Umsetzbarkeit. Es gebe zur Zeit noch zu wenig Unternehmen, die die Idee mittragen und erst einmal eine abwartende Haltung einnehmen.

Anders als im bayerischen Prien, wo der so genannte "Chiemgauer" bereits erfolgreich umläuft, herrsche unter den Bürgern Kamenz' zu wenig Gemeingeist. Genau der sei aber die treibende Kraft eines Projekts dieser Art. Zu viele sähen vordergründig die Kosten, die aber nicht das Entscheidende seien, auch wenn sie zum Gelingen des Vorhabens beitragen würden.

"Gemeinsam sind wir stark" steht auf einem grafischen Entwurf des "Kamenzers". Von Gemeinsamkeit will Kratochvil erst ab etwa 40 teilnehmenden Unternehmen sprechen. Da bleibt er hartnäckig gegenüber Vorschlägen, die Sache doch schon im kleineren Kreis zu beginnen. Eher habe die Sache keinen Sinn und sei zum Scheitern verurteilt. Kratochvil ist trotzdem optimistisch, dass es der Verein "gemeinsam mit der Stadt für die Stadt" schaffen kann. Dass er die Leute von ihrem Glück überzeugen müsse, habe er jedoch nicht geahnt.

zuletzt aktualisiert: 14. Januar 2004 | 12:06