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Auszug aus der Wasserdebatte des Deutschen Bundestags am 30.09.1999

Bundestagspräsident :

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf:
a)Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16.
Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 1997 "Welt im
Wandel: Wege zu einem nachhaltigen Umgang mit Süßwasser" des
Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung "Globale
Umweltveränderungen"
- Drucksachen 13/11435, 14/69 Nr. 1.16, 14/837 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva-Maria Bulling-Schröter
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16.
Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Kommission
Durchführung der Richtlinie 91/271/EWG des Rates vom 21. Mai
1991 über die Behandlung von kommunalem Abwasser, geändert durch
die Richtlinie 98/15/EG der Kommission vom 27. Februar 1998
Zusammenfassung der von den Mitgliedstaaten getroffenen
Maßnahmen und Bewertung der in Anwendung von Artikel 13 und 17 der
Richtlinie enthaltenen Informationen
- Drucksachen 14/488 Nr. 2.49, 14/1343 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Georg Girisch
Winfried Hermann
Ulrike Flach
Eva-Maria Bulling-Schröter

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache
eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich bitte diejenigen, die an dieser
Aussprache nicht teilnehmen wollen, den Plenarsaal zu verlassen
und die Gespräche außerhalb fortzusetzen. Noch besser wäre es
allerdings, wenn sie an der Debatte weiterhin teilnehmen würden.
Als erste Rednerin hat die Kollegin Petra Bierwirth von der SPD-
Fraktion das Wort.

Rede von Petra Bierwirth (SPD)

Petra Bierwirth (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wasser ist das Lebenselixier der Erde. Wasser ist ein
unverzichtbarer Teil aller Ökosysteme, eine natürliche Ressource,
ein besonders lebensnotwendiges soziales und wirtschaftliches Gut.
Das von uns genutzte Wasser sollte möglichst unbelastet in den
natürlichen Wasserkreislauf zurückfließen. Während die Weltmeere
unbegrenzte Mengen an Wasser und eine nur scheinbar unbegrenzte
Belastbarkeit an Schadstoffeintrag anbieten, ist sauberes
Süßwasser eine äußerst empfindliche und in vielen Regionen vor
allem eine begrenzte natürliche Ressource.
(V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)
Festzustellen ist, daß der Süßwasserbedarf mit zunehmendem
Bevölkerungswachstum weiterhin steigen wird. Hinzu kommt, daß die
Nutzung von Süßwasser in der Landwirtschaft, der Industrie, der
Energiewirtschaft und den privaten Haushalten die natürlichen und
die vom Menschen geschaffenen hydrologischen Systeme bis an die
Grenzen belastet. Zum Teil werden sie durch Schadstoffeinleitungen
und Übernutzung gefährdet und sogar zunehmend zerstört. Zentrale
Aufgabe der gesamten Politik müssen so der flächendeckende und
vorsorgende Schutz der Gewässer als Bestandteil des
Naturhaushaltes und die sparsame Verwendung und Sicherstellung der
öffentlichen Wasserversorgung und natürlich auch der
Abwasserentsorgung sein.
Auf der UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, auf der im Juni
1992 in Rio de Janeiro mehr als 170 Länder ein Aktionsprogramm für
das 21. Jahrhundert verabschiedet haben, kam die herausragende
Bedeutung des Süßwasserschutzes zum Ausdruck. Ein ganzes Kapitel
in der Agenda 21 wurde dem Schutz der Güte und Menge der
Süßwasserressourcen, der Anwendung integrierter Ansätze zur
Entwicklung und Bewirtschaftung der Wasserressourcen sowie der
Behandlung von Abwasser gewidmet.
Wie aber sieht die Situation heute, sieben Jahre nach Rio, aus?
Welche Schlüsse haben wir aus dieser Entwicklung gezogen? Welche
notwendigen Maßnahmen haben wir begonnen? Zu dem vom
Umweltausschuß diskutierten Jahresgutachten des
Sachverständigenrates "Welt im Wandel: Wege zu einem nachhaltigen
Umgang mit Süßwasser" wird meine Kollegin Marga Elser noch
sprechen.
Darüber hinaus hat sich der Umweltausschuß vor kurzem zum einen
mit dem Bericht der Kommission zur Umsetzung der Richtlinie über
die Behandlung von kommunalem Abwasser und den von den EU-
Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen und zum anderen mit dem
Vergleich der Abwassergebühren im europäischen Rahmen befaßt. Die
von der SPD-Fraktion initiierte Beschlußempfehlung ist im
Umweltausschuß von allen Fraktionen unterstützt und einvernehmlich
angenommen worden.
Festzustellen ist, daß mit Ausnahme Italiens alle Mitgliedstaaten
der Europäischen Union die Richtlinie in nationales Recht
umgesetzt haben. Die Umsetzungsniveaus freilich sind sehr
unterschiedlich. So sind Deutschland und Österreich führend bei
der praktischen Umsetzung, sie sind es allerdings auch bei den
Gebühren. In den meisten anderen Unionsstaaten sind der
Anschlußgrad und das Reinigungsniveau erheblich niedriger und,
daraus resultierend, auch die Gebühren. Zudem wird die
Abwasserreinigung vielfach subventioniert. Diese unterschiedlichen
Faktoren schließen eine direkte Vergleichbarkeit der
Abwassergebühren in der EU aus. Dennoch gibt es EU-weit einen
Trend zu steigenden Gebühren für die Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung. Ausschlaggebend für die Kostensteigerungen
sind aber nicht, wie oft behauptet, die Umweltanforderungen, die
technischen Standards für die Abwasserreinigungsanlagen. Lediglich
6 bis 7 Prozent der Gesamtkosten sind hierauf zurückzuführen.
Besonders deutlich wird dies, wenn man die überdurchschnittlich
hohen Gebühren und Beiträge im Osten Deutschlands untersucht. Denn
hier sind eine ganze Reihe anderer Faktoren, beispielsweise
Altlasten, Fehlplanungen und Mißmanagement, ursächlich für dieses
Mißverhältnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht zum Vergleich der
Abwassergebühren enthält eine ganze Reihe zu diskutierender
technischer Vorschläge zur Senkung der Abwassergebühren. Als Weg
zur Kostensenkung werden in jüngster Zeit hierzulande wieder
verstärkt Privatisierung und Liberalisierung der Wasserversorgung
und Abwasserentsorgung diskutiert. Ich selbst betrachte diese
Diskussion mit sehr gemischten Gefühlen. Die Wasserversorgung und
Abwasserbehandlung sind gemäß Art. 28 des Grundgesetzes Aufgaben,
die von den Gemeinden wahrzunehmen sind. Nach meiner Erfahrung ist
die Privatisierung im Wasserbereich auch kein Allheilmittel zur
Kostensenkung. Wir, die wir hier im Reichstag sitzen, müssen gar
nicht so weit gucken, um dafür ein Beispiel zu finden. Daß die
Bürgerinnen und Bürger geringeren finanziellen Belastungen durch
die teilweise oder vollständige Privatisierung ausgesetzt sind,
(Walter Hirche [F.D.P.]: Das kann man dort sehen, wo es vernünftig
gemacht worden ist! Da braucht man nur nach Niedersachsen zu
gucken!)
erweist sich meiner Meinung nach als Illusion. Es ist doch so, daß
die Kommunen gegenwärtig nach Wegen suchen, wie sie ihrer
Finanzknappheit entgehen können, und nur deshalb veräußern sie
ihre Wasserbetriebe teilweise oder vollständig. Ich halte es aber
für problematisch, die Kontrolle über diese Anlagen und die
Möglichkeiten für strategische Entscheidungen aus der Hand zu
geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)
Desgleichen stehen Wettbewerb und vorsorgender Gewässerschutz in
einem unauflösbaren Spannungsverhältnis. Ein Blick nach
Großbritannien und Frankreich zeigt deutlich, wie die weithin
privaten Monopolunternehmen die notwendigen Investitionen in
Anlagen dieses Bereiches unterlassen. In Deutschland gibt es seit
kurzem ganz offen Forderungen des Verbands privater
Abwasserentsorger nach Absenkung der Abwassergrenzwerte. Ich
denke, den Privatisierungsverfechtern sollte dies Anlaß zum
Nachdenken sein.
(Beifall bei der SPD)
Auch die Liberalisierung der Wassermärkte, wie sie gegenwärtig im
Trinkwasserbereich diskutiert wird, scheidet nach meiner Meinung
als Weg zur Kostensenkung im Wasserbereich aus. Dies gilt auch,
wenn gegenwärtig der Telekommunikations- und der Energiemarkt den
gegenteiligen Eindruck vermitteln mögen. Es ist offenbar aber
völlig aus dem Blickwinkel geraten, daß Wasser keine Ware ist wie
zum Beispiel Strom. Wasser ist ein nicht herstellbares
Naturprodukt. Wasser ist für uns das Lebensmittel Nummer eins.
Wasser ist die Basis allen Lebens auf der Erde, also auch des
menschlichen. Wasser muß ebenso wie die Luft und der Boden durch
Maßnahmen des Umweltschutzes gesichert werden. Wasser kann und
darf nicht den betriebswirtschaftlich orientierten kurz- oder
langfristigen Gewinninteressen von Großunternehmen und einem
Umweltschutz nur als hemmend begreifenden Wettbewerb geopfert
werden. Eine kostengünstige, sichere und hygienisch einwandfreie
Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung und -beseitigung sind
von einem regional wirksamen, vorsorgenden Umweltschutz abhängig
und - vor allem - von besonderer Bedeutung. Sie sind unter
ständiger Kontrolle und in der Verantwortung der örtlichen
politischen Vertreter zu gewährleisten.
Die zunehmende Verknappung unbelasteter natürlicher
Wasservorkommen, die allmähliche Zerstörung und sich ausweitende
Verschmutzung der Wasserressourcen machen eine integrierte Planung
und ökologisch verantwortliche nachhaltige Bewirtschaftung dieses
Gutes erforderlich. Solch eine integrierte Betrachtungsweise
erfordert einerseits die Einbeziehung aller Arten von Gewässern
und andererseits die Berücksichtigung der Quantität und Qualität.
Berücksichtigt werden müssen aber ebenso auch der Zusammenhang mit
der sozioökonomischen Entwicklung und die unterschiedlichen
Nutzungsarten.
Die zentrale Bedeutung der ganzheitlichen Bewirtschaftung des
Wassers als begrenzter und empfindlicher Ressource sowie die
Integration sektoraler Wasserwirtschaftspläne und -programme im
Rahmen der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik wurden
bereits in der Agenda 21 betont. In diese Richtung zielt auch die
EG-IVU-Richtlinie zur integrierten Vermeidung und Verminderung der
Umweltverschmutzung. Nicht zuletzt deshalb muß sie hierzulande
schnellstmöglich umgesetzt werden.
Wir brauchen darüber hinaus auch dringend europaeinheitliche,
verbindliche Anforderungen an die Abwasserentsorgung nach dem
Stand der Technik. Nur so vermeiden wir ein Umweltdumping in
Europa mit entsprechenden Wettbewerbsverzerrungen. Das Thema ist
auf europäischer Ebene in der Diskussion und wird in diesem Herbst
wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Das Europäische Parlament
fordert eine Verschärfung der EG-Wasserrahmenrichtlinie, wie wir
das auch im Deutschen Bundestag in einer gesonderten Entschließung
gefordert haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gespannt auf die vom
Umweltministerium und vom Wirtschaftsministerium organisierte
Tagung in Berlin zur Auswertung des Gutachtens über die
Abwassergebühren in der EU. Ich werde dort mit Interesse die
erörterten Schlußfolgerungen und Maßnahmen verfolgen.
Erforderlichenfalls werden wir uns mit den Ergebnissen der
Fachtagung sicherlich auch hier im Hause zu beschäftigen haben.
Viele Anregungen für eine effektive, kostensparende und dezentrale
Abwasserbehandlung sind von meiner Fraktion bereits in den
Deutschen Bundestag eingebracht worden. Im Interesse der
Bürgerinnen und Bürger müssen diese gegen Bestrebungen einer
Zentralisierung und einer Absenkung der Umweltstandards
durchgesetzt werden.
Danke.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg.
Rolf Kutzmutz [PDS])
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin Bierwirth, dies war Ihre
erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu im
Namen des ganzen Hauses.
(Beifall)